Unterrichtung durch die Bundesregierung
Arbeitspapier der Dienststellen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Schulen für das 21. Jahrhundert - Konsultation SEK(2007) 1009

Übermittelt vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie am 27. Juli 2007 gemäß § 2 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union vom 12. März 1993 (BGBl. I S. 313), zuletzt geändert durch das Förderalismusreform-Begleitgesetz vom 5. September 2006 (BGBl. I S. 2098).

Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat die Vorlage am 11. Juli 2007 dem Bundesrat zugeleitet.

Die Vorlage ist von der Kommission am 11. Juli 2007 dem Generalsekretär/Hohen Vertreter des Rates der Europäischen Union übermittelt worden.


Hinweis: vgl.
Drucksache 856/03 (PDF) = AE-Nr. 033738,
Drucksache 830/05 (PDF) = AE-Nr. 053096 und
Drucksache 687/06 (PDF) = AE-Nr. 061506

1. Einleitung:

Für die Organisation der allgemeinen und beruflichen Bildung und für deren Inhalte sind die Mitgliedstaaten zuständig. Die Europäische Union hat die Aufgabe, sie dabei zu unterstützen.

Entsprechend arbeitet die Europäische Kommission eng mit den Mitgliedstaaten zusammen, um ihnen bei der Weiterentwicklung und Modernisierung ihrer Bildungs- und Berufsbildungspolitik behilflich zu sein. Dies erfolgt hauptsächlich auf zwei Arten: zum einen im Rahmen des Arbeitsprogramms "Allgemeine und berufliche Bildung 2010", das Teil der erneuerten Lissabon-Strategie ist und den Austausch von Informationen, Daten und vorbildlichen Verfahren durch wechselseitiges Lernen und Peer-Reviews unterstützt, und zum anderen mit Hilfe des neuen Programms für lebenslanges Lernen1. Im Rahmen dieses Programms wird die Kommission über einen Zeitraum von sieben Jahren fast 7 Mrd. EUR in Projekte investieren, die neue Bildungschancen für Tausende von Schülern, Studierenden und Lehrkräften bieten.

Schon vor einiger Zeit wurde erkannt, dass der allgemeinen und beruflichen Bildung eine zentrale Bedeutung für die Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung2 zukommt.

Auch der Europäische Rat hat wiederholt die wichtige Rolle der allgemeinen und beruflichen Bildung für die langfristige Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union und für den sozialen Zusammenhalt unterstrichen. Außerdem werden auch in den gemeinsamen Beschäftigungsberichten regelmäßig Bildungsfragen angesprochen; so wird im jüngsten Bericht 2006/20073 gefordert, die Investitionen in das Humankapital durch die Verbesserung von Bildung und Qualifizierung zu steigern, und es wird anerkannt, dass das lebenslange Lernen in den nationalen Reformprogrammen eine wachsende Bedeutung hat. Ferner werden im Bericht spezifische Probleme beleuchtet, beispielsweise die nach wie vor hohe Zahl an Schulabbrechern, und es wird kritisiert, dass die Bildungssysteme bestehende Ungerechtigkeiten oft noch verstärken. Die Reformen sollten dem Bericht zufolge breiter angelegt sein und auf einer langfristigen Planung sowie einer Evaluierungskultur basieren.

Die Kommission bringt die Herausforderungen, mit denen die Bildungssysteme konfrontiert sind in ihrer Mitteilung über Effizienz und Gerechtigkeit aus dem Jahr 2006 auf folgenden Nenner:

