Beschluss des Bundesrates
Entschließung des Bundesrates zur Entfristung der SED-Unrechtsbereinigungsgesetze

Der Bundesrat hat in seiner 964. Sitzung am 2. Februar 2018 die aus der Anlage ersichtliche Entschließung gefasst

Anlage

Entschließung des Bundesrates zur Entfristung der SED-Unrechtsbereinigungsgesetze

Begründung:

Zu Nummer 1

Zur Rehabilitierung von Opfern politischer Verfolgung in der DDR hat der Bundesgesetzgeber ein umfä

Die Antragstellung nach den drei Gesetzen zur Rehabilitierung von SED-Unrecht - Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG), Verwaltungsrechtliches Rehabilitierungsgesetz (VwRehaG) und Berufliches Rehabilitierungsgesetz (BerRehaG) ist nur bis zum 31. Dezember 2019 bzw. bis zum 31. Dezember 2020 für Leistungen nach dem Zweiten und Dritten Abschnitt des BerRehaG möglich. Die Bundesregierung hatte die Fristenregelung seinerzeit als ausgewogenen Kompromiss zwischen dem Bedürfnis der Verwaltungen der Länder nach Planungssicherheit einerseits und dem Anspruch der Betroffenen auf materielle Gerechtigkeit andererseits befürwortet.

Die derzeit geregelten Fristen lassen sich mit drei Aspekten begründen, zum einen mit der von der Bundesregierung vertretenen Position, zum anderen mit der Annahme, dass nach den geltenden Zeitpunkten aus tatsächlichen Gründen gar keine Anträge mehr erwartet werden könnten. Schließlich können die Antragsfristen mit dem allgemeinen Interesse an der Schaffung eines Rechtsfriedens gerechtfertigt werden, wie es in vielen Rechtsgebieten in Gestalt von Verjährungs- bzw. Verwirkungstatbeständen oder auch Antragsfristen zur Geltung kommt.

Dem gegenüber steht hier jedoch das Interesse des berechtigten Personenkreises an einem Ausgleich staatlich verschuldeten Unrechts. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass viele Opfer und Betroffene erst langsam die Fähigkeit erlangen, über das vor 1990 in der DDR erlittene Unrecht zu sprechen und sich mit Fragen der Rehabilitierung und ihnen möglicherweise zustehenden Leistungen auseinanderzusetzen. Dem steht entgegen, dass die Antragstellung auf strafrechtliche, verwaltungsrechtliche und berufliche Rehabilitierung derzeit befristet ist. Hierfür gibt es aus Sicht des Bundesrates keinen Grund.

Die Abwägung und der Ausgleich der sich gegenüberstehenden Interessen ist sicher nicht rechnerisch zu ermitteln, sondern letztlich Gegenstand einer Wertentscheidung. Der Bundesrat vertritt diesbezüglich folgende Position:

Die Fristenregelung dient in erster Linie einem administrativen, gegebenenfalls auch fiskalischen Zweck.

Es ist zu befürchten, dass durch den rein formal begründeten Ausschluss an sich berechtigter Ansprüche der Eindruck entsteht, dass hier ein gesellschaftspolitisch in hohem Maße relevantes Problem vor dem vollständigen Abschluss der Aufarbeitung - wenn man davon überhaupt sprechen kann - legislativ gewissermaßen "unter den Teppich" gekehrt wird. Denn die gesellschaftliche Bedeutung der Aufarbeitung des politisch motivierten staatlich verübten Unrechts in der DDR ist erheblich. Gerade in den Ländern, die auf dem Gebiet der DDR als Bestandteil der rechtsstaatlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland entstanden sind, stellt die einvernehmliche Überzeugung von der Bedeutung diesbezüglicher Vergangenheitsbewältigung einen gesellschaftlichen Grundkonsens dar, der in seiner konstitutiven Bedeutung für die Wertschätzung von Demokratie und Rechtsstaat nicht unterschätzt werden darf.

Auch die Antragszahlen der vergangenen zehn Jahre lassen nicht erkennen, dass der Prozess der Aufarbeitung und des Ausgleichs von Unrecht am 31. Dezember 2019 abgeschlossen sein wird. Zwar ist hier in der Tat ein signifikanter Rückgang der Antrags- und Bewilligungszahlen erkennbar, der den tatsächlichen Verhältnissen (Zeitablauf, Einführung eines letzten zahlenmäßig bedeutsamen Entschädigungstatbestandes nach § 17a StrRehaG im Jahr 2007) geschuldet ist. Gleichwohl lässt sich feststellen, dass beispielsweise allein in Thüringen, das mit rund 2,2 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern nur einen kleinen Anteil an der Gesamtbevölkerung hat, noch im Jahr 2016 in allen Bereichen der SED-Unrechtsbereinigungsgesetze (Anträge auf strafrechtliche, berufliche und verwaltungsrechtliche Rehabilitierung) insgesamt 485 Anträge gestellt wurden, davon allein 167 Anträge auf strafrechtliche Rehabilitierung nach § 1 StrRehaG. Hiernach ist durchaus damit zu rechnen, dass - sofern die Antragsfrist aufgehoben wird - auch im und nach dem Jahr 2020 noch Betroffene, die bislang nicht tätig geworden sind, Anträge stellen.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch das eingangs beschriebene Phänomen, dessen Bedeutung durch die Erfahrungen der letzten Jahre und auch die wissenschaftliche Beschäftigung (siehe nur "Verborgene Wunden: Spätfolgen politischer Traumatisierung in der DDR und ihre transgenerationale Weitergabe", 2015, Herausgeber Stefan Trobisch-Lütge und Karl-Heinz Bomberg) mit der Problematik deutlich geworden ist:

Die Auswirkungen der erlittenen Unrechtsmaßnahmen in Haft und anderen Lebensbereichen haben oft zu psychischen Traumatisierungen geführt, deren Auswirkungen sich teilweise erst lange nach den auslösenden Ereignissen zeigen, teilweise auch die Betroffenen lange Zeit daran hindern, ihre Ansprüche geltend zu machen. Denn die Wiederbeschäftigung mit den Ereignissen im Rahmen administrativer Verfahren, Begutachtungen und Ähnlichem birgt die Gefahr einer Retraumatisierung, so dass Betroffene erst spät den Mut finden, sich auf diese Weise erneut mit ihrer Geschichte zu befassen. Derartige Fälle können nicht quantifiziert werden; es kann allerdings festgehalten werden, dass die praktischen Erfahrungen beachtliche Indizien für dieses Problem ergeben haben.

Vor diesem Hintergrund hält es der Bundesrat nicht für angebracht, administrativen Interessen - Planungssicherheit - oder dem Interesse an einem durchaus fragwürdigen, eher vordergründig und formal begründeten Rechtsfrieden den Vorrang gegenüber dem möglichen Interesse Betroffener staatlichen (SED-) Unrechts an einer Rehabilitierung einzuräumen.

Zu Nummer 2

Auch die in § 20 Absatz 3 Satz 1 und § 21 Absatz 3 Satz 1 StUG festgelegte Frist für die Verwendung von Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR zur Überprüfung der in § 20 Absatz 1 Nummer 6 und § 21 Absatz 1 Nummer 6 StUG genannten Personen endet am 31. Dezember 2019. Das Interesse an der Aufklärung von Stasi-Verstrickungen wichtiger Funktionsträger ist jedoch nach wie vor ungebrochen und wird auch weiterhin andauern. Bis heute leiden zahlreiche Menschen an den Folgen von Repressionen des Staatssicherheitsdienstes. Zur Stärkung des Vertrauens in öffentliche Institutionen und politische Gremien, ist größtmögliche Transparenz erforderlich. Dazu muss die Überprüfung der in diesem Bereich tätigen Personen weiterhin und dauerhaft ermöglicht werden. Dies gebietet auch der Respekt vor den Opfern staatlichen Unrechts in der DDR. Die gesamtgesellschaftliche Bedeutung der Aufarbeitung des staatlich verübten Unrechts in der DDR ist erheblich, sie ist gleichermaßen Bestandteil des bereits unter Nummer 1 dargelegten gesellschaftlichen Grundkonsenses. Diese Bedeutung und das Vertrauen der Öffentlichkeit in die persönliche Integrität von Beschäftigten in leitenden Positionen sind höher zu bewerten, als die Individualinteressen der von den Auskünften nach § 20 Absatz 1 Nummer 6 und § 21 Absatz 1 Nummer 6 StUG Betroffenen.

Zu Nummer 3

Die Regelung des § 64b Absatz 1 Satz 1 BZRG sieht vor, dass die gemäß § 64a Absatz 1 BZRG gespeicherten Eintragungen und Eintragungsunterlagen aus dem ehemaligen Strafregister der DDR nach dem 31. Dezember 2020 vernichtet werden. Die genannten Eintragungen und Eintragungsunterlagen werden jedoch für die Durchführung der Rehabilitierungsverfahren benötigt, so dass die Aufhebung auch dieser Frist erforderlich ist, um weiterhin zu Gunsten der Betroffenen auf die Informationen aus dem Strafregister der DDR zurückgreifen zu können.