- b) Reflexionspapier der Kommission zur Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion COM (2017) 291 final Drucksache: 444/17 (PDF) in Verbindung mit
- c) Reflexionspapier der Kommission: Die Globalisierung meistern COM (2017) 240 final; Ratsdok. 9075/17 Drucksache: 387/17 (PDF) in Verbindung m i.d.R. flexionspapier der Kommission zur sozialen Dimension Europas COM (2017) 206 final Drucksache: 353/17 (PDF) in Verbindung mit
- e) Reflexionspapier der Kommission über die Zukunft der europäischen Verteidigung COM (2017) 315 final Drucksache: 490/17 (PDF)
- 963. Sitzung des Bundesrates am 15. Dezember 2017
A
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU), der Ausschuss für Arbeit, Integration und Sozialpolitik (AIS)*1, der Finanzausschuss (Fz)*2, der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (U)*3 und der Wirtschaftsausschuss (Wi)*4 empfehlen dem Bundesrat, zu den Vorlagen gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- *1 Die Empfehlung des AIS bezieht sich nur auf BR-Drucksache 543/17.
- *2 Die Empfehlung des Fz bezieht sich nur auf BR-Drucksachen 543/17 (PDF) und 444/17.
- *3 Die Empfehlung des U bezieht sich nur auf BR-Drucksache 543/17.
- *4 Die Empfehlung des Wi bezieht sich nur auf BR-Drucksachen 543/17 (PDF) und 444/17.
Zu den BR-Drucksachen 543/17 (PDF) , 444/17 (PDF) , 387/17 (PDF) , 353/17 (PDF) und 490/17 (PDF)
- 1. Der Bundesrat begrüßt den mit den Erklärungen des Europäischen Rates von Bratislava und Rom sowie mit dem Weißbuch der Europäischen Kommission zur Zukunft der EU eingeleiteten umfassenden Diskussionsprozess zur Zukunft Europas. Die Berichte des Europäischen Parlaments vom Februar 2017 sowie die von der Kommission vorgelegten Reflexionspapiere zu zentralen europäischen Themen waren wichtige Beiträge zu diesem Prozess.
- 2. Kommissionspräsident Juncker hat in seiner Rede zur Lage der Union vom 13. September 2017 erste Schlussfolgerungen aus der laufenden Debatte gezogen und seine Vorschläge für die weitere Entwicklung der EU dargelegt. Der Bundesrat unterstützt das Anliegen, eine geeintere, stärkere und demokratischere Union zu schaffen, die sich handlungsfähig gegenüber künftigen Herausforderungen zeigt. Im Übrigen spricht er sich für die sorgfältige Prüfung der von Präsident Juncker unterbreiteten Vorschläge aus. Er weist allerdings vorsorglich darauf hin, dass als Voraussetzung für die vom Kommissionspräsidenten angesprochenen Erweiterungsprozesse - sowohl der Eurozone, des Schengen-Raumes als auch der EU insgesamt - die vollständige Erfüllung der hierfür vertraglich vereinbarten Kriterien außer Frage stehen muss. Der Bundesrat erinnert insoweit an seine grundsätzlich aufgeschlossene Bewertung einer differenzierten Integration - einer Methode, die sich auch in der Vergangenheit in vielen Bereichen bewährt hat.
- 3. Der Bundesrat begrüßt es insbesondere, dass die Kommission eine "Task Force Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit" unter Beteiligung europäischer und nationaler Parlamentarier einzusetzen beabsichtigt. Er geht davon aus, dass die deutschen Länder mit ihren umfangreichen Erfahrungen in der Anwendung europäischen Rechts über den Bundesrat umfassend beteiligt werden. Der Bundesrat begrüßt den Vorschlag von Präsident Juncker, in der europapolitischen Öffentlichkeitsarbeit verstärkt in den Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern zu treten.
Globalisierung meistern
- 4. Der Bundesrat begrüßt die ausgewogene Darstellung der Chancen und Herausforderungen der Globalisierung, die die Kommission in dem Reflexionspapier "Die Globalisierung meistern" (BR-Drucksache 387/17 (PDF) ) vorgenommen hat. Die Globalisierung hat zu Wirtschaftswachstum in vielen Regionen der Welt beigetragen und dadurch auch den Lebensstandard vieler europäischer Bürgerinnen und Bürger verbessert. Aber nicht alle Regionen bzw. alle Bevölkerungsgruppen haben gleichermaßen von den Auswirkungen der Globalisierung profitiert. Zudem reagieren viele Menschen mit Verunsicherung auf die tiefgreifenden Veränderungen. Auch in den kommenden Jahren wird sich der Globalisierungsprozess fortsetzen. Auf die hiermit verbundenen Herausforderungen kann nicht mit Abschottung reagiert werden. Der Bundesrat fordert, dass die EU sich weiterhin aktiv an der Gestaltung des Globalisierungsprozesses beteiligt und die damit verbundenen Chancen aktiv nutzt. Ziel muss sein, zu einer gerechteren Verteilung der Globalisierungschancen sowohl innerhalb der EU als auch weltweit zu gelangen.
- 5. Der Bundesrat unterstützt das Anliegen der Kommission, zur Verwirklichung dieses Ziels gemeinsam mit internationalen Partnern die globale Governance zu stärken. Die EU kann ihre Erfahrungen aus dem europäischen Integrationsprozess einbringen und sich so für eine vom Multilateralismus geprägte und auf starken Regeln beruhende friedliche Weltordnung engagieren. Dazu gehören die Einhaltung, die effektive Durchsetzung und die transparente Weiterentwicklung handelspolitischer Übereinkommen zur Sicherung fairer Wettbewerbsbedingungen unter Beibehaltung der hohen europäischen Schutzstandards.
- 6. Zudem befürwortet der Bundesrat internationale Maßnahmen zur Stabilisierung des Finanzsektors, zur Korruptionsbekämpfung, zur Bekämpfung von Steuervermeidung, zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen und zur Erreichung gemeinsamer Umweltschutz- und Klimaziele. Er ist sich der großen Bedeutung des Exports für die Industrie und Wirtschaft in Deutschland und Europa bewusst und steht deshalb dem Abschluss weiterer Freihandelsabkommen durch die EU offen gegenüber. Bei ihrem Abschluss ist jedoch darauf zu achten, dass die in der EU geltenden hohen Standards, etwa im Bereich des Verbraucherschutzes, des Umweltschutzes oder des Datenschutzes, geachtet werden.
- 7. Im Bereich der Entwicklungspolitik gilt es, die Ziele der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung durch die Aktivitäten der Mitgliedstaaten und den neuen Europäischen Konsens zur Entwicklungspolitik zu untersetzen und umzusetzen. Die Bekämpfung der strukturellen Ursachen von Armut und wachsender globaler Ungleichheit kann auch zur Reduzierung von Fluchtursachen beitragen. Der Bundesrat begrüßt den Ansatz der Kommission, dass zur Förderung nachhaltigen Wachstums und der Schaffung von Arbeitsplätzen in Entwicklungsländern mittels der im Rahmen des Europäischen Fonds für nachhaltige Entwicklung (EFSD) vorgeschlagenen "Investitionsoffensive für Drittländer" eine verstärkte Kooperation mit dem Privatsektor angestrebt werden soll.
- 8. Der Bundesrat teilt die Einschätzung der Kommission, dass es neben den internationalen Strategien auch verstärkter innereuropäischer Maßnahmen bedarf. Dabei gilt es, die Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft des Standorts Europa zu erhalten, damit die mit der Globalisierung einhergehenden Entwicklungen für möglichst alle EU-Bürgerinnen und -Bürgern vorteilhaft sind. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass die EU für einige der im Reflexionspapier aufgegriffenen Bereiche wie Steuerpolitik oder Bildungspolitik nur eine unterstützende Zuständigkeit hat. Die von der Kommission vorgesehene Stärkung der Widerstandskraft der Gemeinden und Regionen, welche besonders von Globalisierungseffekten, Strukturwandel und demografischem Wandel betroffen sein können, wird auch vom Bundesrat als Zukunftsaufgabe angesehen. Er sieht hier die EU in der Pflicht, die nationalstaatlichen und regionalen Anstrengungen durch wirksame europäische Maßnahmen und eine angemessene Finanzausstattung des Fonds für die Anpassung an die Globalisierung zu unterstützen.
Zukunft der EU-Finanzen
- 9. Der Bundesrat begrüßt den eingeleiteten Diskussionsprozess zur Zukunft der EU-Finanzen. Er bekräftigt die große Bedeutung des Unionshaushaltes als Ausdruck und Instrument der fortgeschrittenen europäischen Integration und der europäischen Solidarität. Die EU muss finanziell handlungsfähig und mit angemessenen Eigenmitteln ausgestattet sein.
- 10. Der Bundesrat spricht sich dafür aus, den Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) nach 2020 weiterhin an politischen Langfriststrategien und den damit verbundenen europäischen Zielsetzungen auszurichten. Er teilt die Auffassung, dass der künftige EU-Haushalt in Abhängigkeit von den politischen Entscheidungen zur Zukunft der EU einfacher und flexibler gestaltet und auf effizienten Einsatz der Mittel ausgerichtet sein soll. Um die hierfür erforderliche Planungssicherheit zu gewährleisten, lehnt er eine Verkürzung der Laufzeit des MFR und der EU-Förderperiode ab. Der Bundesrat spricht sich grundsätzlich für die Beibehaltung der siebenjährigen Laufzeit aus[, hält daneben aber auch eine Förderperiode von zehn Jahren mit einer obligatorischen Halbzeitüberprüfung nach fünf Jahren (5+5) unter gewissen Bedingungen für diskussionswürdig].
- 12. Der Bundesrat unterstützt die Forderung nach einer Reform der EU-Eigenmittel und die Abschaffung der Eigenmittel aus der Mehrwertsteuer.
- 13. Die Einführung von EU-Steuern lehnt er jedoch weiterhin ab.
- 14. Eine solche Reform soll zu einer transparenten und gerechten Gestaltung der Einnahmen der EU führen. Dementsprechend müssen die Beitragslasten an der Wirtschaftsleistung der Mitgliedstaaten ausgerichtet und exzessive Haushaltssalden für einzelne Mitgliedstaaten vermieden werden. Der Bundesrat befürwortet - wegen des anstehenden Wegfalls des Britenrabatts - eine Prüfung der Abschaffung aller bisherigen mitgliedstaatsbezogenen Rabatte. Er fordert einen allgemeinen Korrekturmechanismus, der allen durch ihre Nettobeiträge außergewöhnlich hoch belasteten Mitgliedstaaten zugutekommt und Sonderregelungen zu Gunsten einzelner Mitgliedstaaten überflüssig macht.
- 15. Der Bundesrat hält die Diskussion über eine Erhöhung der Eigenmittelobergrenze derzeit nicht für zielführend.
