Gesetzesantrag des Landes Nordrhein-Westfalen
Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Fahrgastrechte

A. Problem und Ziel

B. Lösung

Das Haftungsrecht der Verkehrsunternehmen wird entsprechend den Besonderheiten des öffentlichen Personenfernverkehrs einerseits und des öffentlichen Personennahverkehrs andererseits neu geregelt.

Der Schienenpersonenfernverkehr (SPFV), der grundsätzlich eigenwirtschaftlich betrieben wird, wird dem allgemeinen zivilrechtlichen Haftungssystem des BGB unterstellt. SPFV betreibende Eisenbahnen erhalten allerdings die Möglichkeit, ihre Haftung bei leicht fahrlässig verursachten Ausfall- sowie Verspätungsschäden vertraglich durch Allgemeine Geschäftsbedingungen auf eine angemessenen Umfang zu begrenzen und für unmittelbare Schäden eine angemessene Pauschalierung vorzusehen.

Der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) ist hingegen der staatlichen Daseinsvorsorge unterstellt und wird in erheblicher Höhe staatlich subventioniert.

Diese Gemeinwirtschaftlichkeit des Personennahverkehrs schlägt sich in Fahrpreisen nieder, die nicht in Adäquanz zu der Transportleistung stehen und dementsprechend auch eine andere Ausgestaltung des haftungsrechtlichen Verhältnisses zwischen Bahn und Fahrgast erfordern. Die haftungsrechtliche Privilegierung der Nahverkehrsunternehmen bleibt deshalb als solche erhalten, wird aber spürbar zu Gunsten des Fahrgastes eingeschränkt.

C. Alternativen

D. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte

E. Sonstige Kosten

Gesetzesantrag des Landes Nordrhein-Westfalen
Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Fahrgastrechte

Der Ministerpräsident Düsseldorf, den 9. November 2004
des Landes Nordrhein-Westfalen

An den
Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Matthias Platzeck

Sehr geehrter Herr Präsident,
die Landesregierung Nordrhein-Westfalen hat beschlossen, dem Bundesrat den als Anlage mit Begründung beigefügten

mit dem Antrag zuzuleiten, seine Einbringung beim Deutschen Bundestag zu beschließen.

Ich bitte, den Gesetzentwurf gemäß § 36 Abs. 2 der Geschäftsordnung in die Tagesordnung der nächsten Bundesratsplenarsitzung am 26. November 2004 aufzunehmen.


Mit freundlichen Grüßen
Peer Steinbrück

Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Fahrgastrechte

Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrats das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Änderung der Eisenbahn-Verkehrsverordnung

Die Eisenbahnverkehrsordnung (EVO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 20. April 1999 (BGBl. I S. 782) wird wie folgt geändert:

1. In § 2 EVO wird unter der Überschrift Fernverkehr" eingefügt:

Fernverkehr ist derjenige Schienenverkehr, der nicht unter § 2 Abs. 5 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes fällt."

2. § 17 EVO wird wie folgt gefasst:

§ 17 Fahrtausfall, Verspätung und drohende Verspätung

(1) Die Eisenbahn hat dem Reisenden den Schaden zu ersetzen, der dem Reisenden durch Fahrtausfall, Verspätung oder ein Geschehnis entsteht, das die Gefahr einer Verspätung begründet (drohende Verspätung). Eine Verspätung liegt vor, wenn der Reisende sein Nahverkehrsziel um mehr als 20 Minuten später als fahrplanmäßig vorgesehen erreicht oder einen fahrplanmäßigen Anschluss um mehr als 20 Minuten verpasst. Der Reisende ist bei einem Fahrtausfall oder einer drohenden Verspätung berechtigt, andere Verkehrsmittel zu nutzen, um sein Nahverkehrsziel zu erreichen. Der Rücktritt von dem Beförderungsvertrag und der Anspruch auf Ersatz vergeblicher Aufwendungen sind ausgeschlossen.

(2) Der von der Eisenbahn zu ersetzende Schaden ist beschränkt auf

Kann der Reisende sein Nahverkehrsziel oder den Ausgangspunkt der Reise am Tag der fahrplanmäßigen Ankunft nicht mehr in zumutbarer Weise erreichen, hat er darüber hinaus Anspruch auf Erstattung der angemessenen Kosten, die er für eine Übernachtung und für die Benachrichtigung ihn erwartender Personen aufgewandt hat.

