Gesetzentwurf der Bundesregierung
Entwurf eines Gesetzes zur Tarifeinheit
(Tarifeinheitsgesetz)

A. Problem und Ziel

Ziel des Tarifeinheitsgesetzes ist es, die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie zu sichern.

Nach Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit durch das Bundesarbeitsgericht (BAG vom 7. Juli 2010 - 4 AZR 549/08) können für dieselbe Beschäftigtengruppe unterschiedliche Tarifverträge konkurrierender Gewerkschaften gleichzeitig zur Anwendung gelangen (Tarifkollision).

Die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie wird durch Tarifkollisionen beeinträchtigt. Tarifkollisionen bergen die Gefahr, dass die Koalitionen der ihnen durch Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes überantworteten und im allgemeinen Interesse liegenden Aufgabe der Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens nicht mehr gerecht werden können.

B. Lösung

Der Gesetzgeber schafft mit dem Tarifvertragsrecht einen gesetzlichen Rahmen, innerhalb dessen die Koalitionen die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sinnvoll ordnen können. Durch eine gesetzliche Regelung der Tarifeinheit nach dem Mehrheitsprinzip wird die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie gesichert.

Der Grundsatz der Tarifeinheit greift als Kollisionsregel nur subsidiär ein. Der Gesetzgeber beschränkt sich darauf, Tarifkollisionen nach dem Grundsatz der Tarifeinheit aufzulösen, wenn die Gewerkschaften die zwischen ihnen bestehenden Interessenkonflikte autonom nicht zu einem Ausgleich bringen können.

Den Belangen von Minderheitsgewerkschaften wird durch flankierende Verfahrensregelungen Rechnung getragen.

C. Alternativen

Gleich geeignete, aber mildere Mittel zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie bestehen nicht.

Nicht gleich geeignet ist eine Regelung zur Auflösung von Tarifpluralitäten nach dem Spezialitätsprinzip. Das Spezialitätsprinzip ist nicht grundrechtsschonender, denn

Tarifverträge von Gewerkschaften, die nur bestimmte Arbeitnehmergruppen vertreten, würden generell von konkurrierenden Tarifverträgen verdrängt. Der Tarifvertrag einer Gewerkschaft, die nur bestimmte Arbeitnehmergruppen vertritt, ist nie der speziellere, da er nur einen Ausschnitt der Arbeitsverhältnisse des Betriebes regelt. Außerdem ist es nicht sachgerecht, wenn ein Flächentarifvertrag auch dann durch einen Haustarifvertrag verdrängt werden kann, wenn dieser von einer Minderheitsgewerkschaft abgeschlossen wird.

Ebenso ist die Teilauflösung von Tarifpluralitäten über ein von Seiten der Wissenschaft erwogenes Modell dynamischer Repräsentativität nicht zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie geeignet, weil sie einen Anreiz dafür schafft, dass Gewerkschaften für immer kleinere Gruppen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern Tarifverträge anstreben.

Regelungen, die auf bestimmte Bereiche beschränkt sind, werden dem Ziel, den mit Tarifkollisionen verbundenen negativen Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie insgesamt zu begegnen, nicht gerecht.

D. Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand

Mehrkosten für Bund und Länder sind nicht zu erwarten.

E. Erfüllungsaufwand

E.1 Erfüllungsaufwand für Bürgerinnen und Bürger

Für Bürgerinnen und Bürger entsteht kein Erfüllungsaufwand.

E.2 Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft

Im tarifpluralen Betrieb ist die Anwendung kollidierender Tarifverträge mit einem erhöhten Verwaltungsaufwand verbunden. Die Auflösung von Tarifkollisionen durch das Tarifeinheitsgesetz verringert in nicht näher quantifizierbarer Höhe die Transaktionskosten des Arbeitgebers. Dem stehen möglicherweise geringe - nicht näher quantifizierbare Kosten für die Bekanntgabe der Aufnahme von Tarifverhandlungen, die Durchführung der Anhörung und die Umsetzung eines Nachzeichnungsanspruchs sowie die Feststellung des anwendbaren Tarifvertrags gegenüber.

E.3 Erfüllungsaufwand der Verwaltung

Für die Verwaltung entsteht kein Erfüllungsaufwand, soweit sie nicht selbst Arbeitgeber ist. Für die Verwaltung als Arbeitgeber gelten die Ausführungen zum Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft entsprechend.

F. Weitere Kosten

Auswirkungen auf Einzelpreise und das Preisniveau, insbesondere auf das Verbraucherpreisniveau sind nicht zu erwarten.

Gesetzentwurf der Bundesregierung
Entwurf eines Gesetzes zur Tarifeinheit (Tarifeinheitsgesetz)

Bundesrepublik Deutschland
Berlin, 29. Dezember 2014
Die Bundeskanzlerin

An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Volker Bouffier

Sehr geehrter Herr Präsident,
hiermit übersende ich gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes den von der Bundesregierung beschlossenen Entwurf eines Gesetzes zur Tarifeinheit (Tarifeinheitsgesetz) mit Begründung und Vorblatt.

Federführend ist das Bundesministerium für Arbeit und Soziales.

Die Stellungnahme des Nationalen Normenkontrollrates gemäß § 6 Absatz 1 NKRG ist als Anlage beigefügt.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Angela Merkel
Fristablauf: 09.02.15

Entwurf eines Gesetzes zur Tarifeinheit (Tarifeinheitsgesetz)

Vom ...

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Änderung des Tarifvertragsgesetzes

Das Tarifvertragsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. August 1969 (BGBl. I S. 1323), das zuletzt durch Artikel 5 des Gesetzes vom 11. August 2014 (BGBl. I S. 1348) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

1. Nach § 4 wird folgender § 4a eingefügt:

" § 4a Tarifkollision

2. § 8 wird wie folgt gefasst:

" § 8 Bekanntgabe des Tarifvertrags

Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die im Betrieb anwendbaren Tarifverträge sowie rechtskräftige Beschlüsse nach § 99 des Arbeitsgerichtsgesetzes über den nach § 4a Absatz 2 Satz 2 anwendbaren Tarifvertrag im Betrieb bekanntzumachen."

3. Dem § 13 wird folgender Absatz 3 angefügt:

(3) § 4a ist nicht auf Tarifverträge anzuwenden, die am [einsetzen: Tag nach der Verkündung dieses Gesetzes] gelten."

Artikel 2
Änderung des Arbeitsgerichtsgesetzes

Das Arbeitsgerichtsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juli 1979 (BGBl. I S. 853, 1036), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 11. August 2014 (BGBl. I S. 1348) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

1. § 2a Absatz 1 wird wie folgt geändert:

2. Dem § 58 wird folgender Absatz 3 angefügt:

(3) Insbesondere über die Zahl der in einem Arbeitsverhältnis stehenden Mitglieder oder das Vertretensein einer Gewerkschaft in einem Betrieb kann Beweis auch durch die Vorlegung öffentlicher Urkunden angetreten werden."

3. Nach § 98 wird folgender § 99 eingefügt:

" § 99 Entscheidung über den nach § 4a Absatz 2 Satz 2 des Tarifvertragsgesetzes im Betrieb anwendbaren Tarifvertrag

4. Der bisherige § 99 wird § 100.

Artikel 3
Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.

