Beschluss des Bundesrates
Entschließung des Bundesrates zu dem geplanten Übereinkommen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika über den Schutz personenbezogener Daten und Informationsaustausch zu Strafverfolgungszwecken
(Datenschutz-Rahmenabkommen)

Der Bundesrat hat in seiner 877. Sitzung am 26. November 2010 beschlossen, die aus der Anlage ersichtliche Entschließung zu fassen.

Anlage
Entschließung des Bundesrates zu dem geplanten Übereinkommen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika über den Schutz personenbezogener Daten und Informationsaustausch zu Strafverfolgungszwecken (Datenschutz-Rahmenabkommen)

1.

Der Bundesrat begrüßt die Bemühungen der Europäischen Kommission, Vorgaben für ein Rahmenabkommen mit den Vereinigten Staaten von Amerika zu entwickeln, das einen einheitlichen Schutzstandard für personenbezogene Daten bei der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen gewährleisten soll.

2.

Der Bundesrat betont die Bedeutung, die dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung bei der Verarbeitung personenbezogener Daten für Strafverfolgungszwecke zukommt.

3.

Der Bundesrat erachtet angesichts der weitreichenden Wirkungen eines Rahmenabkommens sowohl auf bereits bestehende als auch auf zukünftige Rechtsinstrumente im Bereich der strafrechtlichen Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten von Amerika eine substantielle Beteiligung der nationalen Gesetzgebungsorgane und des Europäischen Parlaments an den Verhandlungen zum Rahmenabkommen für geboten.

4.

Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, bei der Erteilung des Mandates für Verhandlungen darauf hinzuwirken, dass diese auf den Abschluss eines völkerrechtlich verbindlichen Abkommens gerichtet sind, das den Schutz personenbezogener Daten effektiv gewährleistet. Der Bundesrat hält es deshalb für erforderlich, bei der Festlegung des Verhandlungsmandates folgende Eckpunkte aufzunehmen:

4.1

Die Übermittlung personenbezogener Daten ist ausnahmslos auf die Zwecke der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen zu begrenzen. Eine zu anderen Zwecken erfolgende Nutzung oder Verarbeitung der personenbezogenen Daten ist auszuschließen.

4.2

Die Übermittlung personenbezogener Daten ist insbesondere für solche Fälle auszuschließen, in denen das Risiko besteht, dass ihre Verwendung in einem Strafverfahren zur Verhängung der Todesstrafe führt.

4.3

Die Möglichkeit, das Abkommen unter Bezugnahme auf nationale Sicherheitsinteressen nicht anzuwenden, ist ebenso auszuschließen, wie eine Übermittlung von Daten an Drittstaaten.

Begründung:

Die Europäische Kommission hat am 26. Mai 2010 den Entwurf eines Verhandlungsmandates für ein Abkommen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika angenommen, das den Schutz personenbezogener Daten bei der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen regeln soll ( KOM (2010) 252). Der Entwurf beruht inhaltlich zum Teil auf Vorarbeiten einer 2006 von EU- und US-Seite eingerichteten Arbeitsgruppe (High-Level Contact Group on data protection). Er dient der Umsetzung der im Aktionsplan der Kommission zum Stockholmer Programm (KOM (2010) 171) vorgesehenen Empfehlung, Verhandlungen über ein Datenschutzabkommen für Strafverfolgungszwecke mit den Vereinigten Staaten aufzunehmen. Nach zwischenzeitlich erfolgter Anhörung im Innenausschuss des Europäischen Parlaments wird der EU-Ministerrat voraussichtlich am 3. Dezember 2010 das Verhandlungsmandat beschließen. Die beabsichtigte Vereinbarung soll keine eigenen Ermächtigungen zur Übermittlung personenbezogener Daten enthalten, sondern ist als Rahmenübereinkunft geplant, mit der Datenschutzstandards vorgegeben werden, die im Bereich der strafrechtlichen Zusammenarbeit, z.B. bei der Übermittlung von Zahlungsverkehrs- oder Fluggastdaten, einzuhalten sein werden.

Die Schaffung eines einheitlichen Rechtsrahmens für die Übermittlung personenbezogener Daten an die Vereinigten Staaten von Amerika ist grundsätzlich zu begrüßen.

Da die Erhebung, Nutzung und Verarbeitung personenbezogener Daten einen erheblichen Eingriff in die Rechte der Bürgerinnen und Bürger der EU darstellt, ist jedoch sicherzustellen, dass die in einem Rahmenabkommen enthaltenen Regelungen nicht hinter europäischen Datenschutzstandards zurückbleiben. Der Bundesrat hat insoweit in der Vergangenheit mehrfach die Bedeutung des Recht auf informationelle Selbstbestimmung und der Achtung des Privatlebens im Bereich der strafrechtlichen Zusammenarbeit hervorgehoben und die Notwendigkeit hoher Anforderungen an die Regelungen zur Datenübermittlung und Datenauswertung betont (BR-Drs. 151/10 (PDF) und BR-Drs. 826/07 (PDF) ).

