Empfehlungen der Ausschüsse
Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Ermittlung der Exposition von Einzelpersonen der Bevölkerung durch genehmigungs- oder anzeigebedürftige Tätigkeiten
(AVV Tätigkeiten)

985. Sitzung des Bundesrates am 14. Februar 2020

A

Der federführende Ausschuss für Umwelt,

Naturschutz und nukleare Sicherheit (U) und der Wirtschaftsausschuss (Wi) empfehlen dem Bundesrat, der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift gemäß Artikel 85 Absatz 2 des Grundgesetzes nach Maßgabe folgender Änderungen zuzustimmen:

1. Zu Nummer 4.2.1 Satz 1 Nummer 4.2.4

Begründung:

Die vorgeschlagene Änderung bei Nummer 4.2.1 verallgemeinert eines der Merkmale, bei dem Quellen unberücksichtigt bleiben können. Das in der AVV vorgesehene Dosiskriterium von 10 x 10 µSv = 100 µSv wird mit der Neuformulierung nicht in Frage gestellt. Es wird jedoch verhindert, dass eine große Anzahl von Quellen (auch mehr als 10), die aber in der Gesamtheit zu einer vergleichsweise kleinen Dosis führen (höchstens im Bereich von 100 µSv im Kalenderjahr), im Rahmen der Expositionsermittlung stets berücksichtigt werden müssen. Die pauschale Limitierung auf maximal 10 Quellen ist fachlich nicht zu begründen.

Der letzte Teilsatz ("und keine weiteren Quellen zusammenwirken") kann entfallen, da sich der Inhalt bereits aus dem Abschnitt ergibt.

Die Streichung von Nummer 4.2.4 ist die konsequente Folge daraus, dass nur noch das Kriterium von 100 µSv ausschlaggebend sein soll.

2. Zu Nummer 4.2.2 Satz 1

In Nummer 4.2.2 sind in Satz 1 die Wörter "sofern höchstens 10 dieser Quellen und keine weiteren Quellen zusammenwirken" durch die Wörter "sofern bei einem Zusammenwirken mehrerer dieser Quellen dies zu einer Exposition der repräsentativen Person höchstens im Bereich von 1 mSv im Kalenderjahr führt" zu ersetzen.

Begründung:

Die vorgeschlagene Änderung verallgemeinert das Kriterium, bei dem ein Zusammenwirken von Quellen mit ausschließlich natürlichen Radionukliden vernachlässigt werden kann. Das in der AVV vorgesehene Dosiskriterium von 10 x 100 µSv = 1000 µSv = 1 mSv wird mit der Neuformulierung nicht in Frage gestellt. Es wird jedoch verhindert, dass eine große Anzahl von Quellen mit ausschließlich natürlichen Radionukliden (auch mehr als 10), die aber in der Gesamtheit zu einer Dosis höchstens im Bereich von 1 mSv im Kalenderjahr führen, im Rahmen der Expositionsermittlung stets berücksichtigt werden müssen. Die pauschale Limitierung auf maximal 10 Quellen mit ausschließlich natürlichen Radionukliden ist fachlich nicht zu begründen.

Der letzte Teilsatz ("und keine weiteren Quellen zusammenwirken") kann entfallen, da sich der Inhalt bereits aus dem Abschnitt ergibt.

3. Hauptempfehlung zu Ziffer 4

Zu Nummer 10.1 Absatz 1 Satz 2, Satz 3 - neu -

Nummer 10.1 Absatz 1 ist wie folgt zu ändern:

Begründung:

Für nichtkerntechnische Anlagen sollte es aufgrund des vorhandenen Gefährdungspotentials i.A. ausreichend sein, vereinfachte, konservative Verfahren anzuwenden. Außerdem mag die Kenntnis und die Verfügbarkeit der anerkannten Simulationsverfahren (z.B. MCNP, SCALE, PENELOPE) ein Problem darstellen, da die Berechnung der Exposition einer repräsentativen Person für die der Bevölkerung zugänglichen Bereiche sehr aufwendig sind. Durch die "kann" Formulierung wird es jedoch ermöglicht, sich zwischen den anerkannten Simulationen oder den vereinfachten konservativen Verfahren zu entscheiden.

In den kerntechnischen Anlagen ist die Expositionssituation derart komplex, dass die Anwendung eines vereinfachten Verfahrens nicht immer angemessen ist. Daher wurde hier der letzte Satz aus Nummer 4.2.3 nochmals eingefügt.

4. Hilfsempfehlung zu Ziffer 3

Zu Nummer 10.1 Absatz 1 Satz 2

In Nummer 10.1 Absatz 1 sind in Satz 2 die Wörter "sind mithilfe von allgemein anerkannten Simulationsverfahren zu berechnen (z.B. MCNP, SCALE, PENELOPE)." durch die Wörter "können mithilfe von allgemein anerkannten Simulationsverfahren (z.B. MCNP, SCALE, PENELOPE) oder vereinfachten konservativen Verfahren berechnet werden." zu ersetzen.

