992. Sitzung des Bundesrates am 3. Juli 2020
A
Der federführende Wirtschaftsausschuss (Wi) und der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (U) empfehlen dem Bundesrat, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:
1. Zu Artikel 2 Nummer 3 - neu - sowie Artikel 3a - neu - ( § 43e Absatz 4 EnWG sowie §§ 48, 50 VwGO)
Der Gesetzentwurf ist wie folgt zu ändern:
- a) Dem Artikel 2 ist folgende Nummer 3 anzufügen:
"3. § 43e Absatz 4 wird wie folgt gefasst:
(4) Für Vorhaben, die nach § 43 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 planfestgestellt werden, gilt § 50 Absatz 1 Nummer 6 der Verwaltungsgerichtsordnung. Dies gilt auch für auf diese Vorhaben bezogene Zulassungen des vorzeitigen Baubeginns und Anzeigeverfahren sowie für Genehmigungen nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz für Nebenanlagen, die für den Betrieb dieser Vorhaben notwendig sind." "
- b) Nach Artikel 3 ist folgender Artikel einzufügen:
"Artikel 3a
Änderung der VerwaltungsgerichtsordnungDie Verwaltungsgerichtsordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. März 1991 (BGBl. I S. 686), die zuletzt durch ... geändert wurde, wird wie folgt geändert:
- 1. In § 48 Absatz 1 Satz 1 werden der Nummer 4a die Wörter "soweit nicht die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts nach § 50 Absatz 1 Nummer 6 begründet ist," angefügt.
- 2. In § 50 Absatz 1 Nummer 6 werden nach dem Wort "Bundesbedarfsplangesetz" die Wörter ", dem § 43e Absatz 4 des Energiewirtschaftsgesetzes" eingefügt."
Begründung:
Die Vorschläge betreffen die erstinstanzliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts. Für Klagen gegen die Planfeststellung von Offshore-Anbindungsleitungen nach dem Energiewirtschaftsgesetz und damit zusammenhängender Entscheidungen soll die erstinstanzliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts vorgesehen werden. Das Bundesverwaltungsgericht soll zukünftig auch im ersten und letzten Rechtszug über sämtliche Streitigkeiten entscheiden, die Planfeststellungsverfahren für Offshore-Anbindungsleitungen nach dem Energiewirtschaftsgesetz betreffen.
Eine zeitnahe Netzanbindung von Offshore-Windparks ist im Rahmen der Energiewende mit Atomausstieg und Kohleausstieg erforderlich. Die Rechtswegverkürzung auf das Bundesverwaltungsgericht ist hierbei ein wichtiges und bewährtes Beschleunigungsinstrument. Zwar ist die mit dem Vorschlag verbundene zusätzliche Belastung des Bundesverwaltungsgerichts mit erstinstanzlichen Zuständigkeiten quantitativ und qualitativ überschaubar. Gleichzeitig wäre begrüßenswert, wenn die Novellierung mit entsprechenden Stellenaufstockungen beim Bundesverwaltungsgericht verbunden wird.
Die Verlagerung des erst- und letztinstanzlichen Rechtszuges auf das Bundesverwaltungsgericht ist auch angezeigt. Dem Ausbau der Windenergienutzung auf See sowie der hiermit verbundenen Netzanbindung kommt bundesweite Bedeutung zu. Es soll eine dieser Systemrelevanz entsprechender Instanzenzug vorgesehen werden, welche die Planungs- und Genehmigungsverfahren für entsprechende Anlagen einer zügigen Rechts- und damit Planungssicherheit zuführt. Zugleich würden Wertungswidersprüche zwischen dem Rechtsweg für Übertragungsnetzleitungen der Bedarfspläne und Anbindungsleitungen sowie zwischen verschiedenen Genehmigungsmöglichkeiten für Konverter vermieden.
2. Zum Gesetzentwurf allgemein
- a) Der Bundesrat ist der Auffassung, dass eine umfassende Nutzung der Potenziale der Windenergie auf See für das Gelingen der Energiewende unverzichtbar ist. Daher begrüßt der Bundesrat die im Gesetzentwurf vorgesehene Erhöhung der Ausbauziele auf 20 GW bis 2030 und 40 GW bis 2040.
- b) Der Bundesrat weist daraufhin, dass durch die geplante Erzeugung und Nutzung von grünem Wasserstoff der Bedarf an Offshore-Windstrom in Zukunft weiter steigen wird. Ausweislich der vom Bundeskabinett beschlossenen nationalen Wasserstoffstrategie bis zum Jahr 2030 sollen in Deutschland Wasserstofferzeugungsanlagen von bis zu 5 GW Gesamtleistung einschließlich der dafür erforderlichen Offshore- und Onshore-Energiegewinnung entstehen. Bis 2035, spätestens bis 2040, werden weitere 5 GW zugebaut. Dieser Aufwuchs an Wasserstofferzeugungsanlagen sollte bei einer weiteren Anhebung der Ausbauziele für Windenergie auf See Berücksichtigung finden, um einen planungssicheren Aufbau der erforderlichen Offshore-Wind-Kapazitäten zu ermöglichen.
