Unterrichtung durch die Europäische Kommission
Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: Stärkung von Wachstum und Zusammenhalt in den EU-Grenzregionen COM (2017) 534 final; Ratsdok. 12419/17

Die Mitteilung wurde am 20. September 2017 von der Kommission dem Bundesrat zugeleitet. Der Bundesrat ist am 25. September 2017 über die Vorlage gemäß § 2 EUZBLG auch durch die Bundesregierung unterrichtet worden.

Hinweis:
Drucksache 573/17 (PDF) = AE-Nr. 170700 und AE-Nr. 170242.

Auf Verlangen des Landes Rheinland-Pfalz vom 14. November 2017 erscheint die Mitteilung gemäß § 45a GO BR als Drucksache des Bundesrates.

Europäische Kommission
Brüssel, den 20.9.2017 COM (2017) 534 final

Mitteilung der Kommission an den Rat und Das Europäische Parlament
Stärkung von Wachstum und Zusammenhalt in den EU-Grenzregionen

{SWD(2017) 307 final}

1. GRENZREGIONEN - EIN wichtiger Bestandteil der Europäischen Union

In der Europäischen Union (EU) und ihren unmittelbaren Nachbarn in der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) gibt es 40 Binnengrenzen1. In den letzten Jahrzehnten hat der europäische Integrationsprozess dazu beigetragen, dass Regionen an den Binnengrenzen sich von zumeist abgelegenen Gebieten hin zu Gegenden gewandelt haben, die Wachstum und Chancen bieten. Die Schaffung des Binnenmarktes 1992 kurbelte die Produktivität der EU deutlich an und führte zu niedrigeren Kosten, da die Zollformalitäten abgeschafft, die technischen Vorgaben angeglichen oder gegenseitig anerkannt und die Preise wettbewerbsbedingt gesenkt wurden - der Handel innerhalb der EU stieg in zehn Jahren um 15 % an; außerdem wurde zusätzliches Wachstum erreicht und es entstanden etwa 2,5 Millionen neue Arbeitsplätze.

Auf die Grenzregionen wirken sich diese Änderungen positiv (mehr lokale Interaktion über die Grenzen hinweg infolge der Freizügigkeit) wie negativ aus (weniger Arbeitsstellen bei der Zollverwaltung und den entsprechenden Diensten).2 Im Allgemeinen gibt es mehr Möglichkeiten, vor Ort gemeinsame Dienste und Tätigkeiten zu entwickeln.

EU-Regionen an Binnengrenzen

In Artikel 174 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union werden die Herausforderungen anerkannt, denen sich Grenzregionen stellen müssen, und es ist festgelegt, dass diesen Gebieten besondere Aufmerksamkeit gilt, wenn die Union ihre Politik zur Stärkung ihres wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalts entwickelt und weiterhin verfolgt.

Seit 1990 werden mit Interreg-Mitteln Programme zur grenzübergreifenden Zusammenarbeit in den EU-Grenzregionen, einschließlich an den Grenzen zu EFTA-Ländern, unterstützt. So wurden tausende Projekte3 und Initiativen finanziert, die zu einer besseren europäischen Integration beitrugen.

Zu den wichtigsten Errungenschaften der Interreg-Programme zählen: stärkeres Vertrauen, größere Konnektivität, verbesserter Umweltschutz, bessere Gesundheit und Wirtschaftswachstum.4 Ob Begegnungsprojekte, Investitionen in die Infrastruktur oder Unterstützung von Initiativen zur institutionellen Zusammenarbeit - Interreg hat für Grenzregionen wirklich etwas bewegt und zu deren Wandel beigetragen.

Diese Arbeit setzt sich auch heute fort: Knapp 6 Mrd. EUR aus dem Unionshaushalt sind für die grenzübergreifenden Interreg-Programme 2014-2020 vorgesehen. Diese werden an allen Grenzen durchgeführt - so wird sichergestellt, dass bei der Integration noch weitere Fortschritte erzielt werden können und das Potenzial der Grenzregionen voll ausgeschöpft werden kann. Investitionen in bessere Lebensbedingungen kommt eine große Rolle zu: Gemeinsame Umweltmaßnahmen und gemeinsame Maßnahmen zum Klimaschutz werden zu einem größeren Schutz der Menschen in den Grenzregionen führen. Gemeinsame Forschungsinitiativen und -einrichtungen werden das Wirtschafts- und Innovationspotenzial der Grenzregionen weiter ausschöpfen. Strategien für intelligente Spezialisierung werden auch über die Grenzen hinweg die regionale und lokale Innovation intensivieren.5 Die Investitionsoffensive für Europa, die 2016 gestärkt und ausgeweitet wurde, wird ebenfalls zur Entwicklung der Grenzregionen beitragen. Ihre dritte Komponente, die den Abbau von Investitionshemmnissen zum Ziel hat, wird ein günstigeres Umfeld für grenzübergreifende Investitionsprojekte schaffen.6

Grenzregionen sind Gebiete, in denen der europäische Integrationsprozess am positivsten wahrgenommen werden müsste: in einem anderen Land zu studieren, eine Ausbildung zu machen, zu arbeiten, Betreuungsarbeiten zu übernehmen oder Geschäfte abzuwickeln - all das sind alltägliche Tätigkeiten, die möglich sein sollten, ob es nun eine administrative nationale Grenze gibt oder nicht.

Karte: Grenzregionen entlang der Binnengrenzen der EU28 und der EFTA

Allerdings zeigen die von der Kommission zusammengetragenen Belege, dass Grenzregionen im Allgemeinen wirtschaftlich weniger gut abschneiden als andere Regionen eines Mitgliedstaats. Außerdem ist dort der Zugang zu öffentlichen Diensten wie Krankenhäusern und Universitäten7 im Großen und Ganzen schlechter. Das Lavieren zwischen verschiedenen Verwaltungs- und Rechtssystemen ist oft immer noch komplex und kostspielig.8 Die Menschen, Unternehmen, Behörden und nichtstaatliche Organisationen haben der Kommission ihre zuweilen negativen Erfahrungen mit der Interaktion über Binnengrenzen hinweg mitgeteilt.

