Unterrichtung durch die Bundesregierung
Grünbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften über Arbeitskräfte des Gesundheitswesens in Europa KOM (2008) 725 endg.; Ratsdok. 17479/08

Übermittelt vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie am 23. Dezember 2008 gemäß § 2 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union vom 12. März 1993 (BGBl. I S. 313), zuletzt geändert durch das Föderalismusreform-Begleitgesetz vom 5. September 2006 (BGBl. I S. 2098).

Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat die Vorlage am 15. Dezember 2008 dem Bundesrat zugeleitet.

Die Vorlage ist von der Kommission am 17. Dezember 2008 dem Generalsekretär/Hohen Vertreter des Rates der Europäischen Union übermittelt worden.


Hinweis: vgl.
Drucksache 737/04 (PDF) = AE-Nr. 042918

Arbeitskräfte des Gesundheitswesens in Europa: Förderung der Nachhaltigkeit

1. Einleitung

Die Gesundheitssysteme in der EU stehen vor einem schwierigen Balanceakt - erstens muss die steigende Nachfrage nach Leistungen mit dem eingeschränkten Angebot in Einklang gebracht werden, zweitens geht es darum, sowohl die Bedürfnisse der Menschen vor Ort zu befriedigen als auch auf schwere Krisensituationen im Bereich der öffentlichen Gesundheit vorbereitet zu sein.

Die Gesundheitssysteme in Europa sind mit einer Reihe von Herausforderungen konfrontiert.

Um diese Herausforderungen bewältigen zu können, müssen die Gesundheitssysteme über effiziente und effektive Arbeitskräfte von höchster Qualität verfügen, da Gesundheitsdienstleistungen sehr arbeitsintensiv sind. Das Gesundheitswesen bildet einen der wichtigsten Zweige der EU-Wirtschaft und beschäftigt jede zehnte Arbeitskraft in der EU. Etwa 70 % der Ausgaben für das Gesundheitswesen werden für Gehälter und Lohnnebenkosten der im Gesundheitswesen Beschäftigten aufgewendet2.

Schaubild 1: Schema der Arbeitskräfte des Gesundheitswesens in Europa

2. Sinn und Zweck dieses Grünbuchs

Die von der Europäischen Kommission im Oktober 2007 angenommene und im Weißbuch "Gemeinsam für die Gesundheit" veröffentliche Gesundheitsstrategie basiert auf einem neuen Konzept, das sicherstellen soll, dass die EU alles in ihrer Macht Stehende tut, um Herausforderungen zu begegnen, wie sie etwa mit Gesundheitsgefahren, Pandemien, durch die Lebensführung bedingten Krankheiten, Ungleichheiten und dem Klimawandel in einer erweiterten Europäischen Union mit 27 Mitgliedstaaten verbunden sind. Es soll die Gesundheit in einem alternden Europa durch gesundheitsfördernde Maßnahmen über die gesamte Lebensspanne hinweg durch Schutz der Bürger vor Gesundheitsgefahren und durch Unterstützung dynamischer Gesundheitssysteme und neuer Technologien fördern.

Ziel dieses Grünbuchs ist es, die Probleme der Gesundheitsberufe in der EU stärker in den Vordergrund zu rücken, ein klareres Bild der Herausforderungen zu zeichnen, denen sich Gesundheitsmanager auf lokaler und/oder nationaler Ebene gegenübersehen, und eine bessere Grundlage für Überlegungen darüber zu bilden, was auf EU-Ebene zur wirksamen Lösung dieser Probleme unternommen werden kann - und zwar in der Weise, dass keine negativen Auswirkungen auf Gesundheitssysteme außerhalb der EU eintreten.

Das Grünbuch soll so präzise wie möglich die Herausforderungen darlegen, vor denen die Arbeitskräfte des Gesundheitswesens in der EU stehen und die allen Mitgliedstaaten gemeinsam sind: die demografische Entwicklung (alternde Gesamtbevölkerung und alternde Arbeitskräfte im Gesundheitswesen), die dazu führt, dass nicht genügend junge Menschen diejenigen, die in den Ruhestand gehen, ersetzen; die Heterogenität der Arbeitskräfte im Gesundheitswesen; die geringe Popularität des breiten Spektrums der Berufe im Gesundheitswesen bei der jungen Generation; die Zu- und Abwanderung der Beschäftigten des Gesundheitswesens in die und aus der EU; die ungleiche Mobilität innerhalb der EU und insbesondere die Migration von Beschäftigten des Gesundheitswesen aus den ärmeren in reichere Länder innerhalb der EU sowie die Abwanderung von Fachkräften (Brain Drain) aus Drittländern.

