Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung des Europäischen Parlaments vom 11. Juli 2007 zu einem moderneren Arbeitsrecht für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts (2007/2023(INI))

Zugeleitet mit Schreiben des Generalsekretärs des Europäischen Parlaments - 313355 - vom 22. August 2007.

Das Europäische Parlament hat die Entschließung in der Sitzung am 11. Juli 2007 angenommen.

Das Europäische Parlament,

A. in der Erwägung, dass in Zeiten der Globalisierung und des rasanten technischen Fortschritts, des demographischen Wandels und des beträchtlichen Wachstums des Dienstleistungssektors eine Verbesserung des Arbeitsrechts, dort wo sie zur Berücksichtigung einer sowohl von den Arbeitgebern als auch von den Arbeitnehmern geforderten größeren Flexibilität und des Wunsches nach mehr Sicherheit für die Arbeitnehmer erforderlich ist gewährleisten wird, dass beide, Unternehmen und Arbeitnehmer, sich erfolgreich anpassen können, wodurch die Werte des Europäischen Sozialmodells gestärkt werden,

B. in der Erwägung, dass Wirtschaftswachstum eine der notwendigen Voraussetzungen für einen nachhaltigen Anstieg der Beschäftigung ist, und in der Erwägung, dass sozialpolitische Maßnahmen, sofern sie angemessen konzipiert werden, nicht als Kosten gelten sollten und tatsächlich ein positiver Faktor im Zusammenhang mit dem Wirtschaftswachstum in der Europäischen Union im Einklang mit der Verwirklichung der Lissabon-Agenda sein können,

C. in der Erwägung, dass es sich bei der Europäischen Union nicht nur um einen Freihandelsraum, sondern auch um eine Wertegemeinschaft handelt, und dass deshalb das Arbeitsrecht Ausdruck dieser Werte sein sollte, und in der Erwägung, dass die Grundprinzipien des Arbeitsrechts, die in Europa entwickelt wurden, ihre Gültigkeit behalten; in der Erwägung, dass das Arbeitsrecht Rechtssicherheit und Schutz für Arbeitnehmer und Arbeitgeber entweder über Rechtsvorschriften oder über Tarifverträge oder aber eine Kombination aus beiden bietet, dass es ein ausgewogenes Kräfteverhältnis zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern reguliert, dass der Erfolg einer jeden Veränderung im Arbeitsrecht größer sein wird, wenn die Berufstätigen sich sicherer fühlen, und dass diese Sicherheit eher davon abhängt, wie leicht man eine neue Stelle findet,

D. in der Erwägung, dass die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, wie sie in Artikel 39 des EG-Vertrags festgeschrieben ist, eines der grundlegenden Prinzipien der Europäischen Union ist, und in der Erwägung, dass diese wesentliche Freiheit mit der wirksamen Umsetzung der Vorschriften, die den Grundsatz des gleichen Entgelts für gleiche Arbeit gewährleisten, Hand in Hand gehen sollte,

E. in der Erwägung, dass neue Formen von Nichtstandard-Arbeitsverträgen und flexibel gehandhabten Standardverträgen (wie beispielsweise Teilzeitverträge, befristete Arbeitsverträge, Zeitarbeitsverträge über Interimsagenturen, Verträge über wiederkehrende Leistungen für Selbstständige, Projektverträge), von denen viele prekärer Natur sind, auf dem europäischen Arbeitsmarkt zunehmend üblich sind,

F. in der Erwägung, dass diese Formen des Vertragsverhältnisses, wenn sie durch die notwendigen Sicherheitsgarantien für die Beschäftigten ergänzt werden, dazu beitragen können, den Unternehmen die in dem neuen internationalen Kontext erforderliche Anpassungsfähigkeit zu gewährleisten und gleichzeitig den spezifischen Bedürfnissen der Arbeitnehmer im Hinblick auf eine andere Gewichtung zwischen Privat- und Familienleben und Ausbildung zu entsprechen,

