Unterrichtung durch die Bundesregierung
Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an den Rat und das Europäische Parlament: Stärkung der Economic Governance und Klärung der Umsetzung des Stabilitäts- und Wachstumspakts KOM (2004) 581 endg.; Ratsdok. 12197/04

Übermittelt vom Bundesministerium der Finanzen am 13. September 2004 gemäß § 2 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union (BGBl. I 1993 S. 313 ff.).

Die Vorlage ist von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften am 6. September 2004 dem Generalsekretär/Hohen Vertreter des Rates der Europäischen Union übermittelt worden.

Auf Verlangen des Freistaates Thüringen erscheint die Mitteilung als Drucksache des Bundesrates.

1. auf dem WEG ZU einer besseren Economic Governance und soliden öffentlichen Finanzen

Am 18. Juni 2004 nahm der Europäische Rat eine Erklärung zum Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) an, in der bekräftigt wird, dass die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Union und der Mitgliedstaaten auf die beiden fundamentalen Ziele ausgerichtet ist, das Wachstumspotenzial zu steigern und eine solide Haushaltslage zu gewährleisten. Mit der vorliegenden Mitteilung reagiert die Kommission auf die Feststellung des Europäischen Rates, dass die Mitgliedstaaten etwaigen Vorschlägen der Kommission zu der Frage, wie die Umsetzung des Stabilitäts- und Wachstumspakts verstärkt und klarer gestaltet werden kann, mit Interesse entgegen sehen. Die Mitteilung baut auf den in der Mitteilung Öffentliche Finanzen in der WWU ­ 2004" vom 24. Juni 2004 enthaltenen Ideen auf und informiert die Mitgliedstaaten über die Ausrichtung von Vorschlägen zur künftigen Gestaltung und Funktionsweise des finanzpolitischen Rahmens der EU.

Die bewährtermaßen wirksame Überwachung der Haushaltsdisziplin muss fortgeführt und für eine strikte Umsetzung muss gesorgt werden. In dieser Hinsicht bilden die Vertragsbestimmungen, unter anderem mit den Referenzwerten von 3 % und 60 % des BIP für das öffentliche Defizit bzw. den öffentlichen Schuldenstand, weiterhin das erforderliche tragende Gerüst des finanzpolitischen Rahmens und bleiben Anker des Systems. Übermäßige Defizite sollten vermieden und, wenn sie auftreten, umgehend korrigiert werden, damit zur Erhaltung der Preisstabilität beigetragen und die langfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen gesichert wird. Der finanzpolitische Rahmen besteht aus gemeinsamen Regeln, die auf alle Mitgliedstaaten in gleicher Weise angewandt werden müssen. In einer Europäischen Union mit 25 Mitgliedstaaten, die durch beträchtliche Heterogenität und Diversität gekennzeichnet ist und angesichts der Erfahrungen von 5 Jahren in der EWU, würde ein verbesserter gemeinsamer Rahmen mit stärkerem Gewicht auf die den Regeln zugrunde liegenden ökonomischen Überlegungen es jedoch erlauben, Unterschiede in der Wirtschaftslage innerhalb der EU besser zu berücksichtigen. Das Ziel ist daher, die ökonomischen Grundlagen des bestehenden Rahmens zu verbessern und damit die Glaubwürdigkeit und Durchsetzungsfähigkeit zu stärken. Die Absicht ist nicht, die Starrheit oder Flexibilität der bestehenden Regeln zu erhöhen, sondern sie effektiver zu gestalten.

Auf dieser Grundlage geht die vorliegende Mitteilung erstens der Frage nach, wie der finanzpolitische Rahmen ­ und insbesondere der Stabilitäts- und Wachstumspakt ­ auf die bislang erlebten Unzulänglichkeiten durch mehr Gewicht auf die Konjunkturentwicklung in den Empfehlungen und stärkere Konzentration auf die Erhaltung der langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen reagieren könnte.

Zweitens wird in dieser Mitteilung geprüft, wie die Instrumente der Economic Governance der EU besser miteinander verknüpft werden könnten, um den Beitrag der Finanzpolitik zum Wirtschaftswachstum zu erhöhen und Fortschritte bei der Umsetzung der Lissabon-Strategie zu unterstützen. Drittens enthält die Mitteilung Verbesserungsvorschläge für die Durchsetzung der Rahmenvorschriften.

Die Kommission trägt mit ihrem Ansatz den Auswirkungen des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 13. Juli1 Rechnung, mit dem die jeweiligen Rollen von Kommission und Rat bei der Anwendung der finanzpolitischen Rahmenvorschriften der EU geklärt wurden. Das Urteil hat auch bestätigt, dass sich mit einem auf Regeln basierenden System am besten gewährleisten lässt, dass Verpflichtungen tatsächlich eingehalten und alle Mitgliedstaaten gleich behandelt werden.

