Empfehlungen der Ausschüsse
Entwurf eines Gesetzes zur Einführung eines familiengerichtlichen Genehmigungsvorbehaltes für freiheitsentziehende Maßnahmen bei Kindern

953. Sitzung des Bundesrates am 10. Februar 2017

Der federführende Rechtsausschuss (R), der Ausschuss für Frauen und Jugend (FJ) und der Ausschuss für Familie und Senioren (FS) empfehlen dem Bundesrat, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:

1. Zum Gesetzentwurf insgesamt

Begründung:

Die Anwendung freiheitsentziehender Maßnahmen bei Kindern wird insbesondere im Jungendhilfekontext kontrovers diskutiert. Im Fokus dieser Debatten steht vorrangig die Verletzung der Grundrechte von Kindern vor dem Hintergrund einer neuen Bewertung im Rahmen des Kinderschutzes. Der alleinige Fokus auf die familiengerichtliche Genehmigungserfordernis wird der Notwendigkeit nicht gerecht. So sind zum einen die entsprechenden Fachbereiche personell so auszustatten, dass aus gegebenenfalls medizinisch notwendigen Freiheitsbeschränkungen kein Freiheitsentzug entsteht. Zum anderen müssen die vorgelagerten Unterstützungs- und Hilfesysteme der Jugendhilfe in einem Maß ausgestattet sein, dass sie in adäquater, altersgerechter und kindesschutzorientierter Form zu Interventionen bei Kindern und Jugendlichen mit hoher Konfliktgefährdung befähigt sind. Die Festlegung der Fristen bezüglich der freiheitsentziehenden Unterbringung lässt außer Acht, dass es insbesondere zu freiheitsentziehender Unterbringung alternative Möglichkeiten innerhalb des bestehenden Jungendhilferechtes gibt. Darüber hinaus fehlt dem Gesetzentwurf die kinderrechtliche Betrachtung.

2. Zu Artikel 1 Nummer 1 und Nummer 3 (§ 1631b Überschrift, Absatz 3 - neu - BGB), Artikel 2 Nummer 2 (§ 151 Nummer 6 FamFG)

Der Gesetzentwurf ist wie folgt zu ändern:

Begründung:

Unterbringungen von Minderjährigen, die mit Freiheitsentziehungen verbunden sind, unterliegen gemäß § 1631b BGB der Genehmigung des Familiengerichts. Der Gesetzentwurf führt in § 1631b Absatz 2 BGB ein Genehmigungserfordernis für freiheitsentziehende Maßnahmen bei Kindern unter anderen auch mittels einer Medikamentengabe ein. Hierbei tritt neben die elterliche Entscheidung die Genehmigung des Gerichts.

Eine ärztliche Maßnahme (Medikamentengabe, Heilbehandlung oder ein ärztlicher Eingriff) bei einem Minderjährigen, die im Rahmen der Unterbringung nach § 1631b Absatz 1 BGB ergriffen wird, bedarf im Rahmen der Personensorge bislang nur der Einwilligung der Personensorgeberechtigen bzw. der Eltern. Sie kann auch gegen den Willen des Minderjährigen durchgeführt werden.

Diese Behandlung stellt gleichwohl einen ebenso weitreichenden Eingriff in die körperliche Unversehrtheit dar, wie dies bei einer freiheitsentziehenden Maßnahme der Fall ist. Bei Minderjährigen, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, besteht zwar grundsätzlich eine beschränkte Geschäftsfähigkeit, dennoch muss die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis zu selbständigem und selbstverantwortlichem Handeln und insoweit der natürliche Wille berücksichtigt werden. Insbesondere bei einer Behandlung einer psychischen Erkrankung, die oftmals einer Unterbringung in einem Krankenhaus zugrunde liegt, kann ein Eingriff in die Selbstbestimmung weitere schwerwiegende psychische Folgen verursachen. Eine Beistellung einer unabhängigen Entscheidung soll einer mehrpoligen Grundrechtssituation zwischen Kindeswohl und Elternrecht Rechnung tragen. Neben den Willen der Eltern wird insoweit zusätzlich eine Genehmigung des Gerichtes gestellt.

Eine richterliche Genehmigung für eine ärztlich angeordnete und durchgeführte Behandlung der Anlasserkrankung gegen den natürlichen Willen von Minderjährigen, die das 14. Lebensjahr vollendet haben und in einem Krankenhaus untergebracht sind, soll den Familiengerichten durch Bundesgesetz zugewiesen werden. Nachfolgend ergibt sich insoweit die Änderung in § 151 Nummer 6 FamFG.

3. Zu Artikel 2 Nummer 2 (§ 151 Nummer 7 FamFG)

Artikel 2 Nummer 2 ist wie folgt zu fassen:

'2. § 151 Nummer 6 und 7 werden wie folgt gefasst:

Begründung:

Mit der bisherigen Regelung des § 151 Nummer 7 FamFG weist der Bundesgesetzgeber die Verfahren auf Anordnung einer freiheitsentziehenden Unterbringung eines Minderjährigen nach den Landesgesetzen über die Unterbringung psychisch Kranker den Familiengericht und damit dem FamFG als Verfahrensordnung zu (§ 40 Absatz 1 Satz 1 2. Halbsatz VwGO). Für die dort nicht genannten gerichtlichen Verfahren nach den Landesgesetzen über die Unterbringung psychisch Kranker fehlt eine entsprechende Regelung. Die demzufolge allein verbleibende Möglichkeit, die Verfahren über § 40 Absatz 1 Satz 2 VwGO einem anderen Rechtsweg als dem Verwaltungsrechtsweg zuzuweisen, ist jedoch beispielsweise zumindest in Nordrhein-Westfalen von Verfassungs wegen verschlossen. Für diese Verfahren wäre daher zwingend und ausschließlich der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Dies erscheint nicht sachgerecht, weil es ansonsten im Rahmen eines Unterbringungsverfahrens je nach vorzunehmender Maßnahme (Anordnung der Unterbringung bzw. Anordnung einer freiheitsentziehenden Maßnahme) zu einer Befassung unterschiedlicher Gerichtszweige kommen würde.

Um eine bundesweite einheitliche verfahrensrechtliche Behandlung freiheitsentziehender Maßnahmen bei Minderjährigen nach den Landesgesetzen über die Unterbringung psychisch Kranker zu ermöglichen, ist die Erweiterung des § 151 Nummer 7 FamFG erforderlich. Mit der Ergänzung der Regelung in § 151 Nummer 7 FamFG um die Anordnung einer ärztlichen Maßnahme eines Minderjährigen und freiheitsentziehender Maßnahmen bei Minderjährigen sollen auch diese Verfahren den Familiengerichten durch Bundesgesetz zugewiesen werden.

4. Zu Artikel 2 Nummer 3 Buchstabe b (§ 167 Absatz 1 Satz 3 FamFG)

In Artikel 2 Nummer 3 Buchstabe b ist § 167 Absatz 1 Satz 3 zu streichen.

Begründung:

Anders als bisher vorgesehen, bedarf es keiner obligatorischen Bestellung eines Verfahrensbeistandes. Die Regelung des § 158 Absatz 1 FamFG, wonach das Gericht einem minderjährigen Kind in Kindschaftssachen einen geeigneten Verfahrensbeistand zu bestellen hat, wenn dies zur Wahrnehmung seiner Interessen erforderlich ist, hat sich auf dem Gebiet der freiheitsentziehenden Unterbringung Minderjähriger bislang bewährt und ist auch für den neugeregelten Genehmigungstatbestand ausreichend.

Die Argumentation in der Begründung des Gesetzentwurfs für eine obligatorische Bestellung eines Verfahrensbeistandes greift nicht durch. Der Verweis auf die Regelung des § 158 Absatz 2 Nummer 1 FamFG, nach welcher die Bestellung eines Verfahrensbeistandes erforderlich ist, wenn das Interesse des Minderjährigen zu dem seiner gesetzlichen Vertreter in erheblichem Gegensatz steht, setzt sich in Widerspruch zu den Ausführungen an anderer Stelle der Begründung des Gesetzentwurfs, nach welchen ein familiengerichtliches Genehmigungsbedürfnis nicht bestehe, wenn sich das Kind im elterlichen Haushalt aufhalte. Dort hätten die Eltern selbst die Kontrollmöglichkeit, anders als wenn sich das Kind in einer Einrichtung befände und die Eltern die Kontrollmöglichkeit abgeben müssten. Die Einführung des Genehmigungsvorbehaltes wird nicht damit begründet, dass das Kind vor erheblichen gegensätzlichen Interessen seiner gesetzlichen Vertreter geschützt werden müsse und daher seine Interessensvertretung sicherzustellen sei. Vielmehr wird mit der Entlastung der Eltern in einer bei der Entscheidung über freiheitsentziehende Maßnahmen sich ergebenen besonderen Belastungssituation durch eine unabhängige Instanz argumentiert.

Für die These in der Begründung des Gesetzentwurfs, dass die obligatorische Bestellung eines Verfahrensbeistandes die Interessenvertretung des Minderjährigen in diesen besonders grundrechtsrelevanten Bereichen besser sicherstelle als bisher, liegen keine belastbaren Belege vor. Insbesondere bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die fakultative Bestellung von Verfahrensbeiständen zu Problemen oder einem unzureichenden Grundrechtsschutz geführt hat. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die gerichtliche Praxis auch zukünftig verantwortungsvoll ihr eingeräumtes Ermessen ausüben wird. Den Familiengerichten bleibt damit in zu begründenden Einzelfällen eine flexiblere Handhabung erhalten, so dass bei insgesamt gesicherten Erkenntnissen von der Bestellung eines Verfahrensbeistands abgesehen werden kann.

Schließlich besteht auch im Hinblick auf das gesetzgeberische Ziel der Gleichbehandlung von Kindern und Erwachsenen keine Veranlassung für die beabsichtigte Neuregelung. Auch bei Erwachsenen ist keine obligatorische Bestellung eines Verfahrenspflegers normiert, vgl. § 317 Absatz 1 FamFG.