Gesetzentwurf des Bundesrates
Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes von Kindern

A. Problem und Ziel

Kinder sind auf Grund ihrer körperlichen Unterlegenheit und ihrer Gutgläubigkeit für Straftäter leichte Opfer. Die Auswirkungen der Tat sind oftmals nicht nur unmittelbar für das kindliche Tatopfer erheblich, sondern auch für sein persönliches Umfeld. Zudem leiden Kinder bisweilen ihr Leben lang an den Folgen einer Straftat. Im Hinblick hierauf besteht jedoch eine gesetzliche Lücke in Bezug auf einen umfassenden strafrechtlichen Schutz von Kindern.

Dies gilt für Fälle von Kindesentführungen, bei denen es (noch) nicht zu sexuellen Missbrauchshandlungen oder sonstigen Anschlusstaten gekommen ist:

Solche Handlungen erfüllen insbesondere bei Säuglingen und Kleinstkindern mangels Vorliegens eines natürlichen Fortbewegungswillens nicht den Tatbestand der Freiheitsberaubung nach § 239 Absatz 1 des Strafgesetzbuches (StGB). Ebenso scheidet auch eine Anwendbarkeit der Nötigung nach § 240 Absatz 1 StGB aus. Zwar steht gemäß § 235 Absatz 1 StGB die Entziehung Minderjähriger unter Strafe. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes muss eine solche Entziehung im Sinne der Vorschrift jedoch von einer gewissen Dauer sein, was zwar von den Umständen des Einzelfalles abhängt, aber gegebenenfalls bei einer Zeitspanne von einer halben Stunde ausscheiden kann (vgl. Aktenzeichen 1 StR 362/16). Zwar kann gerade auch bei Kleinstkindern ein kürzerer Zeitraum für die Erfüllung des Tatbestandes ausreichen. Jedoch hängt dies stark von den konkreten Gegebenheiten der Tat ab, wobei auch in diesen Fällen der Dauer der Entziehung und damit dem zeitlichen Faktor eine (mit-) entscheidende Bedeutung zukommt. Aus diesem Grund wird in Fällen von Kindesentführungen oftmals auch ein Rückgriff auf die ein Strafmaß von ein bis zehn Jahren vorsehende Qualifikation gemäß § 235 Absatz 4 Nummer 1 StGB scheitern. Dies gilt insbesondere im Falle eines frühzeitig gescheiterten Versuches, weil der Nachweis, dass der Täter ein mehrstündiges Geschehen plante, nur in außergewöhnlichen Fällen zu erbringen sein wird. Hinzu kommt, dass § 235 StGB angesichts seines Absatzes 4 Nummer 1 und seines Absatzes 5 zwar auch die körperliche und seelische Integrität des minderjährigen Tatopfers zum Schutzzweck hat, in den Grundtatbeständen der Absätze 1 und 2 jedoch primär das elterliche bzw. sonstige familienrechtliche Sorgerecht in den Blick nimmt.

Bei versuchten Kindesentführungen kommt regelmäßig auch keine Bestrafung wegen eines versuchten Sexual- oder gar Tötungsdeliktes in Frage. Zumeist ist der Nachweis für einen entsprechenden Tatvorsatz nicht zu erlangen, zudem kann ohne konkrete Kenntnis und Nachweisbarkeit eines Tatplanes, der ohne weitere Zwischenakte sogleich zu einem sexuellen körperlichen Kontakt bzw. zu einer Tötungshandlung führen sollte, nicht von einem unmittelbaren Ansetzen zum Versuch ausgegangen werden (vgl. BGHSt 35, 6, dort Randnummer 13 f.).

B. Lösung

Der Entwurf sieht daher zunächst die Erweiterung des Straftatbestandes in § 235 StGB (Entziehung Minderjähriger) um die Kindesentführung vor, wonach dann das Entführen oder das rechtswidrige Sich-Bemächtigen von Kindern einen Grundtatbestand mit einem Strafrahmen von Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bilden sollen. Die Neufassung der Vorschrift enthält im Übrigen Qualifikationen für Fälle gesteigerten Unrechts.