- 16. Der Bundesrat begrüßt es außerordentlich, dass der eindeutige europäische Mehrwert der Kohäsionspolitik in den Überlegungen der Kommission über die Zukunft der EU-Finanzen nicht mehr infrage gestellt wird. Er bekräftigt nochmals seine Überzeugung, dass es auch in Zukunft einer Kohäsionspolitik für alle Regionen bedarf. Die Kohäsionspolitik ist das wirkungsvollste Instrument der EU, um Investitionen auf regionaler und lokaler Ebene zu generieren und dabei die spezifischen Bedarfe differenziert zu berücksichtigen. Daher bedarf es auch nach 2020 einer angemessenen Finanzausstattung dieses Politikbereichs.
- 17. Der Bundesrat hebt in diesem Zusammenhang die besondere Rolle hervor, welche Übergangs- und stärker entwickelte Regionen als Innovations- und Wachstumslokomotiven für die gesamte EU übernehmen. Gerade diese Regionen leisten einen entscheidenden Beitrag zur Steigerung der EU-weiten Wettbewerbsfähigkeit und zur Stärkung europäischer Wertschöpfungsketten. Gleichzeitig stehen auch und gerade Übergangs- und stärker entwickelte Regionen vor wachsenden strukturellen Herausforderungen, die einer Förderung bedürfen. Der Bundesrat wiederholt daher seine Forderung nach einer Anhebung des für diese Regionen vorgesehenen Anteils der im Rahmen der Kohäsionspolitik zur Verfügung gestellten Mittel.
- 18. Der Bundesrat bittet die Kommission, alle die Kohäsionspolitik betreffenden Vorschläge zur Erreichung eines höheren Maßes an Flexibilität sorgfältig gegen das Erfordernis der Planungssicherheit für die Mittelempfänger abzuwägen. Eine Reserve innerhalb der Kohäsionspolitik, welche zu Beginn der Förderperiode noch nicht auf die Mitgliedstaaten verteilt wird, ist vor diesem Hintergrund abzulehnen.
- 19. Der Bundesrat begrüßt die Aussagen der Kommission zur nachhaltigen Landwirtschaft, wonach über 500 Millionen Menschen von einer sicheren Versorgung mit hochwertigen, nachhaltig erzeugten Nahrungsmitteln zu bezahlbaren Preisen profitieren. Die Kommission stellt zudem fest, dass die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) den europäischen Bürgerinnen und Bürgern einen erheblichen Mehrwert für Europa bietet.
- 20. Angesichts der großen Herausforderungen, denen sich die EU stellen muss, wie Brexit, Finanzkrise, Jugendarbeitslosigkeit, Flüchtlingskrise und fairer internationaler Handel, empfiehlt der Bundesrat, die GAP hinsichtlich ihrer Wirksamkeit und ihres Mehrwerts für die EU insgesamt neu zu bewerten.
- 21. Der Bundesrat hält eine neu ausgerichtete, finanziell gut ausgestattete und vereinfachte GAP auch nach 2020 für erforderlich. Die GAP fördert in den ländlichen Regionen Stabilität und Solidarität und stellt eine starke und verbindende Säule der europäischen Integration dar. Mit den circa 11 Millionen landwirtschaftlichen Betrieben in der EU sind insgesamt rund 44 Millionen Arbeitsplätze verbunden. Die GAP hat damit einen hohen europäischen Mehrwert insbesondere für die ländlichen Regionen.
- 22. Der Bundesrat betont daher, dass Leistungen der Landwirtschaft wie Nahrungsmittelsicherheit, Belebung der ländlichen Räume, hohe Standards in der Agrarproduktion, Beiträge zum Klima- und Gewässerschutz oder zum Erhalt der Biodiversität EU-weite Herausforderungen sind und auch künftig einer ausreichend hohen Finanzmittelausstattung der GAP bedürfen.
- 23. Der Bundesrat stellt ferner fest, dass eine zukünftige EU-Agrarpolitik darauf ausgelegt sein muss, die aktuellen Herausforderungen mit Bezug auf den Klimawandel, den Umweltschutz, das Tierwohl, die Sicherung der landwirtschaftlichen Betriebe und der ländlichen Räume noch wirksamer zu bewältigen. Mit einer Neuausrichtung muss es gelingen, Umwelt- und Biodiversitätsproblemen in den Kulturlandschaften wirksam zu begegnen.
- 24. Der Bundesrat betont, dass die GAP als der bis heute am stärksten vergemeinschaftete Politikbereich der EU ein zentraler Bestandteil des europäischen Integrations- und Einigungsprozesses ist und damit einen wesentlichen Beitrag zum Ziel gleichwertiger Lebens- und Arbeitsverhältnisse in der gesamten EU leistet. Der Bundesrat lehnt daher eine pauschale Ausrichtung der Finanzmittel auf abgelegene Gebiete und die ärmsten landwirtschaftlichen Betriebe ab. Die GAP muss auch weiterhin darauf ausgerichtet werden, ihre positive Wirkung in allen Regionen der Mitgliedstaaten zu entfalten. Der Bundesrat bekräftigt in diesem Zusammenhang seine Stellungnahme vom 16. Dezember 2016 in BR-Drucksache 521/16(B) (Ziffern 16 und 17), wonach die GAP auch nach 2020 integraler Bestandteil des europäischen Projekts bleiben muss.
- 25. Die Komplexität und Regelungsdichte sowie der Aufwand für die Umsetzung sind mit jeder Reform der GAP gestiegen. Deshalb ist ein mutiger Schritt zur Vereinfachung notwendig, damit die GAP für die Betroffenen verständlicher wird und die Akzeptanz in der Landwirtschaft und Gesellschaft beibehalten bleibt.
- 26. Die modernisierte GAP muss ferner zielgerichteter und zugleich einfacher werden.
- 27. Ein wesentlicher Beitrag ist dabei die konsequente Umsetzung des Single-Audit-Ansatzes im Bereich des EU-Kontrollregimes.
- 28. Der Bundesrat erkennt die im Reflexionspapier zur Zukunft der EU-Finanzen (BR-Drucksache 543/17 (PDF) ) zum Ausdruck gebrachten Bestrebungen der Kommission an, für die Zukunft zu deutlich einfacheren Regelungen für die Programmierung und Umsetzung der Europäischen Struktur- und Investitionsfonds (ESI-Fonds) zu gelangen. Er unterstützt die Kommission in ihrem Anliegen, neben der Vereinfachung auch eine kohärentere Investitionstätigkeit der verschiedenen ESI-Fonds zu erreichen. Insbesondere die Einführung eines einheitlicheren Regelwerks für die bestehenden Fonds könnte dafür ein vielversprechender Ansatz sein.
- 29. Der Bundesrat bekräftigt darüber hinaus seine Überzeugung, dass es einer auf dem Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprinzip basierenden grundsätzlichen Umsteuerung für die Programmplanung und -umsetzung bedarf. Er verweist auf seine Forderungen zum Abbau der Verwaltungs- und Kontrollbelastung und fordert die Kommission auf, die Schlussfolgerungen und Empfehlungen der Hochrangigen Gruppe unabhängiger Experten zur Verwaltungsvereinfachung für die EU-Förderperiode nach 2020 bei der Vorbereitung der Verordnungsvorschläge maßgeblich zu berücksichtigen.
Soziale Dimension Europas
- 30. Der Bundesrat nimmt zur Kenntnis, dass in der aktuellen Diskussion über die Zukunft der EU und insbesondere in den Beiträgen der Kommission hierzu auch die soziale Dimension eine zentrale Rolle im Kontext der Reformüberlegungen spielt. Sozialstaatlichkeit und Solidarität prägen die europäischen Gesellschaften.
- 31. 32. [EU] Der Bundesrat unterstützt, dass durch Union und Mitgliedstaaten die gegebenen vertraglichen Möglichkeiten in EUV und AEUV genutzt werden, und befürwortet die mit der Europäischen Säule sozialer Rechte angestrebte soziale Konvergenz. Zur Erreichung dieser Konvergenz bedarf es jedoch keiner Harmonisierung der Sozialsysteme der Mitgliedstaaten. [Es dürfen keine neuen Transfermechanismen geschaffen werden.] Vielmehr geht es um Reformen der Mitgliedstaaten in ihren jeweiligen nationalen Zuständigkeiten.
- 33. Die wirtschaftliche Situation der Mitgliedstaaten ist in erster Linie Voraussetzung dafür, dass stärkere soziale Konvergenz erreicht werden kann. Um soziale Standards aus eigener Kraft bereitstellen zu können, müssen die Mitgliedstaaten daher unter anderem ihre Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig stärken. Erforderlich ist hierfür nicht zuletzt auch eine solide Fiskal- und Wirtschaftspolitik, die eigenverantwortliches Handeln in den Mittelpunkt stellt und notwendige Strukturreformen in Angriff nimmt. Strukturreformen in den Mitgliedstaaten mit hoher (Jugend-)Arbeitslosigkeit haben gezeigt, dass eine tatsächliche Verbesserung der sozialen Situation in Europa möglich ist. Gleichzeitig bedarf es zwingend notwendiger flankierender europäischer Maßnahmen, um die soziale Dimension in Europa zu stärken.
- 34. Der Bundesrat weist auf die unterschiedlichen Sozialmodelle in der EU und die differenziert ausgestalteten Handlungsmöglichkeiten der Mitgliedstaaten im sozialpolitischen Bereich hin. Bei einem Ausbau der sozialen Dimension müssen die bestehende Kompetenzordnung, die mitgliedstaatlichen Zuständigkeiten sowie die nationalen Bedürfnisse, Leistungsfähigkeiten und Traditionen berücksichtigt werden.
- 35. 36. [EU] Der Bundesrat weist auf die primäre Zuständigkeit der Mitgliedstaaten in der Sozialpolitik als bedeutendem Bereich der nationalen Souveränität hin. [Dies gebietet Zurückhaltung hinsichtlich neuer Legislativakte auf EU-Ebene.]
- 37. Der Bundesrat betont, dass die zunehmende Digitalisierung und die demografische Entwicklung nachhaltige Auswirkungen auf die zukünftige Gestaltung der Arbeit haben werden. Er ist der Auffassung, dass trotz der Veränderungen ein hohes arbeits- und sozialrechtliches Schutzniveau für alle Beschäftigten sichergestellt werden muss.
Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion
- 38. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die Fortentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) als eines der zentralen europäischen Projekte mitentscheidend für den Wohlstand in der EU ist. Der Bundesrat begrüßt das auf dem Bericht der fünf Präsidenten vom 22. Juni 2015 und dem Weißbuch der Kommission zur Zukunft Europas vom 1. März 2017 aufbauende Reflexionspapier zur Vertiefung der WWU (BR-Drucksache 444/17 (PDF) ). Er ist der Auffassung, dass die dargestellten Handlungsoptionen die notwendige Diskussion über die zukünftige Ausgestaltung der WWU deutlich voranbringen können. Der Bundesrat sieht den Diskussionsprozess damit als eröffnet an, hält aber Vorfestlegungen zum derzeitigen Zeitpunkt für verfrüht.
