Unterrichtung durch die Bundesregierung
Stellungnahme der Bundesregierung zu der Entschließung des Bundesrates zur Änderung des Euratom-Vertrags

Bundesministerium für Wirtschaft und Energie Berlin, 16. Dezember 2014

An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Volker Bouffier

Sehr geehrter Herr Präsident,
namens der Bundesregierung übersende ich Ihnen in der Anlage die Antwort der Bundesregierung zur Entschließung des Bundesrates zur Änderung des Euratom-Vertrages (BR-Drs. 276/11(B) HTML PDF ) vom 30. März 2012.

Mit freundlichen Grüßen
Uwe Beckmeyer
Parlamentarischer Staatssekretär

Antwort der Bundesregierung zu der Entschließung des Bundesrates zur Änderung des Euratom-Vertrages vom 30. März 2012 (BR-Drucksache 276/11-B)

Mit oben bezeichneter Entschließung hat der Bundesrat die Bundesregierung aufgefordert, die Bestimmungen des Vertrags zur Gründung der europäischen Atomgemeinschaft (EAGV, auch Euratom-Vertrag) vor dem Hintergrund der energiepolitischen Zielsetzungen der EU, des Bundes und der Länder sowie der bald erwarteten Resultate der EU-weiten Stresstests der Kernkraftwerke zu evaluieren und den Bundesrat über die Ergebnisse zu berichten. Dieser Aufforderung kommt die Bundesregierung hiermit gerne nach.

Der in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 des EAGV zum Ausdruck gebrachte Leitgedanke des Euratom-Vertrags steht zwar nicht im Einklang mit den Zielen der Energiepolitik der Bundesregierung, insbesondere dem Ausstieg aus der kommerziellen Nutzung der Kernenergie zur Stromerzeugung in Deutschland bis zum Jahr 2022. Allerdings behindern die Regelungen des Euratom-Vertrags im Allgemeinen und des übrigen europäischen Primärrechts die Energiepolitik der Bundesregierung nicht; so verbleibt insbesondere nach Art. 194 Absatz 2 Unterabsatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) die Entscheidung über den nationalen Energiemix bei den Mitgliedstaaten.

Im Jahr 2012 wurde im Rahmen von Gremien auf der Basis des Euratom-Vertrages auf europäischer Ebene eine transparente Risiko- und Sicherheitsbewertung (so genannte EU-Stresstests) von Kernkraftwerken unter Beteiligung von Vertretern aus allen Mitgliedstaaten durchgeführt. Die Ergebnisse liegen seit dem 26. April 2012 vor. Im Anschluss an die von der European Nuclear Safety Regulators Group (ENSREG) durchgeführten Überprüfungen wurde ein Aktionsplan zur weiteren Vorgehensweise erarbeitet. Der ENSREG Aktionsplan sah vor, dass jedes Land u.a. auf Basis der im EU-Stresstest ausgesprochenen Empfehlungen und Vorschläge einen nationalen Aktionsplan erstellt und bis Ende 2012 veröffentlicht. Die aus den jeweiligen Untersuchungen resultierenden Empfehlungen dienen der Erhöhung der Robustheit der einschlägigen Anlagen und leisten somit einen Beitrag zur nuklearen Sicherheit in der EU. Die zügig abgestimmten EU-Stresstests und deren Folgeprozesse sind aus Sicht der Bundesregierung ein Beispiel dafür, dass die Bestimmungen des Euratom-Vertrags nach wie vor eine tragfähige Rechtsgrundlage darstellen.

Am 08. Juli 2014 konnten sich die EU-Mitgliedstaaten gemeinsam auf die Verabschiedung der Richtlinie 2014/87/EURATOM zur Änderung der Richtlinie 2009/71/Euratom über einen Gemeinschaftsrahmen für die nukleare Sicherheit kerntechnischer Anlagen verständigen. Die Richtlinie ist am 14. August 2014 in Kraft getreten und enthält erstmals materielle technische Vorschriften im Bereich der nuklearen Sicherheit. Daneben enthält die Richtlinie rechtsverbindliche Regelungen für die Einführung eines Systems wechselseitiger Überprüfungen (Topical Peer Reviews) durch die nationalen Aufsichtsbehörden, die themenbezogen mindestens alle sechs Jahre, beginnend mit dem Jahr 2017, durchzuführen sein werden. Durch die geänderte Sicherheitsrichtlinie werden zudem Transparenz- und Informationspflichten für Genehmigungsinhaber und Aufsichtsbehörden erweitert. Insbesondere auch nach dem Beschluss zum Ausstieg Deutschlands aus der kommerziellen Nutzung der Kernenergie zur Stromerzeugung ist die Richtlinie für die nukleare Sicherheit, etwa im Hinblick auf Zwischenlager, in Deutschland von großer Bedeutung. Durch sie wird der Rechtsrahmen für ein einheitliches Mindestsicherheitsniveau innerhalb der EU gelegt und ein Vorbild für Drittstaaten geschaffen. Rechtsgrundlage für die Richtlinie sind Regelungen des Euratom-Vertrags (Artikel 31 und 32 EAGV).

