Der Bundesrat hat in seiner 993. Sitzung am 18. September 2020 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt die von der Kommission vorgelegte europäische Wasserstoffstrategie und, dass die Kommission ihre Ankündigung aus dem europäischen Grünen Deal erfüllt und mit ihrer Wasserstoffstrategie einen übergeordneten Rahmen für eine europäische Wasserstoffwirtschaft erstellt hat.
Der Bundesrat betont die Bedeutung der Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie sowohl hinsichtlich der Erreichung der Klimaschutzziele als auch im Hinblick auf die Wertschöpfungspotenziale. Er unterstreicht die Bedeutung eines koordinierten europäischen Vorgehens.
- 2. Das mit dem europäischen Grünen Deal verfolgte Ziel der Klimaneutralität der EU bis 2050 wird nur erreichbar sein, wenn nachhaltige Quellen erneuerbarer Energien entwickelt werden. Grüner Wasserstoff wird hierbei eine entscheidende Rolle spielen, in Ergänzung zur Steigerung der Energieeffizienz und der direkten Elektrifizierung aus erneuerbaren Energien. Er benötigt auch auf der Ebene der EU eine besondere Unterstützung für einen schrittweisen Ausbau durch legislative und nichtlegislative Maßnahmen, um marktfähig zu werden.
- 3. Der Bundesrat betont insbesondere die Bedeutung der Wasserstofftechnologie und deren Chancen im Verkehrsbereich, die von ihr ausgehende Signalwirkung für den Markthochlauf, für das Erreichen der internationalen Klimaschutzziele und die damit verbundenen Potenziale für neue Arbeitsplätze, Umweltschutz, soziale Aspekte, internationale Kooperationen und ein koordiniertes technologieneutrales europäisches Vorgehen.
- 4. Der Bundesrat stellt fest, dass grüner Wasserstoff gemäß dieser Strategie zusätzlich zur Elektrifizierung und anderen erneuerbaren und CO₂-armen Kraftstoffen für Teile des Verkehrssystems Lösungen bietet, die nicht oder nur schwer elektrifizierbar sind (zum Beispiel Luftverkehr, Seeverkehr und Teile des Schwerlastverkehrs). Auch in Teilen der Bestandsflotten können sie vorübergehend eingesetzt werden, dort wo es bislang keine Lösung zur CO₂-Reduktion gibt. Hier bieten sich sogenannte reFuels, alternative Kraftstoffe auf der Basis erneuerbarer Energien, an, die zum Beispiel aus grünem Wasserstoff hergestellt werden können.
- 5. Er erhofft sich von der Umsetzung der EU-Wasserstoffstrategie eine Stärkung der EU-weiten Nachfrage und Produktion mit Leitmärkten für grüne Wasserstofftechnologien. Außerdem ist ein unterstützender EU-Rechtsrahmen wichtig, um die Marktentwicklung und die Infrastruktur einschließlich der EU-weiten Nachhaltigkeitsklassifizierung von Wasserstoff voranzubringen.
- 6. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, sich für Erleichterungen im EU-Beihilferahmen einzusetzen, um zukünftig grüne Wasserstoffprojekte zielgerichteter fördern zu können.
Entscheidend sind insbesondere im Rahmen der EU-Strategie Investitionen, Besteuerung und staatliche Beihilfen (IPCEI-Projekte - Important Projects of Common European Interest) sowie eine Stärkung von Forschung, Innovation und Bildung.
Der Bundesrat begrüßt das Positionspapier der Bundesregierung zur Überarbeitung der Regelung für Umwelt- und Energiebeihilfen, in dem die Kommission um eine Prüfung der Beihilferichtlinien in Bezug auf die Förderung von Stromerzeugungskosten für Wasserstoffelektrolyse ersucht wird. Eine beihilferechtliche Unterstützung der Herstellung von sauberem Wasserstoff ist essentiell für einen schnellen und wettbewerbsfähigen Markthochlauf.
Die Umsetzung von IPCEI-Projekten unter Einbindung deutscher Unternehmen ermöglicht einen erheblichen Fortschritt für die Wasserstoffwirtschaft. Der Bundesrat begrüßt daher die explizite Bezugnahme der Kommission auf die IPCEI im Zusammenhang mit Wasserstoff. Gemeinsame Großvorhaben zwischen Mitgliedstaaten werden eine große Bedeutung für die europaweite Entwicklung von Wasserstofflösungen haben. Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung, dieses Instrument zügig und im Sinne des Aufbaus einer grenzüberschreitenden Wasserstoffwirtschaft umfassend zu nutzen.