Begründung

A. Allgemeiner Teil

I. Zielsetzung und Notwendigkeit der Regelungen

Ziel des Tarifeinheitsgesetzes ist es, die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie durch die Auflösung von Tarifkollisionen zu sichern.

Die Kollision von Tarifverträgen konkurrierender Gewerkschaften beeinträchtigt die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie. Die Tarifautonomie ist darauf angelegt, "die strukturelle Unterlegenheit der einzelnen Arbeitnehmer beim Abschluss von Arbeitsverträgen durch kollektives Handeln auszugleichen und damit ein annähernd gleichgewichtiges Aushandeln der Löhne und Arbeitsbedingungen zu ermöglichen" (etwa BVerfG vom 26. Juni 1991 - 1 BvR 779/85, BVerfGE 84, 212). Dabei kommt den Koalitionen die im öffentlichen Interesse liegende Aufgabe zu, innerhalb ihres Bereichs das Arbeitsleben sinnvoll zu ordnen und zu befrieden (etwa BVerfG vom 20. Oktober 1981 - 1 BvR 404/78, BVerfGE 58, 233).

Die Anwendbarkeit kollidierender tariflicher Regelungen im Betrieb beeinträchtigt die Schaffung einer widerspruchsfreien Ordnung der Arbeitsbeziehungen im Betrieb. Insbesondere die Kohärenz des im Betrieb geltenden Entgeltsystems kann beträchtlich in Mitleidenschaft gezogen werden, wenn Tarifverträge konkurrierender Gewerkschaften nicht aufeinander abgestimmte Bewertungen der Arbeitsleistungen vornehmen. Dabei wird die Verteilungsfunktion des Tarifvertrags gestört, wenn die konkurrierenden Tarifabschlüsse nicht den Wert verschiedener Arbeitsleistung innerhalb einer betrieblichen Gemeinschaft zueinander widerspiegeln, sondern vor allem Ausdruck der jeweiligen Schlüsselpositionen der unterschiedlichen Beschäftigtengruppen im Betriebsablauf sind. Tarifkollisionen laufen dem Ziel einer "innerbetrieblichen Lohngerechtigkeit" - auch verstanden als Leistungsgerechtigkeit - strukturell zuwider, wenn nicht die besondere Leistung einer Arbeitnehmergruppe, sondern ihre Schlüsselposition im Betriebsablauf den Maßstab für die Verteilung des Erwirtschafteten zwischen den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bildet.

Die Befriedungsfunktion des Tarifvertrags wird durch Tarifkollisionen beeinträchtigt, weil innerbetriebliche Verteilungskämpfe den Betriebsfrieden gefährden. Die Akzeptanz einer betrieblichen Lohnpolitik, die vor allem die besonderen Schlüsselpositionen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Betriebsablauf prämiert, ist gering. Die tariflichen Verhandlungsergebnisse werden von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern weder als verteilungs- noch als leistungsgerecht empfunden. Interessengegensätze, die unter dem Grundsatz der Tarifeinheit intern von den Gewerkschaften zum Ausgleich gebracht worden sind, verlagern sich in die Tarifverhandlungen; es kommt zwischen den konkurrierenden Gewerkschaften zu mittelbar geführten Verteilungskämpfen. Diese gefährden nachhaltig den Betriebsfrieden, weil sich bei erfolgreichen Tarifverhandlungen einer Gewerkschaft der Verteilungsspielraum für die anders- und nichtorgansierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verringert und die anders- und nichtorganisierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zugleich die Nachteile eines arbeitskampfbedingten Arbeitsausfalls mitzutragen haben. Zudem wird die Befriedungsfunktion des Tarifvertrags auch dadurch beeinträchtigt, dass sich ein bereits tarifgebundener Arbeitgeber jederzeit einer Vielzahl weiterer Forderungen konkurrierender Gewerkschaften gegenübersehen kann. Der Arbeitgeber kann insoweit nicht mehr davon ausgehen, mittels eines Tarifvertrags oder mittels mehrerer aufeinander abgestimmter Tarifverträge die Arbeitsbedingungen für die Belegschaft abschließend geregelt zu haben. Das ist geeignet, den Tarifvertrag als Übereinkunft, auf deren Grundlage während der Laufzeit ohne Konflikte zusammengewirkt werden kann, zu entwerten.

Tarifkollisionen können zudem in Krisenzeiten gesamtwirtschaftlichen Belangen und somit dem öffentlichen Interesse zuwiderlaufen. Tarifpartnerschaft ist - dies haben die Erfahrungen der Finanz- und Eurokrise gezeigt - von besonderer Bedeutung in wirtschaftlichen Krisensituationen. Die Tarifpartner müssen in solchen Situationen oftmals zur Beschäftigungssicherung Gesamtkompromisse finden, die letztlich im Interesse aller Beschäftigten liegen. Die Konkurrenz unterschiedlicher Tarifwerke kann die Herstellung solcher Gesamtkompromisse gefährden. Etwa erschweren Tarifkollisionen die Ordnung der Arbeitsund Wirtschafsbedingungen durch Betriebsnormen, die kraft Natur der Sache eine betriebseinheitliche Geltung beanspruchen. Diese Betriebsnormen bedürfen auch dann einer betriebseinheitlichen Anwendung, wenn ihnen Inhaltsnormen anhaften, die mit Inhaltsnormen eines konkurrierenden Tarifvertrags kollidieren.

Es soll vermieden werden, dass die Entsolidarisierung der Belegschaften für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ohne hinreichende Schlüsselposition im Betriebsablauf in einer Entwertung der Schutzfunktion des Tarifvertrags münden kann. Nehmen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit besonderen Schlüsselpositionen in den Betrieben ihre Interessen gesondert wahr, führt dies tendenziell zu einer Beeinträchtigung einer wirksamen kollektiven Interessenvertretung durch die übrigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die keine besonderen Schlüsselpositionen im Betriebsablauf innehaben. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ohne besondere Schlüsselposition im Betriebsablauf sind dann selbst kollektiv nur noch eingeschränkt in der Lage, auf Augenhöhe mit der Arbeitgeberseite zu verhandeln. Es handelt sich hierbei um einen schleichenden Prozess, dessen - auch gesamtwirtschaftliche - Auswirkungen schon rein faktisch nur schwierig rückgängig gemacht werden könnten.

II. Wesentlicher Inhalt des Entwurfs

Der Grundsatz der Tarifeinheit wird gesetzlich geregelt und dadurch die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie gesichert.

Es ist Aufgabe der Tarifvertragsparteien, durch autonome Entscheidungen Tarifkollisionen zu vermeiden. Dies kann insbesondere erfolgen, indem

Der Grundsatz der Tarifeinheit greift als Kollisionsregel mithin nur subsidiär ein, wenn es den Tarifvertragsparteien im Wege autonomer Entscheidungen nicht gelingt, Tarifkollisionen zu vermeiden. Eine nach dem Grundsatz der Tarifeinheit auflösungsbedürftige Tarifpluralität sieht der Entwurf deshalb nur vor, soweit sich die Geltungsbereiche verschiedener Tarifverträge verschiedener Gewerkschaften überschneiden (Tarifkollision).