(3) Die Eisenbahn ist von dieser Haftung befreit, soweit der Fahrtausfall, die Verspätung oder die drohende Verspätung auf eine der folgenden Ursachen zurückzuführen sind:

das die Eisenbahn trotz Anwendung der nach Lage des Falls gebotenen Sorgfalt nicht vermeiden und dessen Folgen sie nicht abwenden konnte.

Das Vorliegen der Voraussetzungen dieses Haftungsausschlusses hat die Eisenbahn zu beweisen.

(4) Eisenbahn im Sinne der vorgenannten Absätze ist neben dem Eisenbahnverkehrsunternehmen, das mit dem Reisenden den Beförderungsvertrag abgeschlossen hat, auch das Eisenbahnverkehrsunternehmen, das die Beförderung aufgrund eines Vertrags, den der Reisende mit einem anderen Verkehrsunternehmen abgeschlossen hat, durchführt.

(5) Die Absätze 1 bis 4 finden keine Anwendung auf den Fernverkehr."

3. Als § 18 Abs. 8 EVO wird eingefügt:

Artikel 2
Änderung des Gesetzes zu dem Protokoll vom 3. Juni 1999

betreffend die Änderung des Übereinkommens vom 9. Mai 1980 über den internationalen Eisenbahnverkehr (COTIF)

Das Gesetz zu dem Protokoll vom 3. Juni 1999 betreffend die Änderung des Übereinkommens vom 9. Mai 1980 über den internationalen Eisenbahnverkehr (COTIF) vom 24. August 2002 (BGBl. II S. 2140) wird wie folgt geändert:

Artikel 3 Nr. 2 wird aufgehoben.

Artikel 3
Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs

Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 (BGBl. I S. 42, ber. S. 2909, 2003 S. 738), zuletzt geändert durch Gesetz vom 23. April 2004 (BGBl. I S. 598) mit Wirkung vom 30. April 2004, wird wie folgt geändert:

In § 310 BGB wird folgender Abs. 5 eingefügt:

Artikel 4
Änderung der Verordnung über die Allgemeinen Beförderungsbedingungen für den Straßenbahn- und Obusverkehr sowie den Linienverkehr mit Kraftfahrzeugen

Die Verordnung über die Allgemeinen Beförderungsbedingungen für den Straßenbahn- und Obusverkehr sowie den Linienverkehr mit Kraftfahrzeugen (VOAllgBef-Bed) in der Fassung der Bekanntmachung vom 30. Juni 1989 (BGBl. I S. 1273), zuletzt geändert durch Gesetz vom 15. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3765) wird wie folgt geändert:

§ 16 wird wie folgt gefasst:

(1) Der Unternehmer hat dem Fahrgast den Schaden zu ersetzen, der dem Fahrgast durch Fahrtausfall, Verspätung oder ein Geschehnis entsteht, das die Gefahr einer Verspätung begründet (drohende Verspätung). Eine Verspätung liegt vor, wenn der Fahrgast sein Nahverkehrsziel um mehr als 20 Minuten später als fahrplanmäßig vorgesehen erreicht oder einen fahrplanmäßigen Anschluss um mehr als 20 Minuten verpasst. Der Fahrgast ist bei einem Fahrtausfall oder einer drohenden Verspätung berechtigt, andere Verkehrsmittel zu nutzen, um sein Nahverkehrsziel zu erreichen. Der Rücktritt von dem Beförderungsvertrag und der Anspruch auf Ersatz vergeblicher Aufwendungen sind ausgeschlossen.

(2) Der von dem Unternehmer zu ersetzende Schaden ist beschränkt auf

um sein Nahverkehrsziel zu erreichen.

Kann der Fahrgast sein Nahverkehrsziel oder den Ausgangspunkt der Fahrt am Tag der fahrplanmäßigen Ankunft nicht mehr in zumutbarer Weise erreichen, hat er darüber hinaus Anspruch auf Erstattung der angemessenen Kosten, die er für eine Übernachtung und für die Benachrichtigung ihn erwartender Personen aufgewandt hat.