Entsprechend spielen Fragen der Schulbildung eine zentrale Rolle in den nationalen Debatten über die Bildungspolitik. Die meisten Europäer verbringen mindestens neun oder zehn Jahre ihres Lebens4 in der Schule5. Hier werden ihnen die allgemeinen Kenntnisse, Fertigkeiten und Kompetenzen und viele der grundlegenden Normen, Einstellungen und Werte vermittelt, auf die sie während ihres ganzen Lebens zurückgreifen können. Neben den Eltern, die eine Schlüsselrolle spielen, können die Schulen den Kindern dabei helfen, ihre Talente zu entfalten und ihr Potenzial auszuschöpfen - zum Nutzen ihrer Persönlichkeitsentwicklung (auf emotionaler und intellektueller Ebene) und ihres Wohlbefindens. Wenn man die Aufgabe der Schulen darin sieht, die Schüler auf das Leben im heutigen Zeitalter vorzubereiten, gilt es vor allem sie auf den Weg zum lebenslangen Lernen zu bringen. Indem sie den Kindern Bürgersinn, Solidarität und partizipative Demokratie nahe bringt, legt eine gute Schulbildung außerdem das Fundament für eine offene und demokratische Gesellschaft.

Der Schwerpunkt der Initiativen und Analysen der Europäischen Union zur Unterstützung der Lissabon-Strategie lag bislang jedoch auf anderen Aspekten der Bildungssysteme, beispielsweise auf der Berufsbildung und in letzter Zeit auch auf der Hochschulbildung.

Obwohl die Schulen eine grundlegende Rolle für die Erreichung der gemeinsamen Ziele des Arbeitsprogramms "Allgemeine und berufliche Bildung 2010" spielen, waren sie bis jetzt noch nicht Gegenstand eingehender Überlegungen.

Zwar gibt es in ganz Europa viele Beispiele für erfolgreiche Schulen, es deutet jedoch zugleich viel darauf hin, dass noch umfassendere Anstrengungen unternommen werden müssen um die Lese- und Schreibfähigkeiten der 15-Jährigen zu steigern, die Zahl der Schulabbrecher zu vermindern und den Anteil der Absolventen der Sekundarstufe II zu erhöhen - allesamt zentrale Benchmarks der Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung. Dies ist die derzeitige Situation:

Qualifikationen spielen eine entscheidende Rolle. Derzeit ist fast ein Drittel der europäischen Arbeitskräfte gering qualifiziert. Demgegenüber werden 2010 50 % der neu geschaffenen Stellen hoch qualifizierte Arbeitnehmer erfordern, und nur 15 % der Stellen werden für Bürger geeignet sein, die lediglich über die schulische Grundbildung verfügen. Ein Problem in diesem Zusammenhang ist, dass es den Schulen nur schwer gelingt, bei den jungen Menschen Interesse an naturwissenschaftlichen Fächern und für Mathematik zu wecken, obwohl diese Fächer für die Wettbewerbsfähigkeit Europas eine zentrale Bedeutung haben.

Die Leistungen der Mädchen in den mathematischnaturwissenschaftlichen Fächern sind schlechter als die der Jungen, und es sind noch weitere wesentliche Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern festzustellen. So fallen die Leseleistungen der Jungen zunehmend schlechter aus als die der Mädchen, und mehr Jungen als Mädchen brechen die Schule vorzeitig ab.

Ferner ist nachgewiesen, dass qualitativ hochwertige Vorschulangebote, bei denen sowohl das Lernen als auch der Erwerb persönlicher und sozialer Kompetenzen im Mittelpunkt steht, die Leistungen und die Sozialisierung der Schüler in der Schule und im späteren Leben langfristig begünstigen. Dies gilt insbesondere für besonders benachteiligte Gruppen, bei denen sich die Wirksamkeit solcher Angebote noch erhöht, wenn flankierende Maßnahmen, z.B. zur Unterstützung des Sprachenlernens und der sozialen Integration hinzukommen7. Trotzdem gibt es bei der Frühförderung und der Vorschulbildung erhebliche Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten. Zwar gewährleistet kein Schulsystem eine gleiche Bildungsqualität für alle; je nach Mitgliedstaat sind die Ungleichheiten aber mehr oder weniger stark ausgeprägt8, was darauf hindeutet, dass hier noch Verbesserungspotenzial besteht.

