Unterrichtung durch die Bundesregierung
Weißbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften über Schadenersatzklagen wegen Verletzung des EG-Wettbewerbsrechts KOM (2008) 165 endg.; Ratsdok. 8235/08

Übermittelt vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie am 10. April 2008 gemäß § 2 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union vom 12. März 1993 (BGBl. I S. 313), zuletzt geändert durch das Föderalismusreform-Begleitgesetz vom 5. September 2006 (BGBl. I S. 2098).

Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat die Vorlage am 2. April 2008 dem Bundesrat zugeleitet.

Die Vorlage ist von der Kommission am 2. April 2008 dem Generalsekretär/Hohen Vertreter des Rates der Europäischen Union übermittelt worden.


Hinweis: vgl.
Drucksache 012/06 (PDF) = AE-Nr. 060079

Weissbuch
Schadenersatzklagen wegen Verletzung des EG-Wettbewerbsrechts

1. Zweck und Gegenstand des Weissbuchs

1.1. Gründe für die Vorlage eines Weißbuchs über Schadenersatzklagen wegen Verletzung des EG-Wettbewerbsrechts

Alle Bürger und Unternehmen, die aufgrund einer Zuwiderhandlung gegen die EG-Wettbewerbsvorschriften der Artikel 81 und 82 EG-Vertrag einen Schaden erleiden, müssen vom Rechtsverletzer Schadenersatz fordern können. Der Anspruch von Geschädigten auf Schadenersatz ist, wie der Europäische Gerichtshof (EuGH) 2001 und 2006 bekräftigte, im Gemeinschaftsrecht verankert1.

Obwohl die Verpflichtung besteht, einen wirksamen rechtlichen Rahmen zu schaffen, damit Schadenersatzansprüche auch wirklich geltend gemacht werden können, und auch wenn es in einigen Mitgliedstaaten in letzter Zeit einige Anzeichen für Fortschritte gab, erhalten Opfer von Verstößen gegen das EG-Wettbewerbsrecht bis heute in der Praxis nur sehr selten einen Ersatz für erlittene Schäden. Der nicht geltend gemachte oder nicht zugesprochene Schadenersatz bewegt sich in der Größenordnung von mehreren Milliarden Euro pro Jahr2.

Die Kommission kam 2005 in ihrem Grünbuch zu dem Schluss, dass dieser Missstand auf diverse Hindernisse in den materiellen und verfahrensrechtlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten für wettbewerbsrechtliche Schadenersatzklagen vor den nationalen Gerichten zurückführen ist. Derartige Schadenersatzfälle weisen eine Reihe von besonderen Merkmalen auf denen das traditionelle Haftungs- und Verfahrensrecht nur unzureichend Rechnung trägt.

Es besteht dadurch ein hohes Maß an Rechtsunsicherheit3. Zu den Besonderheiten zählen unter anderem die oftmals äußerst komplexe Feststellung und Analyse der zugrundeliegenden Tatsachen und ökonomischen Zusammenhänge, die Unzugänglichkeit von zentralen Beweismitteln, die sich in der Sphäre der Beklagten befinden und häufig geheim gehalten werden sowie das häufige Missverhältnis zwischen dem Prozessrisiko des Klägers und der möglichen Entschädigung.

Die derzeitige Ineffektivität von wettbewerbsrechtlichen Schadenersatzklagen ließe sich am besten dadurch beheben, dass sowohl die Gemeinschaft als auch die Mitgliedstaaten tätig werden und einen EU-weiten Mindeststandard bei der Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen im Zusammenhang mit den Artikeln 81 und 82 EG-Vertrag gewährleisten und dadurch auch einheitlichere Rahmenbedingungen und mehr Rechtssicherheit in der EU schaffen.

Das Europäische Parlament4 - wie auch andere beteiligte Akteure - stimmte den Ergebnissen des Grünbuchs zu und forderte die Kommission auf, in einem Weißbuch konkrete Vorschläge zu unterbreiten, wie die einer wirksamen Durchsetzung wettbewerbsrechtlicher Schadenersatzansprüche entgegenstehenden Hindernisse beseitigt werden können.

1.2. Ziele, Leitprinzipien und Gegenstand des Weißbuchs

In diesem Weißbuch werden rechtspolitische Entscheidungen und konkrete Maßnahmen vorgeschlagen die im Vergleich zur jetzigen Situation besser gewährleisten würden, dass alle Opfer von Verstößen gegen das EG-Wettbewerbsrecht Zugang zu wirksamen Rechtsschutzinstrumenten haben, damit sie Schäden in vollem Umfang ersetzt erhalten.