- c) Der Bundesrat bekräftigt, dass der zügige Netzausbau (auf See und an Land) Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Energiewende ist. Einen wesentlichen Beitrag zur Schaffung der notwendigen Netzanbindungskapazitäten kann die 525-kV-Technologie leisten. Das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrologie sollte dafür Sorge tragen, dass die 525-kV-Technologie, wie in der Offshore-Vereinbarung vom 11. Mai 2020 dargestellt, bei der Flächenentwicklungs- und Anbindungsplanung in der Nordsee umgesetzt wird.
- d) Der Bundesrat befürchtet, dass das in § 23 sowie den §§ 23a bis 23c WindSeeG-E vorgesehene dynamische Gebotsverfahren zu zusätzlichen Investitions- und Realisierungsrisiken führen kann und fordert den Bundesgesetzgeber daher auf, diesen Regelungskomplex zu streichen. Der Bundesrat verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass im europäischen Ausland der Offshore-Ausbau über das Modell der Differenzverträge gefördert wird, und regt an, dieses Modell auch hierzulande in das Ausschreibungsdesign für Windenergie auf See zu integrieren. Eine Neufestlegung der Ausschreibungssystematik im Windenergie-auf-See-Gesetz könnte im Rahmen der anstehenden EEG-Novelle zum Jahresende erfolgen.
- e) Der Bundesrat betont, dass den Betreibern von Offshore-Windkraftanlagen über entsprechende gesetzliche Rahmensetzungen eine wirtschaftlich tragfähige Vermarktung der grünen Eigenschaft des Stroms ermöglicht werden sollte. Damit können wirksame Anreize für die Produktion von grünem Wasserstoff aus Offshore-Windstrom geschaffen und ein wichtiger Grundstein für die Defossilisierung in den Sektoren Verkehr und Industrie gelegt werden.
Begründung:
Die Windenergie auf See leistet einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung der Klimaschutzziele sowie zur Versorgungssicherheit. Für die Planungs- und Investitionssicherheit der Branche sind verlässliche Rahmenbedingungen erforderlich. Diese beinhalten eine deutliche Erhöhung der gesetzlichen Ausbauziele.
Grüner Wasserstoff bietet im Zusammenhang mit der Energiewende über alle Sektoren (Strom, Mobilität, Industrie, Haushalte) gute Anwendungsmöglichkeiten. Um die dadurch entstehenden zusätzlichen Strombedarfe decken zu können, muss der Ausbau der erneuerbaren Stromerzeugung deutlich vorangetrieben werden. Die Windenergie auf See bietet dazu die benötigten Ausbaupotenziale. Die nationale Wasserstoffstrategie sieht einen Aufbau von 10 GW Produktionskapazitäten für grünen Wasserstoff bis spätestens 2040 vor. Die hierfür benötigte Offshore-Windstromerzeugung sollte entsprechend perspektivisch bei der weiteren Fortschreibung des Offshore-Ausbauziels berücksichtigt werden.
Die nationale Wasserstoffstrategie strebt überdies eine Befreiung der Produktion von grünem Wasserstoff von der EEG-Umlage ohne Erhöhung der Umlage insgesamt an. Begleitend dazu sind die gesetzlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, den für die Erzeugung von Wasserstoff genutzten Strom aus Windenergieauf-See-Anlagen auch für eine Grünstromvermarktung anzuerkennen.
Einen wesentlichen Beitrag zur Schaffung der notwendigen Netzanbindungskapazitäten kann die 525-kV-Technologie leisten. Sie erlaubt es, über ein einzelnes Kabelsystem die doppelte Leistung im Vergleich zur bisher üblichen 320-kV-Technologie zu transportieren. Ihre Anwendung ist Bestandteil der Offshore-Vereinbarung vom 11. Mai 2020.
Zu den erforderlichen gesetzlichen Rahmenbedingungen gehört neben hinreichenden Ausbauzielen auch ein geeignetes Fördersystem. Der Gesetzentwurf sieht für bestimmte Fallkonstellationen ein dynamisches Gebotsverfahren mit einer so genannten zweiten Gebotskomponente vor. Damit verbunden ist die Gefahr, dass höhere Stromgestehungskosten und damit höhere Förderkosten entstehen und die Realisierungswahrscheinlichkeit sinkt. Die Branche spricht sich demgegenüber für so genannte Differenzverträge aus. Dabei handelt es sich um staatlich oder über das EEG-System abgesicherte Langzeitverträge zwischen Projektentwicklern und den Übertragungsnetzbetreibern oder einem staatlichen Zweckunternehmen. Vor Projektbeginn wird - beispielsweise in Ausschreibungen - ein Preis ermittelt, der für den gesamten Förderzeitraum fixiert wird. Die damit einhergehende verbesserte wirtschaftliche Planbarkeit bzw. geringen wirtschaftlichen Risiken könnten gerade für vergleichsweise kleine Akteure und die Vermeidung einer (weiteren) Marktkonzentration in der Offshore-Branche dienlich sein. Die Neufestlegung der Ausschreibungssystematik im Rahmen der anstehenden EEG-Novelle zum Jahresende ermöglicht bis dahin auch einen fachlichen Austausch zu den unterschiedlichen Modellen.
B
3. Der Ausschuss für Städtebau, Wohnungswesen und Raumordnung empfiehlt dem Bundesrat, gegen den Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes keine Einwendungen zu erheben.