Zudem ist eine Erweiterung des Straftatenkataloges in § 68c Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 Buchstabe a StGB vorgesehen, um die Möglichkeit zu schaffen, Führungsaufsicht in den Fällen des § 235 Absatz 4 StGB unbefristet zu verlängern.

In der Strafprozessordnung soll eine Ergänzung von § 112a Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 StPO gewährleisten, dass die Anordnung der Untersuchungshaft nach Kindesentführungen erleichtert wird.

C. Alternativen

Eine Alternative zur Ergänzung des § 235 StGB gibt es nicht.

D. Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand

Keine.

E. Erfüllungsaufwand

E.1 Erfüllungsaufwand für Bürgerinnen und Bürger

Keiner.

E.2 Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft

Keiner.

Davon Bürokratiekosten aus Informationspflichten:

Keine.

E.3 Erfüllungsaufwand der Verwaltung

Keiner.

F. Weitere Kosten

Keine.

Auswirkungen auf das Preisniveau, insbesondere auf das Verbraucherpreisniveau,

sind nicht zu erwarten.

Gesetzentwurf des Bundesrates
Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes von Kindern

Der Bundesrat hat in seiner 993. Sitzung am 18. September 2020 beschlossen, den beigefügten Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 1 des Grundgesetzes beim Deutschen Bundestag einzubringen

Anlage
Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes von Kindern

Vom ...

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Änderung des Strafgesetzbuches

Das Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), das zuletzt durch ... geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

1. In der Inhaltsübersicht werden der Angabe zu § 235 ein Semikolon und das Wort "Kindesentführungen" angefügt.

2. In § 68c Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 Buchstabe a werden nach dem Wort "Art" die Wörter "oder wegen einer Straftat nach § 235 Absatz 4" eingefügt.

3. § 235 wird wie folgt geändert:

(2) Ebenso wird bestraft,

Artikel 2
Änderung der Strafprozessordnung

In § 112a Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 der Strafprozessordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074; 1319), die zuletzt durch ... geändert worden ist, werden nach der Angabe "bis 178" ein Komma und die Angabe "235 Absatz 4 " eingefügt.

Artikel 3
Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.

Begründung:

A. Allgemeines

I. Zielsetzung und wesentlicher Inhalt des Gesetzentwurfs

Nicht selten werden Kinder in der Bundesrepublik Deutschland Opfer von Entführungen und auf Pädophilie zurückzuführende Taten. Kinder sind insbesondere wegen ihrer körperlichen Unterlegenheit und ihrer generellen Arglosigkeit gegen derartige Übergriffe besonders schutzlos. Sie leiden im Nachhinein typischerweise besonders intensiv und für lange Zeiträume unter gravierenden psychischen Folgen. Hinzu kommt in der Regel, dass auch die Eltern entführter Kinder eine "sekundäre Traumatisierung" erleben. Zudem besteht wegen des besonderen Ausgeliefertseins gegenüber dem Täter eine erhöhte Gefährdungslage für entführte Kinder. Auch im Anschluss an eine beendete Entführung bleiben Kinder häufig besonders hilflos zurück und müssen in einigen Fällen alleine in eine vertraute Umgebung zurückfinden. Schließlich besteht die Gefahr, dass Kinder wegen der bei ihnen schwächer ausgeprägten Fähigkeit, Risiken zutreffend einzuschätzen, bei hochgefährlichen Fluchtversuchen - etwa einem Sprung aus dem dritten Stockwerk oder dem Überqueren einer Autobahn - zu Schaden kommen.

