Unterrichtung durch die Europäische Kommission
Stellungnahme der Europäischen Kommission zu dem Beschluss des Bundesrates zum Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2003/98/EG über die Weiterverwendung von Informationen des öffentlichen Sektors - COM (2011) 877 endg.

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Europäische Kommission
Brüssel, den 4.9.2012
C(2012)5773 final

Herrn Horst Seehofer
Präsident des Bundesrats
Leipziger Straße 3 - 4
D-10117 Berlin

Sehr geehrter Herr Bundesratspräsident,
die Kommission dankt dem Bundesrat für seine Stellungnahme zum Vorschlag für eine Richtlinie zur Änderung der Richtlinie 2003/98/EG über die Weiterverwendung von Informationen des öffentlichen Sektors (PSI-Richtlinie) {KOM (2011) 877 endg.} und bittet, die verspätete Antwort zu entschuldigen.

Die Kommission nimmt die Bedenken des Bundesrates in Bezug auf die Vereinbarkeit bestimmter Aspekte des Vorschlags mit dem Subsidiaritätsprinzip zur Kenntnis. Die Bedenken gelten insbesondere der geplanten Einrichtung einer unabhängigen Regulierungsbehörde zum Zwecke besonderer Rechtsbehelfe und dem Vorschlag einer Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Richtlinie auf bestimmte kulturelle Einrichtungen.

Nach eingehender Prüfung der Daten, die für die Folgenabschätzung der vorgeschlagenen Richtlinie erhoben wurden, ist die Kommission zu dem Schluss gelangt, dass die Mitgliedstaaten zwar über funktionierende allgemeine Rechtsschutzsysteme verfügen, dass aber nur einige Mitgliedstaaten spezielle Behörden eingerichtet haben, die Beschwerden gegen öffentliche Stellen, die gegen die Regeln für die Weiterverwendung von Informationen des öffentlichen Sektors verstoßen, entgegennehmen. Während die unabhängigen Behörden in einigen Mitgliedstaaten einen vorbildlichen Rechtsschutz liefern, beklagen sich Weiterverwender in vielen anderen Mitgliedstaaten über komplizierte, langwierige Verfahren, die zur Behandlung ihrer Beschwerden, die aufgrund der Art der betroffenen Produkte und Märkte häufig eine rasche Lösung erfordern, ungeeignet sind.

Fehlende wirksame Rechtsbehelfe in einigen Mitgliedstaaten (langwierige Entscheidungsfindung, keine echten Kompetenzen der ordentlichen Gerichte) halten Weiterverwender davon ab, ihre Rechte gegenüber PSI-Anbietern mit Monopolstellung durchzusetzen. Das führt zu Ineffizienz auf einigen Märkten und hat negative Auswirkungen auf Wettbewerb und Innovation und letztendlich auf das Verbraucherwohl.

Hinzu kommt, dass die Ermittlung der zuständigen Gerichte oder Behörden und der anwendbaren Verfahrensregeln aufgrund der unterschiedlichen Rechtssysteme der einzelnen Mitgliedstaaten häufig mit erheblichen Kosten und Schwierigkeiten für die Kläger verbunden ist, was wiederum negative Auswirkungen auf den Binnenmarkt für die Weiterverwendung von Informationen des öffentlichen Sektors hat.

Dies ist der Grund, weshalb die Kommission in ihrem Änderungsvorschlag die Mitgliedstaaten verpflichten möchte, eine unabhängige Behörde zu benennen, die mit besonderen Befugnissen zur Überwachung der ordnungsgemäßen Anwendung der Gebührenregelungen und anderer Grundsätze der Richtlinie (z.B. Transparenz und Nichtdiskriminierung) ausgestattet ist.

Die Behörde wäre eine herausgehobene, weithin sichtbare und leicht zugängliche Stelle für die rasche Beilegung von Meinungsverschiedenheiten zwischen Weiterverwendern und öffentlichen Einrichtungen in Bezug auf die Verfahren und Bedingungen für die Weiterverwendung von PSI und würde dazu beitragen, die Ungleichgewichte zwischen den Befugnissen der öffentlichen Stellen zu beseitigen.