- 7. Die Anpassung und Vereinheitlichung des regulatorischen Rahmens entlang der gesamten Wasserstoffwertschöpfungskette ist unabdingbar für einen zügigen Hochlauf einer marktfähigen Wasserstoffwirtschaft. Der Bundesrat begrüßt die von der Kommission vorgeschlagene Entwicklung unterstützender Marktvorschriften für die Einführung von grünen Wasserstofftechnologien, insbesondere die zügige Etablierung eines Ausschreibungssystems für "Carbon Contracts for Difference" (CCfD) zur Substitution der konventionellen Wasserstoffproduktion.
Der Bundesrat sieht große Chancen in den CO₂-Differenzverträgen und weist darauf hin, dass entsprechende Pilotprojekte notwendig sind, um die aktuell nicht wettbewerbsfähigen Betriebskosten für sauberen Wasserstoff auszugleichen.
- 8. Er hält zudem einen Umbau des Abgaben- und Umlagensystems im Energiebereich sowohl in der EU als auch in Deutschland für erforderlich. Hierdurch kann auch die Wirtschaftlichkeit von Elektrolyseuren gesteigert werden. Hierbei ist sicherzustellen, dass der Umbau einem "levelplayingfield" aller Treibhausgasminderungsoptionen nicht entgegensteht. Insbesondere dürfen nach Auffassung des Bundesrates keine Fehlanreize gesetzt werden, die der direktelektrischen Nutzung erneuerbarer Energien entgegenstehen, da diese unter Effizienz- und damit auch unter Klimaschutzaspekten die beste Option darstellt.
- 9. Der Bundesrat unterstreicht die regionale Dimension der EU-Wasserstoffstrategie. Eine starke Wasserstoffwirtschaft auf der Basis von grünem Wasserstoff aus erneuerbaren Energien bietet große Chancen für Klimaschutz, Innovation und Beschäftigung einschließlich für KMU in vielen Regionen der EU.
Grüner Wasserstoff kann die regionale Entwicklung fördern, weil wichtige Teile der Wertschöpfungskette in den Regionen realisiert werden können.
- 10. Der Bundesrat begrüßt, dass die EU-Wasserstoffstrategie die Rolle der Regionen einschließlich von Vorreiterregionen und "Hydrogen Valleys" als regionale Wasserstoffökosysteme anerkennt. Zahlreiche Regionen entwickeln Wasserstoffstrategien, Förderprogramme und konkrete Projekte. Sie sind unerlässliche Akteure für den Marktaufbau. Die EU-Wasserstoffstrategie muss die Entwicklung und Durchführung regionaler Strategien und Programme für den Aufbau regionaler Wertschöpfungsketten und Cluster für grünen Wasserstoff unterstützen. Sie muss zudem die Teilnahme von Regionen an der Europäischen Allianz für sauberen Wasserstoff und an der Europäischen Partnerschaft für sauberen Wasserstoff unterstützen.
- 11. Der Bundesrat stellt fest, dass grüner Wasserstoff die von der Erzeugung entkoppelte, räumlich und zeitlich flexible Nutzung von erneuerbarer Energie in den Sektoren Industrie, Verkehr und Wärme ermöglicht. Es ist daher wichtig, die Versorgung aller Regionen mit Bedarf an grünem Wasserstoff zeitnah durch den Auf- und Ausbau von Infrastruktur zu sichern sowie die erforderlichen Regulierungsfragen zügig zu klären.
Neben Strombezugskosten und Anlagenauslastung ist für die heimische Produktion von grünem Wasserstoff entscheidend, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien mit neuer Dynamik erfolgt. Dies erfordert die Anpassung der Ausbaupfade zur Erreichung des Ziels von 65 Prozent erneuerbaren Energien.
- 12. Auch wenn die erste und zweite Phase der europäischen Wasserstoffstrategie die Produktion und den Verbrauch von Wasserstoff in Hydrogen-Valleys bündeln möchte, bittet der Bundesrat zu bedenken, dass auf längere Sicht eine umfassende Umstellung der europäischen Gasversorgung angestrebt werden sollte. Um diese zu ermöglichen, müssen schon jetzt Pläne für den Um- und Neubau von Gasleitungen gemacht und Marktakteure als Betreiber oder Lieferanten gewonnen werden.