Vor diesem Hintergrund hat die Kommission beschlossen, die vorliegende Konsultation durchzuführen.

Die Konsultationsteilnehmer werden gebeten, erstens anzugeben, welche Maßnahmen ihres Erachtens in ihren Ländern ergriffen werden müssen, um die für das 21. Jahrhundert benötigte Qualität der Schulbildung zu gewährleisten, und zweitens die Aspekte der Schulbildung zu nennen bei denen es sinnvoll wäre, wenn die Europäische Union die Mitgliedstaaten bei der Modernisierung ihrer Systeme unterstützen würde9. Die Teilnehmer sollten sich bei ihren Antworten an den Erläuterungen und Fragen in Abschnitt 2 orientieren, die sowohl Themen betreffen die bereits Gegenstand von Debatten auf EU-Ebene waren, als auch Sachverhalte abdecken die auf nationaler Ebene an vorderster Stelle diskutiert werden.

Die Kommission wird - entsprechend ihrer Aufgabe, die Mitgliedstaaten zu unterstützen - diese Informationen und andere Quellen10 nutzen, um die Bereiche zu ermitteln, in denen der Erfahrungsaustausch und gemeinsame Maßnahmen im Rahmen des Arbeitsprogramms "Allgemeine und berufliche Bildung 2010" besonders wirksam sein dürften. Außerdem werden die Konsultationsergebnisse auf einer Konferenz erörtert, die die portugiesische EU-Präsidentschaft im November 2007 veranstalten wird.

2. Entwicklungen und Herausforderungen

2.1 Schlüsselkompetenzen für alle

Die Schulbildung wurde in einer Zeit für die Allgemeinheit eingeführt, in der man verhältnismäßig sicher voraussagen konnte, welche Kenntnisse und Fertigkeiten die Schüler in ihrem Erwachsenenleben benötigen würden. Künftig wird dies immer seltener möglich sein. Die jungen Menschen können heute nicht mehr davon ausgehen, dass sie ihr gesamtes Arbeitsleben in einer Branche oder sogar an einem Arbeitsplatz verbringen. Ihre berufliche Laufbahn wird unerwartete Wendungen nehmen, und sie werden ein breites Spektrum an allgemeinen Kompetenzen benötigen, um sich laufend assimilieren zu können. In einer immer komplexeren Welt gewinnen Kreativität, die Fähigkeit zum lateralen Denken, bereichsübergreifende Kompetenzen und Anpassungsfähigkeit immer mehr an Bedeutung gegenüber spezifischen Fachkenntnissen.

Um die Mitgliedstaaten bei der Anpassung ihrer Schullehrpläne an die modernen Anforderungen zu unterstützen, hat die EU kürzlich den europäischen Referenzrahmen für Schlüsselkompetenzen11 angenommen, der als Bezugsinstrument für die Schlüsselkompetenzen dient, die alle Bürger für eine erfolgreiche Laufbahn in der Wissensgesellschaft benötigen. Schlüsselkompetenzen sind diejenigen Kompetenzen, die alle Menschen für die persönliche Entfaltung, soziale Integration, Beschäftigungsfähigkeit und als aktive Bürger benötigen. Hierzu zählen die "klassischen" Kompetenzen (u. a. muttersprachliche und fremdsprachliche Kompetenz, grundlegende mathematische und naturwissenschaftliche Kompetenzen und digitale Kompetenz), aber auch bereichsübergreifende Kompetenzen wie Lernkompetenz, soziale Kompetenz und Bürgerkompetenz, Initiativ- und Unternehmergeist sowie Kulturbewusstsein und kulturelle Ausdrucksfähigkeit.