Das zweite Ziel dieses Grünbuchs besteht darin, Bereiche zu nennen, in denen nach Ansicht der Kommission weitere Maßnahmen getroffen werden können, und zur Erörterung darüber anzuregen.

3. Rechtlicher Rahmen und Grundlage für Massnahmen auf Eu-Ebene

Artikel 152 EG-Vertrag lautet: "Bei der Tätigkeit der Gemeinschaft im Bereich der Gesundheit der Bevölkerung wird die Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Organisation des Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung in vollem Umfang gewahrt." In diesem Artikel wird jedoch auch betont, dass die Gemeinschaft die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten sowie die Koordinierung ihrer Politiken und Programme fördern soll.

Die Tätigkeit der Gemeinschaft soll somit die Maßnahmen der Mitgliedstaaten ergänzen. Letztere sind in erster Linie für die Organisation des Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung zuständig, doch spielt die EU insoweit eine wichtige Rolle, als sie die Mitgliedstaaten unterstützt und Mehrwert schafft, beispielsweise durch Vernetzung und den Austausch bewährter Verfahren.

Außerdem enthalten der EG-Vertrag und das abgeleitete Recht Bestimmungen, die von den Mitgliedstaaten bei der Organisation ihres Gesundheitswesens einzuhalten sind.

Einschlägige Beispiele für abgeleitetes Recht sind u. a. die arbeitsrechtlichen Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft wie z.B. die Arbeitszeitrichtlinie, die zum Schutz der Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer Obergrenzen für die Arbeitszeit festlegt und Mindestruhezeiten pro Tag und Woche vorschreibt. Die Richtlinie legt für alle Mitgliedstaaten Mindestanforderungen fest, doch bleibt es jedem Mitgliedstaat freigestellt, Rechtsvorschriften anzuwenden, die einen stärkeren Schutz der Arbeitnehmer vorsehen.

Der Gerichtshof hat mit seinen Entscheidungen zum Bereitschaftsdienst und zu den Ruhezeiten Fragen aufgeworfen, die für Gesundheits- und Pflegedienste von großer Bedeutung sind3. Die Kommission hat bereits Legislativvorschläge4 unterbreitet, die zurzeit im Rat und im Europäischen Parlament erörtert werden5.

4. Einflussfaktoren für die Arbeitskräfte des Gesundheitswesens in der Eu und damit verbundene Hauptprobleme

4.1. Demografie und Förderung der Nachhaltigkeit der Arbeitskräfte

Die Bürger leben länger und bleiben länger gesund. Die Lebenserwartung ist seit den 50er-Jahren alle zehn Jahre um ca. 2,5 Jahre gestiegen und dürfte weiter steigen.

Schaubild 2: Bevölkerungsprognose 2008 - 2060

Bei einer alternden Bevölkerung ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Menschen im Alter gesund bleiben. Die Zahl der gesunden Lebensjahre muss so hoch wie möglich sein. Da die Menschen länger leben, ist jedoch zu erwarten, dass die Zahl der Pflegebedürftigen und der alten Menschen mit schweren Behinderungen steigt6. Die im Alter vorherrschende Multimorbidität wird sich auf die Pflege auswirken. Außerdem wird die Nachfrage nach professionellen Pflegeleistungen wohl steigen, da infolge sich wandelnder Familienstrukturen voraussichtlich immer weniger private Pflegepersonen zur Verfügung stehen.

Wenn die Bevölkerung altert, gilt dies auch für die Arbeitskräfte. In den Jahren zwischen 1995 und 2000 ist die Zahl der Ärzte im Alter von unter 45 Jahren europaweit um 20 % gesunken, während die Zahl der über 45-Jährigen um über 50 % stieg. Auch in der Krankenpflege steigt das Durchschnittsalter; in fünf Mitgliedstaaten ist nahezu die Hälfte des Krankenpflegepersonals über 45 Jahre alt7. Wenn diese Beschäftigten sich dem Rentenalter nähern, müssen genügend Nachwuchskräfte zur Verfügung stehen, die sie ersetzen können.

