Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung des Europäischen Parlaments vom 4. Dezember 2008 über die Erstellung eines Europäischen Kormoran-Managementplans zur Reduzierung der zunehmenden Schäden durch Kormorane für Fischbestände, Fischerei und Aquakultur (2008/2177(INI))

Das Europäische Parlament,

A. unter Hinweis auf schnell wachsende Bestände an Kormoranen (Phalacrocorax carbo) im Gebiet der Europäischen Union, deren Gesamtpopulation sich in Europa in den letzten 25 Jahren verzwanzigfacht hat und heute bei einer Mindestschätzung von 1,7 bis 1,8 Millionen Vögel liegt,

B. in Erwägung der nachweislichen und nachhaltigen Schäden in Aquakulturbetrieben und in den Beständen zahlreicher Wildfischarten in den Binnengewässern und an der Meeresküste in vielen Mitgliedstaaten,

C. in der Erwägung, dass die Umsetzung eines ökosystemorientierten Ansatzes zur Bewirtschaftung der Meeres- und Küstengebiete sowie der Binnengewässer einer ausgewogenen Politik bedarf, die einen Ausgleich zwischen den unterschiedlichen, aber durchaus legitimen Zielen einer nachhaltigen Nutzung der Fischbestände sichern kann: Vogelschutz und Erhaltung einer vielfältigen Vogel- und Fischfauna einerseits, sowie das legitime Interesse von Fischern und Teichwirten an der wirtschaftlichen Nutzung der Fischbestände andererseits; ferner in der Erwägung, dass die Verordnung (EG) Nr. 1100/2007 des Rates vom 18. September 2007 mit Maßnahmen zur Wiederauffüllung des Bestands des Europäischen Aals5 ein Beispiel für eine solche ausgewogene Politik darstellt,

D. unter Hinweis darauf, dass Kormorane in vielen Mitgliedstaaten zudem nachweislich dauerhafte Schäden an der Vegetation in bestimmten Gebieten verursacht haben,

E. in der Erwägung, dass es derzeit innerhalb der Europäischen Union, sowie mit betroffenen Drittstaaten, keine ausreichende bilaterale und multilaterale Koordinierung auf wissenschaftlicher und administrativer Ebene gibt, um dieses Phänomen zu erfassen und dieser Entwicklung entgegenzutreten, vor allem hinsichtlich der Erhebung von zuverlässigem und allgemein anerkanntem Datenmaterial über die Gesamtpopulation an Kormoranen in der Europäischen Union,

F. in Erwägung der Tatsache, dass die Unterart Phalacrocorax carbo sinensis (Festlandkormoran) bereits im Jahr 1997 aus der Liste jener Vogelarten gestrichen wurde, für die besondere Schutzmaßnahmen in Bezug auf den Lebensraum gelten (Anhang I der Vogelschutzrichtlinie), da diese Unterart seit spätestens 1995 einen günstigen Erhaltungsstatus (Favourable Conservation Status) erreicht hatte, während die nie gefährdeten Unterart Phalacrocorax carbo carbo (Atlantischer Kormoran) in diese Liste gar nicht aufgenommen worden war,

G. in Erwägung der Tatsache, dass Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe a Spiegelstrich 3 der Vogelschutzrichtlinie den Mitgliedstaaten die Möglichkeit einräumt, zur Verhinderung "erheblicher Schäden" zeitlich begrenzte Abwehrmaßnahmen zu ergreifen, sofern dadurch die Schutzziele der Vogelschutzrichtlinie (konkret: der günstige Erhaltungsstatus der Vogelart) nicht gefährdet sind,

H. in Erwägung der Tatsache, dass die Gefahr von erheblichen Schäden überproportional zunimmt, je mehr sich in einer Region die Zahl der Kormorane der Tragfähigkeitsgrenze (Carrying Capacity) der großflächigen Gewässer nähert, wobei gleichzeitig die Wirksamkeit lokaler Abwehrmaßnahmen stark reduziert wird,