Der Referenzrahmen stützt sich auf die Tatsache, dass einige Mitgliedstaaten derzeit ihre Lehrpläne neu definieren und dabei statt des Inputs (d. h. dem Wissen, das die Schulen vermitteln sollen) nun die Ergebnisse (d. h. die Fertigkeiten und Kompetenzen, die die Schüler in den verschiedenen Phasen ihrer Bildung erworben haben sollten) vorgeben. Vier der acht Schlüsselkompetenzen sind bereichsübergreifend. Dies wirft die Frage auf, wie sich diese Kompetenzen in einen schulischen Lehrplan integrieren lassen, der auf der klassischen Unterteilung in "Fächer" basiert, und inwieweit die Schulen neu organisiert werden müssen, damit die Kinder diese Art von Kompetenzen sowohl innerhalb als auch außerhalb des Unterrichts erwerben können.

2.2 Die europäischen Schüler auf das lebenslange Lernen vorbereiten

Ein Schlüsselfaktor für den Erfolg der Bürger in der wissensbasierten Wirtschaft und Gesellschaft ist ihre Fähigkeit, während des gesamten Lebens auf unterschiedliche Art und Weise weiterzulernen und sich schnell und effizient an veränderte Umstände anzupassen. Die Schulabgänger sollten also hinreichend kompetent und motiviert sein, um die Verantwortung für ihr lebenslanges Lernen zu übernehmen.

Unsere Lernkonzepte entwickeln sich durch die pädagogische Forschung fortlaufend weiter; bis die Erkenntnisse aus der Forschung sich jedoch voll im Unterricht und in der Schulorganisation niederschlagen, wird einige Zeit ins Land gehen. Beispielsweise wird darüber diskutiert, inwieweit die "klassischen" Lehrmethoden - Vermittlung von Wissen und Wiedergabe dieses Wissens durch die Schüler - noch eine Daseinsberechtigung haben, und inwieweit bei älteren Schülern, die ausreichende Fertigkeiten und Kompetenzen für selbständigeres Handeln erworben haben, der Unterricht stärker auf die Lernenden ausgerichtet werden könnte oder sollte, so dass Lernende und Lehrkräfte Wissen und Fertigkeiten gemeinsam erarbeiten können. Informations- und Kommunikationstechnologien verfügen hier über ein enormes Potenzial, um autonomes Lernens, kooperativen Wissensaufbau und die Entwicklung von Fertigkeiten zu unterstützen.

2.3 Zum nachhaltigen Wirtschaftswachstum beitragen

Wie oben angesprochen sind die Vermittlung der notwendigen Schlüsselkompetenzen und die Verbesserung des allgemeinen Bildungsstands wichtige Elemente der EU-Strategien für Wachstum und Beschäftigung sowie für nachhaltige Entwicklung12; diese Elemente bilden das Fundament für die Ziele, die die Mitgliedstaaten in ihren nationalen Reformprogrammen festgeschrieben haben. Es werden zwei Arten von Kompetenzen benötigt: Der schnelle technische Fortschritt erfordert umfassende und fortlaufend aktualisierte Fachkenntnisse, während für die wachsende Internationalisierung und die neuen Unternehmensstrukturen (z.B. flache Hierarchien) soziale, kommunikative, unternehmerische und kulturelle Kompetenzen notwendig sind, damit sich die Bürger an ein im kontinuierlichen Wandel befindliches Umfeld anpassen können.

Die Verbesserung der schulischen Leistungen ist für die Menschen von großer Bedeutung, da ein direkter Zusammenhang zwischen dem in der Pflichtschulzeit erreichten Bildungsniveau und dem späteren Bildungsstand13 sowie dem späteren Gehalt14 besteht. Außerdem ist dies auch für die Gesellschaft von großer Bedeutung, da die Verbesserung des Bildungsniveaus (ermittelt anhand der Durchschnittsleistungen in internationalen Schülertests wie PISA und TIMSS) eng mit dem Wirtschaftswachstum verbunden ist15. Die Anhebung des Gesamtniveaus der Bildungsleistungen der europäischen Schüler steigert somit die Wettbewerbsfähigkeit und das Wirtschaftswachstum der EU.