Da die Produktion, die Verteilung und der Verbrauch von Wasserstoff vorwiegend von privatwirtschaftlichen Unternehmen und Investoren verantwortet werden, sollten diesen innerhalb der EU Anreize und Absicherungen für umfassende Investitionen geboten werden. Der Bundesrat betont daher noch einmal den dringenden Bedarf für eine klare und umfassende Regulatorik, die sowohl die Mitgliedstaaten in ihrer Rechtsetzung als auch die diversen Investoren und Stakeholder absichert.
- 13. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, sich dafür einzusetzen, dass auf nationaler und europäischer Ebene effektive Förderregelungen für Wasserstoff auf Produzenten-, Vertreiber- und Verbraucherseite sehr zeitnah installiert werden. Sauberer Wasserstoff hat nur dann eine Chance auf Konkurrenzfähigkeit am Markt, wenn ein "levelplayingfield" im Vergleich zu anderen Energieträgern hergestellt wird.
- 14. Der Bundesrat gibt zu bedenken, dass über Europa hinausgehende internationale Partnerschaften für den Im- und Export regenerativ erzeugten sauberen Wasserstoffs perspektivisch immer wichtiger werden, wenngleich auch die innereuropäische Produktion und Distribution mit hoher Dynamik weiter auszubauen sein wird.
- 15. Für die großindustrielle Produktion des grünen Wasserstoffes für den Verkehrssektor sind aufgrund des hohen Energiebedarfs bei der Produktion Regionen zu bevorzugen, die besonders günstige Voraussetzungen für die Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien bieten (neben Nord- und Ostsee zum Beispiel Südeuropa, Nordafrika). Sinnvollerweise sollte gegenüber diesen Regionen eine Abnahmebereitschaft signalisiert werden. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, ihre Aktivitäten zu Energiepartnerschaften und Länderkooperationen dahin gehend zu verstärken.
- 16. Aufgrund der begrenzten Erzeugungspotenziale von heimischem grünen Wasserstoff sind geeignete Rahmenbedingungen für den Import von Wasserstoff zu schaffen. Dies erfordert die Ausgestaltung von internationalen Energiepartnerschaften und Lieferketten. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung daher auf, sich auf europäischer Ebene für geeignete Kooperationen mit Lieferländern einzusetzen.
Über eine internationale "Road Map" für Wasserstoff können vorhandene und künftige Lieferketten analysiert und abgestimmt werden. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung daher auf, sich auf europäischer Ebene für eine solche "Road Map" einzusetzen. Dabei sollten bereits heute Nachhaltigkeitskriterien für die gesamte Lieferkette festgelegt werden. Insbesondere bei allen Produktions- und Transportaktivitäten müssen internationale Nachhaltigkeitskriterien berücksichtigt werden. Denkbar ist auch, dass mit Wasserstoff in Partnerländern Vorprodukte erzeugt werden, die über vorhandene Distributionswege zu Raffinerien in Deutschland gelangen und dort zum marktfähigen Kraftstoff verarbeitet werden. So entstehen auch in den Partnerländern Wertschöpfungspotenziale.
- 17. Der Bundesrat begrüßt die von der Kommission angekündigte Terminologie, Standardisierung und Zertifizierung der einzelnen Wasserstofftypen, die für den Aufbau von grenzüberschreitenden Kooperationen zwingend notwendig sind. Der Bundesrat hält es für erforderlich, noch in diesem Jahr ein Grundgerüst für die Standardisierung und Zertifizierung der verschiedenen Wasserstofftypen einzuführen. Nur so kann die schnelle Entwicklung von innereuropäischen und internationalen Wasserstoffstrukturen rechtzeitig für einen funktionierenden Markthochlauf gelingen. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, sich hierfür im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft einzusetzen.
Er begrüßt außerdem das Vorhaben, die Führungsposition der EU in internationalen Foren für technische Normen, Vorschriften und Definitionen im Wasserstoffbereich zu stärken. Mit diesem Vorgehen kann Einfluss auf die weltweite Marktentwicklung genommen und der hohe europäische Standard weiterverbreitet werden.
