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Überlegungen zur Ermittlung der Standortcharakteristik und Ermittlung der Nutzungscharakteristik

Umweltbundesamt 12/1991

Ausschuß "Verhalten von wassergefährdenden Stoffen" des Beirats
"Lagerung und Transport wassergefährdender Stoffe"(LTwS)
beim Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit



Vorwort 

Ein anlagenbezogenes Sicherheitskonzept in Abhängigkeit des von Stoffen ausgehenden Gefährdungspotentials ist ein wesentliches Element zur konsequenten Verhinderung des unkontrollierten Stoffübergangs aus technischen Systemen.

Um solche unkontrollierten Stoffübergänge zu verhindern, müssen die Anlagen nach § 19g des Wasserhaushaltsgesetzes dem Besorgnisgrundsatz genügen.

Dies wird u.a. in den Anforderungskatalogen der Länderarbeitsgemeinschaft Wasser berücksichtigt.

Das anlagenbezogene Sicherheitskonzept richtet sich nach dem Gefährdungspotential, das von einer Anlage zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen auf einem bestimmten Standort in einer spezifischen Umgebung ausgeht.

Die Standort- und Nutzungscharakterisierung ist ,neben den stoffspezifischen Bewertungen ein weiteres Kriterium, das zur Abschätzung des Gefährdungspotentials herangezogen werden kann.

Für die stoffspezifische Bewertung liegt mit der Klassifizierung der Stoffe in Wassergefährdungsklassen (WGK) ein in die Praxis eingeführtes Bewertungssystem vor [1]. Mit diesen Überlegungen sollen vor allem Denkanstöße gegeben werden, um das Gefährdungspotential noch besser abschätzen zu können. Sie haben keinen Rechtscharakter". Vielmehr sollen sie dazu dienen, die wesentlichen Gesichtspunkte in der Beurteilung der örtlichen Gegebenheiten herausarbeiten zu helfen.

1 Zielsetzung

Der Umgang mit wassergefährdenden Stoffen stellt im Hinblick auf den Grundwasserschutz einen bedeutenden Bereich in der Gewässerschutzpolitik dar, auf den konsequent das Vorsorgeprinzip anzuwenden ist. Er befaßt sich nach der 5. Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz ( § 19g WHG) von 1986 mit dem Lagern, Abfüllen, Umschlagen, Herstellen, Behandeln und Verwenden von wassergefährdenden Stoffen sowie der Beförderungen in werksinternen Rohrleitungsanlagen. Aus diesem Bereich des anlagenbezogenen Umgangs mit wassergefährdenden Stoffen sind zunehmend erhebliche Kontaminationen des Bodens und des Grundwassers bekannt geworden, so daß gerade dem präventiven Grundwasser- und Bodenschutz besondere Aufmerksamkeit zu widmen ist.

Vor dem Hintergrund des Umgangs mit wassergefährdenden Stoffen bedarf es eines vom Gefährdungspotential der Stoffe ausgehenden adäquaten anlagenbezogenen Sicherheitskonzeptes. Dieses Konzept (Abb. 1) gliedert sich in zwei Komponenten:

Es trägt dem in § 34 Abs. 2 WHG verankerten Besorgnisgrundsatz Rechnung und berücksichtigt den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit [4, 5], denn die Besorgnis einer Boden- oder Gewässerverunreinigung hängt im Einzelfall von der Wahrscheinlichkeit eines Schadens an der Anlage und den möglichen Folgewirkungen ab. Die aus dem Gefährdungspotential abzuleitende Besorgnis ist um so größer, je wahrscheinlicher der Schadenseintritt und je schwerwiegender die Folge ist. Daraus lassen sich differenzierte anlagenbezogene Anforderungen ableiten.

Die Begründung für eine detaillierte Standortcharakterisierung findet sich in den Anforderungskatalogen der Länder zum Lagern sowie zum Abfüllen und Umschlagen wassergefährdender Stoffe [6,9]. Die danach vorzunehmende Gefahrenanalyse macht eine Untersuchung der hydrogeologischen Beschaffenheit des Aufstellungsortes und seines Untergrundes erforderlich, um daraus besondere Schutzmaßnahmen und Schutzanforderungen ableiten zu können.

Die nachfolgenden Ausführungen berücksichtigen Situationen, in denen aus punktförmigen Quellen relativ große Frachten an Schadstoffen freigesetzt werden können. Darunter fallen alle Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen als auch Altablagerungen und kontaminierte Betriebsflächen. Flächenhafte Kontaminationen z.B. aus der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln oder infolge der weiträumigen Luftverfrachtung von Schadstoffen werden hiermit nicht erfaßt.