Der Richtlinienvorschlag überlässt es jedoch den einzelnen Mitgliedstaaten, die unabhängige Behörde im Einklang mit ihrer innerstaatlichen Rechtsordnung und der Organisation ihrer Justiz einzurichten. Darüber hinaus schreibt der Richtlinienvorschlag nicht die Einrichtung einer neuen Behörde vor. Vielmehr würde die Kommission es begrüßen, wenn die Mitgliedstaaten eine bestehende Behörde, etwa ein Fachgericht oder eine Kammer eines Gerichts, mit den entsprechenden Befugnissen ausstatten würden.

Schließlich ist es nichts Außergewöhnliches, dass die Mitgliedstaaten eine unabhängige Behörde benennen müssen.. So verlangt beispielsweise die Richtlinie 2002/21/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste (geändert im Jahr 2009) von den Mitgliedstaaten, dass sie dafür Sorge tragen, dass jeder Nutzer oder Anbieter elektronischer Kommunikationsnetze oder -dienste bei einer unabhängigen Stelle einen Rechtsbehelf einlegen kann. Ferner enthält die Richtlinie detaillierte Vorschriften zur Organisation der nationalen Regulierungsbehörden.

Die Kommission ist nach wie vor der Überzeugung, dass der Vorschlag, eine unabhängige Behörde im Rahmen der PSI-Richtlinie einzurichten, weder in die ausschließliche verfassungsrechtliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten noch in die Organisation der Justiz der Mitgliedstaaten eingreift.

Die vorgeschlagene Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Richtlinie auf die drei Arten von öffentlichen Kultureinrichtungen beseitigt bestehende Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten bei der Nutzung von kulturellem Material. Darüber hinaus werden die kommerziellen Aktivitäten der Kultureinrichtungen (ausgenommen Aktivitäten im Rahmen ihres öffentlichen Auftrags) einheitlichen Regeln zur Gewährleistung von Fairness, Transparenz und Nichtdiskriminierung unterworfen. Ziel ist es, die Entwicklung von EU-weiten Produkten und Diensten, die sich auf Informationen des öffentlichen Sektors, einschließlich öffentliches kulturelles Material, stützen, zu erleichtern. Der Vorschlag würde die effektive grenzüberschreitende Nutzung von Informationen des öffentlichen Sektors durch private Unternehmen fördern, Wettbewerbsverzerrungen auf dem EU-Markt beschränken und verhindern, dass ein unterschiedliches Tempo in den Mitgliedstaaten bei der Weiterverwendung von Informationen des öffentlichen Sektors zu weiteren Unterschieden führt. Die vorgeschlagene Ausdehnung des Anwendungsbereichs ist auf drei Arten von öffentlichen Kultureinrichtungen beschränkt: Bibliotheken (einschließlich Hochschulbibliotheken), Museen und Archive. Ihre Bestände stellen bereits einen wertvollen Rohstoff für die Weiterverwendung in unzähligen Produkten, z.B. für mobile Anwendungen, dar. Andere Kultureinrichtungen, die den "darstellenden Künsten" zuzurechnen sind, bleiben aufgrund ihrer Spezifität auch weiterhin von der Anwendung der PSI-Richtlinie ausgenommen. Nahezu all ihre Schöpfungen sind durch eine Vielzahl von Urheberrechten geschützt und daher in jedem Fall von der Anwendung der PSI-Richtlinie ausgenommen.

Ferner gilt die vorgeschlagene Verpflichtung zur Bereitstellung des Materials zum Zwecke seiner Weiterverwendung nur für öffentlich zugängliches Material. Urheberrechtlich geschütztes Material einer bestimmten Einrichtung dürfte nur mit deren ausdrücklicher Einwilligung den Weiterverwendungsbedingungen unterworfen werden. Kulturelles Material, das geistiges Eigentum Dritter ist, ist von der Anwendung der Richtlinie nach wie vor völlig ausgenommen.