(3) Der Unternehmer ist von dieser Haftung befreit, soweit der Fahrtausfall, die Verspätung oder die drohende Verspätung auf eine der folgenden Ursachen zurückzuführen sind:

Das Vorliegen der Voraussetzungen dieses Haftungsausschlusses hat der Unternehmer zu beweisen.

Artikel 5

Die auf Artikel 1 und 4 beruhenden Teile der dort geänderten Verordnungen können auf Grund der einschlägigen Ermächtigungen durch Rechtsverordnung geändert werden.

Artikel 6

Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündigung in Kraft.

Begründung

Allgemeines

Im Eisenbahnverkehr besteht zwischen dem Fahrgast und dem Eisenbahnverkehrsunternehmen regelmäßig ein Beförderungsvertrag. Dieser ist als Werkvertrag im Sinne des § 631 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) zu qualifizieren, da es dem Fahrgast auf die Erreichung eines bestimmten Erfolges, nämlich der Beförderung zum Zielort innerhalb eines bestimmten Zeitraums ankommt.

Trotz der eindeutigen zivilrechtlichen Qualifikation findet das im Wirtschaftsleben übliche Haftungssystem des BGB für die Fälle des Ausfalls sowie der Verspätung von Zügen wegen der EVO in ihrer derzeitigen Fassung keine Anwendung. So schließt § 17 Satz 1 EVO Ansprüche des Fahrgastes auf Ersatz derjenigen Schäden aus, die auf dem Ausfall bzw. der Verspätung eines Zuges beruhen. Da die geschuldete Leistung angesichts ihres Fixschuldcharakters unmöglich (geworden) ist bzw. zwar nicht mangelhaft, wohl aber zeitlich verzögert erbracht wurde, sperrt § 17 EVO den Rückgriff jedenfalls auf §§ 275 Abs. 4, 280 Abs. 1, 3, 283, 311 a Abs. 2 BGB, §§ 280 Abs. 1, 3, 281 BGB, §§ 280 Abs. 1, 2, 286 BGB. Der Kunde kann folglich weder Schadensersatz für das Ausbleiben der Leistung noch für ihre Verzögerung verlangen. Der Tatbestand in § 17 Satz 1 EVO ist durch den Begriff der Entschädigung" weit gefasst. Deshalb entfällt gleichermaßen der in § 284 BGB normierte Anspruch des Kunden auf Ersatz vergeblicher Aufwendungen.

Seinem Wortlaut nach schließt § 17 Satz 1 EVO zunächst nur Ansprüche auf Entschädigung" aus. Aus dem Zusammenspiel dieser Vorschrift mit § 18 Abs. 1 EVO folgt indes, dass wohl ebenso wenig Ansprüche des Kunden auf Rückgewähr des Fahrpreises bei einer Verspätung in Betracht kommen. Nach § 18 Abs. 1 Satz 2 EVO kann der Kunde lediglich den Fahrpreis zurückverlangen, wenn er den Fahrausweis nicht zur Fahrt benutzt hat. Dies lässt den Gegenschluss zu, dass immer dann, wenn der Fahrschein verbraucht wurde, eine solche Erstattung nach dem Willen des Verordnungsgebers gemäß § 17 Satz 1 EVO ausscheidet. Demzufolge unterfallen dem Ausschluss in § 17 Satz 1 EVO ebenso Rückgewähransprüche, so dass dem Kunden seine im BGB gewährten Rechtsbehelfe ­ Schadens- bzw. Aufwendungsersatz sowie Rücktritt ­ abgeschnitten sind.

Um dem Fahrgast effektive Rechte zu gewähren, sind die Haftungsausschlüsse in der EVO zu reduzieren. Durch den neuen § 17 Abs. 5 EVO wird festgeschrieben, dass sich die Sonderregelung des § 17 EVO nicht auf den Fernverkehr erstreckt.

Damit gelangen für diesen die Vorschriften des BGB zur Anwendung, die allerdings infolge der Besonderheiten des Bahnwesens als Massentransportmittel und des damit verbundenen erhöhten Haftungsrisikos eine Modifizierung im Bereich des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen erfordern.

§ 17 EVO ist somit künftig nur noch eine Spezialregelung für den Nahverkehr, auf den das allgemeine Haftungssystem des BGB auch weiterhin nicht anwendbar ist.