Die Vorgaben des Rahmenabkommens sollen sowohl für bereits bestehende als auch für zukünftige Datenübermittlungsabkommen der EU und ihrer Mitgliedstaaten mit den Vereinigten Staaten von Amerika Geltung beanspruchen. Diese große Bedeutung des Abkommens erfordert es, dass neben der Mitwirkung des Europäischen Parlaments die Informations- und Mitwirkungsrechte der Länder im Rahmen der Vorbereitung und des Abschlusses völkerrechtlicher Verträge durch die EU beachtet werden.

Der Entwurf des Verhandlungsmandates enthält eine Vielzahl begrüßenswerter Verfahrensregelungen und Garantien, beispielsweise eine ausdrückliche Zuerkennung durchsetzbarer subjektiver Rechte Betroffener im Abkommen, das Ziel einer Verpflichtung beider Vertragspartner, unabhängige Kontrollstellen zur Überwachung der aus dem Abkommen erwachsenden datenschutzrechtlichen Verpflichtungen einzurichten oder die Aufnahme von Höchstspeicherfristen. Andererseits sollten nicht zuletzt wegen der Erfahrungen aus früheren Verhandlungen im Bereich der transatlantischen Zusammenarbeit im Bereich des Datenaustausches (SWIFT, Fluggastdaten) bereits in einem frühen Stadium die Schwachstellen der Verhandlungsrichtlinien aufgezeigt werden:

So ist die in Ziffer 7, 14. Spiegelstrich, der Verhandlungsrichtlinien enthaltene Möglichkeit, bei einer Weitergabe übermittelter Daten durch die empfangende Behörde an andere Stellen Ausnahmen von der strikten Zweckbindung zuzulassen, kritisch zu würdigen. Insbesondere die vorgesehene Option, solche Ausnahmen in bereichsspezifischen Abkommen zu regeln, dürfte zu einer erheblichen Schwächung des Datenschutzniveaus aus dem Rahmenabkommen führen. Dies und der Umstand, dass eine hinreichende Kontrolle, für welche Zwecke und in welchem Umfang personenbezogene Daten von EU-Bürgerinnen und Bürgern durch weitere Stellen verarbeitet werden, praktisch unmöglich ist, muss eine solche Datenverarbeitung generell ausgeschlossen werden.

Weiter enthält der Entwurf keine Beschränkung der Datenübermittlung auf den Einzelfall, womit also gegebenenfalls die anlasslose und präventive Übermittlung ganzer "Datenpakete" möglich bleibt.

Angesichts der Existenz der Todesstrafe in den Vereinigten Staaten erscheint außerdem eine Klarstellung erforderlich, dass bei ihrer drohenden Verhängung eine Datenübermittlung ausgeschlossen ist.

Auch die in Ziffer 11 der Verhandlungsrichtlinien enthaltene Möglichkeit, eine Vorschrift aufzunehmen, die bei zwingenden nationalen Sicherheitsinteressen eine Anwendung des Abkommens ausschließen kann, ist kritikwürdig. Der Begriff der nationalen Sicherheit steht in engem Zusammenhang mit der Bekämpfung des Terrorismus, bei der es sich um ein wesentliches Ziel des Abkommens handelt (vgl. Ziff. 1 der Verhandlungsrichtlinien), was die Frage der Reichweite einer solchen Ausnahmebestimmung aufwirft. Wegen des erheblichen Auslegungsspielraums besteht hier die Gefahr einer extensiven Anwendung der Ausnahmeregelung (so auch der Europäische Datenschutzbeauftragte in seiner Stellungnahme vom 18. Mai 2010, S. 4 f., KOM (2010) 252/3), die den Schutzstandard des Rahmenabkommens untergraben würde.

Die in Ziffer 7, 15. Spiegelstrich, vorgesehene Möglichkeit, empfangende Daten an Drittstaaten zu übermitteln, sofern eine vorherige schriftliche Zustimmung des ursprünglichen Übermittlungsstaates vorliegt, ist auszuschließen. Die beabsichtigte Verpflichtung, den Betroffenen über diesen weiteren Datentransfer zu informieren - "sofern möglich" - und das vorgesehene Erfordernis eines "adäquaten Datenschutzniveaus" des Drittstaates vermögen die mit einer solchen letztlich kaum zu kontrollierenden Datenverarbeitung einhergehenden Risiken für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht aufzuwiegen.

Letztlich muss sichergestellt werden, dass das beabsichtigte Abkommen über bloße Absichtserklärungen hinausgeht und völkerrechtlich verbindlich abgeschlossen wird. Nur so kann die unter Umständen erforderliche Verpflichtung der Vertragspartner zur Anpassung ihres Bestandes an Rechtsvorschriften erreicht werden.