Die bisherige Gesetzeslage gewährleistet einen lückenlosen und befriedigenden strafrechtlichen Schutz von Kindern unter Berücksichtigung der vorgenannten Umstände nicht: Vom Tatbestand der Freiheitsberaubung im Sinne des § 239 Absatz 1 StGB sind besonders schutzbedürftige Säuglinge erst gar nicht erfasst, da es ihnen an der Möglichkeit der eigenständigen Fortbewegung, derer sie beraubt werden könnten, fehlt (vgl. Schönke/Schröder-Eser/Eisele, § 239 StGB, Randnummer 2). Gleiches gilt auch für den Tatbestand der Nötigung gemäß § 240 StGB, der im Hinblick auf Fälle der vis absoluta voraussetzt, dass das Opfer die Handlung, die ihm durch den Täter unmöglich gemacht worden ist, tatsächlich hätte unternehmen wollen bzw. können, wenn ihm die Fähigkeit dazu nicht genommen worden wäre (vgl. SK-StGB-Horn/Wolters, § 240, Rn. 25). Auch ein lückenloser Schutz durch die Vorschrift des § 235 StGB ist nicht gegeben. Zunächst betrifft der Schutzzweck des § 235 StGB zwar im Hinblick auf dessen Absatz 4 auch die körperliche und seelische Integrität des minderjährigen Tatopfers (BT-Drucksache 013/8587), insbesondere im Hinblick auf den Grundtatbestand des Absatzes 1 jedoch primär das elterliche oder sonstige familienrechtliche Sorgerecht (vgl. Schönke/Schröder-Eser/Eisele, § 235 StGB, Rn. 1). Zwar hängt im Falle des § 235 StGB die Strafbarkeit eines Täters anders als bei §§ 239, 240 StGB nicht vom Fortbewegungswillen des kindlichen Tatopfers ab, jedoch angesichts des Schutzgutes des elterlichen bzw. sonstigen familienrechtlichen Sorgerechts vorwiegend davon, ob die Handlung im Einverständnis mit den Sorgeberechtigten vollzogen wird. Bringt der Täter das Kind darüber hinaus nur kurzzeitig in seine Gewalt, kann dies bereits eine Traumatisierung des Tatopfers nach sich ziehen, erfüllt aber noch nicht den Tatbestand des § 235 Absatz 1 StGB, der nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes insoweit eine dauerhafte und nicht nur bloß vorübergehende Entziehung erfordert, so dass selbst eine solche je nach Einzelfall von dreißigminütiger Dauer unter Umständen nicht zwingend tatbestandsmäßig ist (vgl. Aktenzeichen 1 StR 362/16), wenn auch gerade bei Kleinstkindern ein kürzerer Zeitraum für die Erfüllung des Tatbestandes ausreichen kann.

Im Hinblick auf die besondere Schutzbedürftigkeit von Kindern hat der Gesetzentwurf in erster Linie zum Ziel, die sich aus der bisherigen Gesetzeslage und Rechtsprechung ergebenden Lücken des strafrechtlichen Schutzes von Kindern zu schließen. Der Schutzzweck des § 235 StGB soll durch den Gesetzentwurf nunmehr auch im Hinblick auf den Grundtatbestand eindeutig auf das Kindeswohl ausgeweitet und der reinen Dauer der Kindesentführung anders als unter der bisherigen Rechtslage weniger Bedeutung beigemessen werden. Durch die Formulierung des § 235 StGB soll schon durch den Wortlaut der Vorschrift deutlich gemacht werden, dass bereits vom Grundtatbestand insbesondere auch jene Taten umfasst sind, bei denen die alleinige bestimmende Triebfeder des Täters die Habhaftmachung eines Kindes ist und ihm die Auswirkungen auf das elterliche Sorgerecht gleichgültig sind.

Tatbestandliche Handlungen, die es vermögen, auch jene Fälle zu erfassen, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes aus zeitlicher Sicht noch nicht die Voraussetzungen des bisherigen § 235 Absatz 1 StGB erfüllen, sind das Entführen und das Sich-Bemächtigen. "Entführen" ist das Verbringen des Opfers an einen anderen Ort, an dem es dem ungehemmten Einfluss des Täters ausgesetzt ist, "Sich-Bemächtigen" die Erlangung anhaltender physischer Gewalt über das Opfer, ohne dass eine Ortsveränderung vorausgesetzt wäre. Gerade bei Säuglingen dürften die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des Sich-Bemächtigens bereits sehr schnell vorliegen, da auf Grund ihrer körperlichen Unterlegenheit die Erlangung der physischen Gewalt über sie auf Seiten des Täters nur geringen Aufwand erfordert. Um insbesondere jene Sachverhalte, in denen kein strafwürdiges Verhalten des Täters vorliegt, bereits aus dem Anwendungsbereich des § 235 StGB auszunehmen, sieht der Gesetzentwurf daher entsprechend zum Tatbestand der Nötigung gemäß § 240 StGB für das Sich-Bemächtigen eine eigene Rechtswidrigkeitsklausel vor. Das Sich-Bemächtigen im Sinne der Vorschrift ist erst dann strafwürdig, wenn die Verhaltensweise des Täters entweder geeignet ist, das Kindeswohl zu beeinträchtigen oder zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist. Insoweit werden alltägliche und sozialadäquate Handlungsweisen vom Anwendungsbereich des § 235 Absatz 2 Nummer 2 StGB ausgenommen.