- 39. Die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit in den einzelnen Mitgliedstaaten bleibt aus Sicht des Bundesrates eine grundlegende Herausforderung für die EU. Der im Reflexionspapier befürwortete makroökonomische Stabilisierungsmechanismus kann dazu einen Beitrag leisten. Er soll dazu dienen, die Bereitschaft zu Strukturreformen durch finanzielle Anreize zu fördern. Bei der Prüfung der Einführung eines solchen Instruments müsste sichergestellt werden, dass Mittelgewährungen nicht von politischen Absichtserklärungen, sondern von messbaren Reformerfolgen abhängig sind. Dafür sind auf europäischer Ebene exante klare Zielkriterien und Erfolgsindikatoren zu definieren und expost die Wirkungen der Reformen einer kritischen Überprüfung zu unterziehen. Es müssen auch Vorkehrungen getroffen werden, dass ein solches Instrument nicht zu Mitnahmeeffekten missbraucht werden kann.
- 40. 41. [EU] Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die im Reflexionspapier diskutierte Einführung einer makroökonomischen Stabilisierungsfunktion für das Euro-Währungsgebiet mit Blick auf ihre zahlreichen Implikationen einer vertieften kritischen Diskussion bedarf. [Damit wäre der Einstieg in ein System direkter, nichtkonditionierter Transferleistungen verbunden; zudem besteht die Gefahr, dass einzelne Mitgliedstaaten in ihren Reformbemühungen nachlassen.] Zu klären wäre dabei im Vorfeld auch, ob und aus welchen Positionen des EU-Haushaltes die Finanzierung eines solchen Instruments angedacht werden könnte und wie bereits bestehende Instrumente zur Anreizsetzung für Strukturreformen genutzt werden können.
- 42. Bezüglich der Einführung einer Arbeitslosenrückversicherung weist die Kommission in ihrem Reflexionspapier selbst darauf hin, dass die Prämisse hierfür "ein gewisses Maß an vorheriger Konvergenz der Arbeitsmarktpolitik und der Merkmale des Arbeitsmarktes" ist. Dieses sieht der Bundesrat aufgrund der großen Unterschiede in der Arbeitsmarktpolitik und den Sozial-und Einkommensniveaus in den Mitgliedstaaten als derzeit nicht gegeben an.
- 43. Der Bundesrat lehnt das vorgeschlagene europäische Einlagensicherungssystem (EDIS) in der gegenwärtig diskutierten Form ab. Prämisse für ein solches Vorhaben sind funktionierende nationale Einlagensicherungssysteme, deren Aufbau in den einzelnen Mitgliedstaaten noch nicht abgeschlossen ist, und ein Abbau von Risiken. Erst wenn in allen Mitgliedstaaten funktionsfähige nationale Einlagensicherungssysteme bestehen, können Schritte auf europäischer Ebene in Betracht kommen.
- 44. Der Bundesrat begrüßt den im Reflexionspapier formulierten Ansatz, die demokratische Rechenschaftspflicht zu stärken und den Entscheidungsprozess transparenter zu gestalten. Er stellt allerdings auch fest, dass es dem Reflexionspapier insoweit an konkreten Reformvorschlägen mangelt.
- 45. Zu unterstützen sind die Überlegungen, die einschlägigen Bestimmungen des Fiskalpakts in das EU-Recht zu überführen. Der Bundesrat plädiert dafür, das Europäische Parlament konsequent in die Ausgestaltung von Gremien und Strukturen der Eurozone einzubeziehen. Ferner müssen die nationalen Parlamente noch stärker in die wirtschaftspolitischen Diskussionen während des Europäischen Semesters eingebunden werden. Aus Sicht des Bundesrates darf auch eine Verstärkung der Rechenschaftspflichten nicht zu einer Ausweitung der Berichtspflichten führen.
Zukunft der europäischen Verteidigung
- 46. Der Bundesrat nimmt das Reflexionspapier zur Zukunft der europäischen Verteidigung (BR-Drucksache 490/17 (PDF) ) zur Kenntnis und stellt angesichts der klaren innerstaatlichen Kompetenzverteilung in diesem Politikfeld die Notwendigkeit einer ergebnisorientierten Diskussion zur Zukunft der europäischen Verteidigung heraus.
- 47. Der Bundesrat stimmt mit der Einschätzung der Kommission überein, dass mehr Zusammenarbeit innerhalb der EU notwendig ist, einschließlich des Gebiets der Verteidigung.
- 48. Der Bundesrat ist überzeugt, dass die neuen Arten von Bedrohungen und die Konflikte in der unmittelbaren Nachbarschaft der EU sowie insbesondere der aktuelle Wandel der Transatlantischen Beziehungen die Notwendigkeit begründen, mehr Verantwortung für die eigene Sicherheit zu übernehmen. Um dies kostengünstig und effizient zu erreichen ist es notwendig, Doppelungen zwischen den Mitgliedstaaten zu vermeiden und die Interoperabilität ihrer Verteidigungsgüter sicherzustellen.
- 49. Es ist richtig, dass die Kommission zu einer Diskussion aufruft, auf welchem Weg diese Ziele konkret erreicht werden können. Die drei vorgestellten Szenarien - weitere Zusammenarbeit, geteilte Verantwortung oder gemeinsame Verteidigung und Sicherheit - zeigen die unterschiedlich ambitionierten Integrationsschritte dazu auf.
- 50. Die drei Szenarien schließen sich nicht aus.
- 51. Der Bundesrat unterstreicht mit Nachdruck die Feststellung der Kommission, dass an der Stärkung der Sicherheit Europas kein Weg vorbeiführt.
- 52. Die dafür notwendigen Schritte gilt es nach Überzeugung des Bundesrates, nun in der Diskussion mit den Mitgliedstaaten zu vereinbaren und dann zügig umzusetzen.
Zu BR-Drucksache 543/17 (PDF)
Weiteres zur Zukunft der EU-Finanzen
- 53. Der Bundesrat begrüßt die Überlegungen zur Zukunft des EU-Haushalts und betont in diesem Zusammenhang die große Bedeutung des EU-Haushalts für die Verwirklichung gemeinsamer Ziele und zur Bewältigung gemeinsamer Herausforderungen.
- 54. Der Bundesrat nimmt das Reflexionspapier der Kommission über die Zukunft der EU-Finanzen zur Kenntnis und begrüßt, dass sich die Kommission darin zur Kohäsionspolitik als wichtigem Teil der Investitionspolitik der EU mit einem eindeutigen Mehrwert für die Union bekennt. Ebenso begrüßt der Bundesrat, dass die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in allen im Reflexionspapier vorgeschlagenen Szenarien als förderfähig angesehen wird.
- 55. Der Bundesrat verweist insbesondere auf die Rolle der Kohäsionspolitik, die die Unterschiede in der wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Entwicklung in den Regionen der EU verringert.
- 56. Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommission die Zukunft des EU-Haushalts eng mit der Realisierung von europäischem Mehrwert verbindet. Der Mehrwert soll die Bereitstellung öffentlicher Güter auf europäischer Ebene ermöglichen und dazu beitragen, die Grundfreiheiten und -rechte der Unionsbürgerinnen und -bürger einerseits sowie den europäischen Binnenmarkt und die WWU andererseits zu wahren. Der Bundesrat hält es für erforderlich, europäischen Mehrwert auch in Bezug auf soziale Zielsetzungen zu generieren.
- 57. Der Bundesrat schließt sich der Einschätzung der Kommission an, dass mit dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU und dem Finanzierungsbedarf möglicher neuer, bisher aus Haushaltsflexibilitäten finanzierter Prioritäten wie Sicherheit, Migration, Grenzkontrollen und Verteidigung eine Finanzierungslücke im Haushalt entsteht. Das Einnahmesystem der EU ist daher mit den künftigen Aufgaben und politischen Schwerpunkten der EU in Einklang zu bringen. Das erfordert auch, die politischen Prioritäten für die Zeit nach 2020 zu überprüfen und neu zu gewichten.
Europäischer Mehrwert einer Kohäsionspolitik für alle Regionen
- 58. Der Bundesrat unterstützt den Vorschlag der Kommission, den künftigen EU-Haushalt schwerpunktmäßig auf die Bereiche, die einen hohen europäischen Mehrwert bieten, auszurichten.
- 59. Er begrüßt grundsätzlich die von der Kommission dargelegten Inhalte des europäischen Mehrwerts und regt an, diesen Mehrwert insbesondere an der Bereitstellung öffentlicher Güter von europäischer Dimension, der Breitenwirkung im Sinne von Spill-over-Effekten, der Ressourcenbündelung und der Unterstützung der Ziele, Strategien und Werte der EU festzumachen. Diese Inhalte des europäischen Mehrwerts sollten konsequent und in gleicher Weise zur Bewertung aller Programme und Politiken der EU herangezogen werden.
- 60. Vor diesem Hintergrund begrüßt der Bundesrat außerordentlich, dass der eindeutige europäische Mehrwert der Kohäsionspolitik in den Überlegungen der Kommission über die Zukunft der EU-Finanzen nicht mehr infrage gestellt wird. Der Bundesrat zeigt sich außerdem erfreut, dass die bereits erzielten Fortschritte im Bereich der Ziel- und Ergebnisorientierung, der Transparenz und Rechenschaftspflicht, der thematischen Konzentration und der engeren Anbindung des Politikbereichs an die wirtschaftspolitische Koordinierung im Rahmen des Europäischen Semesters ausdrücklich gewürdigt werden.
- 61. Der Bundesrat vertritt die Auffassung, dass künftig alle Regionen von den Kohäsionsmitteln profitieren sollten, um nicht nur in den weniger entwickelten und den Übergangsregionen, sondern auch in den stärker entwickelten Regionen zusätzliche Impulse für die harmonische Entwicklung der EU als Ganzes zu ermöglichen. Zudem könnten die in diesen Regionen mit EU-Mitteln eingeleiteten Maßnahmen weitergeführt und sonst drohende Abbrüche förderpolitischer Interventionen vermieden werden. Der Bundesrat hat bereits in seiner Stellungnahme vom 7. Juli 2017 zur Einführung einer europäischen Säule sozialer Rechte (BR-Drucksache 352/17(B) ) festgestellt, dass auch in wirtschaftlich stärkeren Mitgliedstaaten nach wie vor Regionen mit wirtschaftlichen und sozialen Problemlagen besondere Unterstützung benötigen. Die Einbeziehung aller Regionen in die künftigen Förderungen würde sichtbare Zeichen für ein Engagement der EU setzen.