I. in der Erwägung, dass der im Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe a Spiegelstrich 3 der Vogelschutzrichtlinie unklar definierte Begriff des "erheblichen Schadens", der den Mitgliedstaaten direkte Eingriffe zur Regulierung einer Vogelpopulation erlaubt, zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit bei den nationalen Verwaltungen geführt hat und einen beträchtlichen sozialen Konfliktstoff darstellt,

J. in der Erwägung, dass sich die Schlussfolgerungen der internationalen Expertengremien bezüglich der Kormoranproblematik in Europa grundsätzlich widersprechen, wie die Abschlussberichte von REDCAFE6 sowie FRAP7 und EIFAC8 zeigen,

K. in der Erwägung, dass die Zulassung und Finanzierung von Maßnahmen zur Eindämmung von Schäden durch Kormorane zwar eine Zuständigkeit der Mitgliedstaaten bzw. Regionen ist, dass aber allein aufgrund des Zugvogelcharakters der Kormorane ein nachhaltiges Management der Bestände nur durch ein koordiniertes Vorgehen aller betroffenen Mitgliedstaaten und Regionen mit Hilfe der Europäischen Union gesichert werden kann,

L. in der Erwägung, dass es in der Mitteilung der Kommission "Eine Strategie für die nachhaltige Entwicklung der europäischen Aquakultur" im Abschnitt "Dezimierung durch geschützte Arten" heißt: "Die Bestände in Aquakulturanlagen können durch einige geschützte Arten von wild lebenden Vögeln und Säugetieren dezimiert werden, was wiederum die Rentabilität eines Aquakulturunternehmens erheblich beeinträchtigen kann. Es ist schwierig, diese Räuber zu bekämpfen, insbesondere im Falle großer Teiche oder Lagunen. Die Wirksamkeit der Abschreckungsmittel ist zweifelhaft, da sich die Räuber rasch hieran gewöhnen. Im Falle von Kormoranen besteht der einzige Schutz für die Fischerei und die Aquakultur möglicherweise in der Bewirtschaftung der immer noch wachsenden Wildpopulationen",

M. in der Erwägung, dass der Rat auf seiner Tagung vom 27. und 28. Januar 2003 im Hinblick auf die Strategie für die nachhaltige Entwicklung der europäischen Aquakultur gefordert hat, es "muss eine gemeinsame Strategie hinsichtlich der Fisch fressenden Tiere (beispielsweise Kormorane) entwickelt werden",

N. unter Hinweis auf die kürzlich von der Kommission verbreiteten "Guidelines for Population Level Management Plans for Large Carnivores"9, insbesondere hinsichtlich Klärung der Begriffe "Favourable Conservation Status" und "Minimum Viable Population" sowie hinsichtlich der Feststellung, dass die Schutzziele leichter erreichbar sein können, wenn die Anzahl der Individuen einer Art unter der theoretisch maximalen Tragfähigkeit eines Gebietes gehalten wird,

O. unter Hinweis darauf, dass die bisher versuchten nationalen, regionalen und lokalen Maßnahmen unterschiedlichster Art nachweislich nur sehr begrenzte Wirkung zur Eindämmung von Schäden durch die Kormoran-Populationen haben,

P. unter Hinweis auf die Tatsache, dass in den vergangen Jahren zur Verfügung stehende Mittel zur Datenerhebung im Fischereisektor nicht voll ausgeschöpft wurden (z.B. Haushaltslinie 11 07 02: Unterstützung für die Bewirtschaftung der Fischbestände (Verbesserung der wissenschaftlichen Gutachten)),

Q. unter Hinweis auf die Tatsache, dass die aktuell in fast allen Mitgliedsstaaten gemäß Artikel 9 der Vogelschutzrichtlinie erlassenen Ausnahmeregelungen zur lokalen Schadensabwehr trotz hohen administrativen Aufwands und hoher sozialer Kosten nicht zu einer nachhaltigen Entspannung des Problems geführt haben,

R. unter Hinweis auf die Tatsache, dass die Kommission trotz wiederholter Aufforderungen von Seiten der Betroffenen (Fischerei- und Anglerverbände, Aquakulturbetriebe usw.), der Wissenschaft, sowie Gremien und Vertretungen der Mitgliedstaaten und Regionen nicht bereit war, neue Vorschläge zur Lösung einer europaweiten Problematik zu unterbreiten,