II. Gesetzgebungskompetenz

Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes folgt aus Artikel 74 Absatz 1 Nummer 1 des Grundgesetzes.

III. Auswirkungen

Durch die Ausweitung der Strafbarkeit kann ein Mehraufwand für die Strafverfolgungsbehörden entstehen, dessen Umfang derzeit nicht quantifizierbar ist. Im Übrigen werden jedoch keine Mehrkosten entstehen. Für Bürgerinnen und Bürger und die Unternehmen entsteht kein Erfüllungsaufwand.

B. Zu den einzelnen Vorschriften

Zu Artikel 1 (Änderung des Strafgesetzbuches)

Zu Nummer 1 (Inhaltsübersicht)

Die Änderungen der Inhaltsübersicht ergeben sich durch die Änderung der Überschrift in § 235 StGB.

Zu Nummer 2 (§ 68c Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 Buchstabe a StGB)

Die Möglichkeit, die Führungsaufsicht in Fällen des § 235 Absatz 4 StGB unbefristet zu verlängern, stärkt den Schutz von Kindern insbesondere vor pädophilen Hangtätern, bei denen von einer besonders hohen Rückfallgefahr auszugehen ist. Soweit dies bekannt ist und ein solcher Täter während der Führungsaufsicht durch auffälliges - insbesondere weisungswidriges - Verhalten Anlass zu gesteigerter Besorgnis gibt, sollten Gerichte die Möglichkeit haben, die Führungsaufsicht zu verlängern. Vor allem die Vorstellung, die Überwachung von Probanden der Elektronischen Aufenthaltsüberwachung im Falle zu besorgender weiterer Taten "sehenden Auges" beenden zu müssen, erscheint unter dem Blickwinkel des strafrechtlichen Schutzes von Kindern nur schwer erträglich.

Zu Nummer 3 (§ 235 StGB)

Durch Einführung des Tatbestandes der Kindesentführung in § 235 Absatz 2 Nummer 2 StGB sollen die bereits beschriebenen Strafbarkeitslücken geschlossen und ein umfassender strafrechtlicher Schutz von Kindern vor körperlichen Übergriffen gewährleistet werden.

Dass ein Angehöriger, Vormund oder Pfleger sich nicht der Kindesentführung strafbar machen kann, liegt zum einen darin begründet, dass eine durch diesen dem Kind vertrauten Personenkreis erfolgende Entführung dieses typischerweise nicht in gleicher Weise traumatisiert wie der Zugriff einer Person, die über ihren Aufenthalt nicht zu bestimmen hat, jedoch bereits mit der Entführung dokumentiert, dass ihr dies gleichgültig ist. Zum anderen ist die Strafbarkeit von Angehörigen, Vormund oder Pfleger bisher bereits in § 235 Absatz 1 und 2 StGB anhand sinnvoller Differenzierungen ausreichend geregelt und begrenzt.

Zu diesem Regelungskonzept soll sich der neue Grundtatbestand des § 235 Absatz 2 Nummer 2 StGB nicht in Widerspruch setzen.

