Antrag des Landes Baden-Württemberg
Entschließung des Bundesrates - Zinsbegrenzung für Überziehungskredite

Staatsministerium Baden-Württemberg
Stuttgart, den 13. September 2012

Staatssekretär und Chef der Staatskanzlei

An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Horst Seehofer

Sehr geehrter Herr Präsident,
die Landesregierung Baden-Württembergs hat beschlossen, dem Bundesrat die als Anlage beigefügte Entschließung des Bundesrates - Zinsbegrenzung für Überziehungskredite zuzuleiten.

Ich bitte Sie, die Vorlage gemäß § 36 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates in die Tagesordnung der Sitzung des Bundesrates am 21. September 2012 aufzunehmen und sie anschließend den Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.

Mit freundlichen Grüßen
Klaus-Peter Murawski

Entschließung des Bundesrates - Zinsbegrenzung für Überziehungskredite

Begründung:

Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) und das Institut für Finanzdienstleistungen (iff) haben im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) am 19. Juli 2012 eine Studie veröffentlicht, derzufolge die Dispositionszinsen vieler Banken und Sparkassen unverhältnismäßig hoch sind. Nach den Angaben von iff betragen die durchschnittlichen jährlichen Überziehungszinsen für private Haushalte der deutschen Kreditinstitute 10,27 Prozent (Stand Februar 2012). Die Bandbreite liege dabei zwischen 6 und 18 Prozent. Im Euroraum betrügen die durchschnittlichen jährlichen Überziehungszinsen für private Haushalte dagegen nach offiziellen Statistiken lediglich 8,84 Prozent. Damit werden - jedenfalls nach offiziellen Statistiken - in Deutschland europaweit mit die höchsten Überziehungszinsen verlangt. Die Studie belegt zugleich (Seite 151 ff.), dass der europäische Markt für Überziehungskredite noch immer wenig transparent ist. Sie zeigt an den Beispielen Österreichs und der Niederlande, dass angesichts tatsächlich wesentlich höherer dort festgestellter Marktzinsen und angesichts unterschiedlicher statistischer Methoden die offiziellen Statistiken derzeit wenig verlässlich sind.

Eine gleichzeitig vorgelegte Verbraucherbefragung des Forsa-Instituts zeigt, dass fast jeder vierte Kontoinhaber im ersten Halbjahr 2012 mindestens einmal sein Konto überzogen hat. Angaben der Deutschen Bundesbank zufolge wurden in Deutschland im Mai 2010 rd. 41,6 Mrd. Euro Überziehungskredite genutzt. Jeder Prozentsatz zu viel gezahlter Zinsen kostet die verschuldeten Bankkundinnen und Bankkunden demnach 416 Mio. Euro. Es kann deshalb auch nicht verwundern, dass vier von fünf Verbraucher das Zinsniveau als zu hoch empfinden.

Die Kosten für die Geldbeschaffung der Kreditinstitute liegen auf historisch niedrigem Niveau. Der Leitzins der Europäischen Zentralbank sank krisenbedingt seit Oktober 2008 von 4,25 auf derzeit 0,75 Prozent. Dagegen blieben die Zinsen für Überziehungskredite nahezu unverändert hoch. Der Hinweis der Kreditwirtschaft auf die hohen Kosten für die Abwicklung der Überziehungskredite wird von den Experten des ZEW und des iff eindrucksvoll widerlegt. Weder haben sich in den letzten Jahren die Verwaltungs- und Bearbeitungskosten erhöht, noch seien die Ausfallquoten mit im Schnitt knapp 0,3 Prozent auffallend hoch. Das Gegenteil ist der Fall. Bei den Konsumentenkrediten beläuft sich diese Quote auf 2,5 Prozent. Dispositions- und Überziehungszinsen stehen deshalb in keinem Verhältnis zu den Marktzinsen, zu denen Banken Gelder erhalten. Trotzdem verlangen nach einer Untersuchung des Magazins Finanztest der Stiftung Warentest (Ausgabe 010/2011) nur 4,5 Prozent aller befragten Kreditinstitute Dispositionszinsen von weniger als 10 Prozent.

Wucherische Überziehungszinsen für private Girokonten sind nicht begründbar und auch nicht akzeptabel. Alle vorliegenden Studien zeigen, dass der Markt bei den Überziehungszinsen nicht funktioniert und die bestehenden gesetzlichen Regelungen nicht ausreichen. Die Verbraucher haben gerade bei den Überziehungszinsen keine Marktmacht, da sie ihre Kontenwahl in der Regel nicht von der Höhe der Dispositions- bzw. Überziehungszinsen abhängig machen. Die Kreditinstitute nutzen diesen Umstand zu ihren Gunsten aus. Alle Erfahrungen zeigen, dass verbesserte Transparenzregelungen und Appelle an die Kreditwirtschaft keine nachhaltigen Ergebnisse bringen. Erforderlich ist eine Deckelung der Dispositions- und Überziehungszinsen.

Die Studie des ZEW und des iff gibt Anlass zur Kritik an der Rechtsentwicklung in Bezug auf Überziehungszinsen. In erster Linie ist eine Überprüfung der Verbraucherkreditrichtlinie durch den europäischen Gesetzgeber veranlasst, in zweiter Linie ein Tätigwerden des deutschen Gesetzgebers angezeigt. Die Bundesregierung muss endlich Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass Banken und Sparkassen günstig geliehenes Geld auch günstig weitergeben.