2.4 Herausforderungen in unserer Gesellschaft bewältigen

Aus einer kürzlich veröffentlichten Mitteilung der Kommission16 sowie einem aktuellen Konsultationspapier zur sozialen Wirklichkeit in Europa17 geht hervor, dass die Bildungs- bzw. Berufsbildungspolitik positiv auf die wirtschaftliche und soziale Situation einwirken kann während Ungerechtigkeiten in der allgemeinen und beruflichen Bildung jedoch enorme versteckte Kosten in sich bergen. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Schulen soziale Probleme im Alleingang bewältigen können. Forschungsergebnisse belegen, dass isolierte bildungspolitische Initiativen nur geringen Erfolg (beispielsweise bei der Beseitigung von

Integrationshindernissen) haben. Vielmehr sollten solche Initiativen in umfassendere soziale und wirtschaftliche Reformprogramme eingebunden werden, bei denen Maßnahmen in der allgemeinen und beruflichen Bildung mit Maßnahmen in anderen Politikbereichen verknüpft sind18. Die Schulen, die eine zentrale Rolle für das Leben von Kindern und Eltern spielen, stehen jedoch vor zahlreichen Herausforderungen.

Beispielsweise erwarten allein erziehende und berufstätige Eltern unter Umständen von den Schulen, dass sie auch Unterstützung bei der Kinderbetreuung leisten und Fördermaßnahmen (z.B. im Rahmen von außerschulischen Aktivitäten) anbieten.

Die Schülerpopulation spiegelt Migrationsmuster wider. In mehreren Ländern ist festzustellen dass mehr als 10 % der 15-jährigen Schüler Eltern haben, die im Ausland geboren wurden19. Für einige Mitgliedstaaten ist dieses Phänomen vollkommen neu. Aus der Präsenz von Schülern und Eltern mit unterschiedlichem kulturellem und sprachlichem Hintergrund können sich vielfältige Möglichkeiten für das Lernen ergeben20, und die Schule kann als sicherer Ort dienen, an dem Menschen verschiedener Herkunft voneinander lernen können. Für einige Mitgliedstaaten ist der erfolgreiche Umgang mit der zunehmenden kulturellen Vielfalt in den Schulen jedoch auch eine Herausforderung.

Die meisten Schüler ausländischer Herkunft haben eine hohe Lernmotivation und eine positive Einstellung gegenüber der Schule21; bedenklich ist jedoch, dass die Leistungen von Schülern mit Migrationshintergrund in mehreren EU-Mitgliedstaaten erheblich schlechter ausfallen als die der Schüler inländischer Herkunft. Unter Umständen werden Schüler mit Migrationshintergrund im Vergleich zur übrigen Bevölkerung und in Bezug auf den Zugang zur Bildung und den Nutzen der Bildung vernachlässigt. Dies ist laut der Europäischen Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (EUMC) in einigen Mitgliedstaaten beispielsweise bei Roma-Kindern der Fall22.

Im Gemeinsamen Bericht über Sozialschutz und soziale Eingliederung stellt die Kommission Folgendes fest: "Das Armutsrisiko für Kinder ist in den meisten Mitgliedstaaten überdurchschnittlich hoch. In einigen Ländern ist nahezu jedes dritte Kind betroffen. [...] In Armut lebende Kinder haben schlechtere Aussichten als nicht armutsgefährdete gleichaltrige Kinder, die Schulausbildung erfolgreich zu absolvieren, nicht straffällig zu werden, gesund zu bleiben und in den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft integriert zu werden."23 Armut beeinträchtigt ihre kognitive Entwicklung und somit letztlich auch ihre akademischen Leistungen24. Generell ist die Zahl der Schulabbrecher bei Jugendlichen, die in einem benachteiligten sozioökonomischen Umfeld aufwachsen, höher25.