Die Beschränkung des im BGB angelegten Haftungssystems auf den Fernverkehr ist aus verschiedenen Sachgründen zwingend erforderlich. So unterscheiden sich etwa die organisatorischen Rahmenbedingungen in den ÖPNV-Gesetzen von denjenigen im Fernverkehr. Die Landesregierungen sowie die Aufgabenträger für den Schienenpersonennahverkehr (SPNV) haben zudem verschiedene Möglichkeiten, im Interesse der Fahrgäste auf Verkehrsunternehmen einzuwirken und ökonomische Anreize z.B. im Wege der Vereinbarung von Garantien, von Bonus/Malus-Regelungen oder Vertragsstrafen) zu schaffen. Diese Steuerungsinstrumente fehlen im Fernverkehr, so dass die rechtliche Stellung der Verbraucher gegenüber den Eisenbahnverkehrsunternehmen als gegnerische Vertragspartei gestärkt werden muss. Bloße Selbstverpflichtungserklärungen der Verkehrsunternehmen genügen insofern nicht.

Die geänderte Fassung des § 17 EVO trägt den Besonderheiten des SPNV Rechnung. Sie berücksichtigt, dass es sich beim Nahverkehr noch stärker als beim Fernverkehr um Massenverkehr handelt, der unter anderem durch eine große Anzahl von Reisenden, vergleichsweise niedrige Fahrpreise für die einzelne Fahrt sowie regelmäßig eine hohe Vertaktung gekennzeichnet ist. Ferner dient der SPNV häufig als Zubringer zum Fernverkehr sowie auch zum Flugverkehr. Dadurch kann es beim Ausfall oder Verspätung eines Zuges auch im Nahverkehr zu beträchtlichen Schäden kommen. Hier einen gerechten Ausgleich zu schaffen zwischen Verbraucherschutzinteressen einerseits und dem Unternehmerinteresse, nicht überzogenen Ansprüchen von Kunden ausgesetzt zu sein, ist Ziel und Zweck dieser Novelle.

Die dargestellten Besonderheiten des Schienenpersonennahverkehrs, die die avisierte Sonderregelung notwendig machen, zeichnen auch den Bereich des Öffentlichen Personennahverkehrs aus, der mit den dem Personenbeförderungsgesetz (PBefG) unterfallenden Verkehrsträgern abgewickelt (Straßenbahnen, Bussen etc.) wird. Diese Gemeinsamkeiten sprechen für eine Vereinheitlichung der Rechtsstellung aller Benutzer des ÖPNV. Dementsprechend wird auch die Verordnung über die Allgemeinen Beförderungsbedingungen für den Straßenbahn- und Obusverkehr sowie den Linienverkehr mit Kraftfahrzeugen (VOAllgBefBed) geändert, die zur Zeit eine Haftung des PBefG-Verkehrsunternehmens in ähnlicher Weise ausschließt wie § 17 EVO für öffentliche Eisenbahnen im Sinne des AEG. Der vorliegende Gesetzentwurf übernimmt deshalb die Regelung des § 17 EVO in seiner neuen Fassung in die entsprechende Vorschrift des § 16 VOAllgBefBed; hierdurch wird ein einheitliches Fahrgastrecht für den gesamten Bereich des ÖPNV geschaffen.

Zu den einzelnen Vorschriften

Artikel 1

Nummer 1 (§ 2 EVO)

Die Eisenbahnverkehrsordnung (EVO) soll auch in Zukunft uneingeschränkt für den Nahverkehr gelten. Für den Fernverkehr sollen im Gegensatz zur bisherigen Situation im Bereich der Haftung für den Ausfall sowie die Verspätung von Zügen die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) zur Anwendung gelangen. Aus diesem Grund ist eine Abgrenzung zwischen Nah- und Fernverkehr notwendig. Nach dem einzufügenden § 2 EVO dient hierzu die Legaldefinition in § 2 Abs. 5 AEG. Dieser enthält eine allgemeine Begriffsbestimmung für den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) und stellt bei der Differenzierung zwischen Nah- und Fernverkehr maßgeblich auf die Zweckbestimmung des eingesetzten Verkehrsmittels ab. Im Zweifel sind nach § 2 Abs. 5 Satz 2 AEG die Kriterien der Reiseweite und -dauer entscheidend.