Früher konnten Darlehensgeber nach dem Ende der Laufzeit von Darlehensverträgen gesetzliche Verzugszinsen verlangen, wenn das Darlehen nicht fristgerecht zurückgezahlt wurde. Banken gingen jedoch dazu über, in Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu fingieren, dass in einer solchen Konstellation der ausstehende Betrag dem Darlehensnehmer weiterhin zur Verfügung gestellt werde, allerdings nur gegen einen gegenüber dem Vertragszins erhöhten Zinssatz. Diese Praxis hat der BGH im Jahr 2003 als unangemessene Benachteiligung von Verbraucherinnen und Verbrauchern eingestuft und unterbunden (BGH Urteil vom 18. März 2003, XI ZR 202/02 Rn. 22). Nach dieser Entscheidung durften Banken formularmäßig nur noch vereinbaren, dass das Kapital nach Vertragsablauf gegen die vertraglich vereinbarten Zinsen weiterhin zur Verfügung gestellt wird. Sie durften aber gestützt auf eine Formularklausel keine (höheren) Überziehungszinsen verlangen.

Artikel 6 der inzwischen aufgehobenen Verbraucherkreditrichtlinie von 1986 und Artikel 18 der Richtlinie 2008/48/EG gehen von der Möglichkeit zum Abschluss von Kontoverträgen aus, die dem Verbraucher die Möglichkeit der Kontoüberziehung einräumen oder eine "stillschweigende" bzw. "geduldete" Überziehung zulassen. Bereits in den Richtlinienvorgaben ist angelegt, dass es sich bei dem Entgelt für die Überziehung nicht um Verzugszinsen, sondern um einen vertraglich vereinbarten Sollzins handelt. Der deutsche Gesetzgeber hat diese verbindlichen Richtlinienvorgaben in Form der "vereinbarten" bzw. "geduldeten Überziehung" (§§ 504, 505 BGB) umgesetzt. Die europarechtlich vorgegebene Konstruktion führt laut Studie des ZEW und des iff dazu, dass Kreditinstitute de facto langfristige Verbraucherdarlehen als Überziehungskredite umdefinieren. Die Studie erwähnt die daraus resultierende Gefahr der Umgehung von Wuchergrenzen und Verbraucherschutzvorschriften (Studie Seite 164 f.).

Eine Begrenzung der Überziehungszinsen auf einen Schadensersatzanspruch in Höhe des gesetzlichen Verzugszinses würde der Studie zufolge einen Verstoß gegen EU-Recht bedeuten (Studie Seite 173). Selbst wenn man diese Auffassung nicht teilt, besteht Anlass, die Zweckmäßigkeit des europarechtlich gewählten Regelungskonzepts zu überprüfen. Denkbar wäre, Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe c der Richtlinie um folgenden Zusatz zu ergänzen:

"soweit nicht nach Vorschriften des anwendbaren nationalen Rechts lediglich ein gesetzlicher Verzugszins geschuldet ist".

Beispiele aus dem Ausland und aus anderen Rechtsgebieten zeigen im Übrigen, dass eine klare Definition von Preisobergrenzen ein wirkungsvolles Mittel sein kann. Im deutschen Recht existiert bereits eine Zinsobergrenze in Gestalt des § 138 Abs. 1 BGB (Wucherverbot). Die Rechtsprechung nimmt Wucher und damit Nichtigkeit des Vertrags an, wenn der Vertragszins den marktüblichen Zinssatz um 100% übersteigt. Diese Wuchergrenze findet der Studie zufolge in der Rechtsprechung grundsätzlich Anwendung und wird in der Praxis auch beachtet, doch liegt die von der Rechtsprechung definierte Wuchergrenze bei Dispositionszinsen weit über einem für Verbraucher erträglichen Maß. ZEW und das iff schlagen in der Studie eine Bindung der Wuchergrenze an den Zinssatz für Konsumentenkredite vor, denn bei Konsumentenkrediten kann von einem funktionierenden Markt ausgegangenen werden. Denkbar wäre auch die Deckelung der Zinsen für Dispositions- und Überziehungskredite auf Basis eines Referenzzinssatzes, beispielsweise auf der Grundlage der Formel "3-MonatsEuribor + x%". Die Bundesregierung wird gebeten, den Vorschlag des ZEW und des iff zu prüfen und gesetzgeberisch tätig zu werden.

In der Praxis werden den Kunden viel zu spät günstigere alternative Kreditbeziehungen angeboten, da die Kreditinstitute an den regelmäßigen Überziehungen des Girokontos gut verdienen. Die Studie von ZEW und iff stellt ausdrücklich fest, dass eine umfangreichere verpflichtende Beratungsleistung der Kreditinstitute zusammen mit einem Angebot von Finanzierungsalternativen die finanzielle Situation angeschlagener Haushalte verbessern könnte. Artikel 18 Absatz 3 der Verbraucherkreditrichtlinie eröffnet den nationalen Gesetzgebern insoweit Spielräume, die im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher genutzt werden sollten.

Es erscheint dringend erforderlich, die Informationslage der Verbraucher, u.a. durch eine hervorgehobene Preisangabe in der Werbung, zu verbessern.

Die Studie des ZEW und des iff stellt fest, dass die Datenlage in Europa in Bezug auf die eingeräumte und die geduldete Überziehung unbefriedigend ist. Zur Verbesserung der Transparenz wird daher eine europaweite Berichtspflicht an die Europäische Zentralbank vorgeschlagen, die in die Verbraucherkreditrichtlinie aufgenommen werden sollte. Um eine ausreichende Information und Transparenz und damit zusammenhängend eine höhere politische und mediale Aufmerksamkeit zu erhalten, ist ein regelmäßig erscheinender Bericht der Bundesregierung erforderlich. Dieser kann mit dem alle zwei Jahre zu erstellenden Bericht zur Umsetzung der Empfehlungen des Zentralen Kreditausschusses zum Girokonto für jedermann (zuletzt BT-Drs. 17/8312) vom 27.12.2011) verbunden werden.