Der Anwendungsbereich wird nur geringfügig ausgedehnt:

Es gelten weiterhin die im Rahmen der Richtlinie von 2003 festgelegten Bedingungen, einschließlich der Gebührenregelung.

Im Vorschlag ist eine Übergangsfrist für die Auflösung von Ausschließlichkeitsvereinbarungen vorgesehen.

Ferner müssen die Namen von Dritten, die Inhaber von Rechten an geistigem Eigentum sind, nicht angegeben werden.

Die beschränkte Ausdehnung, trägt - wie in der Folgenabschätzung und in der Begründung dargelegt - der Spezifität der kulturellen Einrichtungen und ihrer Rolle bei der Verbreitung und Bewahrung des kulturellen Erbes Rechnung. Der Vorschlag einer beschränkten Ausdehnung des Anwendungsbereichs der PSI-Richtlinie auf bestimmte Kultureinrichtungen beeinträchtigt keineswegs das kulturelle Schaffen, die kulturelle Vielfalt oder kulturpolitische Maßnahmen wie die Verbreitung und Bewahrung des kulturellen Erbes der Mitgliedstaaten der EU

Der Vorschlag spiegelt lediglich die Tatsache wider, dass Kultureinrichtungen in der kommerziellen Weiterverwendung ihrer Produkte aktiv sind, insbesondere seitdem kulturelle Ressourcen ein wertvoller Rohstoff für die Entwicklung kommerzieller Produkte und Dienstleistungen geworden sind.

Kultureinrichtungen unterscheiden sich daher nicht von anderen öffentlichen Einrichtungen, die auf dem Markt für die Weiterverwendung von Informationen des öffentlichen Sektors tätig sind. Durch ihre Aktivitäten können sie auf das Funktionieren des Binnenmarktes und die Wettbewerbssituation auf dem Markt für die Weiterverwendung von Kulturgut einwirken. Wenn die kommerziellen Aktivitäten von http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=SEC:2011-1552:FIN:EN:PDF (Anm.d.Übers. Es liegt keine deutsche Fassung vor).

Einrichtungen des öffentlichen Sektors, ob Kultureinrichtungen oder andere, den Regeln zur Gewährleistung von Fairness, Transparenz und Nichtdiskriminierung unterworfen werden, wirkt sich dies weder auf die interne Verwaltungsorganisation des Mitgliedstaats noch auf seine Kulturpolitik im engen Sinne aus. Durch die Vereinheitlichung der Mindestvorschriften für die Weiterverwendung der kulturellen Ressourcen hingegen werden die Hindernisse für den grenzüberschreitenden Handel beseitigt und faire Wettbewerbsbedingungen zwischen Weiterverwendern geschaffen.

Aus diesem Grund ist die Kommission der Meinung, dass die kommerziellen Aktivitäten öffentlicher Kultureinrichtungen, soweit sie Auswirkungen auf den Wettbewerb oder das Funktionieren des Binnenmarkts haben, den Rechtsvorschriften der EU zur Vermeidung oder Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen unterliegen sollten. Die Anwendung bestimmter Vorschriften, mit denen die Wettbewerbsbedingungen aufrechterhalten und eine Zersplitterung des Binnenmarktes im Bereich der Weiterverwendung vermieden werden soll, auf die kommerzielle Nutzung bestimmter kultureller Ressourcen durch bestimmte öffentliche Kultureinrichtungen erfolgt durchaus im Rahmen der Zuständigkeit der EU und berührt nicht die Kulturhoheit der Mitgliedstaaten.

Wie die Mitglieder des Bundesrats sicherlich wissen, werden die Kommissionsvorschläge derzeit im Rahmen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens erörtert. Auch einige der Punkte, die der Bundesrat in seiner Stellungnahme angesprochen hat, sind Gegenstand der Erörterungen. Ich hoffe, dass ich mit meinen Ausführungen die in der Stellungnahme des Bundesrats angesprochenen Punkte klären konnte, und freue mich auf eine Weiterführung unseres politischen Dialogs in der Zukunft.

Mit vorzüglicher Hochachtung