Abb. 1: Fließschema für ein Anlagenbezogenes Sicherheitskonzept

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Einschätzung des Gefährdungspotentials

Das Gefährdungspotential (GP) wird im wesentlichen durch die drei Kriterien "Stoffcharakteristik (ST)", "Standortcharakteristik (SC)" und "Nutzungscharakteristik (NU)" bestimmt:

GP = f(ST, SC, NU)

In der Stoffcharakteristik (ST) werden die stoffspezifischen Eigenschaften und die Stoffmenge zusammengefaßt. Die stoffspezifischen Eigenschaften werden durch das stoffspezifische Gefährdungspotential (SG) und das Migrationsverhalten (MV) erfaßt.

Das stoffspezifische Gefährdungspotential (SC) beschreibt die relevanten Eigenschaften eines Stoffes hinsichtlich Toxizität, Persistenz, Akkumulierbarkeit, Cancerogenität etc. Das stoffspezifische Migrationsverhalten (MV) charakterisiert das Verhalten eines Stoffes im aufnehmenden Medium Untergrund bzw. Grundwasser. Unter der zu berücksichtigenden Stoffmenge (SM) sind die in Frage kommenden Auslaufmengen aus der jeweiligen technischen Anlage zu verstehen.

Die Standortcharakteristik (SC) ergibt sich aus der lokalen Situation am Standort. Sie umfaßt u.a. den Wasserhaushalt, die Struktur des Untergrundes sowie die Grundwasserhydraulik.

In dem Kriterium Nutzungscharakteristik (NU) wird die Beziehung einer zu planenden Anlage zu bereits vorhandenen Nutzungen berücksichtigt und deren eventuelle Gefährdung durch die neue Anlage abgeschätzt.

Aus diesen drei Kriterien ist in geeigneter Weise ein Gesamtgefährdungspotential beispielsweise für eine konkrete Anlage an einem konkreten Standort zu bestimmen.

2 Ermittlung der Standortcharakteristik

2.1 Einleitung

In den folgenden Ausführungen wird das Kriterium "Standortcharakteristik" im Detail dargestellt. Mit diesen Überlegungen sollen die vielfältigen Einflußgrößen problemorientiert auf ihre Relevanz hin geprüft und geordnet werden, um für die anstehende Problemstellung nicht Unwesentliches überzubetonen und Wesentliches zu vergessen. Ferner wird eine Bewertung der einzelnen Parameter vorgenommen, um für die Gesamtbewertung des Gefährdungspotentials quantifizierbare Größen zu erhalten. Diese Überlegungen stellen eine Möglichkeit dar, die vielfältigen und unterschiedlichen Kriterien, die einen Standort charakterisieren, systematisch zu erfassen und sie zusammenfassend zu bewerten.

Über das Kriterium "Standortcharakteristik" wird, wie das Fließschema (Abb. 2) zeigt, die potentielle Empfindlichkeit des Standortes bewertet. Sie wird durch die vier Größen Hydrologie, Grundwasserüberdeckung, Grundwasserleiter und Grundwasserhydraulik beschrieben.

Mit Erfassung dieser Einflußgrößen soll für den jeweiligen Standort das Eindringen des Schadstoffes in den Untergrund (vertikale Versickerung) und seine Ausbreitung im Grundwasser (horizontaler Transport) gewertet werden. So bringt z.B. eine Anlage auf einem unbedeckten Karstgrundwasserleiter weitaus größere Gefahren mit sich als auf einem durch Deckschichten geschützten Grundwasserleiter mit geringen Fließgeschwindigkeiten.

Die nach diesen Überlegungen durchgeführte Standortbewertung berücksichtigt schwerpunktmäßig den Grundwasserschutz. Im Hinblick auf andere Ziele, wie die des Bodenschutzes oder des Biotopenschutzes sind andere Kriterien und Verknüpfungsverfahren zu entwickeln. Eine Gewichtung des Grundwasserschutzes im Verhältnis zu anderen Schutzaspekten hat im konkreten Einzelfall zu erfolgen.

Die Standortcharakteristik (SC) in bezug auf die Grundwassergefährdung wird durch die Hauptkriterien "Hydrologie, Grundwasserüberdeckung, Grundwasserleiter und Grundwasserhydraulik" bestimmt:

SC = f(SCHY, SC, SCGL, SCGHy)

Da die Grundwasserströmung die maßgebliche Komponente für die horizontale Stoffausbreitung darstellt, wird die Grundwasserhydraulik stärker als die drei anderen Kriterien gewichtet.