2. Neufokussierung des Stabilitäts- und Wachtumspakts

Die fünfjährige Erfahrung mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt hat gezeigt, dass dem Pakt bei der Koordinierung der Haushaltspolitik eine zentrale Rolle zukommt. Der SWP hat zu makroökonomischer Stabilität beigetragen, was auch dadurch belegt wird, dass die Haushaltsentwicklung in der jüngsten Abschwungphase im Vergleich zu früher, als Konjunkturabschwünge gewöhnlich mit einer deutlicheren Verschlechterung der fundamentalen Haushaltsposition einhergingen, günstiger verlaufen ist. Allerdings ist es in den letzten Jahren zu Spannungen bei der Anwendung des SWP gekommen, was zu einem Verlust an Glaubwürdigkeit und Identifizierung" (ownership) und zu institutioneller Unsicherheit geführt hat. Auch die Erfahrungen mit der Anwendung der Rahmenvorschriften haben weitere Verbesserungsmöglichkeiten aufgezeigt.

In ihrer Mitteilung vom Juni 2004 prüfte die Kommission verschiedene Möglichkeiten zur Stärkung des SWP:

Bei der Stärkung und Klärung des Rahmens muss in jedem Fall ein angemessenes Gleichgewicht zwischen dem bei der haushaltspolitischen Überwachung und Koordinierung erwachsenden größeren Ermessensspielraum und der Notwendigkeit gewährleistet werden, den auf Regeln basierenden Rahmen einfach und transparent zu halten. Er muss fair und konsistent auf alle Länder angewandt werden und für die Öffentlichkeit in der EU nachvollziehbar sein. In diesem Zusammenhang haben sich die beiden nominalen Anker ­ der Defizit-Referenzwert von 3 % des BIP und der Schuldenquoten-Referenzwert von 60 % des BIP ­ bewährt und bilden weiterhin das Kernstück der multilateralen Überwachung.

Ein verstärkter Stabilitäts- und Wachstumspakt könnte Grundsätze und allgemeine Kriterien für die haushaltspolitische Überwachung festschreiben, die die Basis für die haushaltspolitische Koordinierung darstellen würden. Außerdem könnten spezifischere ökonomische Analyseinstrumente zur Bewertung der Durchführung der haushaltspolitischen Überwachung in einem Verhaltenskodex zum überarbeiteten SWP niedergelegt werden, um eine kohärente Anwendung sicherzustellen. Die wichtigsten Komponenten dieses neuen Ansatzes lassen sich wie folgt beschreiben:

3. HAUSHALTSPOLITISCHE Koordinierung

Die haushaltspolitische Überwachung in der EU in einen breiteren Kontext zu stellen bedeutet, dass die disziplinarische Seite auf EU-Ebene zusammen mit anderen Faktoren betrachtet werden muss: Wirtschafts- und Haushaltspolitik müssen die richtigen Prioritäten setzen in Richtung auf Wirtschaftsreformen, Innovation, Wettbewerbsfähigkeit und Stärkung von privaten Investitionen und privatem Verbrauch. Dies würde zur Erreichung der wirtschaftspolitischen Ziele der Lissabon-Strategie beitragen.

Eine engere Verknüpfung zwischen den Grundzügen der Wirtschaftspolitik, dem SWP und den einzelstaatlichen Haushaltsverfahren würde die Effizienz der wirtschaftspolitischen Koordinierung erhöhen. Der Beitrag der europäischen Überwachung zur einzelstaatlichen Politik könnte insbesondere einfacher und effizienter werden, indem der Zeitplan für die präventive Komponente des SWP ­ Vorlage und Bewertung der Stabilitäts- und Konvergenzprogramme ­ überdacht und besser auf die einzelstaatlichen Haushaltsverfahren abgestimmt würde.

Die Rolle der Stabilitäts- und Konvergenzprogramme könnte verstärkt werden. Erstens könnte darin jeweils zu Beginn der Amtszeit einer neuen Regierung die mittelfristige Haushaltsstrategie dargelegt werden. Die Fortschreibungen der Programme könnten dann früher im Jahr zu einer echten Exante-Übung werden. Auf diese Weise könnten die Grundzüge und die Stellungnahmen zu den Programmen bei der Aufstellung der einzelstaatlichen Haushalte durch die jeweilige Regierung berücksichtigt werden. Die Bewertung der Umsetzung der Grundzüge im frühen Verlauf des darauf folgenden Jahres würde den jährlichen Zyklus abschließen und die nächste Runde einläuten.