Der Frauenanteil war in den Gesundheitsberufen schon immer hoch und steigt weiter an. Drei Viertel der Arbeitskräfte des Gesundheitswesens in der EU sind Frauen; in einigen Ländern beträgt die Zahl der Studienanfänger im Fach Medizin schon mehr als 50 %.8 Deshalb ist es besonders wichtig, die Personalplanungsstrategien auf eine Förderung von Gleichstellungsmaßnahmen auszurichten.

Im Fahrplan für die Gleichstellung von Frauen und Männern 2006-20109 wird eine Reihe von Aktionen genannt, mit denen die gleiche wirtschaftliche Unabhängigkeit und gleiche Beteiligung von Frauen und Männern an Entscheidungsprozessen erreicht werden sollen. Es werden darin mehrere Maßnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Berufs-, Familien- und Privatleben vorgeschlagen.

Entscheidend für die Aufrechterhaltung eines ausreichenden Personalbestands ist angesichts des bevorstehenden Renteneintritts der "Baby-Boom"-Generation die Fähigkeit, junge Beschäftigte anzuziehen, auszubilden und zu binden und gleichzeitig in die erfahreneren Arbeitskräfte zu investieren.

Einflussfaktoren und möglicher Handlungsbedarf:

4.2. Kapazitäten im Bereich der öffentlichen Gesundheit

Das öffentliche Gesundheitswesen umfasst ein breites Spektrum von Tätigkeiten zum Schutz und zur Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung, zum Abbau gesundheitlicher Ungleichheiten und zur Berücksichtigung der Bedürfnisse benachteiligter und gefährdeter Bevölkerungsgruppen. Zu den Aufgaben gehören die Durchführung von Studien zur Bedarfsermittlung und von Folgenabschätzungen für die Versorgungsplanung, Prävention, beispielsweise durch Impf- und Vorsorgeprogramme, Gesundheitsförderung und gesundheitliche Aufklärung, Sicherstellung ausreichender Vorräte von Blutkonserven, epidemiologische Überwachung sowie Bereitschaftsplanung und Reaktion auf Gesundheitsgefahren, die durch Ausbrüche von Infektionskrankheiten, Pandemien oder natürlichen und vom Menschen verursachten Katastrophen entstehen, einschließlich solcher, die durch den Klimawandel bedingt sind.

Gesundheitsförderung und Prävention sind nicht nur an sich wichtig, sondern sie können auch den künftigen Bedarf an Behandlungs- und Pflegeleistungen deutlich senken. Das öffentliche Gesundheitswesen muss personell hinreichend mit qualifizierten Arbeitskräften ausgestattet sein und über ausreichende Kapazitäten verfügen, um diese Tätigkeiten erfolgreich wahrnehmen zu können; in Ausbildungs- und Einstellungsplänen ist dies entsprechend zu berücksichtigen.

Besondere Beachtung verdient das Thema Gesundheit am Arbeitsplatz, denn Fragen des Arbeitsschutzes bestimmen die Gesamtsituation der öffentlichen Gesundheit entscheidend mit. Dabei wird es auch in Zukunft um Probleme wie Arbeitsunfälle gehen, doch spielen auch andere Faktoren eine wichtige Rolle für die Förderung der öffentlichen Gesundheit und rechtfertigen es, den Arbeitsschutz besonders in den Vordergrund zu rücken: neue Arbeitsrhythmen, neue Technologien am Arbeitsplatz, Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben, berufliche Mobilität und Stress. Die jüngst beschlossene Strategie für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz 2007 - 2012 (KOM (2007) 62) gibt eine ganze Reihe ehrgeiziger Ziele vor, auf deren Verfolgung sich die Mitgliedstaaten der EU geeinigt haben. Ob sie erreicht werden können, hängt allerdings stark davon ab, ob die hierfür notwendigen Fachkräfte (arbeitsmedizinisch geschulte Ärzte und entsprechendes Krankenpflegepersonal, Mitarbeiter der Arbeitsaufsicht) vorhanden sein werden.