Maßnahmen müssen über eine europäische Förderung hinausgehen - Finanzmittel und Investitionen allein können diese anhaltenden Schwierigkeiten nicht lösen. In der vorliegenden Mitteilung wird dargelegt, wie die EU und ihre Mitgliedstaaten dafür sorgen können, dass die grenzübergreifende Interaktion weniger komplex, langwierig und teuer ist, und wie sie die Zusammenlegung von Dienstleistungen an den Binnengrenzen fördern können. Es wird beleuchtet, welche Verbesserungen notwendig sind, damit die Bürgerinnen und Bürger in Grenzregionen die Möglichkeiten auf beiden Seiten der Grenze auch vollumfänglich nutzen können. So kann die EU ihre Grenzregionen noch weiter voranbringen und zur Schaffung von Wachstum und Arbeitsplätzen beitragen.

Ziel der vorliegenden Mitteilung ist es, die EU näher an ihre Bürgerinnen und Bürger zu rücken und zu gewährleisten, dass der europäische Rechtsetzungsprozess im Sinne der Menschen und der Unternehmen wirksam funktioniert. Das Weißbuch zur Zukunft Europas9 und die Reflexionspapiere dazu lösten eine breite Debatte darüber aus, wie sich Europa in Zukunft entwickeln sollte, damit es die Erwartungen aller Europäerinnen und Europäer bestmöglich erfüllt. Die territoriale und dabei insbesondere die grenzübergreifende Zusammenarbeit gelten anerkanntermaßen als Garanten für einen echten Mehrwert für die Menschen in Europa.

Mit der vorliegenden Mitteilung wird auch zu diesem Reflexionsprozess beigetragen: Es werden Maßnahmen vorgeschlagen und Empfehlungen ausgesprochen, wie Grenzregionen an Binnengrenzen leichter zusammenarbeiten, zum Abbau von Hindernissen beitragen oder die Menschen und Unternehmen an der Grenze dabei unterstützen können, das Potenzial dieser Regionen vollumfänglich zu nutzen.

2. ANHALTENDE SCHWIERIGKEITEN

Im Anschluss an eine öffentliche Online-Konsultation in allen EU-Sprachen und nach Nachforschungen bzw. einem Austausch mit Interessenträgern10 hat die Kommission diverse Probleme aufgedeckt, die sich Unternehmen und Menschen in Grenzregionen stellen. Diese Schwierigkeiten treten zwar nicht immer ausschließlich in Grenzregionen auf, sind dort jedoch wegen der Häufigkeit und Intensität im Hinblick auf die grenzübergreifende Interaktion besonders dringlich.

Beispiele: Leben in der Grenzregion

Diese Beispiele zeigen, dass viele Aspekte des Lebens in Grenzregionen übermäßig kompliziert und aufwendig sind. Gleichzeitig kamen in der öffentlichen Konsultation und der Studie auch diverse äußerst positive Beispiele für europäische Integration und Chancen, die die Grenzregionen bieten, zur Sprache.

Inspirierende Beispiele wie diese, wo die Chancen, die eine Grenzregion birgt, den Menschen dort einen Vorteil bringen, sind zu rar gesät.

Die Kommission hat analysiert, wie teuer die Komplexität der grenzübergreifenden Zusammenarbeit und die doppelte Bereitstellung von Dienstleistungen kommen. Eine aktuelle Studie13 zu den wirtschaftlichen Auswirkungen der grenzbezogenen Hindernisse auf das BIP und das Beschäftigungsniveau in Grenzregionen an den Binnenlandgrenzen legt nahe, dass diese Regionen durchschnittlich 8 % reicher sein könnten, wenn alle Hemmnisse beseitigt würden und alle dieselbe Sprache sprächen.14 Dieses Szenario ist weder zu erreichen noch wünschenswert, da Europa auf Vielfalt und Subsidiarität aufgebaut ist. Würden jedoch nur 20 % der derzeit bestehenden Hindernisse abgebaut, so würde das BIP in den Grenzregionen auch schon um 2 % steigen. Die Auswirkungen auf die Arbeitsplätze dürften mit potenziell mehr als 1 Million neuer Stellen ebenfalls bedeutend sein. Grenzbezogene Hemmnisse schränken derzeit die Nutzung produktiver Aktiva ein und erschweren es, Größenvorteile zu erreichen. Ferner verursachen sie den Menschen und den Unternehmen Kosten. Diese negativen wirtschaftlichen Auswirkungen variieren zwar je nach Mitgliedstaat, sind jedoch in Ländern, in denen die Grenzregionen einen erheblich Teil zum nationalen BIP beitragen, deutlich größer.

Aufgezeigt wird außerdem, dass es keine einfachen Lösungen gibt und dass die Entstehung von Problemen in den Grenzregionen nebst ihren Lösungen ein komplexer Prozess ist, der alle Regierungs- und Behördenebenen betrifft. Wie viele Interessenträger darlegten, werden die grenzbezogenen Schwierigkeiten stets vor Ort wahrgenommen, die Lösungen jedoch selten vor Ort gefunden. Wenn die Hindernisse beseitigt oder die Komplexität genommen werden soll, müssen alle Regierungs- und Verwaltungsebenen Hand in Hand arbeiten.