Die Tarifeinheit wird nach dem betriebsbezogenen Mehrheitsprinzip geregelt. Das Mehrheitsprinzip ist in besonderer Weise geeignet, die Ziele des Gesetzes zu erreichen. Es gelangt der Tarifvertrag zur Anwendung, dessen Interessenausgleich die größte Akzeptanz in der Belegschaft besitzt. Das Mehrheitsprinzip gibt dem durch Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes (GG) ermöglichten Koalitionswettbewerb Raum. Insbesondere treten die Gewerkschaften in Wettbewerb um Mitglieder. Indem im Fall konkurrierender Tarifverträge der effektiv im Betrieb gestaltende Tarifvertrag nach dem Mehrheitsprinzip ausgewählt wird, wird diese Auswahlentscheidung den organisierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und damit letztlich dem Koalitionswettbewerb anvertraut. Das Mehrheitsprinzip respektiert die mehrheitliche Entscheidung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für oder gegen die Tarifpolitik von konkurrierenden Gewerkschaften und verhilft diesem Willen zu tatsächlicher Geltung.

Durch die Schaffung von Verfahrensrechten wird den Belangen der Minderheitsgewerkschaften Rechnung getragen. Eine Gewerkschaft, die nicht an den Tarifverhandlungen einer konkurrierenden Gewerkschaft beteiligt wird, erhält gegenüber der verhandelnden Arbeitgeberseite ein Anhörungsrecht. Mit der Einräumung eines Nachzeichnungsrechts soll den Nachteilen entgegenwirkt werden, die einer Gewerkschaft durch die Verdrängung ihres bereits abgeschlossenen Tarifvertrags im Wege der gesetzlichen Tarifeinheit entstanden sind. Die vorgesehenen Verfahrensrechte sind anderen Verfahrensvorgaben vorzuziehen, die die eigenverantwortliche Gestaltung der Tarifverhandlungen beeinträchtigen würden.

Für zu einem Stichtag bestehende Tarifverträge ist eine Bestandsschutzregelung vorgesehen, um der bereits ausgeübten Tarifautonomie in besonderem Maße Rechnung zu tragen.

Das Arbeitsgerichtsgesetz wird begleitend zur Regelung der Tarifeinheit angepasst. Die Gerichte für Arbeitssachen entscheiden über den im Betrieb anwendbaren Tarifvertrag auf Antrag einer Tarifvertragspartei eines kollidierenden Tarifvertrags im Beschlussverfahren mit bindender Wirkung für Dritte.

III. Alternativen

Die Regelung des Grundsatzes der Tarifeinheit nach dem Spezialitätsprinzip ist kein gleich geeignetes milderes Mittel. Eine solche Regelung ist nicht grundrechtsschonender, insbesondere würden Tarifverträge von Gewerkschaften, die nur bestimmte Arbeitnehmergruppen vertreten, generell von konkurrierenden Tarifverträgen verdrängt. Denn der Tarifvertrag einer Gewerkschaft, die nur bestimmte Arbeitnehmergruppen vertritt, ist nie der speziellere, da er nur einen Ausschnitt der Arbeitsverhältnisse des Betriebes regelt. Er steht damit dem Betrieb nicht am nächsten und kann den Bedürfnissen des Betriebes nicht besser gerecht werden. Das Spezialitätsprinzip ist als Kollisionsregel nur dann geeignet, soweit es um verschiedene Tarifverträge derselben Gewerkschaft geht, nicht aber wenn die Konkurrenz von Tarifverträgen verschiedener Gewerkschaften geregelt werden soll. Insbesondere ist es nicht sachgerecht, wenn ein Flächentarifvertrag auch dann durch einen Haustarifvertrag verdrängt werden kann, wenn dieser von einer Minderheitsgewerkschaft abgeschlossen wird.

Erwogen wurde von Seiten der Wissenschaft ein Modell sogenannter dynamischer Repräsentativität. Danach soll für die Auflösung von Tarifpluralitäten darauf abgestellt werden, welche Gewerkschaft die relative Mehrheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Überschneidungsbereich der Tarifverträge organisiert. Eine solche Regelung ist zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie nicht geeignet, weil sie gerade einen Anreiz dafür schafft, dass Gewerkschaften für immer kleinere Gruppen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern Tarifverträge anstreben.

Eine auf bestimmte Bereiche beschränkte Regelung der Tarifeinheit stellt kein gleich geeignetes Mittel dar. Insbesondere sind auf den Bereich der Daseinsvorsorge beschränkte Regelungen erörtert worden. Sie können von vornherein nicht verhindern, dass die Ordnungs- und Befriedungsfunktion der Tarifautonomie außerhalb des Bereichs der Daseinsvorsorge beeinträchtigt werden kann. Zudem bestehen erhebliche Schwierigkeiten den Bereich der Daseinsvorsorge rechtssicher abzugrenzen. Eine trennscharfe Abgrenzung ist schon deshalb notwendig, da wegen der staatlichen Neutralitätspflicht die unterschiedliche Behandlung von innerhalb der Daseinsvorsorge und außerhalb der Daseinsvorsorge sich betätigenden Gewerkschaften besonderer Rechtfertigung bedürfte. Schon daran scheitert auch der von einer Professoreninitiative im Auftrag der Carl Friedrich von Weizsäcker-Stiftung vorgeschlagene Regelungsansatz, der in der Daseinsvorsorge das Streikrecht der Gewerkschaften gesetzlich einschränken will. Dieser - anders als das Tarifeinheitsgesetz - ausschließlich im Arbeitskampfrecht ansetzende Vorschlag kann zudem nicht den Beeinträchtigungen der Ordnungs- und Befriedungsfunktion der Tarifautonomie durch Tarifkollisionen begegnen.

IV. Gesetzgebungskompetenz

Dem Bund steht nach Artikel 74 Absatz 1 Nummer 12 GG eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für das Arbeitsrecht zu. Diese Regelungskompetenz erstreckt sich auf das Tarifrecht einschließlich des Erlasses eines Gesetzes zur Regelung der Tarifeinheit.

Für die Änderung des Arbeitsgerichtsgesetzes folgt die Gesetzgebungskompetenz des Bundes aus dem Kompetenztitel des Artikels 74 Absatz 1 Nummer 1 GG für das "gerichtliche Verfahren".

V. Vereinbarkeit mit dem Recht der Europäischen Union und völkerrechtlichen Verträgen

Der Gesetzentwurf ist mit dem Recht der Europäischen Union und völkerrechtlichen Verträgen vereinbar.

VI. Gesetzesfolgen

1. Rechts- und Verwaltungsvereinfachung

Das Gesetz sieht insgesamt keine Rechts- und Verwaltungsvereinfachung vor.

2. Nachhaltigkeitsaspekte

Eine nachhaltige Entwicklung ist Leitbild der Politik der Bundesregierung. Der Gesetzentwurf steht im Einklang mit dem Leitgedanken der Bundesregierung zur nachhaltigen Entwicklung im Sinne der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie. Eine Nachhaltigkeitsrelevanz in Bezug auf einzelne Managementregeln und Indikatoren der Nachhaltigkeitsstrategie ist nicht gegeben.

3. Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand

Mehrkosten für Bund und Länder sind nicht zu erwarten.

4. Erfüllungsaufwand

Für Bürgerinnen und Bürger entsteht kein Erfüllungsaufwand.

Für Arbeitgeber ist die Anwendung kollidierender Tarifverträge im tarifpluralen Betrieb mit einem erhöhten Verwaltungsaufwand verbunden. Die Auflösung von Tarifkollisionen durch das Tarifeinheitsgesetz verringert in nicht näher quantifizierbarer Höhe die Transaktionskosten des Arbeitgebers. Dem stehen möglicherweise geringe - nicht näher quantifizierbare - Kosten für die Bekanntgabe der Aufnahme von Tarifverhandlungen, die Durchführung der Anhörung und die Umsetzung eines Nachzeichnungsanspruchs sowie die Feststellung des anwendbaren Tarifvertrags gegenüber.

Für die Verwaltung entsteht kein Erfüllungsaufwand, soweit sie nicht selbst Arbeitgeber ist. Für die Verwaltung als Arbeitgeber gelten die Ausführungen zum Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft entsprechend.

5. Weitere Kosten

Für die Wirtschaft, insbesondere für kleinere und mittlere Unternehmen, entstehen durch das Gesetz keine Kosten. Auswirkungen des Gesetzes auf Einzelpreise und auf das Preisniveau, insbesondere auf das Verbraucherpreisniveau, sind nicht zu erwarten.

6. Weitere Gesetzesfolgen

Die gleichstellungspolitischen Auswirkungen der Gesetzesänderungen wurden geprüft. Die Regelungen sind geschlechtsneutral formuliert. Nach dem Ergebnis der Relevanzprüfung sind die Regelungen insgesamt gleichstellungspolitisch ausgewogen und laufen gleichstellungspolitischen Zielen nicht zuwider.

Auswirkungen auf die demographische Entwicklung ergeben sich aus den im Entwurf vorgesehenen Änderungen nicht.

VII. Befristung; Evaluation

Eine Befristung und Evaluation des Gesetzes ist nicht vorgesehen. Der Deutsche Bundestag wird die Wirkungen des Gesetzes beobachten. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales legt dem Deutschen Bundestag zum 1. Juli 2020 einen unter Beteiligung der Bundesressorts erstellten Bericht vor, der die Stellungnahmen der betroffenen Koalitionen des Arbeitslebens beinhaltet.

B. Besonderer Teil

Zu Artikel 1 (Änderung des Tarifvertragsgesetzes - TVG)

Zu Nummer 1

§ 4a regelt den Grundsatz der Tarifeinheit sowie flankierende Verfahrensregeln.

Zu Absatz 1

Absatz 1 benennt den Regelungszweck. Die Tarifeinheitsregelung zielt auf die Sicherung der Schutzfunktion, Verteilungsfunktion, Befriedungsfunktion sowie Ordnungsfunktion von Rechtsnormen des Tarifvertrags.

Es soll vermieden werden, dass die Entsolidarisierung der Belegschaften für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ohne hinreichende Schlüsselposition im Betriebsablauf in einer Entwertung der Schutzfunktion des Tarifvertrags münden kann. Die Verteilungsfunktion des Tarifvertrags wird gestört, wenn die konkurrierenden Tarifabschlüsse nicht den Wert verschiedener Arbeitsleistung innerhalb einer betrieblichen Gemeinschaft zueinander widerspiegeln, sondern vor allem Ausdruck der jeweiligen Schlüsselpositionen der unterschiedlichen Beschäftigtengruppen im Betriebsablauf sind. Die Befriedungsfunktion des Tarifvertrags wird durch Tarifkollisionen beeinträchtigt, weil innerbetriebliche Verteilungskämpfe den Betriebsfrieden gefährden. Zudem wird die Befriedungsfunktion des Tarifvertrags auch dadurch beeinträchtigt, dass sich ein bereits tarifgebundener Arbeitgeber jederzeit einer Vielzahl weiterer Forderungen konkurrierender Gewerkschaften gegenübersehen kann. Mit der Verteilungsfunktion und der Befriedungsfunktion sind besondere Ausprägungen der tarifvertraglichen Ordnungsfunktion betroffen. Daneben erschweren Tarifkollisionen die Ordnung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen durch Betriebsnormen, die kraft Natur der Sache eine betriebseinheitliche Geltung beanspruchen. Diese Betriebsnormen bedürfen auch dann einer betriebseinheitlichen Anwendung, wenn ihnen Inhaltsnormen anhaften, die mit Inhaltsnormen eines konkurrierenden Tarifvertrags kollidieren.

Zu Absatz 2

Satz 1 stellt klar, dass Arbeitgeber nach § 3 TVG an die Tarifverträge mehrerer Gewerkschaften gebunden sein können.

Durch das Tarifeinheitsgesetz wird weder das Entstehen tarifpluraler Situationen verhindert noch werden bestehende Gestaltungsmöglichkeiten der Tarifpartner beschränkt. Der Grundsatz der Tarifeinheit greift nur subsidiär, wenn eine autonome Verständigung der Gewerkschaften nicht gelingt.

Das Gesetz berührt nicht das Recht der Gewerkschaften, ihre Zuständigkeiten wechselseitig abzustimmen und Tarifverträge jeweils für verschiedene Arbeitnehmergruppen abzuschließen. In diesen Fällen fehlt es bereits an einer Tarifkollision, die der Auflösung nach Satz 2 bedarf. Es bleibt den Gewerkschaften daher nach Satz 1 unbenommen, sich in einer Tarifgemeinschaft zu verbinden und gemeinsam Tarifverträge zu verhandeln. Es bleibt den Gewerkschaften nach Satz 1 weiterhin möglich, inhaltsgleiche Tarifverträge abzuschließen, ohne in einer Tarifgemeinschaft verbunden zu sein. Damit bleibt es nach Satz 1 auch zulässig, dass eine Gewerkschaft den Tarifvertrag einer anderen Gewerkschaft nachzeichnet. Eine nach dem Grundsatz der Tarifeinheit auflösungsbedürftige Tarifkollision setzt voraus, dass die Tarifverträge nicht inhaltsgleich sind.

Satz 2 regelt den Grundsatz der Tarifeinheit nach dem betrieblichen Mehrheitsprinzip. Ist ein Arbeitgeber an kollidierende Tarifverträge mehrerer Gewerkschaften nach § 3 TVG gebunden, ist im Überschneidungsbereich der kollidierenden Tarifverträge nur der Tarifvertrag der Gewerkschaft anwendbar, die im Betrieb die meisten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer organisiert. Der Grundsatz der Tarifeinheit betrifft mithin nicht das Verhältnis eines nach § 5 TVG für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrags zu einem Tarifvertrag, an den der Arbeitgeber nach § 3 TVG gebunden ist.

Die Regelungen zur Tarifeinheit ändern nicht das Arbeitskampfrecht. Über die Verhältnismäßigkeit von Arbeitskämpfen, mit denen ein kollidierender Tarifvertrag erwirkt werden soll, wird allerdings im Einzelfall im Sinne des Prinzips der Tarifeinheit zu entscheiden sein. Der Arbeitskampf ist Mittel zur Sicherung der Tarifautonomie. Der Arbeitskampf dient nicht der Sicherung der Tarifautonomie, soweit dem Tarifvertrag, der mit ihm erwirkt werden soll, eine ordnende Funktion offensichtlich nicht mehr zukommen würde, weil die abschließende Gewerkschaft keine Mehrheit der organisierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Betrieb haben würde. Im Rahmen der Prüfung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Dazu können auch Strukturen des Arbeitgebers und die Reichweite von Tarifverträgen gehören.

Der Rückgriff auf das Mehrheitsprinzip ist in besonderer Weise geeignet, die mit dem Gesetz verfolgten Ziele zu erreichen. Es gelangt der Tarifvertrag zur Anwendung, dessen Interessenausgleich die größte Akzeptanz in der Belegschaft besitzt. Zugleich gibt das Mehrheitsprinzip dem durch Artikel 9 Absatz 3 GG ermöglichten Koalitionswettbewerb Raum. Bezugspunkt für das Mehrheitsprinzip ist der Betrieb als Solidargemeinschaft, die infolge der Zusammenfassung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zur Verfolgung arbeitstechnischer Zwecke entsteht. Das Tarifvertragssystem bildet einen Rahmen, innerhalb dessen für die betrieblichen Solidargemeinschaften eine kohärente und ausgewogene kollektive Gestaltung der Arbeitsbedingungen erfolgen kann. Es wird deshalb auf die Mehrheitsverhältnisse im Betrieb abgestellt.

Dies bedeutet allerdings nicht, dass jede Organisation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die in einem Betrieb die meisten Mitglieder organisiert, zugleich eine tariffähige Gewerkschaft ist. Tariffähige Gewerkschaften müssen weiterhin nicht nur frei gebildet, gegnerfrei und gegnerunabhängig sein sowie das geltende Tarifrecht als für sich verbindlich anerkennen, sondern in der Regel auch auf überbetrieblicher Grundlage organisiert sein. Ferner müssen sie in der Lage sein, durch Ausüben von Druck auf den Tarifpartner zu einem Tarifabschluss zu kommen. Reine "Betriebsgewerkschaften" können nicht zu einer sinnvollen Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens beitragen.

Nach Satz 2 wird der Tarifvertrag der Minderheitsgewerkschaft verdrängt, soweit sich die Geltungsbereiche der Tarifverträge jeweils in zeitlicher, räumlicher, fachlicher und persönlicher Hinsicht überschneiden. Nur dann besteht eine auflösungsbedürftige Tarifkollision. Schließt also die im Betrieb mehrheitlich vertretene Gewerkschaft einen Tarifvertrag, der nicht alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erfasst, wird der Tarifvertrag der im Betrieb weniger vertretenen Gewerkschaft auch nur insoweit verdrängt. Der Tarifvertrag der Gewerkschaft, die im Betrieb weniger Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer organisiert, ist also ungeachtet der Kollisionsregel in Satz 2 im Übrigen nach den allgemeinen Grundsätzen zur Anwendung zu bringen.

Satz 2 setzt nicht voraus, dass sich die Regelungsgegenstände der Tarifverträge decken. Der Grundsatz der Tarifeinheit gilt auch dann, wenn die Tarifverträge unterschiedliche Regelungsgegenstände beinhalten, sofern es nicht dem Willen der Tarifvertragsparteien des Mehrheitstarifvertrags entspricht, eine Ergänzung ihrer Regelungen durch Vereinbarungen mit konkurrierenden Gewerkschaften zuzulassen (vergleiche BAG vom 5. September 1990 - 4 AZR 59/90, AP Nr. 19 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz). Damit trägt das Gesetz dem Gedanken Rechnung, dass Gewerkschaften durch den Abschluss von Tarifverträgen eine ganzheitliche Vertretung der Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bezwecken und einzelne, nicht ausdrücklich erfasste Regelungsgegenstände, nicht der Regelungskompetenz konkurrierender Gewerkschaften überlassen wollen.

Als maßgeblichen Zeitpunkt, zu dem die betrieblichen Mehrheitsverhältnisse festzustellen sind, legt Satz 2 den Zeitpunkt des letzten Abschlusses des kollidierenden Tarifvertrags fest.

Zu diesem Zeitpunkt wird die Tarifkollision herbeigeführt. Abzustellen ist auf den Zeitpunkt, zu dem der Tarifvertrag schriftlich abgeschlossen wird. Eine tarifschließende Gewerkschaft muss also, will sie die Anwendbarkeit ihres Tarifvertrags in Überschneidungsbereichen gewährleisten, sicherstellen, dass sie im Zeitpunkt ihres Tarifabschlusses die relative Mehrheit der gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des Betriebs vertritt. Haben sich verschiedene Gewerkschaften in einer Tarifgemeinschaft zusammengeschlossen, deren Tarifvertrag mit dem Tarifvertrag einer konkurrierenden Gewerkschaft kollidiert, ist die Zahl der von den in der Tarifgemeinschaft verbundenen Gewerkschaften insgesamt organisierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für die Mehrheitsfeststellung maßgeblich.

Zu berücksichtigen sind bei der Mehrheitsfeststellung auch die organisierten Auszubildenden (vgl. § 10 Abs. 2 des Berufsbildungsgesetzes). Die im Zeitpunkt der Tarifkollision bestehenden Mehrheitsverhältnisse sind solange maßgeblich, bis es zu einer erneuten Tarifkollision kommt. Die stichtagsbezogene Betrachtung dient dem Rechtsfrieden und der Rechtssicherheit. Es wird vermieden, dass jeder Gewerkschaftswechsel oder jedes Ausscheiden und Eintreten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern die betriebliche Mehrheitsfrage erneut aufwirft. Der Abschluss eines kollidierenden Tarifvertrags liegt auch in der Änderung eines bestehenden Tarifvertrags. Kein erneuter Kollisionsfall liegt demgegenüber bei einer tarifvertraglichen Regelung vor, die eine tarifliche Auslegungsfrage klarstellt.

Kollidieren die Tarifverträge erst zu einem späteren Zeitpunkt, ist nach Satz 3 dieser Zeitpunkt für die Mehrheitsfeststellung maßgeblich. Dies kommt in Betracht, wenn der Arbeitgeber erst nach Abschluss des kollidierenden Tarifvertrags der tarifschließenden Vereinigung von Arbeitgebern beitritt, der kollidierende Tarifvertrag erst nach Abschluss in Kraft tritt oder ein Betrieb erst nach dem Abschluss des kollidierenden Tarifvertrags neu gegründet wird.

Der Betriebsbegriff, der für die Ermittlung der Mehrheitsverhältnisse zugrunde zu legen ist, ist tarifrechtlich zu bestimmen. Danach ist ein Betrieb diejenige organisatorische Einheit, innerhalb derer der Arbeitgeber mit seinen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit Hilfe von technischen und immateriellen Mitteln bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt. Damit entspricht der tarifrechtliche Betriebsbegriff in seiner grundsätzlichen Ausrichtung dem betriebsverfassungsrechtlichen Betriebsbegriff, der infolge seiner Konturierung durch die Rechtsprechung einen für die Praxis praktikablen Rahmen setzt. Damit dient als Anknüpfungspunkt für das Mehrheitsprinzip die Solidargemeinschaft, die infolge der Zusammenfassung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zur Verfolgung arbeitstechnischer Zwecke entsteht.

Satz 4 bestimmt ergänzend, dass als ein Betrieb in diesem Sinne in der Regel auch ein gemeinsamer Betrieb mehrerer Unternehmen im Sinne von § 1 Absatz 1 Satz 2 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) und ein durch Tarifvertrag nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 bis 3 BetrVG errichteter Betrieb gilt. Auch für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des durch Tarifvertrag nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 bis 3 BetrVG errichteten Betriebs wird eine einheitliche Interessenvertretung gebildet, die auf das Wohl der gesamten Belegschaft des neu errichteten Betriebs verpflichtet ist. Die Berücksichtigung der nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 bis 3 BetrVG errichteten Betriebe fördert zudem die Praktikabilität der Tarifeinheitsregelung. Der für die Mehrheitsermittlung maßgebliche tarifrechtliche Betriebsbegriff stimmt in der Regel mit dem nach § 1 Absatz 1 Satz 2 BetrVG oder durch Tarifvertrag nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 bis 3 BetrVG definierten Betrieb überein. Die nach § 1 Absatz 1 Satz 2 BetrVG oder durch Tarifvertrag nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 bis 3 BetrVG geschaffene Einheit bildet nur dann nicht den Bezugspunkt für die Ermittlung der Mehrheitsverhältnisse im Tarifvertragsrecht, wenn dies den Zielen des Absatzes 1 offensichtlich entgegen steht. Dies ist nach Satz 5 insbesondere der Fall, wenn Betriebe zusammengefasst werden, die von Tarifvertragsparteien unterschiedlichen Wirtschaftszweigen oder deren Wertschöpfungsketten zugeordnet worden sind. Tarifeinheit soll nach Absatz 1 zur Sicherung der Schutzfunktion, Verteilungsfunktion, Befriedungsfunktion sowie Ordnungsfunktion im Betrieb als der maßgeblichen Solidargemeinschaft hergestellt werden. Haben Tarifvertragsparteien Betriebe unterschiedlichen Wirtschaftszweigen oder deren Wertschöpfungsketten zugeordnet, kann durch deren Zusammenfassung für das Tarifvertragsrecht eine betriebliche Solidargemeinschaft nicht entstehen.

Zu Absatz 3

Nach Absatz 3 findet der Grundsatz der Tarifeinheit für die tarifvertragliche Rechtsnorm über eine betriebsverfassungsrechtliche Frage nach § 3 Absatz 1 und § 117 Absatz 2 BetrVG nur Anwendung, wenn diese betriebsverfassungsrechtliche Frage bereits in dem Tarifvertrag einer anderen Gewerkschaft geregelt ist. Die Vorschrift dient der Kontinuität tarifvertraglich geschaffener betriebsverfassungsrechtlicher Vertretungsstrukturen.

Zu Absatz 4

Nach Absatz 4 kann eine Gewerkschaft von der Arbeitgeberseite die Nachzeichnung der Rechtsnormen des Tarifvertrags einer konkurrierenden Gewerkschaft verlangen. Mit dem Nachzeichnungsrecht wird den Nachteilen entgegenwirkt, die einer Gewerkschaft im Fall der Tarifkollision durch den Grundsatz der Tarifeinheit entstehen können. Anderenfalls würden ihre Mitglieder tariflos gestellt, soweit ihr Tarifvertrag nach dem Grundsatz der Tarifeinheit nach Absatz 2 nicht zur Anwendung gelangt.

Nach Satz 1 entsteht das Nachzeichnungsrecht nur, wenn zwischen den Tarifverträgen eine Tarifkollision nach Absatz 2 Satz 2 besteht. Ein Recht zur Nachzeichnung hat damit nur die Gewerkschaft, die bereits einen kollidierenden Tarifvertrag abgeschlossen hat. Hingegen genügt es nicht, dass die Gewerkschaft nach ihrer satzungsgemäßen Zuständigkeit in diesem Bereich zwar einen wirksamen Tarifvertrag abschließen könnte, bislang aber noch nicht in der Lage gewesen ist, von der Arbeitgeberseite den Abschluss eines Tarifvertrags zu erwirken. Unter kollidierenden Tarifverträgen werden Tarifverträge verstanden, deren Geltungsbereiche sich zumindest teilweise überschneiden. Das Nachzeichnungsrecht ist insbesondere aus Praktikabilitätsgründen nicht davon abhängig, ob und inwieweit der Tarifvertrag der zur Nachzeichnung berechtigten Gewerkschaft durch den kollidierenden Tarifvertrag nach Absatz 2 verdrängt würde. Es genügt für die Geltendmachung des Nachzeichnungsrechts, dass die Gewerkschaft potentiell einen Nachteil erleiden könnte. Zur Nachzeichnung verpflichtet ist die jeweilige Tarifvertragspartei des kollidierenden Tarifvertrags auf Arbeitgeberseite. Das Nachzeichnungsrecht wird mit jedem Abschluss eines kollidierenden Tarifvertrags erneut ausgelöst, weil in diesem Fall auch der nachgezeichnete Tarifvertrag, soweit er mit dem neu abgeschlossenen Tarifvertrag kollidiert, nach Absatz 2 verdrängt würde. Ein kollidierender Tarifvertrag wird auch abgeschlossen, wenn im Wege eines Änderungstarifvertrags die Tarifnorm eines bestehenden Tarifvertrags geändert wird. Keine Änderung einer Tarifnorm stellt die eine tarifliche Auslegungsfrage klarstellende tarifvertragliche Regelung dar.

Satz 2 bestimmt den Inhalt des Nachzeichnungsanspruchs. Der Nachzeichnungsanspruch ist auf den Abschluss eines die Rechtsnormen des kollidierenden Tarifvertrags enthaltenden Tarifvertrags gerichtet, soweit sich die Geltungsbereiche und Rechtsnormen der Tarifverträge überschneiden. Eine Übernahme der schuldrechtlichen Rechte und Pflichten aus dem nachgezeichneten Tarifvertrag findet nicht statt. Insbesondere bleibt die nachzeichnende Gewerkschaft insofern an die sich aus ihrem Tarifvertrag ergebende Friedenspflicht gebunden.

Der Nachzeichnungsanspruch nach Satz 2 besteht für den Abschluss eines Tarifvertrags, der dem Überschneidungsbereich der konkurrierenden Tarifverträge entspricht. Nur insoweit kann der Gewerkschaft, die das Nachzeichnungsrecht geltend macht, durch die Kollisionsregel des Absatzes 2 Satz 2 ein dem Ausgleich zugänglicher Nachteil entstehen. Ein weitergehender Nachzeichnungsanspruch besteht nicht. Andererseits ist auch eine hinter dem Überschneidungsbereich zurückbleibende Nachzeichnung des kollidierenden Tarifvertrags nicht zulässig. Der Nachzeichnungsanspruch führt mithin nicht dazu, dass die eine Nachzeichnung verlangende Gewerkschaft beanspruchen kann, ausschließlich die für ihre Mitglieder vorteilhaften Regelungen nachzuzeichnen.

Nach Satz 3 gelten die Rechtsnormen des nachgezeichneten Tarifvertrags nur in den Betrieben normativ, in denen der Tarifvertrag der Gewerkschaft, die von ihrem Nachzeichnungsrecht Gebrauch gemacht hat, nach Absatz 2 Satz 2 nicht zur Anwendung gelangt. Damit wird erreicht, dass in jedem Betrieb nur der Tarifvertrag der Gewerkschaft Wirkung entfaltet, die im Betrieb die meisten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer organisiert.