Einflussfaktoren und möglicher Handlungsbedarf:

4.3. Aus-, Weiter- und Fortbildung

Die Ausbildungskapazitäten sind ebenfalls Bestandteil der Personalplanung. Wenn mehr Ärzte, Krankenpfleger und sonstiges Personal gebraucht werden, müssen auch mehr Studien- und Ausbildungsplätze geschaffen werden, und es wird mehr Lehrpersonal benötigt. Dies erfordert sowohl Planung als auch Investitionen.

Die Mitgliedstaaten werden prüfen müssen, welche Art Fachkenntnisse benötigt werden; dabei ist zu berücksichtigen, dass die gesundheitliche Versorgung sich mit Einführung neuer Technologien, dem Einfluss der Bevölkerungsalterung auf Krankheitsmuster und dem Anstieg der Zahl multimorbider älterer Patienten verändert. Ein spezifisches Problem besteht darin, dass zunehmende Reisen und Mobilität auch das Risiko der Verbreitung von Krankheiten erhöht haben, die bisher vorwiegend in tropischen Ländern auftraten. Dies begründet einen neuen Fortbildungsbedarf für klinisches Personal und für Beschäftigte, die mit der Überwachung übertragbarer Krankheiten befasst sind.

Einflussfaktoren und möglicher Handlungsbedarf:

4.4. Mobilitätsmanagement der Arbeitskräfte des Gesundheitswesens innerhalb der EU

Die Freizügigkeit ist eine der gemeinschaftsrechtlich garantierten Grundfreiheiten. Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer ist in Artikel 39 EGV verankert und in der Verordnung Nr. 1612/6811 näher geregelt: EU-Bürger haben danach das Recht, in einem anderen Mitgliedstaat als Arbeitnehmer oder Beamte zu arbeiten. Das Niederlassungsrecht ist in Artikel 43 EGV geregelt, der das Recht auf Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten in einem anderen Mitgliedstaat vorsieht. In Artikel 49 EGV ist die Dienstleistungsfreiheit verankert. Die Verordnung Nr. 1408/71 und die Durchführungsverordnung Nr. 574/7212 koordinieren die verschiedenen Systeme der sozialen Sicherheit, um die Ausübung dieses grundlegenden Rechts auf Freizügigkeit zu erleichtern. EU-Bürger haben auch das Recht, in anderen Mitgliedstaaten zu studieren, und zwar unter den gleichen Bedingungen wie Staatsangehörige dieser Länder.

Die Richtlinie 2005/36/EG regelt die Anerkennung beruflicher Qualifikationen für den Fall der Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat und soll die grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen in einem anderen Mitgliedstaat als dem Niederlassungsstaat erleichtern. Die Richtlinie verpflichtet die zuständigen Behörden des Aufnahme- und des Herkunftsmitgliedstaats zum Austausch von Informationen über etwaige Disziplinarmaßnahmen oder strafrechtliche Sanktionen bzw. sonstige schwerwiegende, genau bestimmte Sachverhalte. Abgesehen von diesem rechtlichen Rahmen sind auch Berufsorganisationen tätig geworden, etwa mit der Initiative "Health Professionals Crossing Borders" oder der Pilotinitiative "Heilberufsausweis". Beide sollen den Zugang zu Informationen in Fällen verbessern, in denen Zweifel an der beruflichen Zuverlässigkeit bestehen. Die Fortschritte dieser Initiativen müssen weiter beobachtet werden.

Im Rahmen der Freizügigkeit von Studierenden und Erwerbstätigen können die Arbeitskräfte des Gesundheitswesens dort hingehen, wo sie am meisten gebraucht werden. Es gibt jedoch verschiedene Gründe für die Mobilität der Beschäftigten: bessere Karriere- und Aus-, Weiter- oder Fortbildungsmöglichkeiten sowie bessere Verdienstmöglichkeiten oder Arbeitsbedingungen. Die Mobilität kann daher die Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern positiv oder negativ beeinflussen. In diesem Zusammenhang könnte es sein, dass einige Mitgliedstaaten nicht bereit sind, mehr Fachkräfte in Gesundheitsberufen auszubilden, wenn sie nicht damit rechnen können, dass diese im Land bleiben und sich die Investition somit lohnt.