Abb. 2: Kriterien zur Bewertung der Standortcharakteristik

2.2 Hydrologie

Bei der Bewertung der möglichen Grundwassergefährdung ist zu berücksichtigen, ob es sich um wasserlösliche oder wasserunlösliche Stoffe bzw. um Feststoffe, Flüssigkeiten oder Gase handelt. Während Flüssigkeiten sich eigenständig vertikal nach unten ausbreiten können, müssen Feststoffe oder Gase erst in Wasser gelöst werden.

Der effektive Niederschlag, der regional sehr unterschiedlich ist, ist als Lösemittel und als Transportmedium die maßgebende Größe. Zusätzlich verstärkt er häufig durch Verdrängung der Flüssigkeiten aus dem Poren und Kluftraum den Schadstofftransport. Der effektive Niederschlag entspricht der Grundwasserneubildung, für deren Ermittlung einschlägige Verfahren existieren [10, 12, 14].

Der Einfluß der Hydrologie SCHY ergibt sich nach der Tabelle 1.

Tab. 1: Bewertung Hydrologie

effektiver Niederschlag/Jahr SCHY
< 200 mm 1
200 - 500 mm 2
> 500mm 3

2.3. Grundwasserüberdeckung

Als Grundwasserüberdeckung wird nach DIN 4049 der gesamte Gesteinskörper (sowohl Locker- als auch Festgestein) oberhalb der Grundwasseroberfläche definiert. Die Grundwasserüberdeckung gliedert sich in Boden und Deckschichten.

Als Boden wird der oberste Bereich betrachtet, der durch seine speziellen Aktivitäten zur Rückhaltung und zum Abbau von Stoffen gekennzeichnet ist. Die Böden der Bundesrepublik Deutschland werden nach einem System klassifiziert, das den Profilaufbau und damit die Bodenentwicklung widerspiegelt [7]. Daher lassen sich näherungsweise Aussagen ableiten, inwieweit der Boden in der Lage ist, Schadstoffe aus dem Stoffkreislauf chemisch und physikalisch auf Dauer zurückzuhalten (Retentionsvermögen aufgrund von Residualsättigungen) bzw. eine zeitliche Transportverzögerung (Retardation) bewirkt. Die nachfolgende Tabelle 2 bewertet auf der Grundlage der Bodenkarte der Bundesrepublik Deutschland der Bundesanstalt für Bodenforschung von 1963 [8] das Retentionsvermögen der Böden durch die Wertziffern WZ I 4 [3, 11].

Tab. 2: Bewertung Boden

vorherrschender Bodentyp vorherrschende Bodenart Wertziffer I
(WZ I)
Parabraunerde guter bis mittlerer Basenversorgung, ortl. tschermosenartig und Pararendizina schluffiger Lehm
meist mit schwerem Unterboden
1
Parabraunerde guter bis mittlerer Basenversorgung schluffiger Lehm mit schwerem Unterboden
Tschernosem schluffiger Lehm
degradierter Tschernosem schluffiger Lehm, meist über schwerem Unterboden
sonstige Parabraunerden Lehme und Sande 2
Braunerde guter bis mittlerer Basenversorgung z.T. podsoliert, örtl. Pseudogley schluffiger Lehm
Rendzina steiniger Lehm bis Ton
Pararendzina schluffiger Lehm
Braunerde, Pseudogley örtl. Podsol u. Rendzina, mittel-, flachgründig in kleinräumigem Wechsel lehmiger Sand bis lehmiger Ton, z.T. steinig
Psoudogley lehmiger Sand bis schluffiger Lehm, oft mittelschwerem Unterboden
Pseudogley Lehm u. Ton, z.T. steinig
Terra fusca steiniger Lehm bis Ton
Terra rossa steiniger Lehm bis Ton
Rendzina, Braunerde u. Parabraunerde, mittelflachgründig in kleinräumigem Wechsel Lehm bis schluffiger Lehm, oft steinig 3
sonstige Braunerde lehmige Sande bis sandige Lehme, oft steinig
Braunerde, Rendzina u. Podsol, mittel., flachgründig in kleinräumigem Wechsel wechselnde Bodenart steinig
Pararendzina lehmiger Sand bis sandiger Lehm
alle Podsole sandige, evtl. lehmig sandige Böden
Gleye  
Quellböden  
Tal- u. Niederungsböden  
Marschen  
Felsregionen der Hochgebirge  
Moorböden  
Borowina  
Latosol und Plastosol  
Kein Boden   4
* Beträgt der Flurabstand des Grundwassers < 2 m, so ist für alle Wertziffern ein Zuschlag von 1 vorzunehmen

Deckschichten

Die unter den Böden folgenden Deckschichten haben wegen ihrer allgemein geringen Mengen an organischer Substanz nur ein begrenztes physikochemisches Retardationsvermögen für gelöste Schadstoffe.