Während die Begehungsform der Entführung im Sinne des § 235 Absatz 2 Nummer 2 StGB bereits auf Grund ihrer Wortbedeutung keine weitere Einschränkung bedarf, begegnet der Gesetzentwurf dem Umstand, dass ein Sich-Bemächtigen eines Kindes im Sinne der Vorschrift auf Grund der körperlichen Überlegenheit des Täters bereits frühzeitig gegeben sein kann, mit der Adaption einer gesonderten Rechtswidrigkeitsklausel wie sie in ähnlicher Form bereits aus dem Tatbestand der Nötigung nach § 240 StGB bekannt ist. Hiernach ist ein Sich-Bemächtigen im Sinne des § 235 Absatz 2 Nummer 2 StGB nur dann rechtswidrig, wenn dieses entweder geeignet ist, das Kindeswohl zu beeinträchtigen oder zu dem von dem Täter angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist. Für das Vorliegen der Eignung zur Beeinträchtigung des Kindeswohls genügt es unter Berücksichtigung des angestrebten umfassenden strafrechtlichen Schutzes von Kindern, wenn die Art der Bemächtigung über das Kind nach den Umständen des Einzelfalles generell hierzu geeignet ist. Eine konkrete Beeinträchtigung muss nicht gegeben sein. Insoweit ist § 235 Absatz 2 Nummer 2 StGB in diesem Punkt ähnlich wie § 224 Absatz 1 Nummer 5 StGB als "Eignungsdelikt" ausgestaltet (vgl. Fischer, § 224 StGB, Rn. 27). Im Hinblick auf die zweite Variante der Rechtswidrigkeitsklausel können die zum Tatbestand der Nötigung bekannten und durch langjährige Rechtsprechung gewonnenen Grundsätze auf § 235 Absatz 2 Nummer 2 StGB übertragen werden. Danach ist die Verwerflichkeit einer Kindesbemächtigung dann anzunehmen, wenn die eingesetzte Tathandlung oder der damit bezweckte Erfolg - jeder für sich genommen - nicht als rechtmäßig bzw. sozialadäquat anzusehen sind oder die "Zweck-Mittel-Relation" aus Tathandlung und Tatzweck zu missbilligen ist. Durch die vorgenannte Rechtswidrigkeitsklausel stellt der Gesetzentwurf sicher, dass alltägliche und sozialadäquate Handlungen, die zwar mit dem Sich-Bemächtigen eines Kindes verbunden, jedoch gleichsam nicht strafwürdig sind, vom Anwendungsbereich des § 235 Absatz 2 Nummer 2 StGB ausgenommen werden. Wie bei dem Tatbestand der Nötigung nach § 240 StGB findet so in § 235 Absatz 2 Nummer 2 StGB der Gedanke der Sozialadäquanz auch unmittelbar im Gesetz Niederschlag.

Der Strafrahmen der Kindesentführung - Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahre oder Geldstrafe - orientiert sich an jenem der Entziehung Minderjähriger nach § 235 Absatz 1 StGB und trägt der Strafwürdigkeit der unter Strafe gestellten Handlungen in angemessener Weise Rechnung. Insbesondere wird der Strafrahmen des Grundtatbestandes der Nötigung nach § 240 Absatz 1 StGB, der lediglich eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahre oder Geldstrafe vorsieht, übertroffen. Insoweit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass Kinder besonders hilflos und schutzwürdig sind und unter Entführungen bisweilen besonders intensiv und extensiv psychisch leiden. Zwar sieht der Tatbestand der Freiheitsberaubung nach § 239 Absatz 1 StGB wie § 235 Absatz 2 Nummer 2 StGB als Strafrahmen ebenso Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahre oder Geldstrafe vor. Jedoch sind Fälle denkbar, in denen die Freiheitsberaubung nach § 239 StGB auf Konkurrenzebene hinter die Nötigung nach § 240 StGB zurücktritt (vgl. SK-StGB-Wolters, § 239, Rn. 13).

Die Regelung der Versuchsstrafbarkeit der Kindesentführung nach § 235 Absatz 2 Nummer 2 StGB folgt der Überlegung, dass auch bereits versuchte Taten für Kinder massive seelische Folgen haben können. Auch erscheint das durch einen Versuch verwirklichte Handlungsunrecht als so gewichtig, dass eine Bestrafung erfolgen sollte.