3. HANDLUNGSANSÄTZE

In diesem Kapitel werden die Bereiche vorgestellt, die gemäß den vorbereitenden Arbeiten der Kommission mit den Interessenträgern (Studie, Konsultation und Workshops) über ein großes Potenzial für die Beseitigung weiterer Hürden verfügen. Ferner wird die Rolle der Kommission bei der Ergreifung positiver Schritte sowohl zu ihren eigenen Maßnahmen als auch zur Unterstützung anderer wichtiger Beteiligter umrissen.

In jedem Abschnitt werden kurz die festgestellten Probleme beschrieben und anhand von Beispielen und/oder bewährten Verfahren verdeutlicht (in der begleitenden Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen werden diese genauer dargelegt). Ferner gibt es einen kurzen Einblick in laufende Maßnahmen der Kommission oder der nationalen Institutionen und ggf. Vorschläge und Empfehlungen für neue Maßnahmen der Kommission bzw. der Mitgliedstaaten und anderer Interessenträger.

Die Durchführung der zehn nachstehend aufgeführten Maßnahmen wird durch die Schaffung einer "Anlaufstelle,Grenze"" bei der Kommission erleichtert. Die Aufgaben der Anlaufstelle "Grenze" werden Folgendes umfassen:

3.1. Vertiefung der Zusammenarbeit und des Austauschs

Neue Initiativen der Kommission werden die gewünschten positiven Auswirkungen für Grenzregionen nicht vollständig entfalten, solange die wirksamen Mechanismen für die grenzübergreifende Zusammenarbeit nicht ausgebaut werden. Diese Mechanismen, ob sie nun institutionalisiert sind oder nicht, müssen die mehrstufige Regierungsdimension bei der politischen Entscheidungsfindung in der EU widerspiegeln. Einige solche Kooperationsmechanismen gibt es bereits.

Bewährtes Verfahren: Auf zwischenstaatlicher Ebene richteten der Nordische Ministerrat und die Benelux-Union Verfahren zur Ermittlung und Behebung bilateraler grenzbezogener Hemmnisse ein. Auf regionaler Ebene entwickelten die Oberrheinkonferenz oder das Greater Copenhagen and Skåne Committee institutionalisierte Lösungen, wie ein lokales Hindernis ermittelt und darauf reagiert werden kann.

Die Kommission fordert die Mitgliedstaaten und Regionen auf, regelmäßige Dialoge zu grenzbezogenen Themen weiter auszubauen. Grundlegenden Konzepten der europäischen Integration, z.B. die gegenseitige Anerkennung oder Angleichung von Regelungen und Verfahren, sollten die Mitgliedstaaten und Regionen mehr Beachtung schenken. Sie werden gebeten, die bestehenden Möglichkeiten zur Schließung von Vereinbarungen oder Abkommen vollumfänglich zu nutzen. Beispielsweise könnten die vier makroregionalen Strategien15 einen angemessenen Rahmen für eine grenzübergreifende institutionelle Zusammenarbeit bieten. Ist, wie bei vielen Rechtsakten zum Umweltschutz der Fall, die Zusammenarbeit eine explizite Anforderung der EU-Rechtsvorschriften, so sollte davon auch umfassend Gebrauch gemacht werden.

Maßnahme: Zur Unterstützung dieses Prozesses und zur Gewährleistung des Austauschs bewährter Verfahren wird die Kommission ein EU-weites Online-Expertennetz einrichten, in dem die entsprechenden Interessenträger rechtliche und verwaltungstechnische Probleme bei der grenzübergreifenden Zusammenarbeit vorstellen und diskutieren können. Dieses Netz wird auf Futurium laufen - einer von der Kommission bereits eingerichteten Onlineplattform - und von der Kommission über die Anlaufstelle "Grenze" betreut.

Maßnahme: Darüber hinaus wird die Kommission vor Ende 2017 eine offene Aufforderung für Pilotprojekte veröffentlichen. Diese wird sich an Behörden richten, die mindestens ein grenzspezifisches rechtliches oder verwaltungstechnisches Problem angehen möchten. Die Projekte könnten beispielsweise auf die Verbesserung der Kompatibilität der Verwaltungssysteme, die Erleichterung der Arbeitskräftemobilität durch verbesserte Möglichkeiten für eine Anerkennung der Qualifikationen oder die Gewährleistung einheitlicher Rechtsstandards abzielen. Anhand dieser Projekte werden dann innovative Lösungsansätze für grenzbezogene Probleme ausgelotet. Die Projektergebnisse werden zusammengetragen, großflächig verbreitet und zur Sensibilisierung und zum Kapazitätsaufbau bei wichtigen Beteiligten herangezogen. Die Aufforderung wird allen öffentlichen Stellen offenstehen, die sich bei der Lösung grenzbezogener Probleme im ihrem Kompetenzbereich einbringen möchten. Bis zu 20 Pilotprojekte werden aufgrund ihres hohen Demonstrationswerts und Grads der Reproduzierbarkeit ausgewählt.

3.2. Verbesserung des Legislativverfahrens

Die ermittelten grenzbezogenen Schwierigkeiten rühren zu einem erheblichen Teil daher, dass in den nationalen Rechts- und Verwaltungssystemen verschiedene Regelungen nebeneinander gelten. Selbst wenn es einen europäischen Rechtsrahmen gibt, verfügen die Mitgliedstaaten über ein gewisses Maß an Flexibilität und Ermessensspielraum bei der Umsetzung dieser Rechtsvorschriften in ihre nationalen Systeme. Oftmals werden bestimmte, in den EU-Rechtsvorschriften festgelegte Standardvorgaben recht unterschiedlich in den Mitgliedstaaten gehandhabt. Wenn also zwei verschiedene Systeme an einer Binnengrenze zusammentreffen, kann dies zu Schwierigkeiten - oder gar rechtlicher Unsicherheit - und zusätzlichen Kosten führen.