Nummer 2 (§ 17 EVO)

Das in § 17 geregelte Fahrgastrecht betrifft ausschließlich eisenbahnverkehrliche Mängel in Form eines Zugausfalls, einer Verspätung oder einer drohenden Verspätung. Verstöße gegen andere Pflichten ­ z.B. Informationspflichten - unterfallen, wie schon nach zur Zeit geltender Rechtslage, dem allgemeinen zivilrechtlichen Leistungsstörungsrecht.

Als Haftungsvoraussetzung bedarf das Merkmal der Verspätung ­ anders als der Zugausfall, der eindeutig diagnostizierbar ist, - einer Definition. Ein fahrplanmäßig verspätetes Abfahren unterfällt zwar allgemeinsprachlich dem Wort Verspätung", ist aber nicht ohne weiteres dafür geeignet, eine Haftung zu begründen, weil ein verspätetes Abfahren ein pünktliches Ankommen nicht ausschließt. Dementsprechend knüpft die in § 17 Abs. 1 enthaltene Definition der Verspätung an das vom Fahrplan abweichende verspätete Erreichen des Reiseziels. Ein um wenige Zeit fahrplanmäßig verspätetes Ankommen reicht danach aber nicht aus, um als Verspätung zu gelten, da hier dennoch in der Regel das Interesse des Fahrgasts an der Beförderungsleistung erfüllt ist. Erst ein um 20 Minuten und mehr verspätetes Ankommen (entspricht einem Zugausfall bei 20minütigem S-Bahn-Takt) soll als Verspätung gelten und zur Grundlage einer Haftung werden.

Die eine Verspätung ausmachende 20 Minuten-Grenze ist schon aus Gründen der Gleichbehandlung auch ausschlaggebend für das Verpassen eines Anschlusszuges.

Kettenbeförderungsvorgänge sind im Bereich des öffentlichen Personenverkehrs oft zu verzeichnen und erhöht störungsanfällig. Der Fahrgast muss hier selbst Vorsorge für das Erreichen des Anschlusses treffen, indem er einen entsprechenden Zeitpuffer für die Fortsetzung seiner Reise einkalkuliert.

Eine Verspätung kann infolge der an das Ankommen knüpfenden Definition erst nachträglich ­ nach Erreichen des Reiseziels - festgestellt werden und verbaut damit die Möglichkeit, im Falle einer absehbaren Verspätung statt des Nahverkehrsmittel ein anderes Verkehrsmittel in Anspruch nehmen, um pünktlich oder weniger verspätet ankommen zu können, und die Erstattung der dafür aufgewandten Kosten verlangen zu dürfen. Dementsprechend wird dem Fahrgast nicht nur im Falle eines Zugausfalls, sondern auch im Fall einer drohenden Verspätung das Recht zur Benutzung eines anderen Verkehrsmittels zugestanden (ähnlich der Selbstvornahme in § 637 BGB).

Rechtsdogmatisch betrachtet begründet weder die Verspätung noch der Ausfall eines Zugs einen "Mangel". Dementsprechend fänden ­ bei Geltung des allgemeinen Zivilrechts - nicht die werkvertraglichen Gewährleistungsregeln, sondern das allgemeine Leistungsstörungsrecht Anwendung. Die Rechtsfolgen von Verspätung oder Ausfall wären demgemäß Schadensersatz (bei Verschulden) und/oder Rücktritt (verschuldensunabhängig). Die Regelung des § 17 Abs. 1 schließt das nach allgemeinem Zivilrecht bestehende Rücktrittsrecht für SPNV-Fahrgäste aus. Grund: Der Rücktritt ist auf eine Rückabwicklung des Schuldverhältnisses ausgerichtet; der Fahrgast könnte dementsprechend sein Fahrgeld ­ unter Anrechnung der gezogenen Nutzungen ­ zurückverlangen. Der damit verbundene Aufwand der Verkehrsunternehmen, die eine Massenbeförderung mit Beförderungspflicht vornehmen, stünde in keinem Verhältnis zu den geringen Vorteilen (niedriger Fahrpreis), die damit dem Fahrgast zukommen würden.