- 18. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, neben dem Ausbau der Erzeugung von grünem Wasserstoff vor allem auch Technologieentwicklung und -anwendungen zu unterstützen, die zentral für eine globale Wasserstoffwirtschaft sind. Hierfür sollte durch weitere Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten sowie eine Marktskalierung insbesondere die Industrialisierung der Elektrolyseur- und Brennstoffzellenproduktion in den nächsten Jahren erreicht werden. Die deutsche Technologieführerschaft im Maschinen- und Anlagenbau sowie in der Automobil- und Zuliefererindustrie können genutzt werden, um Komponentenherstellern die Entwicklung zu Leitanbietern von Wasserstofftechnologien zu ermöglichen. So können heimische Arbeitsplätze gesichert werden.
- 19. Deutschland verfügt zudem über ein hohes Knowhow in anwendungsnaher Forschung und Entwicklung, Kraftstoffentwicklung und -erprobung, dem Betrieb von Chemieanlagen, im Maschinen- und Anlagenbau sowie in der Automobil- und Zuliefererindustrie. Um diese Marktposition zu erhalten und die Kraftstoffe rechtzeitig in den erforderlichen Mengen herstellen zu können, sind jetzt vorhandene Pilotanlagen in industriellem Maßstab zu skalieren, denn Planung und Bau von Großanlagen benötigen mehrere Jahre.
- 20. Um für Deutschland die Marktführerschaft in diesem Bereich zu sichern, muss heute der regulatorische Rahmen für die Skalierung und die weitere technologische Entwicklung gesetzt werden. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, für den Einsatz von synthetischen Kraftstoffen und fortschrittlichen Biokraftstoffen einen neuen rechtlichen Rahmen zu schaffen. Hier sind regulatorische Anreize für die Inverkehrbringer von Kraftstoffen zu setzen, die Investitions- und Betriebskostenlücken für Demonstrationsanlagen abzusichern und Experimentierklauseln, zum Beispiel für die Zusätzlichkeit von Energie, zu ermöglichen. Unabdingbar ist, dass der Referentenentwurf zur Umsetzung der Erneuerbaren-Energien-Richtlinie II umgehend vorgelegt wird.
- 21. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung zudem, sich im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft für einen deutlich beschleunigteren Aufbau der Infrastrukturen und Produktionsanlagen für alternative Kraftstoffe einzusetzen als in der Strategie vorgesehen.
- 22. Der Bundesrat begrüßt die Absicht der Kommission, die Aufforderungen zur Einreichung von Vorschlägen für einen 100-MW-Elektrolyseur sowie für umweltfreundliche Flughäfen und Häfen im Zuge der Aufforderung zum europäischen Grünen Deal im Rahmen des Programms Horizont 2020 einzuleiten.
- 23. Der Bundesrat unterstützt die Bemühungen der Bundesregierung zur Umsetzung der Nationalen Wasserstoffstrategie sowie der Einbeziehung laufender und geplanter Aktivitäten zum Thema Wasserstoff auf EU-Ebene.
Er bestärkt die Bundesregierung in ihrem Anliegen, im Rahmen der Nationalen Wasserstoffstrategie Wasserstoff auch als ein europäisches Gemeinschaftsprojekt anzugehen, und bittet die Bundesregierung daher, sich im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft für den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft einzusetzen und diese weiter voranzutreiben.
- 24. Der Bundesrat unterstützt die Bemühungen der Bundesregierung, während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft Ratsschlussfolgerungen zur EU-Wasserstoffstrategie anzunehmen. Er bittet die Bundesregierung, in ihren Aktivitäten als Ratspräsidentschaft und in den Ratsschlussfolgerungen auf eine Fokussierung auf grünen Wasserstoff sowie auf eine Anerkennung und Unterstützung der Regionen in der EU bei dem Aufbau einer europäischen Wasserstoffwirtschaft hinzuwirken.
- 25. Er fordert die Bundesregierung auf, die nichtlegislativen und legislativen Maßnahmen der EU-Wasserstoffstrategie mit einem Schwerpunkt auf grünen Wasserstoff aktiv zu begleiten und auf deren zügige Umsetzung mit hinzuwirken. Er bittet die Bundesregierung, sich bei der Ausgestaltung des Mehrjährigen Finanzrahmens der EU für die Jahre 2021 bis 2027, einschließlich des Aufbauinstruments "Next Generation EU", für verstärkte Förderungsmöglichkeiten für die Regionen zum Aufbau einer grünen Wasserstoffwirtschaft einzusetzen.
- 26. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.