Artikel 31 und 32 im Kapitel "Der Gesundheitsschutz" des Euratom-Vertrags sind seit dem Jahr 1959 Rechtsgrundlage für das viele Lebensbereiche betreffende Recht zum Schutz vor der schädlichen Wirkung ionisierender Strahlung. Auf der Grundlage der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, nach der die Artikel 30 ff. EAGV darauf abzielen, einen lückenlosen und wirksamen Gesundheitsschutz der Bevölkerung gegen die Gefahren durch ionisierende Strahlungen sicherzustellen (EuGH, Urt. v. 04.10.1991 - Rs. C-70/88, Slg. 1991 I, S. 4529 ff. Rn. 14), hat das europäische Strahlenschutzrecht kontinuierlich neue Sachverhalte erfasst. Zunächst hatten Euratom-Richtlinien in erster Linie den Schutz der Bevölkerung und der Arbeitskräfte bei der zielgerichteten Nutzung radioaktiver Stoffe oder ionisierender Strahlen im Blick. Die Richtlinie 97/43/Euratom des Rates vom 30. Juni 1997 über den Gesundheitsschutz von Personen gegen die Gefahren ionisierender Strahlung bei medizinischer Exposition hat den Schutz von Patienten aufgegriffen. Die Richtlinie 2013/51/EURATOM des Rates vom 22. Oktober 2013 sieht darüber hinaus Anforderungen an den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung hinsichtlich radioaktiver Stoffe in Wasser für den menschlichen Gebrauch vor. Zuletzt hat die in diesem Jahr in Kraft getretene Richtlinie 2013/59/EURATOM des Rates vom 5. Dezember 2013 zur Festlegung grundlegender

Sicherheitsnormen für den Schutz vor den Gefahren einer Exposition gegenüber ionisierender Strahlung den bereits breiten Anwendungsbereich des europäischen Strahlenschutzrechts durch die Aufnahme von Regelungen zum Schutz vor natürlicher Radioaktivität (z.B. Radon aus dem Boden) noch einmal deutlich erweitert. Die Richtlinie enthält zudem detaillierte Vorgaben für die Notfallplanung und die verstärkte Kooperation aller Mitgliedsstaaten zum Zweck eines einheitlichen Handelns im Notfall. Das Kapitel "Gesundheitsschutz" des Euratom-Vertrags wird deshalb auch künftig die grundlegende Basis sein, um gemeinschaftsweit einen wirksamen Strahlenschutz sicherzustellen.

Da sich der Euratom-Vertrag somit nicht nur in Bereichen wie dem Gesundheitsschutz, der Überwachung von Kernmaterial, der nuklearen Nichtverbreitung, der Sicherheitsforschung oder etwa der internationalen Kooperation zwischen der EU und Drittstaaten bewährt hat, sondern sich auch als taugliches Instrument im Bereich der nuklearen Sicherheit erweist, sieht die Bundesregierung zurzeit keinen Bedarf, diese tragfähige Kooperationsgrundlage in Zweifel zu ziehen.

Ziel der Bundesregierung ist es insbesondere, die größtmögliche nukleare Sicherheit in der EU zu erreichen und die gute internationale Kooperation mit Drittstaaten fortzusetzen. Der EAGV bietet dazu die Grundlage für einheitliche europäische Regelungen bei der nuklearen Sicherheit, im Strahlenschutz und der nuklearen Entsorgung, die gegebenenfalls national ergänzt werden können.

Dies steht auch im Einklang mit der von der damaligen Bundesregierung abgegebenen Erklärung Nr. 54 zur Schlussakte der Regierungskonferenz, die den Vertrag von Lissabon angenommen hat. Diese Erklärung erfolgte vor dem Hintergrund, dass unsicher und im europarechtlichen Schrifttum bestritten war, ob auf der Grundlage des bestehenden EAGV neben den zentralen Regelungen etwa zur Kernbrennstoffkontrolle, zur Nichtverbreitung und zum Strahlenschutz auch europaweit verbindliche Regelungen zur nuklearen Sicherheit getroffen werden könnten. Dies ist inzwischen durch den Europäischen Gerichtshof im Grundsatz geklärt worden. Infolgedessen haben die Mitgliedstaaten die oben genannte geänderte Sicherheits-Richtlinie sowie die ursprüngliche Sicherheits-Richtlinie aus dem Jahr 2011 beschlossen.

Da sich der Euratom-Vertrag als geeignete Rechtsgrundlage für Regelungen in den Bereichen Gesundheitsschutz, Überwachung von Kernmaterial, nukleare Nichtverbreitung, Sicherheitsforschung, internationale Kooperation und nukleare Sicherheit erwiesen hat, hält die Bundesregierung es auch nach Abschluss der EU-Stresstests für sinnvoll, die beschlossenen Arbeiten auf der Grundlage des bestehenden Euratom-Vertrags fortzuführen.

* siehe Drucksache 276/11(B) HTML PDF