Das Weißbuch ist im Zusammenhang mit den folgenden zwei Arbeitsdokumenten der Kommissionsdienststellen zu lesen:

Das vorrangige Ziel dieses Weißbuchs besteht darin, die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Geschädigten zu verbessern, damit sie ihren im EG-Vertrag verankerten Anspruch auf Ersatz grundsätzlich aller durch Verstöße gegen die EG-Wettbewerbsvorschriften entstandenen Schäden wirksamer geltend machen können. Wichtigstes Leitprinzip ist somit das Ziel einer vollständigen Entschädigung.

Wirksamere Entschädigungsmechanismen würden auch bedeuten, dass die Kosten der Wettbewerbsverstöße von den Rechtsverletzern getragen werden und nicht zu Lasten der Geschädigten und der sich rechtskonform verhaltenden Unternehmen gehen. Wirksame Rechtsschutzinstrumente zur privaten Rechtsdurchsetzung erhöhen auch die Wahrscheinlichkeit, dass eine größere Anzahl rechtswidriger Wettbewerbsbeschränkungen aufgedeckt wird und die Rechtsverletzer zur Verantwortung gezogen werden5.

Verbesserungen bei der Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen würden somit zwangsläufig auch positive Effekte dahingehend entfalten, dass eine stärkere Abschreckungswirkung eintritt und dass die EG-Wettbewerbsvorschriften besser befolgt werden. Der Schutz eines funktionierenden Wettbewerbs ist integraler Bestandteil des Binnenmarkts und von maßgeblicher Bedeutung für die Umsetzung der Strategie von Lissabon. Eine Kultur des Wettbewerbs trägt zu einer besseren Ressourcenverteilung, zu mehr wirtschaftlicher Effizienz und Innovation und niedrigeren Preisen bei.

Die Kommission folgt zudem dem Leitprinzip, dass für eine wirksamere Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen ein genuin europäischer Rechtsrahmen erforderlich ist. In diesem Weißbuch werden deshalb ausgewogene Maßnahmen vorgeschlagen, die sich auf die europäische Rechtskultur und -tradition stützen.

Ein weiteres von der Kommission in diesem Weißbuch verfolgtes Leitprinzip besteht darin, eine weiterhin starke behördliche Durchsetzung der Artikel 81 und 82 EG-Vertrag durch die Kommission und die einzelstaatlichen Wettbewerbsbehörden sicherzustellen. Mit den im Weißbuch vorgeschlagenen Maßnahmen soll somit ein wirksames System zur privaten Durchsetzung mittels Schadenersatzklagen geschaffen werden, das die behördliche Durchsetzung ergänzt, nicht aber ersetzt oder gefährdet.

Vor diesem Hintergrund und in Einklang mit dem vom Europäischen Gerichtshof aufgestellten Grundsatz, dass es jedem Opfer eines Wettbewerbsverstoßes prinzipiell möglich sein muss, seinen Schadenersatzanspruch wirksam geltend zu machen, beziehen sich die im Weißbuch vorgeschlagenen Maßnahmen daher grundsätzlich auf alle Gruppen von Geschädigten und alle Formen von Verstößen gegen Artikel 81 und 82 EG-Vertrag und betreffen alle Wirtschaftszweige. Die Kommission hält es zudem für angezeigt, sowohl Folgeklagen (nach bestandskräftiger Feststellung eines Verstoßes durch die Wettbewerbsbehörde) wie auch eigenständige Klagen zu erfassen.

2. Vorgeschlagene Massnahmen und rechtspolitische Optionen

2.1. Klagebefugnis: indirekte Abnehmer und kollektiver Rechtsschutz

In Bezug auf die Frage der Klagebefugnis begrüßt die Kommission, dass der Europäische Gerichtshof bestätigt hat, dass "jedermann", dem durch einen Kartellrechtsverstoß ein Schaden entstanden ist, für diesen vor einzelstaatlichen Gerichten Ersatz verlangen kann6.

Dieser Grundsatz gilt auch für indirekte Abnehmer, d. h. Abnehmer, die keinen direkten Kontakt mit dem Rechtsverletzer hatten, aber dennoch unter Umständen einen erheblichen Schaden erlitten haben, weil auf sie in der Vertriebskette rechtswidrige Preisaufschläge abgewälzt wurden.