Begründung:

Allgemein anerkannte Simulationsverfahren wie z.B. MCNP, SCALE oder PENELOPE zur Berechnung der Exposition einer repräsentativen Person für die der Bevölkerung zugänglichen Bereiche sind sehr aufwendig. Durch die "kann"-Formulierung wird der für die retrospektive Berechnung der Exposition zuständigen Behörde ein Entscheidungsspielraum eingeräumt werden, der es ihr ermöglicht, sich zwischen Simulationen oder anderen vereinfachten konservativen Verfahren zu entscheiden.

Die Einräumung eines Ermessens bei der Wahl der Methode zur Ermittlung der Exposition ist auch durch die Formulierung in Nummer 5.2.3:

"Es werden die gemessenen oder bilanzierten tatsächlichen Emissionen sowie die gemessene oder berechnete ionisierende Strahlung aus der Anlage oder Einrichtung während des betrachteten Zeitraumes berücksichtigt." ausdrücklich vorgesehen. Es besteht ein Entscheidungsspielraum zwischen gemessenen oder berechneten Expositionen durch ionisierende Strahlung. Simulationsverfahren sollen nur zum Einsatz kommen, wenn die zuständige Behörde dies für erforderlich hält.

5. Zu Nummer 10.1 Absatz 2 Aufzählungspunkt 3, Aufzählungspunkt 3a - neu -

In Nummer 10.1 ist Absatz 2 wie folgt zu ändern:

Begründung:

Mit der geänderten Formulierung und Zuordnung zu zwei Aufzählungspunkten wird deutlich zwischen den Auswirkungen zu Grunde gelegter Normen, deren Umsetzung unterstellt wird, und real umgesetzten Maßnahmen unterschieden. Ferner wird klargestellt, dass der primäre Zweck der Normen und Maßnahmen die Einhaltung des Dosisgrenzwerts für Einzelpersonen der Bevölkerung ist.

6. Zu Nummer 10.1 Absatz 3

In Nummer 10.1 ist der dritte Absatz wie folgt zu ändern:

Begründung:

Die Anforderung betrifft im Wesentlichen Werkstoffprüfer in der Gammaradiographie. Weitere mobile Tätigkeiten mit einer vergleichbaren hohen Dosisrelevanz sind bis auf wenige Einzelfälle nicht ersichtlich. Angesichts der Vielzahl der Einsätze und Einsatzorte in der Gammaradiographie ist eine orts- und umgebungsbezogene Berechnung der äußeren Exposition weder für Betreiber noch für die Behörden leistbar. Manche Aufsichtsbehörde erhält nahezu täglich Einsatzanzeigen von Werkstoffprüfern.

Die Kann-Vorschrift eröffnet die Möglichkeit, gerade im Bereich der Gammaradiographie, statt repräsentative Standorte festzulegen, was praktisch kaum durchführbar ist, die DIN 54115-1 heranzuziehen, da bei Einhaltung der Normanforderungen für die Gammaradiographie ein Überschreiten des Bevölkerungsgrenzwertes ausgeschlossen werden kann. So wie gemäß Nummer 10.1 der vorliegenden AVV

Normen zum baulichen Strahlenschutz als Einflussgröße für die Berechnung der Exposition herangezogen werden dürfen, kann an dieser Stelle die Anwendung der DIN 54115-1 "Zerstörungsfreie Prüfung - Strahlenschutzregeln für die technische Anwendung umschlossener radioaktiver Stoffe - Teil 1: Ortsfester und ortsveränderlicher Umgang in der Gammaradiographie" als ein geeignetes Instrument für eine zuverlässige Aussage zur Exposition herangezogen werden.

Die DIN 54115-1 enthält konservative Vorgaben zur Berechnung der Kontrollbereichsgrenzen im Hinblick auf die Einhaltung des Dosisgrenzwerts für Einzelpersonen der Bevölkerung.

Zu bedenken ist vor allem, dass die dafür anzusetzenden Strahlzeiten bei ortsfestem Umgang mit 1 200 h/a und vor allem bei gelegentlichem Umgang (zeitweise fester Prüfplatz) und ortsveränderlichem Umgang erheblich niedriger als die nach vorliegender AVV anzusetzende Aufenthaltszeit in Gebäuden von 7 000 Stunden im Kalenderjahr sind.

Im Übrigen ist die Inanspruchnahme einer Norm zur Expositionsermittlung nicht wesensfremd im Regelwerk. Medizinische Röntgeneinrichtungen werden gemäß § 100 Absatz 2 Nummer 2 Buchstabe a und § 101 Absatz 1 der Strahlenschutzverordnung von der Pflicht zur prospektiven und retrospektiven Expositionsermittlung ausgenommen, da aufgrund der Normierung des baulichen Strahlenschutzes in DIN 6812 "Medizinische Röntgenanlagen bis 300 kV - Regeln für die Auslegung des baulichen Strahlenschutzes" unterstellt wird, dass eine Grenzwertüberschreitung durch Zusammenwirken mehrerer Strahlenquellen vernünftigerweise auszuschließen ist.