Die in § 235 Absatz 4 StGB hinzugefügten Qualifikationsmerkmale sollen dem Umstand Rechnung tragen, dass zusätzliche Belastungen des geschädigten Kindes die Tatschuld erheblich erhöhen. Dabei ist eine Kombination von objektiven (Nummer 1 und 3) und subjektiven (Nummer 2 und 4) Qualifikationsmerkmalen vorgesehen. Auf Grund der erheblichen Folgen für das Tatopfer ist Absatz 4 - wie bisher - als Verbrechenstatbestand ausgestaltet. Hierdurch wird insbesondere gewährleistet, dass bei Begehung einer Tat nach § 235 Absatz 4 StGB die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Absatz 3 Satz 1 StGB nach nur einer Vorverurteilung ermöglicht wird. Durch die Hinzufügung von insgesamt zwei Qualifikationsmerkmalen zu den bereits bestehenden Tatbeständen des § 235 Absatz 4 Nummer 1 und 2 StGB und der Einfügung der Kindesentführung in § 235 Absatz 2 Nummer 2 StGB wird unterstrichen, dass sich die Schutzrichtung des gesamten § 235 StGB nicht allein im elterlichen oder sonstigen familienrechtlichen Sorgerecht erschöpft, sondern die Vorschrift auch einen klaren Schwerpunkt im unmittelbaren Schutz von Minderjährigen selbst hat.

Für die Verursachung des Todes des Kindes sieht Absatz 5 - wie bisher - eine Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren vor. Ebenso bleibt der bisherige Absatz 6 unverändert, der für minder schwere Fälle der Absätze 4 und 5 einen herabgesetzten Strafrahmen vorsieht.

Auch der Grundtatbestand Kindesentführung soll als sogenanntes relatives Antragsdelikt ausgestaltet sein, weswegen der bisher geltende Absatz 7 inhaltlich keine Änderung erfährt. Dies trägt nicht zuletzt dem Umstand Rechnung, dass dem Tatopfer und - wegen § 77 Absatz 3 StGB auch seinen gesetzlichen Vertretern - zunächst insbesondere unter Berücksichtigung des Kindeswohles die Möglichkeit einzuräumen ist, die Durchführung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens zu überdenken.

Der angefügte neue Absatz 8 ist angelehnt an § 239 Absatz 4 StGB und sieht für die Tätige Reue nach Tatvollendung die Möglichkeit einer Strafmilderung vor. Durch Absatz 8 wird jener Täter privilegiert, der sich von seinen § 235 Absatz 4 Nummer 4 StGB entsprechenden Absichten lossagt und von einer weiteren Tatbegehung sowie einer zunehmenden Schädigung des Kindes absieht. Hierdurch wird im Sinne des Kindeswohles gewährleistet, dass diesem Täter ein Vorteil durch Strafmilderung zukommen kann.

Durch die Einfügung der Kindesentführung in § 235 Absatz 2 Nummer 2 StGB wird zudem gewährleistet, dass sich regelmäßig persönlich erheblich von der Tat betroffene Kinder - gegebenenfalls vertreten durch ihre Eltern - nach § 395 Absatz Nummer 4 StPO als Nebenkläger ohne des Erfordernisses des Hinzutretens besonderer Umstände einem Strafprozess anschließen können.

Zu Artikel 2 (§ 112d Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 StPO)

In § 112a Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 StPO hat der Gesetzgeber die Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr zur "Bewahrung eines besonders schutzbedürftigen Kreises der Bevölkerung vor mit hoher Wahrscheinlichkeit drohenden schweren Straftaten" (vgl. BVerfGE 19, 342 <350>) insbesondere für zu Lasten von Kindern begangenen Taten wie den sexuellen Missbrauch vorgesehen. Die Gründe, den Haftrichtern die Möglichkeit zu geben, Kinder bei erkannter Wiederholungsgefahr vor weiteren Taten zu schützen, streiten auch für die Aufnahme von § 235 Absatz 4 StGB in den Deliktskatalog. Denn wenngleich eine Kindesentführung je nach Einzelfallumständen auch erkennbar einen singulären Charakter haben kann, sind doch auch Fälle denkbar, in denen es - etwa infolge des Auffindens von Kinderpornographie beim Täter - Hinweise dafür gibt, dass ein Hangtäter weitere gleichgelagerte Taten - gegebenenfalls auch mit noch gravierenderen Folgen - begehen wird. In solchen Fällen sollte die Möglichkeit der Anordnung der Untersuchungshaft nicht von vornherein verwehrt sein.

Zu Artikel 3 (Inkrafttreten)

Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes. Das Gesetz soll am Tag nach der Verkündung in Kraft treten.