Beispiel: Die Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe sieht in 19 Fällen Mindeststandards vor, z.B. bei der Festlegung bestimmter Fristen. Somit besteht 19 Mal die Möglichkeit, dass sich die grenzübergreifende öffentliche Auftragsvergabe als besonders schwierig erweist, da manche Mitgliedstaaten längere Fristen vorgeben als andere.

Die Kommission schlug in ihrem Paket "Bessere Rechtsetzung"16 aus dem Jahr 2015 Maßnahmen vor, die gewährleisten sollten, dass territorialen Aspekten in politischen Optionen Rechnung getragen wird. Dies geschieht hauptsächlich durch Durchführung belastbarer Folgenabschätzungen der Rechtsvorschriften, die territoriale Elemente beinhalten.

Bewährtes Verfahren: Eine unabhängige Stelle (Institute for Transnational and Euregional cross border cooperation and mobility der Universität Maastricht) bewertet in Folgenabschätzungen die grenzübergreifenden Auswirkungen künftiger nationaler und EU-Rechtsvorschriften; Grundlage hierfür ist ein Arbeitsprogramm, das zusammen mit nationalen, regionalen und lokalen Interessensträgern entlang der Grenze zwischen den Niederlanden und Deutschland bzw. Belgien ausgearbeitet wurde.17

Maßnahme: Die Kommission wird bei Bedarf weitere Anstrengungen unternehmen, um grenzbezogene Auswirkungen mit den bestehenden Methoden und Hilfsmitteln zu ermitteln. Über die Anlaufstelle "Grenze" und das oben erläuterte Expertennetz möchte die Kommission die Interessenträger in diesem Prozess mehr einbinden.

Maßnahme: Um die Mitgliedstaaten bei den notwendigen Koordinierungsbestrebungen während der nationalen Umsetzungsphase zu unterstützen, wird die Anlaufstelle "Grenze" mit Fachwissen und Ratschlägen zu regionalen grenzbezogenen Aspekten zur Seite stehen. Grundlage hierfür sind u.a. die Ergebnisse der oben genannten Pilotprojekte und bereits erprobte bewährte Verfahren.

3.3. Möglichkeit der grenzübergreifenden öffentlichen Verwaltung

Die EU-Mitgliedstaaten verfügen über unterschiedliche Verwaltungskulturen und -systeme. Diese Vielfalt kann zum Problem werden, wenn die verschiedenen Systeme aufeinandertreffen. Die meisten Verwaltungsverfahren sind eher national ausgerichtet und grenzübergreifende Verfahren sind eher rar. Allerdings benötigen die entsprechenden Interessenträger regelmäßig durchaus auch nicht rein nationale Verfahren. Fehlt es an einem gemeinsamen Ansatz oder Verständnis und gibt es nur wenige gegenseitig anerkannte Dokumente, so können langwierige und teure Verfahren die Folge sein, selbst für wichtige Ereignisse im Leben.

Beispielsweise haben einige Behörden die elektronische Verwaltung früher angeboten als andere - dies kann zu Problemen bei der Interaktion mit dem Nachbarland führen, vor allem wenn Dokumente oder Formulare benötigt werden. Die angebotene elektronische Verwaltung ist eher an die Nutzung im Inland als auf die grenzübergreifende Komponente ausgerichtet.18 Die Interoperabilität der elektronischen Systeme der Behörden ist noch eingeschränkt.

Beispiel: In Dänemark interagieren Menschen und Behörden größtenteils digital. Für die Pendlerinnen und Pendler aus den Nachbarländern kann sich die Erlangung der notwendigen Identifikation und benötigten Zugangsrechte als komplex erweisen. Beispielsweise kann es infolge enger Fristen für die Ausgabe der Steueridentifikationsnummer (skattepersonnummer) zu Verzögerungen bei der Planung von Arbeitsverträgen oder der Krankenversicherung kommen. Werden gewisse Aspekte außerhalb des digitalen Systems bearbeitet, so besteht die Gefahr, dass Verzögerungen entstehen und Fristen verpasst werden.

Die Kommission legt in ihrem EU-eGovernment-Aktionsplan 2016-2019 gemeinsame langfristige Ziele für offene, effiziente und inklusive Behörden fest, die grenzübergreifende, personalisierte, über alle Abläufe hinweg vollständig digitalisierte öffentliche Dienste anbieten. Vorgeschlagen werden - wenn auch eher generell - Maßnahmen und Instrumente, die für Grenzregionen von besonderer Relevanz sind, z.B. der Grundsatz der einmaligen Erfassung (d.h. Angaben werden Behörden ungeachtet des Herkunftslandes nur einmal übermittelt20) und ein Instrument zur automatischen Übersetzung für Behörden21.

Maßnahme: Die regionalen/lokalen Behörden der Mitgliedstaaten müssen sich der Herausforderung des eGovernment stellen und konkrete Schritte unternehmen, die für die Menschen in der Grenzregion etwas bewegen. Die Kommission wird diesen Prozess unterstützen, indem sie bereits eingerichtete elektronische Lösungen bei den Interessenträgern und den Behörden, die vom grenzübergreifenden Datenaustausch am stärksten betroffen sind, aktiv fördert. Dazu wird die Kommission darauf achten, dass ihre laufenden und künftigen eGovernment-Projekte die Interessenträger einbinden, damit grenzbezogene öffentliche Dienstleistungen angeboten werden, die den Bedürfnissen der Menschen und Unternehmen auch entsprechen. Erfolgreiche laufende Projekte, wie die gegenseitige Anerkennung der elektronischen Identifizierung eID oder der elektronische Austausch von Sozialversicherungsdaten (EESSI), bieten dafür eine starke Grundlage.