Eine derartige Änderung am wirtschaftspolitischen Kalender hätte mehrere Vorteile. Erstens würde eine Neuausrichtung der Stabilitäts- und Konvergenzprogramme hin zur strategischen Planung und weg von der Beschreibung des jährlichen Haushaltsentwurfs die Fokussierung auf die mittlere Sicht verstärken. Zweitens würde ein echtes EU-Halbjahr für die Wirtschaftspolitik durch die verstärkte Interaktion zwischen der europäischen und der einzelstaatlichen Ebene, bevor ein Haushalt für das Folgejahr aufgestellt wird, die Identifizierung mit der Politikkoordinierung auf EU-Ebene durch die Mitgliedstaaten erhöhen, so dass es leichter werden dürfte, gemeinsame Orientierungen in die inländische Politikgestaltung einfließen zu lassen. Drittens könnte es durch eine solche Neuausrichtung möglich werden, die einzelstaatlichen Parlamente besser und früher an der mehrjährigen Haushaltsplanung zu beteiligen: Dies dürfte die Legitimation des finanzpolitischen Rahmens der EU erhöhen. Schließlich könnte diese Neuausrichtung eine verstärkte Bewertung der Umsetzung - sowohl der Grundzüge als auch der Programme - ermöglichen, indem die zum Jahresende erfolgende Analyse der wichtigsten Elemente des soeben verabschiedeten Haushaltsentwurfs an die in den Grundzügen enthaltenen Empfehlungen zur Qualität der öffentlichen Finanzen und die budgetären Aspekte anderer Empfehlungen anknüpfen würde.

4. VERBESSERTE Durchsetzung

Eine Umgestaltung der Regeln und EU-Prozesse würde die ökonomische Logik des Rahmens stärken, seine Glaubwürdigkeit und eine bessere Identifizierung durch die Mitgliedstaaten fördern. Indem weitere Fragen hinsichtlich der Funktionsweise der präventiven, abschreckenden und korrektiven Aspekte der wirtschafts- und haushaltspolitischen Überwachung und ihres Bezugs zum institutionellen Rahmen in Angriff genommen werden, könnte die Durchsetzung der gemeinsamen Regeln ebenfalls verbessert werden. Die Durchsetzung der EU-Rahmenvorschriften sowie der zugehörigen Leitlinien und Empfehlungen könnte sowohl auf einzelstaatlicher als auch auf Ebene der Gemeinschaft verbessert werden, indem die jeweilige Rolle der verschiedenen Institutionen geklärt, die Effizienz der einzelstaatlichen Haushaltsverfahren verbessert und sämtliche einzelstaatlichen Akteure beteiligt würden. Gleichwohl wird die Durchsetzung im Kontext des Vertrags weiterhin von den Mitgliedstaaten und ihrem politischen Willen zur Ausübung des entsprechenden Gruppendrucks abhängen.

Die Kommission setzt sich für die Ziele der Union ein, wacht über die Einhaltung des Vertrags und die Befolgung der Ratsempfehlungen durch die Mitgliedstaaten und richtet Vorschläge bzw. Empfehlungen für geeignete Maßnahmen an den Rat. Im Rahmen des durch die Rechtsvorschriften abgesteckten Ermessensspielraums trifft der Rat dann unter Heranziehung der politischen Bewertung die endgültige Entscheidung darüber, wie die gemeinsamen politischen Leitlinien definiert werden und wie weit seine Empfehlungen gehen sollen, um die Korrektur grober Fehlentwicklungen zu bewirken. Diese Grundsätze wurden durch das EuGH-Urteil vom 13. Juli 2004 bestätigt. Die Neuregelungen der neuen Verfassung, wie die direkten Frühwarnungen" durch die Kommission und die Ratsbeschlüsse zur Einleitung des Defizitverfahrens aufgrund eines Vorschlags statt einer Empfehlung der Kommission, stärken das System der Economic Governance und klären die sich ergänzenden Rollen von Rat und Kommission.

Die Umsetzung des finanzpolitischen Rahmens und seine Glaubwürdigkeit hängen auch von der Qualität, pünktlichen Übermittlung und Verlässlichkeit der Finanzstatistiken und der Bewertung der öffentlichen Haushaltspositionen ab. Eine bessere Überwachung der gemeldeten Daten auf EU-Ebene wird hierzu beitragen: Entsprechend den Schlussfolgerungen des Ecofin-Rates vom 2. Juni 2004 wird die Kommission europäische Mindeststandards für den institutionellen Aufbau der Statistikbehörden aufstellen. Status und Vorrechte der nationalen statistischen Ämter müssen mit ihrer Aufgabe im Einklang stehen, verlässliche und zeitnahe Statistiken zu liefern. Vollständige Transparenz wird den Finanzmärkten die Möglichkeit geben, die Kreditwürdigkeit der verschiedenen Mitgliedstaaten besser einzuschätzen.