Die Abschätzung des Rückhaltevermögens für in Phase eindringende Schadstoffe erfolgt beim Teilkriterium Deckschichten daher auf der Bewertungsgrundlage der Residualsättigung als Folge des Filtervermögens. Eingangsgröße ist die physikalische Beschaffenheit der Deckschichten in Verbindung mit dem Flurabstand des Grundwassers. Liegen Deckschichten mit unterschiedlichen Durchlässigkeiten übereinander, so ist die Deckschicht mit der geringsten Durchlässigkeit zu bewerten, da sie maßgeblich das Filtervermögen der gesamten Deckschicht beeinflußt. In Tabelle 3 sind die entsprechenden Wertziffern (WZ II) enthalten.

Tab. 3: Teilbewertung Deckschichten

Art der Deck-
schichten
Wasserwirksame Hohlräume Mächtigkeit der
Deckschichten *
Wertziffer II
(WZ II)
Karstgestein Lösungshohlräume < 2 m 3
2 - 10 m 3
10 - 20 m 3
> 20 m 3
Kluftgestein Klüfte, Spalten, Brüche, Schichtflächen < 2 m 3
2 -10 m 3
10 -20 m 3
> 20 m 2
Kies schnell dränende Poren < 2 m 3
2-10 m 2
10 - 20 m 2
> 20 m 2
Sand überwiegend Grobporen < 2 m 3
2-10 m 2
10 -20 m 1
> 20 m 1
Schluff Grob-, Mittel- und

Feinporen

< 2 m 2
2 - 10 m 2
10 - 20 m 1
> 20 m 1
Ton überwiegend Feinporen < 2 m 2
2 -10 m 1
10-20 m 1
> 20 m 1
* Wenn Bauwerke in den Boden hinein gegründet werden, dann ist die Gründungstiefe der Bauwerke abzuziehen

Bewertung: Grundwasserüberdeckung

Die Bewertung des Kriteriums Grundwasserüberdeckung ergibt sich durch Addition der Wertziffern der Teilkriterien Boden und Deckschicht.

SC= WZ I + WZ II

In Tabelle 4 ist die Bewertung für die Grundwasserüberdeckung dargestellt.

Tab. 4: Bewertung der Standortcharakteristik für die Grundwasserüberdeckung

Summe der Wertziffern
WZ I + WZ II
SC
2 1
3 - 4 2
5 - 6 3
> 7 4

2.4 Grundwasserleiter

Die Durchlässigkeit des Grundwasserleiters wird durch seine innere Geometrie (Struktur), d.h. durch die Wasserwegsamkeit der auftretenden Hohlräume bestimmt. Da die Kluft- und Karstgrundwasserleiter stark schwankende Transmissivitäten aufweisen, können auf der Ebene des regionalen Bewertungsrahmens keine verläßlichen Aussagen zur Durchlässigkeit erfolgen. Daher werden sie im Sinne einer konservativen Abschätzung (Vorsorgeprinzip) durchgehend mit einem hohen Gefährdungspotential belegt. Ihre Bewertung erfolgt gemäß Tabelle 5.

Tab. 5: Bewertung der Standortcharakteristik nach Art und Durchlässigkeit des Grundwasserleiters

Art des Grundwasserleiters Durchlässigkeit kf SCGI
Lockergestein < 1 × 10-4 m/s 1
1 × 10-4 - 1 × 10-2 m/s 2
Kluftgestein/Karstgestein stark wechselnd 3

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Ausschuß "Verhalten von wassergefährdenden Stoffen"

Obmann: Prof. Dr. H.-P. Lühr

Dr. W. Bertsch Bundesanstalt für Gewässerkunde, Koblenz
Dr. T. Darimont Hessisches Ministerium für Umwelt und Reaktorsicherheit, Wiesbaden
Prof. Dr. O. Fränzle Universität Kiel
Dr. K.-H. Hohberger Geolog. LA Rheinland-Pfalz, Mainz
Prof. Dr. H.-P. Lühr Institut für wassergefährdende Stoffe an der TU Berlin
Dr. H.-W. Möller Umweltbundesamt Berlin
Dr. U. Schöttler Institut für Wasserforschung, Dortmund
Dr. H. Vierhuff Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, Hannover
Dr. K. Zipfel Technologieberatung Grundwasser und Umwelt TGU, Koblenz
UWS Umweltmanagement GmbH . Frame öffnen