G. in der Erwägung, dass in der Europäischen Union rund 60 % der seit dem Jahr 2000 neu geschaffenen Arbeitsplätze auf Teilzeitbeschäftigung entfallen und 68 % der Teilzeitbeschäftigten mit ihrer Arbeitszeit zufrieden sind; in der Erwägung jedoch, dass dieses Maß an Zufriedenheit eng mit dem Umfang des Schutzes verknüpft ist, der Teilzeitbeschäftigten durch das Arbeitsrecht und die soziale Sicherheit gewährt wird,

H. in der Erwägung, dass die Teilzeitarbeit in erster Linie ein Merkmal von Beschäftigungsverhältnissen von Frauen ist, da es sich dabei häufig um ein Kompromisskonzept handelt, für das sich Frauen deswegen entscheiden, weil es an zugänglichen und bezahlbaren Einrichtungen zur Kinderbetreuung und Betreuung abhängiger Personen fehlt,

I. in der Erwägung, dass die bestehenden Rechtsvorschriften der Europäischen Union zur Förderung der Gleichstellung der Geschlechter bisher ihre Ziele nicht erreicht haben und dass die Einkommenskluft zwischen den Geschlechtern und die fehlenden Voraussetzungen betreffend die Vereinbarkeit von Arbeits- und Familienleben sowie öffentliche Kinderbetreuungseinrichtungen weiterhin zentrale Probleme europäischer Arbeitnehmer sind,

J. in der Erwägung, dass die Zahl der befristeten Beschäftigungsverhältnisse in den Mitgliedstaaten schneller zugenommen hat, in denen in signifikanter Weise Änderungen an den einschlägigen Regelungen zur Förderung der befristeten Beschäftigung vorgenommen wurden, in der Erwägung, dass atypische Beschäftigungsverhältnisse zweckmäßig sein können, wenn sie den Umständen der Arbeitnehmer gerecht werden und freiwillig eingegangen werden; jedoch in der Erwägung, dass derzeit in vielen Fällen keine atypischen Beschäftigungsverhältnisse gewählt werden und dass viele Arbeitnehmer außerhalb des Geltungsbereichs der grundlegenden Arbeits- und Sozialrechte fallen, wodurch der Grundsatz der Gleichbehandlung unterminiert wird,

K. in der Erwägung, dass Dienstleistungen, die von Zeitarbeitsfirmen erbracht werden, aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkts ausgenommen wurden,

L. in der Erwägung, dass 60 % der Personen, die 1997 in der Europäischen Union einen Nichtstandard-Arbeitsvertrag hatten, 2003 mit einem Standardvertrag beschäftigt waren, woraus ersichtlich wird, dass 40% der Arbeitnehmer in atypischen Beschäftigungsverhältnissen nach sechs Jahren noch immer keinen Vollzeitbeschäftigungsstatus haben; in der Erwägung, dass davon insbesondere Jugendliche betroffen sind, die in zunehmendem Maße über Beschäftigungen zu Arbeits- und Sozialbedingungen, die sehr viel unsicherer als allgemein üblich sind, auf den Arbeitsmarkt gelangen und die zunehmend Gefahr laufen, dass sie sich nicht aus ihrer marginalen Position auf dem Arbeitsmarkt lösen können,

M. in der Erwägung, dass die jüngste Zunahme von Nichtstandard-Arbeitsverträgen Unterschiede bei den Arbeitsbedingungen im Hinblick auf Gesundheit und Sicherheit mit sich gebracht hat, die zu schlechteren Arbeitsbedingungen und höheren Unfallraten führen können,

N. in der Erwägung, dass, da Ungleichheiten direkte und indirekte wirtschaftliche Kosten verursachen und - im Gegensatz dazu - die Gleichbehandlung Wettbewerbsvorteile schafft, die Einführung der Gleichbehandlung ein wichtiger strategischer Beitrag zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung ist; ferner in der Erwägung, dass es sich die Europäische Union nicht erlauben kann, auf die Energie und Leistungsfähigkeit der Frauen, die die Hälfte der Bevölkerung ausmachen, zu verzichten,