Der hohe Anteil an Schulabbrechern ist in mehreren Mitgliedstaaten ein erhebliches Problem.

Die Fortschritte in Richtung des Ziels, den Anteil der Schulabbrecher bis 2010 auf höchstens 10% zu verringern, sind nur gering, und der Europäische Rat hat betont, dass die Anstrengungen auf diesem Gebiet verstärkt werden sollten26.

Zwischen den Praktiken im Bildungswesen und den gesellschaftlichen Bedingungen gibt es eine Wechselwirkung. Es gibt Belege27 dafür, dass eine Aufteilung der Kinder auf verschiedene Schultypen vor dem Alter von 13 Jahren die Unterschiede bei den Bildungsleistungen aufgrund der sozialen Herkunft noch verschärft und zu noch mehr Ungerechtigkeit bei den Leistungen von Schülern und Schulen führt.

2.5 Eine Schule für alle

In Europa geht die Entwicklung dahin, alle Schüler einer Altersgruppe (d. h. Schüler mit unterschiedlichen Bedürfnissen) in gemeinsamen Klassen zu unterrichten. Die Zahl der Schüler, die in getrennten "Sonder-" oder "Förderschulen" unterrichtet werden, geht zurück; solche Schulen werden zunehmend in Förderzentren umgewandelt, die die Arbeit der Regelschulen unterstützen. Experten zufolge ist "integrative/inklusive Bildung [...] eine wichtige Voraussetzung dafür [...], dass Menschen mit besonderen Bedürfnissen in allen Aspekten ihres Lebens [...] Chancengleichheit erhalten. Integrative/inklusive Bildung erfordert flexible Bildungssysteme, die auf die vielfältigen und oft komplexen Bedürfnisse einzelner Lernender abgestimmt werden können."28

Die Integration von Schülern mit besonderen Bedürfnissen wird unter anderem durch folgende Unterrichtspraktiken unterstützt: kooperativer Unterricht, kooperatives Lernen, kooperatives Problemlösen, heterogene Arbeitsgruppen sowie systematische Überwachung, Bewertung, Planung und Evaluierung der Arbeit jedes Schülers. Solche Konzepte dürften allen Schülern zugute kommen, einschließlich hochbegabter Kinder29.

Maßnahmen zur Integration von Kindern mit besonderen pädagogischen Bedürfnissen können somit als Erweiterung des Grundsatzes angesehen werden, dass sich die Schulen an den individuellen Bedürfnissen jedes Kindes ausrichten sollten. Trotz dieser Entwicklungen besteht in einigen Mitgliedstaaten noch Unzufriedenheit mit den Angeboten des öffentlichen Schulwesens, so dass einige wenige Eltern sich dazu entschließen, ihre Kinder zu Hause zu unterrichten.

2.6 In den jungen Europäern aktiven Bürgersinn wecken

Eine der wichtigsten Herausforderungen für die europäische Gesellschaft besteht darin, die jungen Menschen zu mehr Beteiligung an der repräsentativen Demokratie zu motivieren30. Es hat sich bestätigt, dass gut funktionierende Beziehungen zwischen den Schulen und der "Außenwelt" - vor Ort, in der Region, im Land, in der EU und darüber hinaus - wirksam dazu beitragen können, dass die Schüler ihren Platz in der Gesellschaft finden. In den Schulen bereitet die Gesellschaft die jungen Menschen auf ein Leben als verantwortungsbewusste, aktive Bürger in einer Gemeinschaft vor; die Jugendlichen können hier einen Eindruck davon bekommen was es heißt, verantwortungsvollen europäischen Bürgersinn in einer demokratischen Gesellschaft zu praktizieren31 32.