- 62. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die Kohäsionspolitik alle Regionen zukunftsfähig machen soll. Sie ist ein wichtiges Instrument, um die aktuellen Chancen und Herausforderungen wie den Strukturwandel - geprägt unter anderem von Digitalisierung, Energiewende, demographischer Entwicklung und Globalisierung - zu meistern. Der Bundesrat weist darauf hin, dass durch den Lissabon-Vertrag das Ziel des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts durch die territoriale Kohäsion ergänzt wurde. Dieses Ziel soll durch eine differenzierte Kohäsionspolitik gefördert werden, die allen Regionen ermöglicht, ihre jeweiligen Potenziale bestmöglich auszuschöpfen. Daher muss die Kohäsionspolitik auch in Zukunft allen Regionen innerhalb der EU die Möglichkeit bieten, zur Innovation und Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des EU-Wirtschaftsraums insgesamt beizutragen. Der Bundesrat lehnt deshalb solche Szenarien in dem Reflexionspapier ab, die die Mittel der Kohäsions- und Strukturfonds nur für die Kohäsionsländer oder ärmere Regionen vorsehen.
- 63. Der Bundesrat bekräftigt mithin unter Bezugnahme auf seine Stellungnahme vom 16. Dezember 2016 (BR-Drucksache 521/16(B) ) nochmals seine Überzeugung, dass es auch in Zukunft einer Kohäsionspolitik für alle Regionen bedarf.
- 64. Die Kohäsionspolitik ist das wirkungsvollste Instrument der EU, um Investitionen auf regionaler und lokaler Ebene zu generieren und dabei die spezifischen Bedarfe differenziert zu berücksichtigen. Gleichzeitig verfügt sie über ein erhebliches Potential für die Identifikation der Bürgerinnen und Bürger mit der EU und für ihre Sichtbarkeit in allen Regionen der EU.
- 65. Sie übt zudem - neben der Stärkung des wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalts - auch weiterhin eine wesentliche komplementäre Rolle für das Funktionieren des Europäischen Binnenmarkts aus.
- 66. Der Bundesrat hebt in diesem Zusammenhang noch einmal die besondere Rolle hervor, welche die Übergangs- und stärker entwickelten Regionen als Innovations- und Wachstumslokomotiven für die gesamte EU übernehmen. Er verweist dabei insbesondere auf das erfolgreiche Konzept der intelligenten Spezialisierung, innerhalb dessen gerade diese Regionen mit ihren individuellen Stärken einen entscheidenden Beitrag zur Steigerung der EU-weiten Wettbewerbsfähigkeit und zur Stärkung europäischer Wertschöpfungsketten leisten. Die intelligente Spezialisierung sollte daher zur Identifizierung und Aktivierung lokaler Entwicklungspotentiale im Rahmen der Kohäsionspolitik fortgeführt werden. Gleichzeitig stehen auch und gerade Übergangs- und stärker entwickelte Regionen vor wachsenden strukturellen Herausforderungen, die einer Förderung bedürfen.
Angemessene Finanzausstattung für alle Regionen
- 67. Der Bundesrat spricht sich dafür aus, dass die zukünftige finanzielle Ausstattung für die Kohäsionspolitik das derzeitige Niveau nicht unterschreiten sollte. Zudem sollten auch Übergangs- und stärker entwickelte Regionen eine bedeutende Zielgruppe in der europäischen Regional- und Sozialpolitik sein. Die vom Bundesrat unterstützte stärkere Orientierung auf soziale Inklusion, Beschäftigung, Kompetenzen, Innovation, Klimawandel sowie Energie-/Ökologiewende kann nicht mit dem Absenken der Gesamtmittel für den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt gekoppelt werden.
- 68. Soweit die Kommission Szenarien für die Zukunft des EU-Haushalts vorsieht, welche deutliche Mittel- oder Anteilskürzungen für die Kohäsionspolitik beinhalten, den Fortbestand einzelner Programme in Frage stellen und/oder die Kohäsionspolitik nur auf ärmere Regionen oder Mitgliedstaaten begrenzen wollen, werden derartige Kürzungen dem erheblichen europäischen Mehrwert einer Kohäsionspolitik für alle Regionen nicht gerecht und bergen die Gefahr, im Hinblick auf den europäischen Zusammenhalt und die Erreichung der Ziele der EU einen Rückschritt einzuleiten. Eine Begrenzung der Kohäsionspolitik nur auf ärmere Regionen oder Mitgliedstaaten ist deshalb abzulehnen.
- 69. Die in dem Reflexionspapier über die Zukunft der EU-Finanzen untersetzten Szenarien beinhalten durchgehend eine Anteils- oder Mittelkürzung für die Kohäsionspolitik in den Übergangs- und stärker entwickelten Regionen. Der Bundesrat betont daher nochmals, dass es angesichts des erheblichen europäischen Mehrwerts der Kohäsionspolitik und ihres Beitrags zur Bewältigung neuer Herausforderungen auch nach 2020 noch einer angemessenen Finanzausstattung dieses Politikbereichs bedarf. Deshalb ist darauf hinzuwirken, dass der Anteil der Kohäsionspolitik am EU-Haushalt nicht reduziert wird.
- 70. Der Bundesrat wiederholt nachdrücklich seine in der Stellungnahme vom 16. Dezember 2016 (BR-Drucksache 521/16(B) ) zum Ausdruck gebrachte Forderung nach einer Anhebung des für die Übergangs- und die stärker entwickelten Regionen zur Verfügung gestellten Anteils an den für die Kohäsionspolitik bereitgestellten Mitteln. Diese Regionen tragen überdurchschnittlich zur wirtschaftlichen Stärke und zur Erreichung der Ziele der ganzen EU bei und müssen daher auch zugunsten einer dynamischen Entwicklung der Union als Ganzes an Bord der Kohäsionspolitik gehalten werden.
- 71. Nach Ansicht des Bundesrates hat sich das aktuelle System der Zuweisung von Kohäsionsmitteln anhand des relativen Wohlstands der betreffenden Region, Pro-Kopf-BIP im Vergleich zum EU-Durchschnitt, als zentrales und umfassendes Kriterium bewährt und sollte nicht durch neue, einzelne Aspekte herausstellende Kriterien aufgeweicht werden.
- 72. Das regionale Bruttoinlandsprodukt, gemessen in Kaufkraftparität in Relation zum EU-Durchschnitt, hat sich als Indikator bewährt, weil es belastbar, transparent und objektiv ist. Es bildet in der Regel auch Entwicklungen bei anderen Indikatoren implizit und hinreichend zuverlässig ab. Generell sollten besondere Herausforderungen ergänzend über größere regionale Flexibilität im Rahmen der Förderfähigkeitsregelungen berücksichtigt werden können.
- 73. Hauptempfehlung
Neuen Kriterien für die Mittelzuweisung, wie sie die Kommission mit aktuellen Herausforderungen wie demografischer Entwicklung, Arbeitslosigkeit, sozialer Inklusion, Migration oder Innovation und Klimawandel beschrieben hat, steht der Bundesrat kritisch gegenüber. Sie bedürfen in jedem Fall einer gründlichen Prüfung, ob sie die im ersten Satz von Ziffer 72 genannten Kriterien erfüllen.
- 74. Hilfsempfehlung
Ergänzende Kriterien für die Mittelzuweisung, wie sie mit aktuellen Herausforderungen wie demografischer Entwicklung, Arbeitslosigkeit, sozialer Inklusion, Migration oder Innovation und Klimawandel beschrieben werden, bedürfen in jedem Fall einer gründlichen Prüfung.
Begründung (nur gegenüber dem Plenum):
Der Siebte Kohäsionsbericht veranschaulicht deutlich, dass die genannten Herausforderungen nicht nur die schwächer entwickelten Regionen betreffen, sondern auch vor den Übergangsregionen und stärker entwickelten Regionen nicht Halt machen. Um einen hohen Mehrwert der Kohäsionspolitik zu gewährleisten, bedarf es daher aus Sicht der Kommission in Zukunft eines differenzierteren Ansatzes in der EU-Kohäsionspolitik, der nicht nur das allgemeine Wohlstandsniveau im Auge hat. Sie hat inzwischen angekündigt, dass ihr Vorschlag für die nächste Förderperiode daher zusätzliche Kriterien neben dem BIP-pro-Kopf-Indikator vorsehen wird. Auch das Europäische Parlament hat sich bereits in verschiedenen Entschließungen entsprechend positioniert. Vor diesem Hintergrund sollten die deutschen Länder ihre grundsätzliche Offenheit für alle Vorschläge zeigen, die nicht nur auf eine Konzentration der EU-Kohäsionspolitik auf die schwächeren Regionen abstellen.
- 75. Die abweichende Mittelzuweisung für die Europäische Territoriale Zusammenarbeit stellt hingegen eine bewährte Ausnahme dar, die fortgeführt werden sollte.
- 76. Der Bundesrat lehnt eine generelle Anhebung der nationalen Kofinanzierungsbeiträge für die ESI-Fonds ab. Sie würde im Vergleich zum Status quo deutlich mehr nationale Mittel binden, auf Grund der erforderlichen Einhaltung der Vorgaben des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaketes sowie EU-Fiskalvertrags gegebenenfalls den Verzicht auf europäische Fördermittel provozieren und die Bedeutung der Kohäsionspolitik vor Ort senken. Ein bedachtes Vorgehen ist erforderlich, um eine Überforderung finanzschwacher Regionen und Mitgliedstaaten sowie das abrupte Ende von mit Hilfe europäischer Haushaltsmittel eingeleiteten Entwicklungen in den Regionen zu vermeiden.
- 77. Der Bundesrat nimmt die Vorschläge und Argumente der Kommission für eine [etwaige] Absenkung der EU-Kofinanzierung im Bereich der Kohäsionspolitik zur Kenntnis.
- 78. Um drastische Förderabbrüche gerade für finanzschwache Begünstigte zu vermeiden, muss bei der eventuellen Umsetzung entsprechender Vorschläge mit Augenmaß verfahren werden. Zudem wird darauf hingewiesen, dass eine Absenkung der EU-Beteiligung mit einer Absenkung der EU-Anforderungen an die Verwaltungs- und Kontrollsysteme in den Regionen einhergehen muss.
- 79. Der Bundesrat weist darauf hin, dass ein angemessener Mindestanteil der EU-Mittel jedoch gewährleistet werden muss, um die Programme als Teil der EU-Kohäsionspolitik mit geteilter Verantwortung durchzuführen. Der Verwaltungsaufwand könnte bei einer weiteren Absenkung des EU-Anteils eine attraktive, effiziente und effektive Förderung in Frage stellen. Die Herausforderungen der EU sind zu einem Großteil vor Ort zu meistern. Die Kohäsionspolitik kann und sollte die Akteure vor Ort bei der effizienten Bewältigung dieser Herausforderungen unterstützen. Zudem muss die Kohäsionspolitik auch weiterhin mit den Mitteln ausgestattet sein, die erforderlich sind, um dem wachsenden Europaskeptizismus möglichst bürgernah entgegenzuwirken und die Vorteile der EU-Politiken verstärkt sichtbar zu machen.