Rechtliche Einschränkungen der Freizügigkeit können keine Antwort auf die Auswirkungen der gestiegenen Mobilität sein; vielmehr ist dieses Problem mit geeigneten Maßnahmen anzugehen. Für das Arbeitskräftemanagement auf lokaler und/oder nationaler Ebene könnte sich aus der gestiegenen Mobilität der Arbeitskräfte die Notwendigkeit ergeben, die bisherigen Vorgehensweisen in Bezug auf die Einstellung und berufliche Weiterentwicklung von Arbeitskräften auf den Prüfstand zu stellen.

Die Bürgerinnen und Bürger haben auch das Recht auf Zugang zur Gesundheitsversorgung in anderen Mitgliedstaaten. Die vorgeschlagene Richtlinie für eine grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung in der EU soll die Anwendung gemeinsamer Grundsätze in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung gewährleisten. Eine Säule dieser Richtlinie bildet die Verwirklichung des Potenzials europäischer Zusammenarbeit in Bereichen, in denen dies sinnvoll ist, etwa in Grenzregionen, mittels europäischer Referenznetze von Fachzentren, durch ein EU-Netz für die Bewertung von Gesundheitstechnologien oder durch Gesundheitstelematik.

Einflussfaktoren und möglicher Handlungsbedarf:

4.5. Globale Migration von Arbeitskräften des Gesundheitswesens

Ein Mangel an Fachkräften im Gesundheitswesen besteht weltweit, besonders stark ist er jedoch in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara zu spüren, wo sich das Problem zu einer regelrechten Krise entwickelt hat13. Der Mangel wird durch erhöhte Nachfrage und Wettbewerb um medizinisches und Krankenpflegepersonal in den Industrieländern noch verschärft.

Die Gesundheitsmaßnahmen innerhalb der EU wirken sich auch in erheblichem Maße auf die Außen- und Entwicklungspolitik der EU aus. Solange die EU keine geeigneten Maßnahmen ergreift, um dafür zu sorgen, dass intern genügend Fachkräfte im Gesundheitswesen ausgebildet und gehalten werden können, werden sich die negativen Auswirkungen der Migration auf die Gesundheitssysteme der Entwicklungsländer in Zukunft wohl kaum verringern14.

Mit der im Dezember 2005 angenommenen EU-Strategie über Maßnahmen zur Bekämpfung des akuten Fachkräftemangels im Gesundheitswesen der Entwicklungsländer15 sowie mit dem ein Jahr später verabschiedeten Aktionsprogramm zur Bekämpfung des akuten Gesundheitspersonalmangels in den Entwicklungsländern (2007-2013)16 hat sich die EU verpflichtet, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um ihr eigenes Ziel - nämlich eine Gesundheitsversorgung von hoher Qualität bereitzustellen - zu erreichen, ohne dass sich dies negativ auf die Lage in Nicht-EU-Ländern auswirkt.

Die EU ist dabei, eine gemeinsame Zuwanderungspolitik17 zu entwickeln. In diesem Rahmen versucht sie - etwa durch Förderung der zirkulären Migration - zu verhindern, dass die Entwicklungschancen von Drittländern beispielsweise durch einen noch stärkeren "Brain drain" beeinträchtigt werden. Diese Aspekte sind insbesondere Bestandteil des Gesamtansatzes zur Migrationsfrage18. Außerdem hat die Europäische Kommission im Jahr 2007 einen Vorschlag für eine Richtlinie über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zur Ausübung einer hochqualifizierten Beschäftigung vorgelegt19. Dieser Vorschlag enthält eine Bestimmung, der zufolge Sektoren wie der Gesundheitsbereich, in denen Arbeitskräftemangel herrscht, Einstellungen nach ethischen Grundsätzen vornehmen sollen.