Im Hinblick auf den kollektiven Rechtsschutz sieht die Kommission einen eindeutigen Bedarf nach Mechanismen, die eine Bündelung der individuellen Schadenersatzforderungen von Opfern von Wettbewerbsverstößen ermöglichen. Insbesondere bei relativ geringwertigen Streuschäden schrecken einzelne Verbraucher, aber auch kleinere Unternehmen, häufig angesichts der mit einem Gerichtsverfahren verbundenen Kosten, Verzögerungen, Unwägbarkeiten, Risiken und Belastungen vor Individualklagen zurück. Als Folge erhalten viele dieser Opfer zurzeit gar keine Entschädigung. In den seltenen Fällen, in denen gegenwärtig eine Vielzahl von Einzelklagen in Bezug auf dieselbe Zuwiderhandlung erhoben wird entstehen Klägern, Beklagten wie auch der Justiz prozessökonomische Ineffizienzen.

Zur Lösung dieser Probleme im Bereich des Wettbewerbsrechts schlägt die Kommission daher zwei einander ergänzende Mechanismen für einen wirksamen kollektiven Rechtsschutz vor7:

Da qualifizierte Einrichtungen nicht immer in der Lage oder bereit sein werden, allen Schadensfällen mithilfe einer Verbandsklage nachzugehen, ist es erforderlich, dass Verbandsklagen durch die Möglichkeit von Optin-Gruppenklagen ergänzt werden, um einen wirksamen Rechtsschutz für Opfer von Wettbewerbsverstößen zu gewährleisten. Zudem ist es wichtig dass die Opfer nicht ihr Recht verlieren, sich stattdessen für eine Einzelklage zu entscheiden. In diesem Zusammenhang sollten aber Regeln eingeführt werden, die eine Mehrfachentschädigung verhindern.

Diese Vorschläge zu Schadenersatzklagen im Bereich des Wettbewerbsrechts sind Teil der umfassenderen Initiative der Kommission zur Stärkung kollektiver Rechtsschutzinstrumente in der EU und können sich in diesem Rahmen weiterentwickeln.

2.2. Zugang zu Beweismitteln: Offenlegung von Beweismitteln zwischen den Parteien

Wettbewerbsfälle sind in Bezug auf die Sachverhaltsfeststellung und -bewertung außergewöhnlich aufwendig. Viele zentrale Beweismittel, die für die Begründung eines wettbewerbsrechtlichen Schadenersatzanspruches erforderlich sind, werden häufig geheim gehalten und sind, da sie sich in der Sphäre der Beklagten oder Dritter befinden, den Klägern nicht hinreichend bekannt.

Während einerseits dieser strukturellen Informationsasymmetrie entgegengewirkt und der Zugang zu einschlägigem Beweismaterial verbessert werden muss, sind andererseits negative Auswirkungen von übermäßig weiten und belastenden Offenlegungspflichten zu vermeiden (einschließlich der Gefahr von Missbräuchen).

Die Kommission schlägt daher vor, dass für Schadenersatzklagen wegen Verletzung des EG-Wettbewerbsrechts EU-weit ein Mindestniveau der Offenlegung von Beweismitteln zwischen den Streitparteien festgelegt wird. In Fortführung des der Richtlinie 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums zugrunde liegenden Ansatzes sollte der Zugang zu Beweismitteln auf der Grundlage eines Tatsachenvortrags ("Fact-Pleading") und unter strenger gerichtlicher Prüfung der Plausibilität des Vortrags und der Verhältnismäßigkeit des Offenlegungsbegehrens gewährt werden. Deshalb schlägt die Kommission Folgendes vor8:

2.3. Bindungswirkung von Entscheidungen nationaler Wettbewerbsbehörden

Wenn die Europäische Kommission einen Verstoß gegen Artikel 81 oder Artikel 82 EG-Vertrag feststellt, können sich die Opfer dieser Zuwiderhandlung nach gefestigter Rechtsprechung und gemäß Artikel 16 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates in zivilrechtlichen Schadenersatzprozessen auf diese Entscheidung als verbindlichen Beweis berufen. Für Entscheidungen nationaler Wettbewerbsbehörden, in denen ein Verstoß gegen Artikel 81 oder 82 EG-Vertrag festgestellt wird, gelten dagegen nur in einigen Mitgliedstaaten ähnliche Bestimmungen.