Um dieser Herausforderung zu begegnen, hat der Europarat mögliche Wege aufgezeigt, um unter Beteiligung von Schülern, Eltern und Lehrern eine Demokratiekultur in den Schulen aufzubauen. Dabei soll den Schülern vor Augen geführt werden, dass Demokratie keine Sache von Erwachsenen für Erwachsene ist, sondern dass Demokratie einen lebenslangen Lernprozess erfordert, der voraussetzt, dass auch die angehenden Erwachsenen Demokratie leben und erfahren und sie auf ihrer eigenen Ebene praktizieren. Auch pragmatische Gründe sprechen für Demokratie in den Schulen. Ihre Anwendung ist eine wirksame Methode, um ein Vertrauens- und Verantwortungsklima in den Schulen zu schaffen33.

In der Schule spiegeln sich allerdings auch negative Entwicklungen wider, beispielsweise zunehmende Gewalt-, Radikalismus- und Fundamentalismustendenzen in der Gesellschaft sowie Formen von Rassismus, Fremdenhass, Homophobie und Sexismus. Mobbing unter den Schülern ist ebenfalls ein Problem, gegen das mehrere Mitgliedstaaten vorrangig Maßnahmen ergreifen wollen.

2.7 Lehrkräfte - Schlüsselakteure für den Wandel

Das Schulpersonal, insbesondere die Lehrkräfte, spielen eine Schlüsselrolle für die erfolgreiche Arbeit der Schule. Die Lehrkräfte sind Mittler zwischen der im schnellen Wandel befindlichen "Außenwelt" und den Schülern, die an der Schwelle zu dieser Welt stehen.

Entsprechend werden immer höhere Anforderungen an die Lehrkräfte gestellt: Die Klassen sind wesentlich heterogener zusammengesetzt als früher (Muttersprachen, Geschlechter, ethnische Herkunft, Religion, Fähigkeiten usw.), die Lehrkräfte sollen die Möglichkeiten der neuen Technologien nutzen, den Bedarf an individuell abgestimmtem Lernen decken, die Schüler in die Lage versetzen, selbstständig lebenslang zu lernen, und unter Umständen müssen die Lehrkräfte - aufgrund der steigenden Autonomie der Schulen - auch als Entscheidungsträger oder Manager fungieren.

Zudem gibt es in vielen Schulen schwierige Rahmenbedingungen; in zahlreichen Mitgliedstaaten wird aggressives Verhalten gegenüber Lehrern registriert. Einer aktuellen Studie34 zufolge tragen 37 verschiedene umweltabhängige und organisatorische Faktoren dazu bei dass Lehrkräfte unter Stress und stressbedingten Krankheiten leiden. Dies wirft Fragen in Bezug auf die Arbeitsbedingungen und die Unterstützungsangebote für Lehrkräfte auf.

Viele Mitgliedstaaten haben Probleme damit, die Abwanderung erfahrener Lehrkräfte in andere Berufe zu verhindern. In den Ländern, für die Daten verfügbar sind, tritt überdies die Mehrheit der Lehrkräfte zum frühestmöglichen Zeitpunkt in den Ruhestand. Dies stellt für die Mitgliedstaaten einerseits eine Herausforderung dar (die durch die Pensionierungen verloren gehenden Kompetenzen müssen ersetzt werden), andererseits ist dies aber auch eine Chance dafür in die Ausbildung neuer Lehrkräfte zu investieren und die Qualifikationen der derzeitigen Lehrkräfte zu verbessern. Im Rahmen des Arbeitsprogramms "Allgemeine und berufliche Bildung 2010" arbeiten die Kommission und die Mitgliedstaaten derzeit gemeinsam daran, Wege zu ermitteln, um die Qualität der Lehrkräfteausbildung zu verbessern.