In den letzten zehn Jahren wurden Verhaltenskodizes für Einstellungen nach ethischen Grundsätzen entwickelt, die für eine Eindämmung der negativen Auswirkungen der Migrationsflüsse auf gefährdete Gesundheitssysteme in Entwicklungsländern sorgen sollen. Im Vereinigten Königreich gibt es einen Code of Practice for International recruitment20;

Norwegen21 und die Niederlande22 haben ebenfalls Einstellungsstrategien entwickelt, die auch auf ethischen Grundsätzen beruhen und aktive staatliche Einstellungsmaßnahmen begrenzen oder die Anwerbung über bilaterale Abkommen fördern. Auf EU-Ebene hat der Ausschuss für den europäischen sozialen Dialog im Krankenhaussektor, dem die europäischen Sozialpartner HOSPEEM und EPSU angehören, im Jahr 2008 einen gemeinsamen "Code of Conduct and follow-up on Ethical Cross-Border Recruitment and Retention"23 beschlossen. Dieser zielt darauf ab, ethisches Verhalten zu fördern und unethische Praktiken bei der grenzübergreifenden Anwerbung von Fachkräften des Gesundheitswesens zu unterbinden.

Die EU hat sich verpflichtet, einen Verhaltenskodex für die Anwerbung von Fachkräften des Gesundheitswesens in Nicht-EU-Ländern nach ethischen Grundsätzen auszuarbeiten und weitere Schritte einzuleiten, um die negativen Auswirkungen der Zuwanderung solcher Fachkräfte in die EU zu minimieren und die positiven Auswirkungen zu maximieren24. Die Notwendigkeit, diese Verpflichtung einzuhalten, wird in dem im September 2008 angenommenen Fortschrittsbericht über die Durchführung des Aktionsprogramms25 erneut dargelegt.

Einflussfaktoren und möglicher Handlungsbedarf:

4.6. Daten zur Unterstützung der Entscheidungsfindung

Die bisher beschriebenen Fragen stellen die Planer, Anbieter und Manager der Gesundheitssysteme vor große Herausforderungen. Die Situation wird derzeit durch das Fehlen aktueller und EU-weit vergleichbarer Daten behindert, z.B. zur Anzahl der Personen, die im Gesundheitswesen beschäftigt sind oder eine entsprechende Ausbildung machen, zu ihren Spezialisierungen, ihrer geografischen Verteilung, ihrem Alter, Geschlecht oder Herkunftsland. Da sich Defizite in einem Teil Europas auch in anderen Teilen auswirken können, sind alle Gesundheitsbehörden in der gesamten EU darauf angewiesen, bei der Planung und Bereitstellung von Gesundheitsdienstleistungen auf entsprechend umfassende Informationen zurückgreifen zu können.

Aus einem 2006 im Auftrag der WHO erstellten Bericht27, der fünf Länder-Fallstudien - über Estland, Deutschland, Litauen, Polen und das Vereinigte Königreich - umfasst, geht hervor, dass keines dieser Länder präzise und vollständige Angaben zu den internationalen Strömen von Arbeitskräften im Gesundheitswesen machen konnte. Meist werden diese Ströme anhand von Bescheinigungen gemessen, die zur Vorlage bei zuständigen Behörden ausgestellt werden ("Gleichwertigkeitsbescheinigungen"). Auf diese Weise erhält man einen jährlichen Gesamtüberblick über die Zahl derjenigen, die einen Umzug ins Ausland planen; doch nicht alle tun dies dann auch wirklich, und andere lassen sich solche Beglaubigungen möglicherweise mehrmals ausstellen. So heißt es beispielsweise im Länderbericht über Estland, dass von den 344 Ärzten, die sich eine Bescheinigung ausstellen ließen, nur 182 tatsächlich ausgewandert sind.

Die Europäische Kommission erhebt Daten zu Entscheidungen über die Anerkennung von Qualifikationen auf der Grundlage von sektoralen Anerkennungssystemen. Diese Daten finden Sie auf folgender Website: http://ec.europa.eu/internal_market/qualifications/regprof/index.cfm .

Daraus geht hervor, wer in einen anderen Mitgliedstaat gegangen ist, um dort einen Beruf auszuüben, oder wer dies vorhatte. Da allerdings keine weiteren Informationen darüber vorliegen, ob die Betreffenden dann tatsächlich eine Stelle in einem anderen Mitgliedstaat angetreten haben bzw. ob sie danach in einen Drittstaat abgewandert oder wieder in ihr Herkunftsland zurückgekehrt sind, können derartige Daten nur einen ungefähren Überblick geben.