0. in der Erwägung, dass sich die Frauen heute in einer dreifachen Bedrängnis befinden, nämlich sich stärker am Arbeitsmarkt zu beteiligen, mehr Kinder zu gebären und zunehmend Betreuungsaufgaben in ihren Familien zu übernehmen; in der Erwägung, dass es fast immer Frauen sind, die die notwendigen Kompromisse schließen müssen, um die Arbeit mit den familiären Erfordernissen in Einklang zu bringen, und die wegen der Kombination von beruflichen und Betreuungsaufgaben mit starken Stress- und Angstgefühlen zu kämpfen haben,

P. in der Erwägung, dass es eine Tatsache ist, dass Hunderttausende von Frauen keine andere Wahl haben und irreguläre Beschäftigungsbedingungen akzeptieren müssen, entweder weil sie außerhalb ihres eigenen Haushalts als Hausangestellte arbeiten oder weil sie ältere Familienangehörige versorgen müssen,

Q. in der Erwägung, dass Arbeitnehmer mit Nichtstandard-Arbeitsverträgen größeren Risiken ausgesetzt sein können als ihre Kollegen in anderen Beschäftigungsverhältnissen, und zwar wegen mangelnder Ausbildung sowie Unkenntnis über Risiken und Rechte,

R. in der Erwägung, dass für alle Arbeitnehmer eine angemessene Beschäftigungssicherheit und angemessener Schutz unabhängig von ihren vertraglichen Vereinbarungen gelten sollten,

S. in der Erwägung, dass in vielen Mitgliedstaaten Tarifverträge zur Flexibilität des Arbeitsmarktes beitragen und ein Schlüsselelement des Arbeitsrechts sowie ein wesentliches Regulierungsinstrument darstellen; in der Erwägung, dass die Bedingungen hinsichtlich der Beziehungen zwischen den Sozialpartnern respektiert werden müssen und dass die Traditionen der Beziehungen zwischen den Sozialpartnern und der gewerkschaftliche Organisationsgrad in den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlich sind; in der Erwägung, dass die Mitgliedstaaten den sozialen Dialog zwischen den Sozialpartnern auf allen Ebenen fördern sollten, da dies ein wirksames Mittel darstellen kann, um zu angemessenen Reformen des Arbeitsrechts zu gelangen,

T. in der Erwägung, dass Maßnahmen auf Ebene der Europäischen Union den Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Arbeitsrechts und den Grundsätzen der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit Rechnung tragen müssen, und in der Erwägung, dass die Kommission Initiativen vorschlagen muss, wenn dies für notwendig erachtet wird, um ein System sozialer Mindeststandards, das in der ganzen Union anzuwenden ist, auf der Grundlage des gemeinschaftlichen Besitzstands zu untermauern,

U. in der Erwägung, dass angesichts der derzeitigen wirtschaftlichen Herausforderungen die Europäische Union alles daransetzen muss, um die Stabilität der Arbeitsmärkte in den Mitgliedstaaten zu sichern, Massenentlassungen in bestimmten Branchen entgegenzuwirken und ihren Bürgerinnen und Bürgern einen höheren Gesundheits- und Sicherheitsstandard am Arbeitsplatz als bisher zu bieten, was eine unabdingbare Voraussetzung für die Erhaltung von Lebensbedingungen ist, die mit der menschlichen Würde und den europäischen Grundwerten vereinbar sind,

V. in der Erwägung, dass die hohe Arbeitslosigkeit in Europa ein Manko ist, das Maßnahmen erfordert, die mehr Personen den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern, die Mobilität verstärken und den Arbeitnehmern einen Arbeitsplatzwechsel ohne Verlust der Sicherheit ermöglichen; in der Erwägung, dass vorrangig ein Klima geschaffen werden sollte, das der Schaffung neuer qualitativ hochwertigerer Arbeitsplätze förderlich ist,