Zu Absatz 5

Absatz 5 räumt einer Gewerkschaft ein Recht auf Anhörung durch die Arbeitgeberseite ein, wenn die Arbeitgeberseite mit einer konkurrierenden Gewerkschaft in Verhandlungen über den Abschluss eines Tarifvertrags eintritt. Das Anhörungsrecht dient der Beteiligung anderer tarifzuständiger Gewerkschaften. Es gibt im Vorfeld von Tarifvertragsabschlüssen Gelegenheit, Tarifforderungen aufeinander abzustimmen und damit Tarifkollisionen autonom zu vermeiden. Durch die Anhörung erhält die Gewerkschaft die Gelegenheit, der Arbeitgeberseite ihre Vorstellungen und Forderungen mündlich vorzutragen. Das Anhörungsrecht stellt ein materielles Recht der Gewerkschaft dar, welches von ihr gegebenenfalls im Klagewege geltend gemacht werden kann. Die Anhörung ist aber weder Voraussetzung für den Abschluss des Tarifvertrags mit der konkurrierenden Gewerkschaft noch für dessen Durchsetzung im Wege des Arbeitskampfes. Ebenso ist die Anwendung des Grundsatzes der Tarifeinheit nicht unter den Vorbehalt der Anhörung gestellt.

Satz 1 bestimmt, dass die Arbeitgeberseite die Aufnahme von Tarifverhandlungen mit einer konkurrierenden Gewerkschaft rechtzeitig und in geeigneter Weise bekanntzugeben hat. Über den Abschluss eines Tarifvertrags wird auch verhandelt, wenn die Tarifnorm eines bestehenden Tarifvertrags geändert werden soll. Will die konkurrierende Gewerkschaft den Abschluss eines Verbandstarifvertrags - auch eines firmenbezogenen Verbandstarifvertrags - erreichen, ist die Vereinigung von Arbeitgebern, die zu Tarifverhandlungen aufgefordert wird, zur Bekanntgabe verpflichtet. Verlangt die konkurrierende Gewerkschaft vom Arbeitgeber den Abschluss eines Firmentarifvertrags, hat der Arbeitgeber die Aufnahme von Tarifverhandlungen bekanntzugeben. Rechtzeitig ist eine Bekanntgabe, wenn sie unverzüglich nach Aufnahme der Tarifverhandlungen und möglichst vor Abschluss des Tarifvertrags erfolgt. Mit der Bekanntgabe ist der konkurrierenden Gewerkschaft die Möglichkeit zu verschaffen, tatsächlich von der Aufnahme von Tarifverhandlungen Kenntnis zu erlangen. Dies kann etwa eine mündliche, elektronische oder schriftliche Mitteilung an die konkurrierenden Gewerkschaften sein. Bei Aufnahme von Verhandlungen über den Abschluss eines Firmentarifvertrags kommt auch ein Aushang in den betroffenen Betriebsstätten des Arbeitgebers in Betracht.

Satz 2 regelt, welche Gewerkschaften die Anhörung von der Arbeitgeberseite verlangen können. Berechtigt ist jede Gewerkschaft, die für den Abschluss des von der konkurrierenden Gewerkschaft angestrebten Tarifvertrags nach ihrer Satzung zumindest teilweise tarifzuständig wäre. Für das Anhörungsrecht kommt es nicht darauf an, inwieweit es sich bei der anhörungsberechtigten Gewerkschaft in den Betrieben um die Mehrheits- oder die Minderheitsgewerkschaft handelt.

Die Gewerkschaft ist berechtigt, dem Arbeitgeber oder der Vereinigung von Arbeitgebern ihre Vorstellungen und Forderungen mündlich vorzutragen. Das Anhörungsrecht muss von der berechtigten Gewerkschaft gegenüber der Arbeitgeberseite geltend gemacht werden. Adressat der Anhörung ist auf Arbeitgeberseite derjenige, der mit der konkurrierenden Gewerkschaft über den Abschluss eines Tarifvertrags verhandelt. Mit der Anhörung erhält die Gewerkschaft Gelegenheit, sich mündlich über ihre Vorstellungen und Forderungen zu äußern. Die bloße Möglichkeit, sich schriftlich oder elektronisch zu äußern, genügt nicht. Das Recht zur Äußerung gegenüber der Arbeitgeberseite umfasst aber kein Erörterungs- bzw. Verhandlungsrecht.

Zu Nummer 2

Der neu gefasste § 8 verpflichtet den Arbeitgeber, die im Betrieb anwendbaren Tarifverträge sowie rechtskräftige Beschlüsse nach § 99 des Arbeitsgerichtsgesetzes (ArbGG) über den nach § 4a Absatz 2 Satz 2 anwendbaren Tarifvertrag im Betrieb bekanntzumachen. Eine gesonderte Übersendung eines Beschlusses entsprechend § 63 ArbGG ist damit entbehrlich. Die Bekanntmachung dient der innerbetrieblichen Tarifpublizität. Die Bekanntmachung hat in einer Weise zu erfolgen, dass sämtliche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des Betriebs ohne besondere Mühe die Möglichkeit haben, die anwendbaren Tarifverträge und Beschlüsse nach § 99 ArbGG zur Kenntnis zu nehmen. Die Bekanntmachung kann damit durch Auslage, aber etwa auch durch elektronische Veröffentlichung im Intranet erfolgen.

Zu Nummer 3

Die Vorschrift regelt, dass der Grundsatz der Tarifeinheit für die unmittelbar und zwingend wirkenden Rechtsnormen solcher Tarifverträge nicht zur Anwendung kommt, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes bereits gelten. Zugleich wird es konkurrierenden Gewerkschaften durch die Vorschrift ermöglicht, die Vertretung ihrer Interessen gegebenenfalls neu zu organisieren, etwa durch Zusammenschlüsse zu Tarifgemeinschaften oder den Abschluss von Kooperationsvereinbarungen. Nicht erfasst sind Tarifverträge, die sich nach § 4 Absatz 5 in der Nachwirkung befinden.

Zu Artikel 2 (Änderung des Arbeitsgerichtsgesetzes - ArbGG)

Zu Nummer 1

Der Katalog der Zuständigkeiten der Gerichte für Arbeitssachen für Angelegenheiten, auf die das Beschlussverfahren Anwendung findet, wird um eine Nummer 6 erweitert. Ausschließlich die Gerichte für Arbeitssachen sind danach zuständig für die Entscheidung über den nach § 4a Absatz 2 Satz 2 TVG im Betrieb anwendbaren Tarifvertrag. Das Beschlussverfahren ist wegen der dort geltenden Grundsätze, insbesondere der Verpflichtung zur Amtsermittlung, für diesen Verfahrensgegenstand geeignet.

Zu Nummer 2

Bereits nach geltendem Recht können sich die Parteien - auch bei vorhandenen unmittelbaren Beweismitteln - auf die Benennung mittelbarer Beweismittel beschränken.

Der neue Absatz 3 stellt klar, dass zur Beweisführung eine notarielle Erklärung - im Wege des Urkundenbeweises nach § 415 der Zivilprozessordnung (ZPO) - verwertet werden kann. Dies ist insbesondere auch möglich zum Nachweis der Zahl der in einem Arbeitsverhältnis stehenden Mitglieder einer Gewerkschaft in einem Betrieb in Verfahren nach § 2a Absatz 1 Nummer 6 und zum Nachweis des Vertretenseins einer Gewerkschaft in einem Betrieb nach § 2 Absatz 2 BetrVG (vergleiche zu den Grenzen auch BAG vom 25. März 1992 - 7 ABR 65/90, BVerfG vom 21. März 1994 - 1 BvR 1485/93). Der neue Absatz 3 ist ausdrücklich nicht auf Verfahren nach § 2a Absatz 1 Nummer 6 beschränkt.