Andere, von EUROSTAT erhobene Daten zur Anzahl der Erwerbstätigen in Gesundheitsberufen stützen sich auf Daten, welche die einzelnen Mitgliedstaaten zuvor erhoben haben. Diese Daten finden Sie auf folgender Website: http://ec.europa.eu/health/ph_information/dissemination/echi/echi_de.htm .

Darüber hinaus läuft ein von der EU gefördertes OECD-Projekt zur Migration von Ärzten und Krankenpflegepersonal in den 25 OECD/EU-Ländern, das in Zukunft auch weitere Fachkräfte des Gesundheitswesens einbeziehen wird. Dieses Projekt wird nützliche Informationen liefern, kann jedoch keine vollständige Vergleichbarkeit der Daten gewährleisten, da sich die Meldeverfahren unterscheiden und die Mitgliedstaaten in unterschiedlichem Maße Daten zentral erheben.

Das Europäische Migrationsnetz (EMN)28 erstellte im November 2006 eine Studie über gelenkte Migration im Gesundheitswesen, an der sich elf seiner nationalen Anlaufstellen beteiligten. Es kam zu dem Ergebnis, dass Daten - insbesondere Daten zu Fachkräften mit der Staatsangehörigkeit eines Drittstaats - nur in begrenztem Maße vorlagen und sogar innerhalb der einzelnen Mitgliedstaaten aus verschiedenen Quellen zusammengestellt werden mussten.

Einflussfaktoren und möglicher Handlungsbedarf:

5. Die Auswirkungen neuer Technologien: Verbesserung der Effizienz der Arbeitskräfte im Gesundheitswesen

Die Fortschritte in der Gesundheitsversorgung hängen vom wissenschaftlichen und technischen Fortschritt ab. Neue Technologien beeinflussen, was erreicht werden kann und wie die gesundheitliche Versorgung organisiert und erbracht wird. Neue Technologien ermöglichen es den Beschäftigten im Gesundheitswesen nun auch, leichter Informationen auszutauschen und enger zusammenzuarbeiten, was die allgemeine Versorgungsqualität verbessert. Bei bestimmten Krankheiten und Patienten machen Technologien es möglich, die Behandlung wohnortnäher anzubieten, in die Primärversorgung zu integrieren oder sogar aus den Krankenhäusern heraus in das häusliche Umfeld der Patienten zu verlagern, deren Lebensqualität dadurch erhöht wird; außerdem wird damit ein Beitrag zur besseren Nutzung der Ressourcen geleistet.

Kurzfristig können neue Technologien wie Telemedizin die Versorgung in abgelegenen Gebieten oder Gegenden, in denen es nicht genug Fachkräfte gibt, verbessern. So gibt es in der EU Gebiete, in denen mithilfe der Telemedizin Ferndiagnosen gestellt werden. Die Ferndiagnose der Ergebnisse von Mammografie-Screenings kann den Zugang zu solchen Untersuchungen und die Versorgung der Patienten verbessern.

Die Einführung neuer Technologien erfordert entsprechende Schulungen und gegebenenfalls Nach- oder Umschulungen der Beschäftigten im Gesundheitswesen, damit sie diese Technologien auch einsetzen können. Außerdem bedarf es der Akzeptanz durch die Beschäftigten, diese Technologien einzusetzen, die mitunter bewährte Arbeitsverfahren und -strukturen in Frage stellen. Demnächst wird die Kommission in ihrer Mitteilung "über den Nutzen der Telemedizin für Patienten, die Gesellschaft und die Wirtschaft" einen europäischen Rahmen vorstellen, der Lösungsansätze für einige dieser Herausforderungen enthält.

Einflussfaktoren und möglicher Handlungsbedarf:

6. Die Bedeutung Selbständiger für das Arbeitskräftepotenzial im Gesundheitswesen

Manche Erwerbstätige der Gesundheitsbranche - Ärzte, Psychologen, Zahnärzte, Podologen, Physiotherapeuten und Ergotherapeuten - betreiben als Selbständige ihre eigenen Praxen oder Zentren und beschäftigen Personal. Die Maßnahmen der Kommission zur Verbesserung des unternehmerischen Umfelds in Europa und zur Unterstützung und Förderung der Selbständigkeit wirken sich auf diesen Personenkreis aus. Am 4. Oktober 2007 wurde eine Mitteilung der Kommission mit dem Titel "Kleine und mittlere Unternehmen - Schlüsselfaktoren für mehr Wachstum und Beschäftigung. Eine Halbzeitbewertung der zeitgemäßen KMU-Politik" veröffentlicht. Darin wird die Bedeutung des Beitrags anerkannt, den KMU im Hinblick auf die Verwirklichung der Ziele der Lissabon-Strategie - Förderung des Wirtschaftswachstums und Schaffung neuer und besserer Arbeitsplätze - leisten. Solche Unternehmer können zur Stärkung des Wachstums in Europa beitragen, Innovationen, lokale Entwicklung, Berufsbildung und Beschäftigung entscheidend voranbringen und einen Beitrag zur Verbesserung des Zugangs zur Gesundheitsversorgung leisten.

Der so genannte Small Business Act (SBA) ist ein wichtiges Element der Wachstums- und Beschäftigungsstrategie der EU (Mitteilung der Kommission "Vorfahrt für KMU in Europa - Der "Small Business Act" für Europa" - KOM (2008) 394). Er umfasst eine Reihe gemeinsamer Grundsätze zur Orientierung der KMU-Politik sowie Maßnahmenvorschläge zur Umsetzung dieser Grundsätze in die Praxis. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Förderung des Unternehmergeistes, der Verankerung des Prinzips, zuerst an die Dimension kleiner Unternehmen zu denken, in der politischen Entscheidungsfindung und der Förderung des KMU-Wachstums.

Einflussfaktoren und möglicher Handlungsbedarf:

7. Kohäsionspolitik

Die Entwicklung des Arbeitskräftepotenzials des Gesundheitswesens in der EU steht auch mit der Kohäsionspolitik in Zusammenhang. Der geltende Rechtsrahmen ermöglicht es, zur Entwicklung des Fachkräftepotenzials auf die Strukturfonds zurückzugreifen. Die Strategischen Leitlinien der Gemeinschaft für die Kohäsion, in denen die Prioritäten für den Einsatz der Strukturfonds im Zeitraum 2007-2013 festgelegt sind, enthalten einen Abschnitt, in dem auf das Ziel "Schutz der Gesundheit der Arbeitskräfte" eingegangen wird. In der Verordnung über den Europäischen Sozialfonds vom Juli 2006 (Verordnung Nr. 1081/2006) werden die Verlängerung des Arbeitslebens und "bessere Gesundheit" als prioritäre Bereiche des ESF genannt. In diesem Zusammenhang planen einige (meist neue) Mitgliedstaaten erhebliche Investitionen in die Aus-, Weiter- und Fortbildung von Fachkräften im Gesundheitswesen und wollen dabei auf den Europäischen Sozialfonds zurückgreifen. Darüber hinaus werden 5,2 Milliarden EUR aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung in die Infrastruktur des Gesundheitswesens fließen. Der wirkungsvolle Einsatz der Strukturfonds zur Verbesserung der Qualifikationen und Kompetenzen von Fachkräften des Gesundheitswesens und zum Ausbau der Infrastruktur des Gesundheitswesens kann einen sinnvollen Beitrag zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Qualität von Gesundheitsdienstleistungen darstellen und auf diese Weise Versorgungslücken schließen und den Zusammenhalt innerhalb und zwischen den Mitgliedstaaten stärken.

Einflussfaktoren und möglicher Handlungsbedarf:

8. Anhörung

Die Europäische Kommission bittet alle interessierten Organisationen, sich spätestens bis zum 31. März 2009 zu den in diesem Grünbuch angesprochenen Fragen zu äußern und ihre Stellungnahme möglichst an folgende E-Mail-Adresse:


SANCO-healthworkforce@ec.europa.eu
oder an folgende Anschrift zu schicken:
Europäische Kommission, B-1049, Brüssel, Belgien.

Sofern in der Stellungnahme nichts Gegenteiliges angegeben ist, gehen die Dienststellen der Kommission davon aus, dass die Verfasser keine Einwände gegen die vollständige oder teilweise Veröffentlichung ihrer Stellungnahme auf der Website der Kommission und/oder in Berichten haben, in denen die Ergebnisse der Anhörung analysiert werden.