7. Zu Nummer 10.2 Absatz 2 Satz 2

In Nummer 10.2 Absatz 2 ist Satz 2 wie folgt zu fassen:

"Auch wenn diese Maximalexpositionen nur kurzzeitig auftreten, ist der Dosisgrenzwert für Einzelpersonen der Bevölkerung gemäß § 80 StrlSchG einzuhalten."

Begründung:

Die geänderte Formulierung stellt klar, dass die Dosisgrenzwerte gemäß § 80 StrlSchG einzuhalten sind, auch wenn die Ereignisse wie die äußeren Maximalexpositionen möglicherweise nur selten auftreten.

Die Formulierung des Entwurfs könnte missverständlich als eine spezielle Regelung des Dosisgrenzwerts aufgefasst werden. Dies ist nicht beabsichtigt und würde den Ermächtigungsrahmen zum Erlass dieser AVV überschreiten.

8. Zu Nummer 10.4 Absatz 1

In Nummer 10.4 Absatz 1 sind die Wörter "oder durch Messungen" durch die Wörter ", durch Messungen oder durch vereinfachte konservative Verfahren" zu ersetzen.

Begründung:

Allgemein anerkannte Simulationsverfahren wie z.B. MCNP, SCALE oder PENELOPE zur Berechnung der Exposition einer repräsentativen Person für die der Bevölkerung zugänglichen Bereiche sind sehr aufwendig. Das Durchführen von Messungen im niedrigen Dosisbereich ist schwierig, aufwendig und kostenintensivom Durch die Einführung einer dritten Option kann die zuständige Behörde entscheiden, ob aufwendige Simulationsrechnungen unverhältnismäßig sind oder Messungen erforderlich sind oder einfache konservative Verfahren zur Expositionsermittlung ausreichen.

Der nötige Verwaltungsaufwand zur Ermittlung der Exposition einer repräsentativen Person der Bevölkerung muss dem zu erwartenden Risiko angemessen sein. Deshalb muss der zuständigen Behörde auch die Möglichkeit der Anwendung eines vereinfachten konservativen Verfahrens gegeben werden.

9. Zu Nummer 10.4 Absatz 4

In Nummer 10.4 ist Absatz 4 wie folgt zu ändern:

Begründung:

Die vereinfachende Anwendung von Erfahrungswerten sollte auch für technische Anlagen möglich sein. Es sollte in dieser Hinsicht kein unterschiedlicher Vollzug stattfinden zwischen der medizinischen und der technischen Anwendung.

B

10. Der Ausschuss für Agrarpolitik und Verbraucherschutz und der Ausschuss für Innere Angelegenheiten empfehlen dem Bundesrat, der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift gemäß Artikel 85 Absatz 2 des Grundgesetzes zuzustimmen.

C

11. Der federführende Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit empfiehlt dem Bundesrat ferner, die folgende Entschließung zu fassen:

Zur Sicherstellung eines effektiven und einheitlichen Vollzugs der vorliegenden Allgemeinen Verwaltungsvorschrift bittet der Bundesrat die Bundesregierung, für die Berechnung der Ausbreitung radioaktiver Stoffe und der Umgebungskontamination infolge von Ableitungen mit Luft und mit Wasser sowie die jeweils daraus folgende Exposition des Menschen den Ländern jeweils geeignete, qualitätsgesicherte Softwareanwendungen mit angemessenen Schulungsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen.

Begründung:

Die Berechnung der Ausbreitung radioaktiver Stoffe und der Umgebungskontamination infolge von Ableitungen mit Luft und Wasser sowie der sich daraus unter Berücksichtigung verschiedener Expositionspfade ergebenden Exposition des Menschen ist in der AVV Tätigkeiten in den Kapitel 6, 7, 8 und 9 beschrieben.

Die Berechnungen nach den Vorgaben der AVV Tätigkeiten sind so komplex, dass sie nur mit entsprechenden Softwareanwendungen durchgeführt werden können. Die Erstellung einer geeigneten Anwendung ist personell und finanziell aufwändig, zumal durch Anwendungstests sichergestellt werden muss, dass die Rechenergebnisse korrekt sind. Es ist nicht sinnvoll, dass dieser Aufwand von jedem Bundesland selbst betrieben wird. Auch ist eine bundesweit einheitliche Vorgehensweise notwendig, da die Berechnungen bei vergleichbaren Anlagen und Einrichtungen zum gleichen Ergebnis führen sollten, was bei unterschiedlicher Software nicht sichergestellt ist. Dies ist insbesondere deswegen von Bedeutung, weil die Ergebnisse der retrospektiven Ermittlung der Exposition gemäß § 101 StrlSchV zu veröffentlichen sind.