3.4. Bereitstellung zuverlässiger und verständlicher Informationen und Unterstützung

Die Beseitigung grenzbezogener Hindernisse erfordert Zeit und anhaltende Anstrengungen. In der Zwischenzeit ist Zugang zu bereitgestellten und zuverlässigen Informationen und hilfreichen Diensten zum Leben oder Arbeiten auf der anderen Seite der Grenze von entscheidender Bedeutung. Bei den vorbereitenden Arbeiten für die vorliegende Mitteilung wurden die Bedenken der Menschen und Unternehmen in Bezug auf mangelnde zuverlässige Informationsdienste deutlich, was zu rechtlicher Unsicherheit führen kann, die die grenzübergreifende Interaktion behindert oder die Durchführung von grenzübergreifenden Projekten verlängert bzw. verteuert.

Bewährtes Verfahren: INFOBEST22, ein zunächst von Interreg finanziertes Netz zentraler Anlaufstellen im Dreiländereck Frankreich/Deutschland/Schweiz am Oberrhein, stellt den Bürgerinnen und Bürgern derzeit zuverlässige Informationen zu allen grenzbezogenen Aspekten des Lebens in der Grenzregion zur Verfügung, u.a. Beschäftigung und Bildung, und unterstützt eine grenzübergreifende Schnittstelle zu verschiedenen Behörden.

Europaweite Dienste und Instrumente wie "Ihr Europa", das Binnenmarktinformationssystem und das SOLVIT-Netz sind in diesem Zusammenhang nützlich.

Maßnahme: Die Kommission schlug kürzlich den Verordnungsentwurf für ein zentrales digitales Zugangstor23 vor, das, wenn es denn angenommen wird, Menschen und Unternehmen die Möglichkeit bieten wird, über ein zentrales digitales Zugangstor qualitativ hochwertige Informationen abzurufen oder online auf Verwaltungsverfahren und Hilfsdienste zuzugreifen. Das zentrale digitale Zugangstor sieht die erstmalige Anwendung des Grundsatzes der einmaligen Erfassung auf EU-Ebene vor, indem für eine Reihe von wesentlichen Verfahren Nachweise direkt zwischen den zuständigen Behörden verschiedener Mitgliedstaaten ausgetauscht werden können. Auch werden die Nutzerinnen und Nutzer um Rückmeldung gebeten, um so stets auf deren Bedürfnisse eingehen zu können und Informationen zu Hemmnissen für den Binnenmarkt zu sammeln.

Maßnahme: Die Kommission verpflichtet sich in ihrer kürzlich angenommenen Mitteilung "Aktionsplan zur Stärkung von SOLVIT: Die Vorteile des Binnenmarkts für die Bürgerinnen und Bürger sowie die Unternehmen erschließen"24, SOLVIT bei den Mitgliedstaaten zu stärken, sodass mehr Menschen und Unternehmen Lösungen für ihre grenzbezogenen Fragen erhalten.

3.5. Unterstützung der Beschäftigung im Nachbarland

Die vorbereitenden Arbeiten ergaben, dass die Arbeitskräftemobilität der wichtigste Bereich ist, der direkt von grenzbezogenen Hindernissen betroffen ist. Betroffen sind vor allem Grenzpendlerinnen und Grenzpendler, die auf der einen Seite der Grenze leben und jeden Tag oder jede Woche ins Nachbarland zur Arbeit fahren.25

Diverse Instrumente und Koordinierungsmechanismen, die eine Beschäftigung im Nachbarland erleichtern, bestehen auf europäischer Ebene bereits, wie das Europäische Netz der Arbeitsvermittlungen (EURES), Regelungen zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, der Europäische Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen, der das Verständnis von und den Vergleich der Qualifikationen unterstützt, der Europass-Rahmen, mit dem die Menschen ihre Kompetenzen und Qualifikationen angeben, die europäische Klassifizierung für Fähigkeiten/Kompetenzen, Qualifikationen und Berufe und der Europäische Berufsausweis, ein EU-weites digitales Verfahren für die Anerkennung beruflicher Qualifikationen. In puncto Finanzierung unterstützen sowohl das Programm der EU für Beschäftigung und soziale Innovation (EaSI) als auch der Europäische Sozialfonds die Arbeitskräftemobilität in Grenzregionen. Das Unterprogramm EURES des EaSI-Programms unterstützt grenzübergreifende Partnerschaften, die Grenzgängern und ihren Arbeitgebern Informations- und Vermittlungsdienste bereitstellen.

Bewährtes Verfahren: Die Sozialversicherungs- und Arbeitsinspektionen von Galicien und von Nordportugal richteten ein von der lokalen grenzübergreifenden EURES-Partnerschaft unterstütztes Netz ein, das eine schnellere Beseitigung von Hindernissen für die grenzübergreifende Mobilität von Arbeitgebern und Arbeitnehmern ermöglicht. Sie entwickelten wirksame Kooperationsbrücken zwischen den Trägern der sozialen Sicherheit und der Arbeitsinspektion in der Grenzregion.

Allerdings haben die positiven Effekte dieser Maßnahmen/Instrumente ihr volles Potenzial in Grenzregionen noch nicht entfaltet. Es gibt noch Spielraum für Verbesserungen bei bestimmten Verfahren, z.B. Abschluss einer Lehre, vollständige Anerkennung der Kenntnisse und Fertigkeiten, Zugang zu freien Stellen, Identifizierung von Arbeitskräften, Erlangung von Rechtssicherheit bei Steuerproblemen, Gewährleistung einer vollständigen Abdeckung im Bereich soziale Sicherheit, Erlangung einer Berufshaftpflichtversicherung für medizinisches Personal, komplizierte Verfahren zur Erlangung von Berufsbescheinigungen. Die Bereitstellung von Informationen, auch an Einzelpersonen und an Arbeitgeber, sowie die Datenerhebung für eine Entscheidungsfindung sind weitere Bereiche mit Verbesserungspotenzial.