Die Reduzierung der Einstandspflicht der Verkehrsunternehmen auf Schadensersatz ist indes nicht ausreichend, um der vorerwähnten Eigenschaft des ÖPNV als Massentransportmittel mit Beförderungspflicht in Gänze gerecht zu werden. Eine unbegrenzte Einstandspflicht (z.B. für entgangene Geschäftsgewinne) der Verkehrsunternehmen würde die Nutzung des ÖPNV für Fahrgäste und die Bestellung von ÖPNV-Leistungen durch die ÖPNV-Aufgabenträger verteuern und darüber hinaus eine Benachteiligung dieses Verkehrsträgers im Vergleich zur Straße nach sich ziehen. Dementsprechend wird der zu ersetzende Schaden nach § 17 Abs. 2 auf die Schadenspositionen begrenzt werden, die im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Transport selbst stehen. Der zu ersetzende Schaden wird deshalb in Absatz 2 beschränkt auf die entgeltfreie Rückfahrt des Fahrgasts zum Ausgangspunkt der Fahrt

Übernachtungs- und Benachrichtigungskosten;

hiermit wird die Haftung - der Eisenbahnen entsprechend den Regelungen des Protokolls vom 3. Juni 1999 betreffend die Änderung des Übereinkommens vom 9. Mai 1980 über den internationalen Eisenbahnverkehr (COTIF) vorweg ­ vor dessen Inkrafttreten und vor Inkrafttreten der Umsetzungsregelung des Art. 3 Nummer 2 des Gesetzes vom 24. August 2002 zu diesem Protokoll in das deutsche Recht aufgenommen.

Die Beschränkung des Schadensersatzes auf die mit dem Transportvorgang selbst unmittelbar in Zusammenhang stehenden Schadenspositionen schließt zudem den Ersatz vergeblicher Aufwendungen ( § 284 BGB) aus.

§ 17 Abs. 3 EVO sieht einen Haftungsausschluss für Fälle von höherer Gewalt, des Verschuldens des Reisenden selbst sowie des Verhaltens eines Dritten vor. Es wäre unangemessen wenn das Eisenbahnverkehrsunternehmen auch in solchen Fällen, die außerhalb seiner Einflusssphäre liegen, haften müsste. Allerdings statuiert § 17 Abs. 3 Satz 2 EVO eine Beweislastumkehr. Es wäre dem Reisenden nicht zuzumuten, das Nichtvorliegen dieser Umstände zu beweisen. Deshalb hat die Eisenbahn das Vorliegen der Voraussetzungen dieses Haftungsausschlusses zu beweisen.

§ 17 Abs. 4 EVO enthält eine Legaldefinition für den Begriff Eisenbahn". Danach ist Eisenbahn nicht nur das Eisenbahnverkehrsunternehmen, das mit dem Reisenden den Beförderungsvertrag abgeschlossen hat, sondern auch das Eisenbahnverkehrsunternehmen, das die Reise aufgrund eines Vertrages durchführt, den der Reisende mit einem anderen Verkehrsunternehmen abgeschlossen hat. Damit wird der häufige Fall berücksichtigt, dass ein Reisender seinen Beförderungsvertrag nicht mit dem befördernden Unternehmen, sondern mit einem Verkehrsunternehmen abschließt, das nicht selbst Eisenbahnunternehmen ist, also etwa einem Unternehmen, das dem PBefG unterfällt. Die Haftung ein solchen Unternehmens selbst bestimmt sich nicht nach § 17 EVO, sondern nach § 16 der Verordnung über die Allgemeinen Beförderungsbedingungen für den Straßenbahn- und Obusverkehr sowie den Linienverkehr mit Kraftfahrzeugen (VOAllgBefBed), der nach Art. 4 des vorliegenden Gesetzentwurfs eine mit § 17 EVO harmonisierende Fassung erhält.

§ 17 Abs. 5 schließt die Anwendbarkeit des § 17 auf den Fernverkehr aus. Dies entspricht der beabsichtigten Differenzierung zwischen Nah- und Fernverkehr. Für den Fernverkehr gelten daher die allgemeinen Regeln des BGB, da diese insoweit nicht durch § 17 EVO verdrängt werden.