2.8 Die Entwicklung der Schulgemeinschaften unterstützen

Die Schulleiter spielen eine zentrale Rolle: Sie sind für das Management verantwortlich und lenken die Geschicke der Schule. In Europa gibt es verschiedenste Konzepte für das Schulmanagement. In einigen Systemen setzt man auf eine starke Führungsrolle der Schulleitung bzw. des Leitungsteams, die/das die Richtung und das Tempo des Wandels vorgibt eine offene Kommunikation fördert, zu kreativem Denken und Innovationen anregt, Personal und Schüler zu besseren Leistungen motiviert und das Prinzip des lebenslangen Lernens verkörpert. In anderen Systemen gibt es kein solches Führungskonzept.

In öffentlichen Debatten wird zunehmend deutlich, dass eine partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen den Schulen und anderen Stellen und Organisationen wünschenswert ist. Die Schulen legen auf unterschiedliche Art und Weise Rechenschaft gegenüber den Gemeinschaften ab, deren Dienstleister sie sind. In manchen Ländern gibt es Verwaltungsgremien, denen Eltern und andere Stakeholder angehören und die über weit reichende Kompetenzen in Bezug auf das Personalmanagement, die Finanzen, das Schulethos und den Lehrplan verfügen. In anderen Ländern wird all dies zentral gesteuert. Indem man das Schulgelände intensiver für außerschulische Aktivitäten oder als Bildungsressource für die gesamte Gemeinschaft nutzt (z.B. als lokales Lernzentrum), können weitere Möglichkeiten für das lebenslange Lernen geschaffen werden.

Evaluierungs- und Inspektionssysteme sind eine wertvolle Feedback-Quelle, die die Schulen nutzen können, um auf dem bisher Erreichten aufzubauen und sich zugleich an die im Wandel befindlichen Erfordernisse anzupassen. Das Europäische Parlament und der Rat35 empfahlen den Mitgliedstaaten im Jahr 2001, transparente Qualitätsbewertungssysteme einzurichten, einen Rahmen zu schaffen, bei dem die Selbstbewertungen der Schulen und externe Bewertungen in ausgewogener Form genutzt werden, alle relevanten Akteure in den Evaluierungsprozess einzubinden und für die Verbreitung bewährter Verfahren und Erkenntnisse zu sorgen. Dennoch sind Eltern, Schüler und andere Mitglieder der Schulgemeinschaft nach wie vor nicht so häufig an Evaluierungen beteiligt wie Lehrkräfte und Schulräte36. Eine Schlüsselfrage in diesem Zusammenhang ist, inwieweit man bei der Evaluierung und Bewertung der Leistungen von Schulen das soziökonomische Profil und den Bildungshintergrund der Schüler berücksichtigen kann, so dass der Mehrwert der Schule besser herausgestellt werden kann.

Der Spielraum, über den die Schulen verfügen, um eigene Ziele festzulegen, ihre Lehrpläne zu gestalten, ihr Personal auszuwählen und zu entlohnen und aus Evaluierungen resultierende Empfehlungen umzusetzen, ist in Europa sehr unterschiedlich.

3. Fazit

Das vorliegende Papier ist keinesfalls eine erschöpfende Auflistung der Herausforderungen, mit denen die Schulen und Schulsysteme konfrontiert sind; es zeigt jedoch auf, wo die Schulen einem enormem Druck ausgesetzt sind. Dies legt den Schluss nahe, dass die Schule als Institution nicht auf der Stelle verharren kann, da sie ja das Fundament für das lebenslange Lernen bilden und umfassend zum sozialen und wirtschaftlichen Wohlstand der Mitgliedstaaten beitragen soll.

Die Konsultationsteilnehmer werden gebeten, auf einige oder alle der obigen acht Fragen zu antworten indem sie erstens angeben, welche Maßnahmen ihres Erachtens in ihrem nationalen Umfeld ergriffen werden müssten, um die für das 21. Jahrhundert benötigte Qualität der Schulbildung zu gewährleisten, und indem sie zweitens Vorschläge dafür machen wie die Mitgliedstaaten bei der Modernisierung ihrer Systeme wirksam durch die europäische Zusammenarbeit37 unterstützt werden könnten.

Fragenliste