Maßnahme: Mitgliedstaaten und regionale Behörden werden aufgefordert, die Zusammenarbeit zwischen den öffentlichen Arbeitsverwaltungen - auch gemeinsame grenzübergreifende Arbeitsverwaltungen - in Grenzregionen zu stärken, damit der Zugang zu Informationen und Stellen im grenzübergreifenden Arbeitsmarkt gestärkt wird. Erprobte Vorgehensweisen werden über das oben angesprochene vorgeschlagene Expertennetz in größerem Ausmaß bereitgestellt.

3.6. Förderung der Mehrsprachigkeit in Grenzregionen

Der Reichtum an Kulturen und Traditionen in Europa ist ein großer Vorteil. Mehrsprachigkeit ist ein Ziel der europäischen Integration. Fremdsprachenkenntnisse werden auch immer wichtiger, wenn die Beschäftigungsfähigkeit, die Mobilität und die Wettbewerbsfähigkeit ausgebaut werden sollen; dies ist in Grenzregionen von besonderer Bedeutung.

Bewährtes Verfahren: Die "Frankreich-Strategie", die das deutsche Bundesland Saarland 2014 annahm26, fördert einen zweisprachigen Ansatz auf allen Verwaltungsebenen. Unterstützt wird das durch den Lehrplan mit Französisch ab der Vorschule als Pflichtfach. Damit sind mehr als die Hälfte aller Kindergärten in dem Gebiet zweisprachig.

Dennoch sahen bei der öffentlichen Konsultation für die vorliegende Mitteilung viele die Sprache als Grund für Schwierigkeiten an. Die Erfahrungen von entsprechenden Interessenträgern zeigen oftmals, dass der unflexible Gebrauch unterschiedlicher Sprachen auf beiden Seiten der Grenzen die Verwaltung träger macht und sinnvollen Austausch zwischen den Verwaltungen und Einzelpersonen ausbremst.

Die Kommission verfolgt eine Strategie des Rates, die auf dem von den Staats- und Regierungschefs der EU festgelegten Ziel fußt, dass alle Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit haben sollten, von klein auf zwei Fremdsprachen zu lernen.27 In den Grenzregionen wäre eine dieser Sprachen idealerweise die des Nachbarlandes. Das Sprachenlernen ist auch eine bereichsüberspannende Priorität des Europäischen Finanzierungsprogramms für allgemeine und berufliche Bildung, Jugend und Sport, Erasmus+. Das Programm kann das Sprachenlernen in Grenzregionen in vielerlei Hinsicht unterstützen.

Maßnahme: Mitgliedstaaten, Regionen und Gemeinden werden aufgerufen, mit Angeboten für lebenslanges Lernen die Bestrebungen zur Förderung der Zweisprachigkeit in Grenzregionen aufzuwerten. Die bestehenden bewährten Verfahren sollten als Inspiration dienen und werden von der Kommission weiter gefördert. Die vorhandenen

Finanzierungsinstrumente wie Erasmus+ oder die Interreg-Programme für eine grenzübergreifende Zusammenarbeit werden ggf. zur weiteren Unterstützung herangezogen.

3.7. Erleichterung der grenzübergreifenden Zugänglichkeit

Der Verkehr ist ein zentraler Aspekt, wenn der Austausch zwischen Regionen über nationale Grenzen hinweg ermöglicht werden soll. Vor allem die öffentlichen Verkehrsdienste fördern nicht nur die Integrationsverfahren, sondern auch die Nachhaltigkeit der grenzübergreifenden Konnektivität. Fehlende, nicht ausreichende oder qualitativ minderwertige Verkehrsdienste sind für viele Menschen in Grenzregionen noch die Realität. Betroffen sind drei Ebenen:

Bewährtes Verfahren: Interreg finanziert Projekte für grenzübergreifende Mobilität, die zum Großteil in der KEEP28-Datenbank gelistet sind. So entwickelten beispielsweise die Anbieter von öffentlichen Verkehrsdiensten im Dreiländereck Deutschland/Niederlande/Belgien eine gemeinsame Plattform (http://mobility-euregio.com) mit kombinierten Fahrplänen, gemeinsamer Preisgestaltung und einem modernisierten Fahrscheinausstellungssystem. An der Grenze zwischen Deutschland und der Schweiz wurde eine neue Buslinie von Grenzach-Wyhlen (DE) nach Basel (CH) eingesetzt, um den 1900 Pendlerinnen und Pendlern vor Ort gerecht zu werden (Gesamtbevölkerung: 14 000 Menschen).

Auf EU-Ebene sind eine stärkere Harmonisierung und Koordinierung von technischen und rechtlichen Normen, ebenso wie die Erlangung der Interoperabilität im Verkehrsbereich wichtige Prioritäten. Die Koordinierung und Harmonisierung wurde im Bereich TEN-V erfolgreich umgesetzt; dies kann auch über den Verkehrsbereich hinaus als Vorbild dienen. Ein Beispiel: Bei der Bereitstellung von EU-weiten multimodalen Reiseinformationsdiensten werden künftig die EU-Rechtsvorschriften angemessene Rahmenbedingungen bieten, damit alle relevanten Interessenträger entlang der Reiseinformationswertschöpfungskette zusammenarbeiten können.29

Maßnahme: Eine Studie der Kommission zu fehlenden Bahnverbindungen entlang den Binnengrenzen wird 2018 vorgestellt. Sie wird den Interessenträgern über die Anlaufstelle "Grenze" bereitgestellt.

Maßnahme: Die Organisation und Durchführung von öffentlichen grenzübergreifenden Verkehrsdiensten obliegt der nationalen, der regionalen und der lokalen Ebene. Die Mitgliedstaaten, Regionen und Gemeinden werden daher aufgefordert, größere Anstrengungen zu unternehmen, um den Menschen qualitativ bessere, integriertere öffentliche Verkehrsdienste zu bieten. Die Anlaufstelle "Grenze" wird die bewährten Verfahren zugänglich machen und ggf. Ratschläge von Sachverständigen anbieten.

3.8. Förderung der Bündelung von Einrichtungen des Gesundheitswesens

Eine Priorität der EU ist es, die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten zu fördern, damit die Komplementarität der Gesundheitsfürsorge in Grenzregionen gesteigert wird.30 Für die Erstattung von Ausgaben im Gesundheitswesen im Ausland gibt es verschiedene Strukturen und Grundsätze; dies führt z.B. zu unterschiedlichen und komplexen Verfahren für die vorherige Genehmigung von Gesundheitsfürsorgeleistungen und die Zahlungen/Erstattungen, zu Verwaltungsaufwand bei der Konsultation von Spezialisten im Nachbarland, zu Inkompatibilität beim Technologieeinsatz und beim Austausch von Patientendaten, oder zum Fehlen von vereinheitlichten zugänglichen Informationen, darunter Informationen in der Sprache des Patienten. Eine eingeschränkte Zugänglichkeit von beiden Seiten der Grenze steht damit der vollumfänglichen Nutzung der Einrichtung des Gesundheitswesens entgegen. Auch Notfall- und Rettungsdienste werden bei grenzübergreifenden Einsätzen manchmal aufgehalten.

Bewährtes Verfahren: Die institutionalisierte Vereinbarung zur Einrichtung von sieben organisierten Zonen für die grenzübergreifende Gesundheitsfürsorge an der französischbelgischen Grenze31 wird von über 20 000 Menschen genutzt, die seitdem näher an ihrem Wohnort, und zwar im Nachbarland, Gesundheitsversorgungsleistungen in Anspruch nehmen.

Maßnahme: Eine umfassende Kartierung der grenzübergreifenden Zusammenarbeit bei der Gesundheitsversorgung in der gesamten EU durch die Kommission wird bewährte Verfahren ermitteln und künftige Herausforderungen analysieren. Sie wird 2018 vorgestellt und den Interessenträgern über die Anlaufstelle "Grenze" bereitgestellt. Die Kommission will im Laufe des Jahres 2018 ferner eine strategische Veranstaltung organisieren, um die bewährten Verfahren für die grenzübergreifende Zusammenarbeit bei der Gesundheitsfürsorge zu würdigen und zu eruieren, wie diese in der gesamten Union weiterentwickelt werden kann.

3.9. Berücksichtigung des Rechts- und Finanzrahmens für die grenzübergreifende Zusammenarbeit

Die EU führte diverse Rechts- und Finanzinstrumente ein, um die Zusammenarbeit über die europäischen Grenzen hinweg zu vereinfachen. Beispielsweise ermöglicht es der Europäische Verbund für territoriale Zusammenarbeit32 Körperschaften aus zwei oder mehr Mitgliedstaaten, in einer gemeinsamen Struktur mit Rechtspersönlichkeit zusammenzuarbeiten. Dies erleichtert oftmals die grenzübergreifende Zusammenarbeit und bietet regionalen und lokalen Behörden die Möglichkeit der Zusammenarbeit, ohne dass auf Ebene des Mitgliedstaats eine Vereinbarung zu ratifizieren ist. Allerdings eignet sich ihre spezifisch institutionelle Natur nicht immer zur Beseitigung rechtlicher und administrativer Hindernisse.

Bewährtes Verfahren: Der EVTZ

Eurometropole Lille/Tournai/Kortrijk33 ist die größte grenzübergreifende Metropole in Europa. Er vereint 14 Institutionen aus Frankreich und Belgien (nationale Behörden, regionale und lokale Behörden, Entwicklungsagenturen), die zusammenarbeiten, um den "Grenzeffekt" zu beseitigen und ihren 2,1 Millionen Einwohnern den Alltag zu erleichtern.

Maßnahme: Einige Mitgliedstaaten erwägen derzeit den Mehrwert eines neuen Instruments, das es - auf freiwilliger Basis und in Absprache mit den zuständigen Behörden - ermöglichen würde, für zeitlich begrenzte spezifische Projekte oder Maßnahmen, die in der Grenzregion durchgeführt werden und von den lokalen und/oder regionalen Behörden ins Leben gerufen wurden, die Regelungen eines Mitgliedstaats im Nachbarmitgliedstaat anzuwenden. Die Kommissionsdienststellen verfolgen dies aufmerksam. Unter Berücksichtigung der Nachweise, die die in Abschnitt 3.1 angesprochenen Pilotprojekte erbringen, wird die Kommission Optionen erwägen, wie ein solches Instrument weiterentwickelt werden kann.

Maßnahme: Die Mitgliedstaaten und die europäischen Organe sollten frühzeitig in Dialog treten, um zu eruieren, wie künftige Finanzierungsprogramme einen strategischeren Beitrag zur Vermeidung und Beseitigung von grenzbezogenen Hindernissen und zur Entwicklung von grenzübergreifenden öffentlichen Dienstleistungen leisten können.

3.10. Dokumentation der grenzübergreifenden Interaktion für eine fundierte Entscheidungsfindung

Daten und Belege zu grenzbezogenen Hindernissen zu sammeln, ist der erste notwendige Schritt bei deren Beseitigung, doch in die Erhebung und Analyse von Informationen zu grenzbezogenen Schwierigkeiten und Komplexitäten werden nur begrenzt Mittel investiert. Hervorragende Beispiele für die Informationserhebung und -analyse gibt es in Frankreich34 und in Ungarn35.

Ganz ähnlich besteht auch weniger Spielraum für die Entwicklung einer echten grenzübergreifenden Strategie und die Entscheidungsfindung, wenn statistische und raumbezogene Geodaten zu grenzübergreifenden Strömen nur begrenzt bereitgestellt werden. Es wurden einige regionale Anstrengungen unternommen, auf denen andere Regionen aufbauen könnten.

Bewährtes Verfahren: Das Datenportal für die Großregion36 in und um Luxemburg sammelt Daten von fünf nationalen und regionalen Statistikämtern, um gegenüber politischen Entscheidungsträgern die grenzübergreifenden Ströme und territorialen Trends in einer Gegend nachzuweisen, die sich durch einen hohen Grad an Interaktion auszeichnet (z.B. 200 000 Wanderarbeitskräfte).

Statistische und raumbezogene Geodaten zu den grenzübergreifenden Strömen und Phänomenen sind nicht immer ausreichend vorhanden oder standardisiert, um den politischen Entscheidungsträgern fundierte Entscheidungen zu ermöglichen. Mitgliedstaaten sollten koordiniert vom Statistischen Amt der Europäischen Union innovative Methoden zur Datenerhebung ausloten (z.B. Georeferenzierung oder Geokodierung), die sofort für eine grenzübergreifende Analyse eingesetzt werden können, z.B. rasterbasierte Daten.

Maßnahme: Die Kommission finanziert derzeit ein einjähriges Pilotprojekt mit Statistikämtern zum Testen der potenziellen Nutzung von Daten der Arbeitskräfteerhebung, Verwaltungs- und Volkszählungsdaten und Mobilfunkdaten. Diese Kooperationsarbeit mit den Mitgliedstaaten sollte basierend auf den 2018 bereitstehenden Ergebnissen des Pilotprojekts weiterverfolgt und verstärkt werden.

Maßnahme: Die Kommission arbeitet derzeit mit dem Europäischen Beobachtungsnetz für Raumordnung (ESPON), einem Programm zur territorialen Zusammenarbeit, zwecks weiterer Förderung der territorialen Forschung in Verbindung mit Grenzregionen zusammen. Die Kommission baut außerdem auf erfolgreichen Aktivitäten zur territorialen Forschung auf, die aus dem Siebten Rahmenprogramm für Forschung und technologische Entwicklung, aus Horizont 2020 und über die Gemeinsame Forschungsstelle finanziert werden. Auf diese Arbeit wird die Anlaufstelle "Grenze" zurückgreifen, um im Hinblick auf die Herausforderungen, die sich Gemeinden an der Grenze stellen, fundierte Entscheidungen zu fördern.

4. Schlussfolgerungen

Die Grenzregionen an den EU-Binnengrenzen tragen erheblich zum sozioökonomischen Reichtum Europas bei. Es handelt sich um geografische Gebiete, in denen Menschen, Unternehmen und Behörden die Prozesse der europäischen Integration im Alltag erleben.

Es kann nachweislich viel erreicht werden, wenn die negativen Auswirkungen der territorialen, rechtlichen und administrativen Diskontinuitäten, die in den Grenzregionen bestehen, abgebaut werden.

Um das Potenzial der Grenzregionen besser zu nutzen, sind Maßnahmen auf EU-Ebene in Zusammenarbeit mit Mitgliedstaaten, Regionen und anderen Interessenträgern erforderlich. Die Kommission muss hierbei eine wichtige Rolle übernehmen. Sie kann in ihren Kompetenzbereichen direkt tätig werden, wenn sie Rechtsvorschriften oder Finanzierungsmechanismen vorschlägt. Genauso wichtig ist es, dass sie ferner die Mitgliedstaaten und Regionen dabei unterstützen kann, die Herausforderungen besser zu verstehen und operative Vorkehrungen zu entwickeln, insbesondere durch die Förderung von Informationsaustausch und Weitergabe erfolgreicher Verfahren.

Der EU-Haushalt hat zur Entwicklung von Grenzregionen in den vergangenen 25 Jahren erheblich beigetragen. Künftige Finanzierungsprogramme sollten daran möglichst wirksam und effizient anknüpfen und sich dabei auf Bereiche mit einem besonders hohen EU-Mehrwert fokussieren. Es könnte z.B. in Erwägung gezogen werden, die Lösung grenzbezogener Schwierigkeiten zum Kernstück der Programme für eine grenzübergreifende Zusammenarbeit zu machen. Ganz ähnlich sollten Lücken und fehlende Verbindungsstücke in verschiedenen Politikfeldern wie dem Verkehr ebenfalls ein zentraler Teil dieser Programme sein. Und schließlich könnte auch die Bündelung gemeinsamer öffentlicher Dienstleistungen in benachbarten Grenzregionen und die Notwendigkeit, Institutionen einzurichten, berücksichtigt werden.

Auch die Mitgliedstaaten und Regionen müssen bei diesem Prozess eine zentrale Rolle übernehmen - sie müssen in ihren Zuständigkeitsbereichen tätig werden und die Entstehung von Hindernissen vermeiden bzw. die bereits vorhandenen Hemmnisse beseitigen. Sie sollten eine größere Koordinierung (z.B. bei der Umsetzung von EU-Rechtsvorschriften), mehr gegenseitige Anerkennung und engere Angleichung an jeden Nachbarstaat durchaus in Erwägung ziehen.

Die Kommission wird noch 2017 und auch in den kommenden Jahren Maßnahmen wie oben dargestellt ergreifen. Die Anlaufstelle "Grenze" wird bald ihre Tätigkeiten aufnehmen, sodass die vorgeschlagenen Maßnahmen reibungslos durchgeführt werden können.

Ziel ist es aufzuzeigen, dass Grenzregionen ihren Beitrag zum sozioökonomischen Wohlstand der EU-Bevölkerung steigern und gleichzeitig ein Testgebiet für die europäische Integration zum Nutzen der europäischen Territorien und ihrer Einwohner werden können.