Nummer 3 (§ 18 Abs. 8 EVO)

Ein vollständiger Ausschluss des § 18 EVO für den Fernverkehr ­ analog zur Regelung des § 17 EVO ­ ist nicht erforderlich. Denn diese Vorschrift wirkt sich nicht insgesamt zu Lasten des Fahrgastes aus. Deshalb ist ein Ausschluss des § 18 Abs. 7 EVO, der eine lediglich sechsmonatige Ausschlussfrist für die Fahrpreiserstattung vorsieht auf den Fernverkehr ausreichend. Auf diesen findet die Vorschrift nach § 18 Abs. 8 Satz 1 EVO keine Anwendung. Da insbesondere für den Ausfall sowie die Verspätung die Schadensersatz- und Rücktrittsvorschriften des BGB gelten, soll hierdurch eine Divergenz zwischen den Ausschlussfristen und den Verjährungsregeln des BGB vermieden werden. § 18 Abs. 8 Satz 2 EVO soll sicherstellen, dass § 18 EVO nicht als abschließende Bestimmung für die Rückerstattung des Fahrpreises ausgelegt werden kann, welche die Rücktrittsrechte aus dem BGB verdrängt.

Artikel 2

Mittelbare Auswirkungen auf die Rechtsstellung des Reisenden gehen auch von dem Protokoll vom 3. Juni 1999 betreffend die Änderung des Übereinkommens vom 9. Mai 1980 über den internationalen Eisenbahnverkehr (COTIF) aus. Die dort enthaltenen Grundsätze für eine Haftung der Eisenbahnen bei Ausfall, Verspätung und Anschlussversäumnis wurden mit dem Art. 3 Nummer 2 des Gesetz zu diesem Protokoll vom 24. August 2002 in Form der Änderung des § 17 EVO in deutsches Recht zwar transferiert treten aber nach Art. 5 Abs. 1 erst an dem Tag in Kraft, an dem das Protokoll für die Bundesrepublik Deutschland selbst in Kraft ­ nämlich nach Annahme von mehr als zwei Dritteln der COTIF-Mitgliedstaaten - tritt. Art. 3 Nummer 2 des Gesetzes zu dem Protokoll vom 3. Juni 1999 betreffend die Änderung des Übereinkommens vom 9. Mai 1980 über den internationalen Eisenbahnverkehr (COTIF) kann aufgehoben werden. Mit dem vorliegenden Gesetz werden die Regelungen des Protokolls ­ unabhängig von seinem Inkrafttreten - vorweg in das deutsche Recht aufgenommen. Für den Bereich des Schienenpersonennahverkehrs geschieht dies in Form des geänderten § 17 EVO, der sowohl seinen Haftungsvoraussetzungen als auch seinen Haftungsfolgen nach (vgl. § 17 Abs. 2 Satz 3 EVO) das umzusetzende internationale Recht absorbiert. Die Unterstellung des Schienenpersonenfernverkehrs unter das allgemeine zivilrechtliche Haftungsrecht stärkt die Rechtsstellung des Eisenbahnreisenden sogar darüber hinaus.

Artikel 3

Der angestrebte Erfolg des Beförderungsvertrags liegt für den Fahrgast nicht nur in dem reinen Ortswechsel von A nach B. Dem Kunden kommt es gleichermaßen darauf an, sein Ziel in einem gewissen Zeitraum zu erreichen. Von dieser zeitlichen Komponente macht der Kunde regelmäßig abhängig, für welchen Zug er sein Wahlrecht ausübt, sofern nicht bereits eine feste Buchung vorliegt. Verspätet sich der Zug so erheblich, dass sich der mit der Vertragsdurchführung angestrebte Erfolg nicht mehr erzielen lässt, wird der eigentliche Vertragszweck für den Kunden gefährdet.