Die Beweisführung über eine notarielle Erklärung stellt sicher, dass die Gewerkschaft die Namen ihrer im Betrieb des Arbeitgebers beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Rahmen nicht nennen muss. Gewerkschaftlich organisierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden damit in ihrer verfassungsrechtlich geschützten Rechtsposition aus Artikel 9 Absatz 3 GG sowie ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Artikel 1 Absatz 1, Artikel 2 Absatz 1 GG geschützt.

Auch der Notar hat über die Identität von Gewerkschaftsmitgliedern und Nichtgewerkschaftsmitgliedern Stillschweigen zu bewahren. Dies resultiert aus seiner in § 18 Absatz 1 Bundesnotarordnung normierten Verschwiegenheitspflicht.

Die sonstigen Beweismittel bleiben von der Neuregelung unberührt.

Zu Nummer 3

Der neue § 99 regelt einige Besonderheiten des Beschlussverfahrens, wenn in diesem über den nach § 4a Absatz 2 Satz 2 TVG im Betrieb anwendbaren Tarifvertrag zu entscheiden ist.

Die Ausgestaltung des Verfahrens lehnt sich an die Regelung des § 97 (Entscheidung über die Tariffähigkeit oder Tarifzuständigkeit einer Vereinigung) und des § 98 (Entscheidung über die Wirksamkeit einer Allgemeinverbindlicherklärung oder einer Rechtsverordnung) an. Der Beschluss ist über den Kreis der unmittelbar Verfahrensbeteiligten hinaus von Bedeutung. Die gerichtliche Feststellung des nach § 4a Absatz 2 Satz 2 TVG im Betrieb anwendbaren Tarifvertrags unterliegt daher nicht dem Dispositionsgrundsatz, sondern dem im Beschlussverfahren geltenden Untersuchungsgrundsatz. Eine grundsätzliche Pflicht zur Aussetzung anderer Rechtsstreite wie in § 97 Absatz 5 und § 98 Absatz 6 ist nicht vorgesehen. Damit kann eine Verfahrenseinleitung allein auf Antrag einer Tarifvertragspartei eines kollidierenden Tarifvertrags erfolgen.

Zu Absatz 1

Absatz 1 regelt die Antragsbefugnis. Eine Entscheidung über den nach § 4a Absatz 2 Satz 2 TVG im Betrieb anwendbaren Tarifvertrag kann von einer Tarifvertragspartei eines kollidierenden Tarifvertrags beantragt werden. Damit werden die Parteien eines kollidierenden Tarifvertrags in die Lage versetzt, ein Verfahren nach § 2a Absatz 1 Nummer 6 einzuleiten.

Zu Absatz 2

Für das Verfahren verweist Absatz 2 auf die §§ 80 bis 82 Absatz 1 Satz 1, §§ 83 bis 84 und §§ 87 bis 96a. Danach gelten die allgemeinen Vorschriften des Beschlussverfahrens entsprechend. Durch die entsprechende Anwendung des § 83 Absatz 3 ist sichergestellt, dass das Gericht alle Personen, Vereinigungen und Stellen zu beteiligen hat, die in ihrer Rechtsstellung vom Verfahrensausgang betroffen werden (vergleiche BAG vom 6. Juni 2000 - 1 ABR 21/99).

Zu Absatz 3

Die Beschlüsse im Verfahren nach § 2a Absatz 1 Nummer 6 wirken nicht nur zwischen den Parteien des Rechtsstreits (inter partes), sondern für und gegen jedermann (erga omnes).

Zu Absatz 4

Nach Maßgabe des § 99 Absatz 2, des § 80 Absatz 2 und des § 79 in Verbindung mit den §§ 578 bis 591 ZPO ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens möglich. Absatz 4 normiert nach dem Vorbild des § 97 Absatz 4 und des § 98 Absatz 5 Erleichterungen gegenüber diesen allgemeinen Vorschriften. Danach findet eine Restitutionsklage auch dann statt, wenn die Entscheidung darüber, welcher Tarifvertrag nach § 4a Absatz 2 Satz 2 TVG im Betrieb anwendbar ist, darauf beruht, dass ein Beteiligter absichtlich unrichtige Angaben oder Aussagen gemacht hat. Da § 581 ZPO keine Anwendung findet, kann ein Wiederaufnahmeverfahren auch dann erfolgen, wenn die in § 581 ZPO genannten Voraussetzungen - wie beispielsweise eine rechtskräftige Verurteilung - nicht vorliegen. Dies dient der Verfahrensbeschleunigung.

Zu Nummer 4

Es handelt sich um eine redaktionelle Folgeänderung.

Zu Artikel 3 (Inkrafttreten)

Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten.

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Anlage
Stellungnahme des Nationalen Normenkontrollrates gem. § 6 Abs. 1 NKRG: NKR-Nr. 3128:
Entwurf eines Gesetzes zur Tarifeinheit

Der Nationale Normenkontrollrat hat den Entwurf des oben genannten Regelungsvorhabens geprüft.

I. Zusammenfassung

Bürgerinnen und Bürger
Erfüllungsaufwand:
Keine Auswirkungen
Wirtschaft
Erfüllungsaufwand:
Soweit Tarifkollisionen durch die
vorliegenden Regelungen beseitigt werden können, wird sich der Aufwand auf Seiten des Arbeitgebers verringern. Dem stehen im Regelfall überschaubare Aufwände zum Beispiel für die Bekanntgabe der Aufnahme von Tarifverhandlungen gegenüber.
Verwaltung
Erfüllungsaufwand:
Für die Verwaltung entsteht kein
Erfüllungsaufwand, soweit sie nicht selbst Arbeitgeber ist. In diesem Fall gelten die Ausführungen zur Wirtschaft entsprechend.
Der Nationale Normenkontrollrat macht im Rahmen seines gesetzlichen Auftrags keine Einwände gegen die Darstellungen der Gesetzesfolgen im vorliegenden Regelungsvorhaben geltend.

II. Im Einzelnen

Mit dem Gesetzentwurf soll der Grundsatz der Tarifeinheit eingeführt werden für die Fälle, in welchen Interessenskonflikte zwischen Gewerkschaften zum Beispiel in Fragen der Tarifgestaltung von diesen autonom nicht zu einem Ausgleich gebracht werden können.

Für Arbeitgeber ist die Anwendung kollidierender Tarifverträge mit erhöhtem Aufwand verbunden. Soweit Tarifkollisionen durch die vorliegenden Regelungen beseitigt (oder vermieden) werden können, wird sich der Aufwand des Arbeitgebers verringern. Dem stehen im Regelfall überschaubare Aufwände zum Beispiel für die Bekanntgabe der Aufnahme von Tarifverhandlungen mit einer konkurrierenden Gewerkschaft gegenüber. Für die Verwaltung entsteht kein Erfüllungsaufwand, soweit sie nicht selbst Arbeitgeber ist. Für die Verwaltung als Arbeitgeber gelten die obigen Ausführungen entsprechend.

Der Nationale Normenkontrollrat macht im Rahmen seines gesetzlichen Auftrags keine Einwände gegen die Darstellungen der Gesetzesfolgen im vorliegenden Regelungsvorhaben geltend.

Dr. Ludewig Dr. Dückert
Vorsitzender Berichterstatterin