umwelt-online: BayVwV zur 92/43/EWG (FFH-RL) und 79/409/EWG (Vogelschutz-RL) (2)

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6 Ausnahmen von der Unzulässigkeit erheblicher Beeinträchtigungen

Projekte oder Pläne, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung eines Natura 2000-Gebietes in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen können, sind grundsätzlich unzulässig. Sie dürfen nach einer Ausnahmeprüfung zugelassen oder durchgeführt werden, wenn keine zumutbare Alternative vorhanden ist und das Projekt oder der Plan aus zwingenden Gründen des öffentlichen Wohls notwendig ist. Hinsichtlich der gemeldeten, aber noch nicht ausgewiesenen Vogelschutzgebiete wird auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 1. Dezember 2000 - C-374/98, DVB1 2001 S.359 f., hingewiesen, wonach für diese Gebiete weiterhin Artikel 4 Abs. 4 Satz 1 VogelschutzRL maßgeblich ist. Danach darf ein derartiges Gebiet flächenmäßig nur verkleinert werden, wenn dafür außerordentliche Gründe des Gemeinwohls vorliegen (EuGH, Urteil vom 28. Februar 1991 - Rs C-57/89, Natur und Recht 1991 S.249).

6.1 Alternativenprüfung

Im Rahmen des § 19c Abs. 3 Nr. 2 BNatSchG ist zunächst das Bestehen einer zumutbaren Alternative zu prüfen. In Betracht kommen sowohl die Wahl eines anderen Standortes als auch eine andere Art der Ausführung. Durch die Alternative müssen die mit dem Projekt angestrebten Ziele im Großen und Ganzen in vergleichbarer Weise verwirklicht werden können (Identität des Projektes). Die Pflicht zur Alternativenprüfung ist einer Abwägung nicht zugänglich.

Bei der Beurteilung der Zumutbarkeit von Alternativen ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten.

6.2 Abwägung

Gibt es keine zumutbare Alternative oder reicht eine solche nicht aus, um erhebliche Beeinträchtigungen zu vermeiden, muss das Projekt nach § 19c Abs. 3 Nr. 1 BNatSchG aus ≫zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses, einschließlich solcher wirtschaftlicher und sozialer Art, notwendig≪ sein. Als öffentliches Interesse kommen danach alle Belange in Betracht, die dem Wohl der Allgemeinheit dienen. Private, nicht zugleich öffentlichen Interessen dienende Projekte kommen damit als Rechtfertigung für die Zulassung von Ausnahmen von vornherein nicht in Betracht. Zu den öffentlichen Interessen können auch solche wirtschaftlicher oder sozialer Art gehören.

Allerdings genügt nicht jedes öffentliche Interesse, um ein Projekt zu rechtfertigen. Vielmehr muss das öffentliche Interesse, das mit dem Projekt verfolgt wird, im einzelnen Fall gewichtiger sein als die im konkreten Fall betroffenen und mit der FFH- und Vogelschutzrichtlinie geschützten Interessen (überwiegendes öffentliches Interesse). Es muss ≫zwingend≪ sein. Eine Legaldefinition zu diesem Ausnahmetatbestand gibt es nicht. Nach der bisher vorliegenden Rechtsprechung ist es geboten, einen strengen Maßstab anzulegen (BVerwG, Urteil v. 27. Januar 2000, 4 C 2.99).

6.3 Verfahren bei prioritären Biotopen/Arten

Das Verfahren zur Zulassung von Ausnahmen aufgrund § 19c Abs. 3 Nr. 1 BNatSchG ist durch Absatz 4 modifiziert, wenn sich in dem von dem Projekt betroffenen Gebiet prioritäre Arten oder Lebensräume befinden. Maßgeblich ist dabei nicht, ob sich irgendwo im betroffenen Natura 2000-Gebiet prioritäre Arten oder Lebensräume befinden, sondern ob von dem Projekt solche unmittelbar oder mittelbar betroffen werden können. Es wird darauf hingewiesen, dass in der Vogelschutzrichtlinie keine prioritären Arten festgelegt wurden; auch eine Analogie ist insoweit nicht möglich. Bei Vogelschutzgebieten ist somit keine Stellungnahme der Europäischen Kommission einzuholen.

§ 19c Abs. 4 Satz 1 BNatSchG benennt besondere öffentliche Interessen, die ein relativ hohes Gewicht besitzen können. Dabei handelt es sich um solche im Zusammenhang mit der Gesundheit des Menschen, der öffentlichen Sicherheit einschließlich der Landesverteidigung und des Schutzes der Zivilbevölkerung oder um Projekte, die maßgeblich günstige Auswirkungen auf die Umwelt haben. Auch hier bedarf es aber einer Gewichtung im Einzelfall und einer Abwägung. Hierbei ist die hohe Bedeutung der Natura 2000-Gebiete zu beachten. Das Gewicht der Naturschutzbelange erhöht sich in dem Maße, in dem ein Kohärenzausgleich nicht möglich ist.

Sofern andere als die in § 19c Abs. 4 BNatSchG genannten Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses für eine Beeinträchtigung des Schutzgebietes angeführt werden sollen, ist zuvor eine Stellungnahme der Europäischen Kommission einzuholen (vgl. 11.1.5).

Die Stellungnahme der Europäischen Kommission ist in der Abwägung über die Zulassung oder Durchführung des Projekts zu berücksichtigen. Die Behörde hat sich also mit der Kommissionsauffassung inhaltlich auseinander zu setzen; sie kann nur in begründeten Fällen davon abweichen.

6.4 Kohärenzausgleich

Wird ein Projekt nach § 19c Abs. 3 oder Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 4 BNatSchG zugelassen oder durchgeführt, sind alle zur Sicherung des Zusammenhangs des Europäischen ökologischen Netzes ≫Natura 2000≪ notwendigen Maßnahmen zu ergreifen ( § 19c Abs. 5 BNatSchG). Im Verhältnis zu den Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen nach der Eingriffsregelung sind diese Maßnahmen grundsätzlich eigenständig zu ermitteln. Im Ergebnis können bestimmte tatsächliche Maßnahmen geeignet sein, sowohl die rechtlichen Anforderungen im Hinblick auf das Europäische Netz ≫Natura 2000≪ als auch der Eingriffsregelung zu erfüllen. Solche Maßnahmen sollten vorrangig ergriffen werden.

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