Die pünktliche Beförderung, also die fahrplanmäßige Leistungserbringung, ist als eine der wesentlichen Pflichten anzusehen, auf deren Erfüllung der Fahrgast vertraut. Derzeit offen ist die Frage, ob die Gerichte die pünktliche Beförderung zu den Kardinalpflichten des Beförderungsvertrages zählen. Bejahendenfalls erweist sich ein Haftungsausschluss für leicht fahrlässig verursachte Zugausfälle sowie - verspätungen gemäß § 307 Abs. 1, 2 BGB als unzulässig. Zwar ist im Rahmen von Kardinalpflichten nach der Rechtsprechung eine Haftungsbegrenzung für vertragsuntypische und unvorhersehbare Schäden durchaus möglich. Da jedoch Ausfall- und Verspätungsschäden gerade bei der Eisenbahnbeförderung einen typischen (und in Bezug auf den unmittelbaren Schaden wohl auch vorhersehbaren) Schaden darstellen dürften, erscheint die Zulässigkeit einer solchen Freizeichnung rechtlich zweifelhaft.

Um zum einen dem Gedanken des Massenverkehrstransportmittels Rechnung zu tragen bei dem bereits kleinere Störfaktoren zu Kettenreaktionen führen können, und zum anderen Eisenbahnunternehmen vor einer überzogenen Haftung mit hohen Transaktionskosten zu bewahren, ist nicht zuletzt aus Gründen der Rechtssicherheit die Ergänzung des § 310 BGB um einen Abs. 5 geboten. Diese Regelung ermöglicht es den Eisenbahnunternehmen, ihre Haftung bei leicht fahrlässig verursachten Ausfall- und Verspätungsschäden in einem angemessenen Umfang zu begrenzen und darüber hinaus in Bezug auf die unmittelbaren Schäden bzw. entsprechende Aufwendungen Fallpauschalen vorzusehen.

Diese Privilegierung, die sowohl gegenüber Verbrauchern als auch im unternehmerischen Geschäftsverkehr gilt, unterliegt jedoch den im Wortlaut des § 310 Abs. 5 Satz 1 BGB angelegten eindeutigen Grenzen. Einerseits darf die Haftung nur für leicht fahrlässig verursachte Ausfälle und Verspätungen begrenzt werden. Bei anderen Verschuldensformen haftet das Eisenbahnverkehrsunternehmen somit uneingeschränkt. Andererseits greift die Privilegierung nur bei Schäden ein, die auf einen Ausfall bzw. eine Verspätung des Zuges zurückzuführen sind. § 310 Abs. 5 Satz 1

BGB erfasst damit beispielsweise weder Ansprüche, die auf einer Informationspflichtverletzung beruhen, noch die Haftung für Schlechtleistungen. Insofern besteht für die Eisenbahnverkehrsunternehmen lediglich die Option, ihre Haftung im Einklang mit den §§ 305 ff BGB einzuschränken.

Die in § 310 Abs. 5 Satz 1 BGB vorgesehene Privilegierung trägt sowohl dem Verbraucherschutz als auch den berechtigten Unternehmerinteressen Rechnung, da etwa eine pauschalierte und zügige Befriedigung eines Anspruches im Interesse beider Vertragsparteien liegt. Die Angemessenheit der Haftungsbegrenzung bzw. Pauschalierung kann im Individualprozess oder im Wege der Verbandsklage einer gerichtlichen Überprüfung unterzogen werden.

Rechtssystematisch passt sich § 310 Abs. 5 BGB in die bestehende Systematik des Rechts der allgemeinen Geschäftsbedingungen ein. Denn in § 310 Abs. 2 bis 4 BGB werden bereits Besonderheiten bei verschiedenen Vertragstypen wie Energie-, Verbraucher- und Arbeitsverträgen berücksichtigt.

Artikel 4

Die geänderte Regelung des § 16 der Verordnung über die Allgemeinen Beförderungsbedingungen für den Straßenbahn- und Obusverkehr sowie den Linienverkehr mit Kraftfahrzeugen (VOAllgBefBed) entspricht der neuen Regelung des § 17 EVO.

Hierdurch wird für den gesamten ÖPNV ­ für den SPNV und den straßengebundenen ÖPNV - ein einheitliches Fahrgastrecht geschaffen.

Die Ausführungen zu Artikel 1 Nummer 2 gelten bezüglich der Änderung des § 16 VOAllgBefBed entsprechend.

Artikel 5

Die Vorschrift (Entsteinerungsklausel) stellt sicher, dass der Verordnungsgeber auch die nach den Artikeln 1 und 4 gesetzesrangigen Teile der dort genannten Verordnungen auf Grund der einschlägigen Verordnungsermächtigungen ändern kann.

Artikel 6

Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten.