Stellungnahme des Bundesrates
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes und zur Neuregelung der Bestandsdatenauskunft

Der Bundesrat hat in seiner 904. Sitzung am 14. Dezember 2012 beschlossen, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:

Zum Gesetzentwurf insgesamt

Begründung:

Das Bundesverfassungsgericht hat § 113 Absatz 1 Satz 1 TKG insbesondere deshalb als verfassungsrechtlich noch hinnehmbar angesehen, weil die Norm eine Beschränkung der Auskünfte auf Einzelfälle vorsieht. Bei verständiger Auslegung der Norm ergebe sich bezogen auf die Gefahrenabwehr das Erfordernis einer konkreten Gefahr im Sinne der polizeilichen Generalklauseln, bezogen auf die Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten das Vorliegen zumindest eines Anfangsverdachts als Voraussetzung solcher Auskünfte. Bezogen auf die Nachrichtendienste könne eine solche Eingriffsschwelle aufgabenbedingt nicht errichtet werden, die Auskunftserteilung müsse aber zur Aufklärung einer bestimmten, nachrichtendienstlich beobachtungsbedürftigen Aktion oder Gruppierung geboten sein (BVerfG, Urteil vom 24. Januar 2012 - BVerfG 1 BvR 1299/05 -, Rz. 177). Eine explizite Beschränkung der Auskunftserteilung auf Einzelfälle sieht § 113 Absatz 1 TKG-E nicht mehr vor. Sie ist auch in den durch den Gesetzentwurf geänderten Fachgesetzen nicht durchgängig vorgesehen. Diese stellen teils allgemein auf die Wahrnehmung der gesetzlichen Aufgaben der Auskunft begehrenden Stellen ab (so § 7 Absatz 3 Satz 1, § 22 Absatz 2 Satz 1 BKAG-E, § 7 Absatz 5 Satz 1 ZFdG-E). In der Folge erscheint es fraglich, ob die Eingriffsschwelle vor Auskünften nach § 113 Absatz 1 TKG-E noch den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt.

Begründung:

Der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes und zur Neuregelung der Bestandsdatenauskunft hat - entgegen den Ausführungen im Vorblatt unter E.3 und in der Begründung unter A.IV.3. - finanzielle Auswirkungen (auch) auf die öffentlichen Haushalte.

§ 113 Absatz 5 Satz 2 TKG-E verpflichtet große Unternehmen, für die Auskunftserteilung eine gesicherte elektronische Schnittstelle bereit zu halten. Zwar soll nach der Gesetzesbegründung eine Nutzung der Schnittstelle durch die Bedarfsträger nicht verpflichtend sein, um insbesondere im Einzelfall auch auf anderen Wegen eine Auskunft einholen zu können. Allerdings geht die Bundesregierung (siehe Vorblatt E.2 und Begründung A. IV.2) davon aus, dass die Nutzung der neu zu schaffenden gesicherten elektronischen Schnittstelle zu einer zügigeren Abwicklung der Auskunftsersuchen führt. Mit diesen Ausführungen gibt die Bundesregierung zu erkennen, dass eine Auskunftserteilung über die gesicherte elektronische Schnittstelle den praktischen Regelfall darstellen und die Schnittstelle folglich von den Bedarfsträgern auf Bundes- und Landesebene eingerichtet und in der ganz überwiegendem Anzahl der Fälle auch genutzt werden soll.

Die Bereitstellung einer gesicherten elektronischen Schnittstelle bei den Bedarfsträgern ist infolge der notwendigen Programmierungs- und Implementierungsarbeiten mit einem finanziellen Aufwand für die öffentliche Verwaltung verbunden, der sich derzeit noch nicht genau prognostizieren lässt.

Begründung:

§ 113 TKG-E sieht auch keine Mitteilungspflicht der eine Auskunft nach dieser Norm einholenden Behörden gegenüber den hiervon Betroffenen vor. Eine solche Mitteilungspflicht findet sich auch nicht in den einschlägigen Fachgesetzen. Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht zwar festgestellt, dass sich aus den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes an Auskünfte gemäß den §§ 112 und 113 TKG kein flächendeckendes Erfordernis einer Benachrichtigung der von einer Auskunft Betroffenen ergebe. Es hat dabei offen gelassen, ob Benachrichtigungspflichten für bestimmte Fälle bereits in den Abrufnormen geboten sein könnten (BVerfG, a.a. O., Rz. 187). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu für den Betroffenen nicht erkennbaren Grundrechtseingriffen "gebietet auch die Rechtsschutzgarantie des Artikels 19 Absatz 4 GG grundsätzlich eine Benachrichtigung, wenn dies Voraussetzung für die Möglichkeit der Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes ist" (BVerfG, Urteil vom 3. März 2004 - BVerfG 1 BvR 2378/98, 1 BvR 1084/99 - "Großer Lauschangriff", Rz. 302).

5. Zu Artikel 1 Nummer 1 (§ 113 Absatz 1 Satz 3 TKG), Artikel 2 ( § 100j Absatz 2 StPO)

Der Bundesrat bittet, im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens zu prüfen, ob im Rahmen der Zuordnung dynamischer Internetprotokoll-Adressen eine technikoffenere Formulierung wie etwa "... anhand der zu bestimmten Zeitpunkten vergebenen Internetprotokoll-Adresse sowie weiterer zur Individualisierung erforderlicher technischer Daten..." verwendet werden sollte.

Begründung:

Ist die dynamische IP-Adresse sowie die konkrete Zeit der Internetnutzung bekannt, so lässt sich derzeit - zumindest sofern die zur Recherche erforderlichen Verkehrsdaten (noch) vorhanden sind - durch den Netzbetreiber in der Regel der jeweilige Nutzer ermitteln. Dies geschieht mittels automatisierter Recherchen durch den Netzbetreiber in den von ihm erhobenen Verkehrsdaten.

Eine eindeutige Zuordnung setzt jedoch voraus, dass die abgefragte dynamische IP-Adresse zeitgleich nur einmal vergeben ist. Hiervon kann jedoch aufgrund technischer Entwicklungen nicht mehr ausgegangen werden.

Im Rahmen der immer mehr Verbreitung findenden NAPT (Network Address Port Translation)-Technologie werden dynamische IP-Adressen zeitgleich mehrfach an verschiedene Nutzer vergeben. Eine Zuordnung zu einem Nutzer ist lediglich dem Netzbetreiber anhand intern vergebener sogenannter Ports möglich. Anwendung findet diese Technologie vor allem im Bereich der Smartphone-Nutzung. Auch einige Kabelnetzbetreiber greifen auf diese Technologie zurück. Auch im klassischen Bereich der Internetnutzung wird sich die NAPT-Technologie aller Voraussicht nach weiter durchsetzen, was seinen Grund in der Knappheit der (noch) zur Verfügung stehenden IPv4 Adressen hat. Durch die NAPT-Technologie kann eine IP-Adresse zeitgleich theoretisch tausendfach vergeben werden.

Bei Nutzung der NAPT-Technologie ist demnach eine Zuordnung zu einem bestimmten Nutzer allein anhand der dynamischen IP-Adresse nicht mehr möglich. Hierzu ist zusätzlich der sogenannte Port erforderlich. Ungeachtet der Frage, ob und wie lange diese Ports von den Netzbetreibern gespeichert werden - was einheitlich lediglich durch eine auch diesbezügliche Vorratsdatenspeicherung sichergestellt werden könnte -, sollte durch eine technikoffenere Formulierung zumindest ermöglicht werden, dass auch die von den Netzbetreibern intern vergebenen Ports in die Recherche einbezogen werden.

6. Zu Artikel 1 Nummer 1(§ 113 Absatz 4 Satz 2 TKG)

In Artikel 1 Nummer 1 § 113 Absatz 4 Satz 2 sind nach dem Wort "Über" die Wörter "das Auskunftsersuchen und" einzufügen, die Wörter "ihren Kundinnen und Kunden" durch die Wörter "den Betroffenen" zu ersetzen und nach dem Wort "Dritten" ist das Wort "gegenüber" zu streichen.

Begründung:

Zwar entspricht die geplante Neuregelung fast wortgleich der derzeitigen Regelung in § 113 Absatz 4 Satz 2 TKG-E, sie beinhaltet aber - zumindest vom Wortlaut her - nicht die Auskunftsersuchen selbst.

Zum Zwecke einer effektiven Gefahrenabwehr bzw. Strafverfolgung erscheint es daher geboten klarzustellen, dass auch über das Vorliegen von Auskunftsersuchen Stillschweigen zu wahren ist.

Auch das Abstellen auf "Kunden" könnte als zu eng aufgefasst werden, weil es auf die Kundeneigenschaft im Zeitpunkt der Auskunftserteilung nicht ankommt.

7. Zu Artikel 1 Nummer 3 Buchstabe a Doppelbuchstabe bb und cc (§ 149 Absatz 1 Nummer 33 bis 35 TKG)

Der Bundesrat bittet, im weiteren Gesetzgebungsverfahren dafür zu sorgen, dass die Bußgeldbewehrung wegen einer Herausgabe von Zugangssicherungscodes an unberechtigte Behörden oder Dritte erhalten bleibt.

Begründung:

Derzeit ist es den Telekommunikationsanbietern bei Bußgeldandrohung untersagt, Zugangssicherungscodes an für die Bestandsdatenabfrage nicht autorisierte öffentliche Stellen und nichtöffentliche Dritte weiterzugeben (§ 113 Absatz 1 Satz 2 Halbsatz 2 TKG i.V.m. § 149 Absatz 1 Nummer 34 und 35 TKG). Der Gesetzentwurf sieht trotz der besonderen Schutzwürdigkeit von Zugangssicherungscodes vor (§ 149 Absatz 1 Nummer 33, 34 und 35 TKG), dass die Bußgeldandrohung für die Datenweitergabe an unberechtigte Behörden und für das Übermittlungsverbot an Dritte künftig entfallen soll. Der Änderung kann wegen der fehlenden Bezugnahme auf nicht autorisierte Behörden oder Dritte unterstellt werden, dass die Datenweitergabe an Nichtberechtigte künftig keiner Bußgeldbewehrung mehr unterliegen soll. Das ist nicht zu akzeptieren.

8. Zu Artikel 7a* - neu - (Anlage 3 Vorbemerkung Absatz 2 JVEG)

Nach Artikel 7* ist folgender Artikel einzufügen:

'Artikel 7a*
Änderung des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes

In Anlage 3 Vorbemerkung Absatz 2 des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes vom 5. Mai 2004, das zuletzt durch Artikel 5 des Gesetzes vom 19. Oktober 2012 (BGBl. I S. 2182) geändert worden ist, werden nach der Angabe "101," die Angaben "200, 201," eingefügt.'

Begründung:

Änderungen im JVEG sind in dem Gesetzentwurf bislang nicht vorgesehen.

Die Vorbemerkung in Anlage 3 zum JVEG sieht in Absatz 2 bisher schon vor, dass sich die Entschädigungsbeträge nach den Nummern 100, 101, 300 bis 310, 400 und 401 um 20 Prozent ermäßigen, wenn Leistungen durch die Strafverfolgungsbehörden über eine zentrale Kontaktstelle des Generalbundesanwalts, des Bundeskriminalamtes, der Bundespolizei oder des Zollkriminalamtes oder über entsprechende für ein Land oder für mehrere Länder zuständige Kontaktstelle angefordert und abgerechnet werden.

Nach einer mit Blick auf § 113 Absatz 5 Satz 2 TKG-E veranlassten Einführung der gesicherten elektronischen Schnittstelle durch die Bedarfsträger erscheint es auch für den Fall der zentralen Behandlung von Bestandsdatenauskünften durch die Bedarfsträger geboten, diese Kostenermäßigung auch hier vorzunehmen und deshalb die Kostenziffern 200 und 201 des Abschnitt es 2 der Anlage 3 zum JVEG ebenfalls in Absatz 2 der Vorbemerkung zu Anlage 3 aufzunehmen. Damit sind (auch) in diesen Fällen die Entschädigungsbeträge um 20 Prozent zu reduzieren, wenn die Datenabfragen über eine zentrale Kontaktstelle des Bedarfsträgers im Sinne der Vorbemerkung zu Anlage 3 angefordert und abgerechnet werden.

Die Reduzierung der Entschädigungsbeträge in diesen Fällen hat nicht nur Bedeutung für die Strafverfolgungsbehörden, sondern auch für die Sicherheitsbehörden, deren gesetzliche Regelungen auf die Entschädigungsregelung des § 23 JVEG samt Anlage 3 verweisen (vgl. § 7 Absatz 5 Satz 2, § 20b Absatz 5 Satz 2, § 22 Absatz 4 Satz 2 BKAG-E; § 22a Absatz 3 Satz 2 BPolG-E; § 8d Absatz 4 BVerfSchG-E).

9. Zu Artikel 10 (Inkrafttreten)

In Artikel 10 sind die Wörter "am Tag nach der Verkündung" durch das Datum "1. Juli 2013 " zu ersetzen.

Begründung:

Durch Artikel 1 wird § 113 TKG neugefasst und damit das manuelle Auskunftsverfahren entsprechend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts neu geregelt. § 113 Absatz 2 TKG-E sieht vor, dass die Auskunft nur erteilt werden darf, soweit eine berechtigte Stelle dies in Textform unter Berufung auf eine gesetzliche Bestimmung verlangt, die ihr eine Erhebung der in Absatz 1 in Bezug genommenen Daten erlaubt.

Das Bundesverfassungsgericht stellte bereits in seiner Entscheidung vom 24. Januar 2012 (1 BVR 1299/05) fest, dass schlichte Datenerhebungsbefugnisse in Bundes- und auch Landesgesetzen allein nicht als Rechtsgrundlage für den Datenabruf ausreichen. Vielmehr bedarf es für Auskunftsverlangen in Bereichen, deren Regelung dem Landesrecht vorbehalten ist, bereichsspezifischer Rechtsgrundlagen der Länder, die eine Auskunftsverpflichtung der Telekommunikationsunternehmen eigenständig begründen (vgl. Rz. 167 oder auch 171). Vor dem Hintergrund, dass neue, normenklare Abrufregelungen des Fachrechts erst noch zu erlassen sind, hat das Bundesverfassungsgericht sich letztlich auch zur Schaffung einer Übergangsregelung bis zum 30. Juni 2013 veranlasst gesehen. Es führte hierzu aus "würden diese Anforderungen sofort wirksam, wären in zahlreichen Fällen [ ... ] Auskünfte zu Telekommunikationsnummern nicht mehr möglich. Auch könnten dynamische IP-Adressen bis zu einer Neuregelung nicht mehr identifiziert werden. Angesichts der Bedeutung solcher Auskünfte für die Aufklärung von Gefahren und Straftaten stehen die Nachteile eines solchen Ergebnisses in keinem Verhältnis zu der vorläufigen Hinnahme einer Praxis, die zwar formell den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht entspricht, aber im Wesentlichen rechtfertigungsfähig ist".

Da die Länder die notwendigen Rechtsgrundlagen also für den Datenabruf in den Landesgesetzen erst noch schaffen müssen - im Land Mecklenburg-Vorpommern besteht z.B., wie sicherlich auch in den meisten übrigen Ländern, landesgesetzgeberischer Handlungsbedarf (u.a. im Sicherheits- und Ordnungsgesetz und Landesverfassungsschutzgesetz M-V) -, wird die zwingende Notwendigkeit gesehen, die Nutzung der vom Bundesverfassungsgericht getroffenen Übergangsregelung in vollem Umfang - also noch bis zum 30. Juni 2013 - zu ermöglichen. Parallel kann dann in dieser Zeit eine entsprechende Initiative zur Anpassung des Landesrechts auf den Weg gebracht werden, deren fristgerechtes Inkrafttreten zum 1. Juli 2013 nur unter äußersten Anstrengungen zu erreichen sein wird. Insofern wäre bei einem Inkrafttreten des § 113 TKG-E vor dem 1. Juli 2013 nicht sichergestellt, dass die Länder schon über die notwendigen Abrufregelungen für die in § 113 Absatz 1 TKG-E benannten Daten in ihrem Landes(fach-)recht verfügen. Entsprechende Datenabrufe wären dann nicht mehr möglich.