Verknüpfung des EU-Haushalts mit der wirtschaftspolitischen Koordinierung im Rahmen des Europäischen Semesters
- 80. Der Bundesrat unterstützt grundsätzlich den Ansatz der Kommission, notwendige Strukturreformen im Zusammenhang mit dem Europäischen Semester künftig stärker über positive Anreize als über Sanktionen zu befördern. Der in Ziffer 4.1.1 des Reflexionspapiers über die Zukunft der EU-Finanzen (BR-Drucksache 543/17 (PDF) ) enthaltene Vorschlag zur Schaffung eines neuen, eigenständigen Fonds zu diesem Zweck erscheint allerdings inkonsistent, da er dem Ziel der Kommission widerspricht, die EU-Förderinstrumente zu reduzieren und deren Einsatz zu optimieren. Der Bundesrat bittet die Kommission daher zu prüfen, wie die Anreize im Rahmen der Kohäsionspolitik, zum Beispiel über höhere EU-Kofinanzierungssätze für reformbereite Regionen, effektiv verstärkt werden können.
- 81. Außerdem weist der Bundesrat auf folgende Inkonsistenzen bei der Umsetzung der länderspezifischen Empfehlungen aus dem Europäischen Semester im Rahmen der Strukturpolitik hin: Erstens sind die kurzfristig umzusetzenden länderspezifischen Empfehlungen mit der mittel- bis langfristig angelegten Durchführung der Europäischen Struktur- und Investitionsfonds (ESI-Fonds) schwer zu vereinbaren. Entsprechende Anpassungen der Operationellen Programme würden erheblichen zusätzlichen Verwaltungsaufwand erzeugen. Zweitens sind die Umsetzungsverantwortung für die länderspezifischen Empfehlungen und die Zuständigkeit für die Durchführung der ESI-Fonds auf unterschiedlichen staatlichen Ebenen verankert. Drittens weisen länderspezifische Empfehlungen häufig keinen inhaltlichen Zusammenhang mit den Zielen der ESI-Fonds auf. Makroökonomische Konditionalitäten als Fördervoraussetzung werden daher weiterhin abgelehnt.
Kopplung der Kohäsionspolitik an Rechtsstaatlichkeit
- 82. Der Bundesrat teilt die Einschätzung der Kommission, dass die Achtung der EU-Grundwerte entscheidend bei der Entwicklung und Umsetzung der EU-Politik ist. Hinsichtlich der im Reflexionspapier über die Zukunft der EU-Finanzen angesprochenen Vorschläge, die Auszahlung von EU-Mitteln vom Stand der Rechtsstaatlichkeit in den einzelnen Mitgliedstaaten abhängig zu machen, gibt er jedoch Folgendes zu bedenken: EUV und AEUV sehen klare Verfahren für die Feststellung von Verstößen gegen das EU-Recht und für deren Sanktionierung vor. Eine Sanktionierung außerhalb dieser festgelegten Verfahren, zum Beispiel über eine Konditionierung von Mittelauszahlungen im Rahmen der Kohäsionspolitik, ist rechtlich nicht vorgesehen. Gerade angesichts der Überkomplexität, welche die Umsetzung der ESI-Fonds in zunehmendem Maße erschwert, sollte die Kohäsionspolitik konsequent auf ihre eigenen Ziele konzentriert und nicht mit Aufgaben aus anderen Politikbereichen überfrachtet werden. Hinzu kommt, dass Mittelkürzungen bei den ESI-Fonds vorrangig die regionale Ebene treffen und zwar auch in Fällen, in welchen der sanktionierte Verstoß im alleinigen Verantwortungsbereich der nationalen Ebene liegt.
Stabilität und Flexibilität der Kohäsionspolitik
- 83. Der Bundesrat lehnt eine Verkürzung des MFR von derzeit sieben auf fünf Jahre ab, da sie zur entsprechenden Verkürzung der Förderperioden der ESI-Fonds führen würde.
- 84. Zum einen ist der zeitliche Anteil für die Planungen zur folgenden und die Abschlussarbeiten zur vorangegangenen Förderperiode in fünf Jahren auf Kosten der eigentlichen Programmumsetzung deutlich größer als in sieben Jahren. Zum anderen bietet die siebenjährige Laufzeit einen längerfristigen Planungshorizont für einen wirksamen Einsatz der Kohäsionsmittel in den Mitgliedstaaten und den Regionen.
- 85. Die auf EU-Ebene teilweise ins Feld geführten Vorteile einer Verkürzung können die gravierenden Probleme, die eine Verkürzung für die Planung und Umsetzung der ESI-Fonds hervorrufen würde, nicht aufwiegen. Zudem würden, wie in dem Reflexionspapier über die EU-Finanzen beschrieben, die an den Planungs- und Umsetzungsprozessen beteiligten Ebenen in einen permanenten Verhandlungsmodus versetzt. In Kombination mit der unvermeidbaren Überlappung aufeinanderfolgender Förderperioden würde dies die Programmverantwortlichen in den Regionen an den Rand ihrer Kapazitäten bringen. Der Bundesrat spricht sich daher grundsätzlich für die Beibehaltung der siebenjährigen Laufzeit aus.
- 86. Die von der Kommission angeführte, nicht weiter untersetzte Option eines MFR von 5+5 Jahren mit einer obligatorischen Halbzeitprüfung zur Anpassung an neue Prioritäten wird zunächst kritisch gesehen.
- 87. Der Bundesrat hält daneben auch eine Förderperiode von zehn Jahren mit einer obligatorischen Halbzeitüberprüfung nach fünf Jahren ("5+5") für diskussionswürdig.
- 88. Allerdings wären die Modalitäten und Konditionen des Evaluationsverfahrens und einer Anpassung des MFR von der Kommission noch im Einzelnen zu beschreiben, damit sie vom Bundesrat geprüft werden können.
- 89. Der Bundesrat erkennt an, dass die notwendige Finanzierung neuer und unvorhergesehener Aufgaben aus dem EU-Haushalt eine Überprüfung der Priorisierung und höhere Flexibilität bei der Haushaltsausführung als wünschenswert erscheinen lassen kann. Der Wunsch nach einem höheren Maß an Flexibilität ist aber gegen die für den EU-Haushalt geltenden Haushaltsgrundsätze, welche die Budgetbefugnisse der EU-Organe sichern, und hier insbesondere gegen den Spezialitätsgrundsatz, sowie die Planungssicherheit für die Mittelempfänger abzuwägen. Für die Kohäsionspolitik führt dies zu folgenden Einschätzungen und Vorschlägen:
- 90. Der Bundesrat begrüßt ausdrücklich die Vorschläge zur radikalen Vereinfachung und zum Bürokratieabbau. Er unterstützt den Vorschlag, das Budget flexibel zu gestalten und dadurch ein schnelles Reagieren auf unerwartete Ereignisse zu ermöglichen.
- 91. Der Bundesrat lehnt die Bildung einer Reserve aus Kohäsionsmitteln, die den Mitgliedstaaten nicht von Beginn an einer Förderperiode zugewiesen werden würde, ab. Zudem würde dies die Planungssicherheit für die ESIF-Programme einschränken.
- 92. Der Bundesrat weist jedoch darauf hin, dass die Flexibilitätsreserve bereits zu Beginn der Förderperiode auf die Mitgliedstaaten und die Programme verteilt werden sollte, um gleichzeitig eine Planungssicherheit und einen zügigen Einsatz der Kohäsionsmittel zu ermöglichen.
- 93. Eine Reserve innerhalb der Kohäsionspolitik, welche zu Beginn der Förderperiode noch nicht auf die Mitgliedstaaten verteilt wird, würde die für die ESI-Fonds-Programme erforderliche Planungssicherheit beeinträchtigen und eine weitere Herausforderung für die zügige Umsetzung der Kohäsionsmittel darstellen. Sie wird daher nicht unterstützt.
- 94. Einer Flexibilitätsreserve innerhalb der einzelnen Programme, welche zunächst noch keinen Prioritätsachsen oder spezifischen Themen zugeordnet ist, steht der Bundesrat grundsätzlich offen gegenüber; diese müsste aber konkretisiert werden, bevor er sie bewerten kann. Diese könnte zum Beispiel für Pilotprojekte zur Anpassung des Programms an neue Herausforderungen oder veränderte Rahmenbedingungen zur Verfügung stehen und Programmänderungen gezielt vorbereiten. So würde die Flexibilität der kohäsionspolitischen Programme deutlich erhöht. Die flexible Aufnahme neuer Förderbereiche darf aber nicht mit neuem verwaltungstechnischen Umsetzungsaufwand einhergehen.
- 95. Im Übrigen erinnert der Bundesrat daran, dass die Flexibilisierung auch über verfahrensbezogene Erleichterungen, etwa bezüglich der Änderung operationeller Programme und der Umschichtung von Mitteln zwischen und bzw. oder innerhalb solcher Programme, erreicht werden könnte.
- 96. Auch für den Bereich der nachhaltigen Stadtentwicklung einschließlich der Stadt-Umland-Entwicklung fordert der Bundesrat größere Flexibilität innerhalb der ESI-Fonds-Programme. Vor diesem Hintergrund ist es erforderlich, Vorgaben für die thematische Konzentration, insbesondere die Quotierung thematischer Ziele, in Zukunft deutlich zu reduzieren. Integrierte Ansätze der territorialen Entwicklung könnten so effektiv umgesetzt und auf regionalspezifische Erfordernisse abgestimmt werden.
Finanzinstrumente in der Kohäsionspolitik
- 97. In dem Reflexionspapier über die Zukunft der EU-Finanzen wird für alle Szenarien ein verstärkter bzw. deutlich verstärkter Einsatz von Finanzierungsinstrumenten vorgeschlagen. Der Bundesrat räumt insoweit zunächst ein, dass gerade angesichts des steigenden Drucks auf den EU-Haushalt grundsätzlich erwogen werden kann, einen verstärkten Einsatz revolvierender Finanzinstrumente wie Darlehen zu prüfen, um einen möglichst hohen Wirkungsgrad des Haushalts zu sichern.
- 98. Der Bundesrat weist auch darauf hin, dass Finanzinstrumente lediglich für Erträge generierende Projekte geeignet und somit für kohäsionspolitische Förderungen nur sehr eingeschränkt einsetzbar sind. Sie können keinesfalls generell EU-Haushaltsmittel ersetzen.
- 99. Er begrüßt insoweit ausdrücklich, dass die Kommission selbst den Einsatz von Finanzinstrumenten nur noch für rentierliche Projekte vorschlägt. Bei nichtrentierlichen Vorhaben scheitert der Einsatz von Darlehen und anderen Finanzinstrumenten regelmäßig aus wirtschaftlichen und rechtlichen Gründen. Auch bei rentierlichen Projekten hängt die Sinnhaftigkeit einer Förderung mit Finanzinstrumenten allerdings vom Einzelfall sowie den jeweiligen Kapitalmarktbedingungen und sonstigen Förderkonditionen ab. Daher sollte die Letztentscheidung über den Einsatz von Zuschüssen oder Darlehen bzw. die optimale Mischung dieser Finanzierungsarten auf der nationalen bzw. regionalen Ebene verbleiben. Eine Verpflichtung zur weiteren Erhöhung des Anteils der Finanzierungsinstrumente oder die generelle Festlegung eines Mindestumfangs für Finanzierungsinstrumente bei den ESI-Fonds lehnt der Bundesrat aus diesem Grund ab.
- 100. Der Bundesrat betont ferner, dass die Sinnhaftigkeit einer Förderung mit Finanzinstrumenten immer vom Einzelfall abhängt. Er weist auf die in Artikel 4 Absatz 2 EUV verankerte Achtung der regionalen und lokalen Selbstverwaltung hin. Die Entscheidung über die Finanzierungsart muss der nationalen bzw. regionalen Ebene vorbehalten bleiben, da diese über den Einsatz von Finanzinstrumenten in Abhängigkeit von verschiedenen Faktoren (zum Beispiel Art der Projekte, allgemeine Wirtschaftslage, Zinsniveau) am besten entscheiden kann. Er lehnt eine generelle Verpflichtung zur weiteren Erhöhung des Anteils der Finanzinstrumente in der nächsten Förderperiode ab.
Kohärenz zwischen der Kohäsionspolitik und anderen EU-Instrumenten
- 101. Der Bundesrat begrüßt die Überlegungen der Kommission für mehr Kohärenz zwischen den verschiedenen EU-Förderinstrumenten. Ein einziger Investitionsfonds für alle Förderungen könnte jedoch kaum der Vielfalt spezifischer Erfordernisse, die die bestehenden Instrumente berücksichtigen, gerecht werden. Er würde zudem zwei wesentliche Gefahren bergen: Zum einen, dass die Aufgaben des Europäischen Sozialfonds (ESF) als zentrales EU-Instrument zur Förderung von Beschäftigung, Qualifizierung, sozialer Integration sowie Chancengleichheit und Nichtdiskriminierung weit in den Hintergrund treten. Zum anderen besteht die Gefahr, dass die Steuerungsmöglichkeiten der Mitgliedstaaten und der Regionen im Rahmen der Kohäsionspolitik deutlich eingeschränkt werden könnten. Als zielführender wird ein angepasstes Zusammenführen der Regelwerke für EFRE und ESF angesehen, das sowohl Konkurrenzen abbaut und zugleich vereinfachend wirkt. Dabei sollten wesentliche Unterschiede zwischen den Instrumenten der zentralen und der dezentralen Mittelverwaltung, wie etwa die Anwendungsbestimmungen zu staatlichen Beihilfen, aufgehoben werden.
- 102. Der Bundesrat begrüßt daher den Vorschlag der Kommission, die Kohärenz zwischen den verschiedenen Förderinstrumenten zu erhöhen. Das jeweilige Zielprimat der verschiedenen Instrumente darf dadurch aber nicht gefährdet werden. Der Bundesrat weist darauf hin, dass eine unklare Abgrenzung der Ziele der Förderinstrumente zu Problemen in der Umsetzung führen kann, was der vorgeschlagenen Vereinfachung entgegenwirkt.
- 103. Der Bundesrat unterstützt die Bestrebungen der Kommission, die Kohärenz zwischen den EU-Instrumenten zu stärken und Doppelungen, Konkurrenzverhältnisse sowie Verdrängungseffekte zu reduzieren. Bei der Prüfung von Optimierungspotenzialen darf jedoch nicht per se zentral verwalteten Instrumenten der Vorrang gegenüber den Instrumenten der geteilten Mittelverwaltung eingeräumt werden, sondern es muss die für den einzelnen Förderbereich jeweils am besten geeignete Form und Ebene der Mittelverwaltung gefunden werden. Dies gilt auch und gerade für das Verhältnis zwischen EFSI und Kohäsionspolitik und für den Einsatz von EU-Instrumenten im Bereich der Förderung der kleinen und mittleren Unternehmen.
- 104. Die europäischen Regionen, einschließlich der Übergangs- und der stärker entwickelten Regionen, sehen sich erheblichen strukturellen Herausforderungen gegenüber, die aus der Globalisierung, dem demografischen Wandel sowie der Notwendigkeit resultieren, Wirtschaft und Gesellschaft durch Digitalisierung, technische und soziale Innovationen, Verringerung der CO₂-Emissionen und Umweltbelastungen, Ressourcenschonung oder eine stärkere Ausrichtung auf Stoffkreisläufe zukunftsfähig zu machen. Der Bundesrat fordert die Kommission dazu auf, das Zusammenspiel der verschiedenen EU-Förderinstrumente künftig so auszugestalten, dass mit ihrer Unterstützung insbesondere die aus den genannten Herausforderungen resultierenden regionalen Strukturwandelprozesse möglichst effizient und konsistent begleitet werden können.
- 105. Der Vorschlag der Kommission, einen flexibleren Europäischen Globalisierungsfonds einzuführen, welcher eng mit der Kohäsionspolitik verknüpft ist, müsste erst konkretisiert werden, bevor der Bundesrat ihn bewerten kann.
- 106. Das Vorhaben, dem Europäischen Fonds für die Anpassung an die Globalisierung erweiterte wirtschaftliche und soziale Aufgaben zu übertragen und über eine enge Verzahnung mit der Kohäsionspolitik eine größere Wirkung zu verleihen, kann mangels weiterer Informationen nicht bewertet werden.
- 107. Jedoch wird eine zu Lasten der Kohäsionsmittel für die Mitgliedstaaten gehende Stärkung dieses Instruments abgelehnt, bei dem die Förderentscheidungen nach Antragstellung durch einen Mitgliedstaat und Prüfung durch die Kommission einvernehmlich von Europäischem Parlament und Rat zu treffen sind.
Prioritäten in der Förderpolitik
- 108. Der Bundesrat begrüßt, dass die Kohäsionspolitik weiterhin einen Schwerpunkt des EU-Haushalts bilden soll und nach Auffassung der Kommission Reformen für einen noch wirksameren Mitteleinsatz erfolgen sollen. Er begrüßt in diesem Zusammenhang, dass die Kommission in allen fünf vorgestellten Basisszenarien für den künftigen EU-Haushalt auch Ausgaben für den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt vorsieht.
- 109. Der Bundesrat tritt dafür ein, die kohäsionspolitischen Forderungen nach dem Jahr 2020 in einen übergreifenden strategischen Kontext gemeinsamer politischer Ziele zu stellen und hierbei in Fortführung der positiven Ansätze der Strategie Europa 2020 ein besonderes Augenmerk auf die Erzielung von europäischem Mehrwert bei den Investitionen in Beschäftigung, Bildung und soziale Inklusion zu legen.
- 110. Der Bundesrat spricht sich dafür aus, angesichts der großen technologischen Herausforderungen und des zunehmenden globalen Wettbewerbs im künftigen MFR einen wichtigen Schwerpunkt auf die Förderung von Forschung und Innovation zu legen. Dabei müssen die Anstrengungen mit Nachdruck fortgesetzt werden, gerade auch kleine und mittlere Unternehmen darin zu unterstützen, dass Innovationen schneller an den Markt kommen können.
- 111. Der Bundesrat stimmt mit der Kommission darin überein, dass im Hinblick auf die EU-Ziele unbedingt die wirtschaftlichen und sozialen Unterschiede zwischen und innerhalb der Mitgliedstaaten, aber auch einzelner Regionen abgebaut werden müssen. Damit ist im Kern die Kohäsionspolitik angesprochen. Die im Reflexionspapier über die Zukunft der EU-Finanzen als oberste Priorität benannten Investitionen in Menschen - hier in die allgemeine und berufliche Bildung, Gesundheit, Gleichstellung und soziale Inklusion - und auch die als Option in Szenario 5 benannte Garantie gegen Kinderarmut werden begrüßt.
- 112. Der Bundesrat begrüßt die im Reflexionspapier in Szenario 5 hervorgehobene Stellung der sozialen Dimension, insbesondere im Zusammenhang mit der Förderung des wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalts. Kritisch wird allerdings gesehen, dass diese hervorgehobene Stellung der sozialen Dimension in den anderen Szenarien nicht vorgesehen ist. Der Bundesrat bekräftigt daher seine Position, dass die Stärkung der sozialen Dimension ein geeignetes Instrument zur Erreichung der in den EU-Verträgen verankerten sozialpolitischen Ziele ist.
- 113. Der Bundesrat begrüßt die Ausrichtung der EU-Finanzen auf die wirtschaftliche, soziale und ökologische Nachhaltigkeit. Die ökologische Dimension der Nachhaltigkeit darf jedoch nicht allein der Landwirtschaft und der Reform der Gemeinsamen Agrarpolik vorbehalten bleiben. Besonders für die städtischen Gebiete, in denen fast drei Viertel (72,4 Prozent, Quelle: Eurostat 2015) der EU-Bevölkerung leben, sind Umweltschutz sowie Erhalt und Ausbau grüner Infrastruktur wichtige Voraussetzungen für gute Lebensqualität. Die Kohäsionspolitik nach 2020 sollte auch diese Herausforderung im Rahmen der nachhaltigen Entwicklungsmodelle berücksichtigen. Der Bundesrat spricht sich dafür aus, auch in den für städtische Gebiete nutzbaren EU-Fonds einen festen Anteil des Budgets für Umweltschutz-, Naturschutz- und Klimaschutzmaßnahmen vorzusehen.
- 114. Der Bundesrat stellt fest, dass die Bereiche Naturschutz und EU-Naturschutzfinanzierung in dem Reflexionspapier nicht ausdrücklich benannt werden. Der Bundesrat geht davon aus, dass es ein allgemein akzeptiertes Ziel ist, den Verlust der biologischen Vielfalt aufzuhalten sowie Arten und Lebensraumtypen durch Naturschutzmaßnahmen in einen guten Erhaltungszustand zu versetzen. Dafür bedarf es beispielsweise der konsequenten Umsetzung der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie) und der EG-Vogelschutz-Richtlinie. Dies kann nur gelingen, wenn zur Erreichung der Naturschutzziele deutlich mehr Finanzmittel als bisher zur Verfügung gestellt werden. Entscheidend ist hierbei die zukünftige Ausgestaltung der EU-Naturschutzfinanzierung.
- 115. Der Bundesrat ist deswegen der Auffassung, dass im künftigen EU-Finanzrahmen nach 2020 die Naturschutzmaßnahmen der Mitgliedsstaaten mit erheblich mehr EU-Mitteln unterstützt werden müssen, und schlägt zwei Varianten vor:
- - ein eigener Naturschutzfonds, der ein festes Budget ausschließlich für die Naturschutzförderung vorsieht, oder
- - die Bündelung der Naturschutzfinanzierung in nur einem bereits bestehenden EU-Fonds, in dem zudem ein verbindliches Mindestbudget für Naturschutzmaßnahmen festgehalten ist.
Überregelung und Verwaltungs- und Kontrollabbau in der Kohäsionspolitik
- 116. Der Bundesrat stimmt der Notwendigkeit zu, die Kohäsionspolitik zügiger umzusetzen und auch den Übergang von einem zum nächsten Programmplanungszeitraum reibungsloser zu gestalten. So können kürzere Verfahren für den Abschluss von Operationellen Programmen den Aufwand senken und den Zeitraum verkürzen, in dem neben dem aktuellen Programm auch das noch abzuschließende vorherige Operationelle Programm zu bearbeiten ist. Flexiblere Verfahren für die Einsetzung der Verwaltungsbehörden und für die Programmplanung können dazu beitragen, den Verwaltungsaufwand auf ein angemessenes Niveau zu senken und Hemmnisse beim Anlaufen der Förderperiode in den Mitgliedstaaten zu reduzieren. Der Bundesrat vertritt die Ansicht, dass die Mitgliedstaaten, die für die Förderperiode 2014 bis 2020 erfolgreiche Designierungsverfahren durchgeführt haben, nicht erneut zur Designierung der Verwaltungsbehörden verpflichtet werden sollen, wenn es keine wesentlichen Änderungen an den Verwaltungs- und Kontrollsystemen gab. Die Anforderungen an die Programmplanung sollten in Relation zur Höhe der EU-Beteiligung stehen und könnten dort gesenkt werden, wo ein höherer nationaler Kofinanzierungsanteil vorgesehen ist und bzw. oder längerfristig geringe Fehlerquoten verzeichnet wurden. Dagegen könnte einer Verkürzung der n+3-Regelung, das heißt der Ausgabefrist gebundener ESI-Mittel im Rahmen des Operationellen Programms, auf n+2 Jahre nur zugestimmt werden, wenn der Vorlauf für die neue Förderperiode bei der EU tatsächlich einen pünktlichen Beginn der Förderungen ermöglicht und zudem spürbare Vereinfachungen für die Vorbereitung und die Umsetzung der Programme durchgesetzt werden.
- 117. Der Bundesrat erkennt die unter anderem im Reflexionspapier über die Zukunft der EU-Finanzen zum Ausdruck kommenden Bestrebungen der Kommission an, für die Zukunft zu deutlich einfacheren Regelungen für die Programmierung und Umsetzung der ESI-Fonds zu gelangen. Er unterstützt die Kommission in ihrem Anliegen, neben der Vereinfachung auch eine kohärentere Investitionstätigkeit der verschiedenen ESI-Fonds zu erreichen. Insbesondere die Einführung eines einheitlichen Regelwerks für die bestehenden Fonds könnte dafür ein vielversprechender Ansatz sein, soweit sie nicht ihrerseits zu einer höheren Komplexität und stärkeren Unübersichtlichkeit innerhalb des Regelwerkes führt.
- 118. Der Bundesrat bekräftigt darüber hinaus seine Überzeugung, dass es einer auf dem Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprinzip basierenden grundsätzlichen Umsteuerung für die Programmplanung und -umsetzung bedarf. Vor diesem Hintergrund fordert der Bundesrat die Kommission auf, die Schlussfolgerungen und Empfehlungen der Hochrangigen Gruppe unabhängiger Experten zur Verwaltungsvereinfachung für die EU-Förderperiode nach 2020 bei der Vorbereitung der Verordnungsvorschläge maßgeblich zu berücksichtigen. Die Empfehlungen stimmen mit den zentralen Forderungen der Stellungnahme des Bundesrates vom 16. Dezember 2016 (BR-Drucksache 521/16(B) ) überein. Insbesondere fordert der Bundesrat wie die Hochrangige Gruppe schlanke, strategisch ausgerichtete EU-Regelungen und Programme, die Möglichkeit, die ESI-Fonds nach nationalen Regelungen und Mechanismen umzusetzen, eine Beschränkung des Umfangs und der Detailtiefe der Prüfungen durch die Europäischen Institutionen sowie die konsequente Anwendung und den Ausbau des Single-Audit-Ansatzes, eine Angleichung der Regelungen für Beihilfe und Vergabe zwischen den zentral verwalteten Fonds und den ESI-Fonds sowie einen nach objektiven Kriterien differenzierten Ansatz für die Umsetzung der ESI-Fondsprogramme. Mit Blick auf die Beihilferegelungen plädiert der Bundesrat für eine Vereinfachungsoffensive der Kommission, die erleichterte Beihilferegeln für die Kohäsionspolitik und vereinfachte Verfahren für die ESI-Fonds mit sich bringt.
- 119. Der Bundesrat verspricht sich eine radikale Vereinfachung durch einen konsequenten Verzicht auf die Regelung zahlreicher Detailfragen, insbesondere in Leitlinien, Leitfäden et cetera. Die Vielzahl der Vorschriften führt zu größerer Rechtsunsicherheit und zu Fehlern in der Rechtsanwendung. Eine allgemeine Verordnung, ergänzt um die unausweichlich fondsspezifisch zu regelnden Sachverhalte, sollte genügen.
- 120. Der Bundesrat stimmt außerdem mit der Hochrangigen Gruppe darin überein, dass die Europäische Territoriale Zusammenarbeit (ETZ) künftig spezifischer Regelungen bedarf, die stärker dem mehrstaatlichen Charakter der Programme Rechnung tragen. Dazu zählen unter anderem die Festlegung von gemeinsamen ETZ-spezifischen Zielen und Indikatoren sowie eine - analog zu den direkt von der EU verwalteten Programmen - vollständige Ausnahme von den Beihilferegelungen. Auch die unter Ziffer 117 erwähnte Einführung eines einheitlichen Regelwerks für die bestehenden Fonds müsste insoweit der Mehrstaatlichkeit der ETZ konsequent Rechnung tragen und für multilateral ausgestaltete Programme eine an den Grundsätzen des einheitlichen Regelwerks ausgerichtete eigenständige ETZ-Verordnung ermöglichen. Darüber hinaus fordert der Bundesrat, dass künftig für die Umsetzung der ETZ ausschließlich europäische Regelungen zur Anwendung kommen, welche gemeinsam für alle Kooperationsprogramme auf europäischem Level vorgegeben werden.
- 121. Der Bundesrat unterstützt den Vorschlag des ehemaligen luxemburgischen Ratsvorsitzes zur Entwicklung eines neuen Rechtsinstruments für Grenzregionen, das den Mitgliedstaaten die Möglichkeit geben soll, für grenzüberschreitende Vorhaben die vollständige oder teilweise Anwendung der Rechtsvorschriften eines der beteiligten Mitgliedstaaten zu vereinbaren. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass diese Initiative vertieft geprüft und gegebenenfalls umgesetzt werden sollte. Er erwartet, dass die Länder im Rahmen der inhaltlichen Konkretisierung in angemessener Weise mit ihrer Expertise beteiligt werden.
- 122. Der Bundesrat betont die Notwendigkeit, nach erfolgter radikaler Vereinfachung der Verwaltungs- und Kontrollvorschriften für die Umsetzung der ESI-Fonds den dann gefundenen Rechtsrahmen auch für künftige EU-Förderperioden aufrechtzuerhalten. Dadurch wird der Übergang von einem Programmplanungszeitraum zum nächsten erleichtert, die Programmumsetzung beschleunigt. Ferner wird durch geübte Praxis und vertieftes Fachwissen das Fehlerrisiko reduziert. Diese positiven Effekte könnten noch verstärkt werden, wenn auch das durch die Benennung (Designierung) ausgesprochene Vertrauen in die Funktionsfähigkeit von Verwaltungs- und Kontrollsystemen ohne neue Anforderungen über EU-Förderperioden hinweg aufrechterhalten würde.
- 123. Abschließend bittet der Bundesrat die Kommission, die Vorschläge für den künftigen MFR und den Rechtsrahmen für die Förderung aus den ESI-Fonds frühzeitig und vollständig vorzulegen und auf einen zielgerichteten und zügigen Verhandlungsprozess zwischen den EU-Institutionen hinzuwirken, um den an der Programmierung und Umsetzung der ESI-Fonds Beteiligten 2021 einen gut vorbereiteten Start in die nächste EU-Förderperiode zu ermöglichen.
- 124. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, sich in den anstehenden Verhandlungen gegenüber den europäischen Institutionen für diese und die bereits in der gemeinsamen Bund-Länder-Stellungnahme geäußerten Belange der Länder einzusetzen.
Zu BR-Drucksache 444/17 (PDF)
- 125. Bei der Vertiefung der WWU handelt es sich um einen weiteren Schritt auf dem Weg zu deren endgültiger Ausgestaltung. Ziel der Vollendung der WWU ist es, diese insgesamt noch krisenfester zu machen und damit den Wohlstand in Europa dauerhaft zu sichern.
- 126. Der Bundesrat nimmt das Reflexionspapier der Kommission zur Vertiefung der WWU zur Kenntnis. Er sieht das Reflexionspapier als einen ersten Diskussionsbeitrag der Kommission über die Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion an, der jedoch noch keinerlei Festlegungen nach sich ziehen sollte.
- 127. Der Bundesrat begrüßt daher die Vorlage des - auf dem Bericht der fünf Präsidenten aufbauenden - Reflexionspapiers der Kommission, das mit den darin aufgezeigten Handlungsoptionen die notwendige Diskussion über die zukünftige Ausgestaltung der WWU deutlich voranbringen kann.
- 128. Der Bundesrat weist darauf hin, dass vor einer Entscheidung über die nächsten Schritte zu einer möglichen Vertiefung der WWU eine breit angelegte Debatte in den Mitgliedstaaten und auf europäischer Ebene über Ziele und Folgen erfolgen muss. Hierbei müssen die nationalen Parlamente ebenso einbezogen werden wie die regionalen und lokalen Gebietskörperschaften.
- 129. Es bedarf insbesondere solcher Handlungsoptionen, die die für die Bürgerinnen und Bürger kaum mehr zu durchschauende Komplexität der Verfahren auf europäischer Ebene abbauen.
- 130. Der Bundesrat betont, dass die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaften und damit des Wohlstands insgesamt das zentrale Ziel jeder Reform der WWU sein muss. Daher müssen sich alle Maßnahmen daran messen lassen, ob sie Anreize für Innovationen, für privates Unternehmertum und für Wachstum schaffen.
- 131. Der Bundesrat betont, dass der Euro unbestreitbare Vorteile für die Bürgerinnen und Bürger sowie für die Unternehmen mit sich gebracht hat. Seine Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit der EU ist ebenfalls unbestritten. Jedoch ist die Weiterentwicklung der Währungsunion lediglich ein Instrument unter mehreren, um diese zu verbessern. Der Bundesrat erinnert zugleich daran, dass gemäß Artikel 127 AEUV das vorrangige Ziel der Geldpolitik die Gewährleistung der Preisstabilität bleibt. Die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und die Konvergenz der Wirtschaftskraft der Euroländer sollten deshalb nicht mit Mitteln der Geldpolitik angestrebt werden, sondern mit Mitteln der Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Die Euroländer dürfen nicht aus ihrer Verantwortung für die Einhaltung der Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts entlassen werden.
- 132. Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommission der Eindämmung von Risiken im Finanzsystem Vorrang einräumen möchte. Jedoch konterkarieren einige der von ihr vorgeschlagenen Instrumente dieses Ziel. So würde das von ihr erneut propagierte EDIS zu neuen Risiken im Bankensystem beitragen. EDIS würde zu einem Auseinanderfallen von Entscheidungskompetenz und Haftungsrisiko führen und damit ein Anreizsystem begründen, das auf eine öffentliche Haftung auf europäischer Ebene hinausläuft. Dies würde den bisherigen Anstrengungen im Rahmen der Bankenunion zuwiderlaufen, mittels einer klaren Zuweisung von Verantwortlichkeiten und Haftungsregeln Anreize für extrem risikobasierte Geschäftsmodelle zu reduzieren. Der Bundesrat bekräftigt daher seine Ablehnung einer europäischen Einlagensicherung.
- 133. Der Bundesrat lehnt insbesondere den Verordnungsvorschlag zur Schaffung eines europäischen Einlagensicherungssystems mit einem gemeinsamen Einlagensicherungsfonds (BR-Drucksache 640/15 (PDF) ) in der vorgelegten Form weiterhin ab. Er sieht wie die Kommission eine funktionierende europäische Einlagensicherung als zentralen Baustein der Finanzunion an. Er fordert deshalb, die Bemühungen um die Errichtung nationaler Einlagensicherungssysteme in allen Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, zu forcieren.
- 134. Der Bundesrat fordert anstelle des Festhaltens an dem Verordnungsvorschlag für die Schaffung eines europäischen Einlagensicherungssystems der vollumfänglichen Umsetzung der bestehenden Richtlinie 2014/49/EU vom 16. April 2014 über Einlagensicherungssysteme in allen Mitgliedstaaten Priorität einzuräumen. Die Schaffung von funktionsfähigen nationalen Einlagensicherungssystemen in allen Mitgliedstaaten wird in den kommenden Jahren hohen Einsatz erfordern. Erst nachdem dies erreicht ist, kann der Bedarf für ein Einlagensicherungssystem auf europäischer Ebene geprüft werden.
- 135. Die von der Kommission geforderte Schaffung einer gemeinsamen Letztsicherung für den einheitlichen Abwicklungsfonds ("Backstop") ist ein wichtiger Baustein auf dem Weg zu einer echten Finanzunion. Ein solcher "Backstop" berührt allerdings in besonderem Maße die Haushaltsinteressen der Mitgliedstaaten. Daher ist es zu begrüßen, dass die Regelungen für einen "Backstop" nach dem Willen der Kommission so weit wie möglich haushaltsneutral ausgestaltet werden sollen. Eine überproportionale Belastung einzelner Mitgliedstaaten ist in jedem Fall zu vermeiden.
- 136. Der Bundesrat weist darauf hin, dass die Richtlinie 2014/59/EU vom 15. Mai 2014 für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapieren bereits eine Haftungskaskade vorsieht. Die Schaffung einer haushaltsneutralen fiskalischen Letztsicherung ("Backstop") für den einheitlichen Abwicklungsfonds kann erst dann erfolgen, wenn alle Mitgliedstaaten die Richtlinie 2014/59/EU vollständig umgesetzt haben.
- 137. Der Bundesrat begrüßt die in der Eurozone eingeleiteten Schritte zur Reduzierung der öffentlichen Schuldenstände. Angesichts der teilweise dramatisch gestiegenen öffentlichen Schulden im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise muss der Abbau der Schuldenstände eine hohe Priorität haben. Hierbei muss auch auf eine strikte Einhaltung der Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts geachtet werden. Jegliche Anreize, die zu einer Abkehr von dieser stabilitätsorientierten Haushaltspolitik führen, sind kontraproduktiv. In diesem Sinne sieht der Bundesrat hinsichtlich des Vorschlags für eine so genannte "europäische sichere Anlage" weiteren Prüf- und Konkretisierungsbedarf. Es muss sichergestellt sein, dass über diesen Weg keine Vergemeinschaftung bestehender Schulden stattfindet. Zudem sollten vor Einführung einer "europäischen sicheren Anlage" der konkrete Bedarf hierfür geklärt werden und insbesondere klare Kriterien für mögliche Projekte festgelegt werden. Zudem muss vermieden werden, dass die "europäischen sicheren Anlagen" Anreize für eine Abkehr vom Kurs der Haushaltskonsolidierung schaffen und für rein konsumtive Projekte verwendet werden.
- 138. Der Bundesrat sieht "Sovereign Bond-Backed Securitites" (SBBS) als eine denkbare Option an, europäische Staatsanleihen bündeln zu lassen. Bei der Ausgestaltung ist aber strikt darauf zu achten, dass nur bereits emittierte Papiere gebündelt werden, um die Top-Bonität Deutschlands an den Finanzmärkten nicht zu gefährden. Bei der Ausgestaltung ist weiterhin darauf zu achten, dass das neue Instrument eine starke Fragmentierung des Marktes für Staatsanleihen in der Eurozone und die damit einhergehenden Risiken für den Fortbestand der Währungsunion nachhaltig mindert.
- 139. Demgegenüber bieten insbesondere die zur Stärkung der Konvergenz vorgeschlagenen Handlungsoptionen zielführende Ansätze.
- 140. Der Bundesrat sieht eine stärkere Konvergenz für die weitere Zukunft der WWU als unerlässlich an. Einerseits sind es die Unternehmen selbst, die durch wettbewerbsfähige und innovative Produkte zu Wachstum und Arbeitsplätzen beitragen. Andererseits kommt dabei den Mitgliedstaaten bzw. den zuständigen Gebietskörperschaften eine Schlüsselrolle hinsichtlich der Ausgestaltung der entsprechenden Rahmenbedingungen zu. Eine Verstärkung der Rechenschaftspflichten darf nicht zu einer Ausweitung der Berichtspflichten führen.
- 141. Besonders hervorzuheben ist die Fortentwicklung der wirtschaftspolitischen Koordinierung, zunächst im Rahmen des Europäischen Semesters. Allerdings sollte hierbei der Empfehlungscharakter grundsätzlich beibehalten werden. Rechtsverbindlich vorgegebene EU-Standards, die die Mitgliedstaaten zu ihrer Erreichung oder Einhaltung zwingen, bergen die Gefahr, in unangemessener Weise in die Haushaltsautonomie der einzelnen Mitgliedstaaten einzugreifen und mit Blick auf die unterschiedlichen Länderstrukturen eher kontraproduktiv zu wirken.
- 142. Der Bundesrat erinnert in diesem Zusammenhang an seine Forderung, von der Kommission und der Bundesregierung bei der Besprechung der länderspezifischen Empfehlungen einbezogen zu werden, da diese in vielen Fällen die Zuständigkeiten der Länder im föderalen System der Bundesrepublik Deutschland berühren.
- 143. Der Bundesrat sieht die im Reflexionspapier diskutierte Einführung einer makroökonomischen Stabilisierungsfunktion für das Euro-Währungsgebiet äußerst kritisch. Nach seiner Auffassung ist damit der Einstieg in ein System direkter, nichtkonditionierter Transferleistungen verbunden. Insbesondere die diskutierte europäische Arbeitslosenrückversicherungsregelung würde aufgrund der großen Unterschiede in der Arbeitsmarktpolitik und den Sozial- und Einkommensniveaus zwischen den Mitgliedstaaten zu starken Verwerfungen führen und wäre mit hohen Transferleistungen verbunden. Zudem besteht die Gefahr, dass Anreize für Reformen am Arbeitsmarkt reduziert werden.
- 144. Auch die Handlungsoption, nationale Reformen und die Verwendung von EU-Mitteln stärker zu verknüpfen, kann den Konvergenzprozess erheblich voranbringen. Im Vordergrund sollte dabei die Idee stehen, die Auszahlung der ESI-Fonds von Reformfortschritten abhängig zu machen. Der Reformanreiz würde hierdurch wesentlicher gestärkt als durch die Einrichtung weiterer Fonds.
- 145. Die hierfür einzusetzenden Mittel sind durch geänderte Schwerpunktsetzungen und Umschichtungen im Haushalt freizusetzen. Im zukünftigen MFR können sie ausdrücklich Berücksichtigung finden.
- 146. Die vorgeschlagene Stärkung der Architektur der WWU und die Verankerung der demokratischen Rechenschaftspflicht bilden den notwendigen Grundsatz-Rahmen für die Vollendung der WWU. Die hierin enthaltenen Handlungsoptionen können nach Auffassung des Bundesrates aber erst dann einer Bewertung unterzogen werden, wenn sich zu den oben genannten Handlungsoptionen zu den einzelnen Themenbereichen ein Konsens abzeichnet und ein in sich geschlossenes Handlungskonzept erkennbar wird.
- 147. Der Bundesrat sieht bei der zukünftigen Ausgestaltung der institutionellen Struktur der WWU weiteren Diskussionsbedarf. Dabei sollte darauf geachtet werden, dass Entscheidungsstrukturen gestrafft werden und gleichzeitig auch die parlamentarische Kontrolle durch das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente gestärkt wird.
- 148. Der Bundesrat betont, dass die Schaffung eines EU-Finanzministers allenfalls im Zuge einer grundlegenden Reform der EU denkbar wäre. Zahlreiche offene Fragen müssten noch geklärt werden. Es muss insbesondere sichergestellt sein, dass das Haushaltsrecht der nationalen Parlamente auch zukünftig gewahrt bleibt.
Direktzuleitung der Stellungnahme
- 149. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.
B
- 150. Der Ausschuss für Agrarpolitik und Verbraucherschutz empfiehlt dem Bundesrat, von der Vorlage in BR-Drucksache 543/17 (PDF) gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.
C
- 151. Der Ausschuss für Arbeit, Integration und Sozialpolitik, der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit,
der Verkehrsausschuss und der Wirtschaftsausschuss empfehlen dem Bundesrat, von der Vorlage in BR-Drucksache 387/17 (PDF) gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.
* Wi empfiehlt die Direktzuleitung bezogen auf die Stellungnahmen zu BR-Drucksache 543/17 (PDF) und BR-D
- 152. Der Ausschuss für Arbeit, Integration und Sozialpolitik, der Ausschuss für Frauen und Jugend, der Gesundheitsausschuss und der Wirtschaftsausschuss empfehlen dem Bundesrat, von der Vorlage in BR-Drucksache 353/17 (PDF) gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.
E
- 153. Der Ausschuss für Verteidigung empfiehlt dem Bundesrat, von der Vorlage in BR-Drucksache 490/17 (PDF) gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.