Die Abschreckungskomponenten der haushaltspolitischen Koordinierung, in deren Mittelpunkt der Gruppendruck als Sanktionsmechanismus und letztlich die Androhung von Geldbußen stehen, sind zentraler Bestandteil der finanzpolitischen Rahmenvorschriften der EU.

Die Wirksamkeit des Gruppendrucks, der Mitgliedstaaten von Rechtsbrüchen abhalten soll, indem sie öffentlich genannt, angeprangert und erforderlichenfalls abgestraft werden, könnte verstärkt werden. Wenn die inländische Öffentlichkeit für eine unsolide Wirtschaftspolitik sensibilisiert wäre, würden die ,Reputationskosten" steigen, so dass geeignete Maßnahmen ausgelöst und somit die beispielsweise durch den Wahlzyklus bedingten Defizitverzerrungen vermindert würden. Wie die Erfahrungen der letzten Zeit gezeigt haben, schlagen sich Reputationskosten beim derzeitigen Rahmen nur begrenzt auf die öffentliche Meinung und die Finanzmärkte nieder. Wenn Abschreckung und Gruppendruck im Rat besser funktionierten, würde dies auch erheblich zur Verbesserung der haushaltspolitischen Koordinierung beitragen.

Es sollten Maßnahmen ins Auge gefasst werden, die zu mehr Transparenz und Rechenschaftspflicht bei der Haushaltspolitik der Mitgliedstaaten führen. Auf europäischer Ebene könnte dies zunächst durch mehr Transparenz bei der Überwachung geschehen. Die Kommission hat dahingehende Schritte bereits eingeleitet, indem sie seit dem vergangenen Jahr die meisten Informationen im Zusammenhang mit der Bewertung der Stabilitäts- und Konvergenzprogramme, aber auch mit der Umsetzung des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit erfasst und veröffentlicht. Die Kommission kann weitere Schritte ergreifen, um die Quantität und Qualität der von ihr veröffentlichten Informationen sowie den Gruppendruck auf die Mitgliedstaaten zu erhöhen. Beispielsweise könnte die Kommission die Bewertung der Haushaltssituation regelmäßig dem Europäischen Parlament vorstellen, um die Debatte über die geplante Haushaltspolitik der Mitgliedstaaten anzuregen. Auf diese Weise könnte das Europäische Parlament zur öffentlichen Aufmerksamkeit beitragen

Es gibt Grund, die Europäischen Verpflichtungen besser auf der einzelstaatlichen Ebene umzusetzen.Der EG-Vertrag erkennt die Bedeutung der einzelstaatlichen Haushaltsorgane und ­verfahren für eine solide Haushaltspolitik gebührend an, indem er die Mitgliedstaaten aufruft, zu gewährleisten, dass die innerstaatlichen Verfahren im Haushaltsbereich sie in die Lage versetzen, ihre Verpflichtungen in diesem Bereich zu erfüllen"2. Die Haushaltsorgane sollten die länderspezifischen verfassungmäßigen und institutionellen Gegebenheiten widerspiegeln.

In diesem Zusammenhang scheint die Rolle der einzelstaatlichen Stellen, die in einigen Ländern eine entsprechende Überwachungsfunktion ausüben wie die Kommission auf EUEbene, von großer Bedeutung. Es gibt erfolgreiche Beispiele von unabhängige nationalen Einrichtungen, die die einzelstaatliche Haushalts- und Wirtschaftspolitik überwachen und sich öffentlich zu deren Umsetzung äußern. Die Mitgliedstaaten sollten in Erwägung ziehen, wie solche Institutionen in den nationalen institutionellen Rahmen passen könnten, Außerdem könnte eine engere Einbindung der einzelstaatlichen Parlamente in den Koordinierungsprozess dazu beitragen, die Rechenschaftspflicht auf Mitgliedstaatenebene zu stärken und somit die Wirksamkeit des Gruppendrucks zu erhöhen.

In den kommenden Monaten wird die Kommission - in Absprache mit den Mitgliedstaaten ­ die vorstehend ausgeführten Ideen weiterentwickeln und einsatzfähig machen. Die Kommission wird dann Rechtsvorschläge zur Umsetzung der Ideen für die Stärkung der Economic Governance vorlegen, die zur Erhaltung solider öffentlicher Finanzen beitragen und das Wachstumspotenzial der EU stärken werden.