Die Kommission sieht keinen Grund, warum eine bestandskräftige Entscheidung9 einer dem Europäischen Netz der nationalen Wettbewerbsbehörden (ECN) angehörenden Wettbewerbsbehörde zu Artikel 81 oder 82 EG-Vertrag und ein rechtskräftiges Urteil einer gerichtlichen Rechtsmittelinstanz, das die Entscheidung der nationalen Wettbewerbsbehörde bestätigt oder das selbst einen Verstoß feststellt, nicht in jedem Mitgliedstaat bei Folgeklagen auf Schadenersatz als unwiderleglicher Beweis für den festgestellten Verstoß herangezogen werden sollte.

Eine diesbezügliche Vorschrift würde eine einheitliche Anwendung der Artikel 81 und 82 EG-Vertrag durch die einzelstaatlichen Instanzen sicherstellen und ein höheres Maß an Rechtssicherheit schaffen. Außerdem würden dadurch die Wirksamkeit und die verfahrensrechtliche Effizienz von wettbewerbsrechtlichen Schadenersatzklagen erheblich verbessert. Denn wenn die beklagten Parteien den eigenen, in einer behördlichen Entscheidung nachgewiesenen und gegebenenfalls durch eine gerichtliche Rechtsmittelinstanz bestätigten Verstoß gegen Artikel 81 oder 82 EG-Vertrag in Frage stellen können, müssen die mit der Schadenersatzklage befassten Gerichte all jene Fakten und Rechtsfragen, die von der spezialisierten Behörde (und gegebenenfalls einer Rechtsmittelinstanz) bereits untersucht und gewürdigt wurden, noch einmal erneut prüfen. Eine solche Duplikation der faktischen und rechtlichen Analyse führt zu erheblichen Mehrkosten, Zeitverlust und zusätzlichen Unwägbarkeiten für die Schadenersatzklage der Opfer.

Daher schlägt die Kommission folgende Regelung vor10:

Diese Bindungswirkung soll nur für bestandskräftige Entscheidungen gelten, d. h. für Entscheidungen in Fällen, in denen die beklagte Partei alle Rechtsmittel ausgeschöpft hat, und bezieht sich nur auf diejenigen Verhaltensweisen und diejenigen Unternehmen, für die eine nationale Wettbewerbsbehörde oder gerichtliche Rechtsmittelinstanz einen Verstoß festgestellt hat.

2.4. Verschuldenserfordernis

In der Situation, dass ein Verstoß gegen Artikel 81 oder 82 EG-Vertrag nachgewiesen ist, gelten in den Mitgliedstaaten unterschiedliche Regeln bezüglich der Frage, ob ein Anspruch auf Schadensersatz noch an ein Verschuldenserfordernis geknüpft ist.

In einigen Mitgliedstaaten gilt in dieser Situation keine Verschuldensvoraussetzung für wettbewerbsrechtliche Schadenersatzklagen, oder es wird bei nachgewiesenem Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht, das Vorliegen von Schuld unwiderleglich vermutet. Die Kommission sieht keine rechtspolitischen Einwände gegen einen solchen Ansatz.

Für die anderen Mitgliedstaaten legen die Rechtsprechung des EuGH zu den Voraussetzungen von zivilrechtlicher Haftung bei Verstößen gegen unmittelbar anwendbare Vorschriften des EG-Vertrags (wie dessen Artikel 81 und 82) sowie der Effektivitätsgrundsatz nahe, dass ein etwaiges Verschuldenserfordernis nach einzelstaatlichem Recht begrenzt sein müsste. Die Kommission sieht keine Gründe, weshalb Rechtsverletzer wegen Fehlens eines Verschuldens aus der Haftung entlassen werden sollten, es sei denn, ihr Verstoß gegen Artikel 81 oder 82 ist auf einen entschuldbaren Irrtum zurückzuführen.

Für Mitgliedstaaten, die den Nachweis eines Verschuldens fordern, schlägt die Kommission daher folgende Klarstellung vor11:

2.5. Schadenersatz

Die Kommission begrüßt, dass der Europäische Gerichtshof bestätigt hat, für welche Art von Schaden die Opfer von Wettbewerbsverstößen Ersatz erhalten müssen12. Der EuGH unterstrich in seinem Urteil, dass den Geschädigten auf jeden Fall der vollständige Ersatz des realen Werts der erlittenen Verluste zusteht. Der Anspruch auf eine vollständige Entschädigung erstreckt sich somit nicht nur auf die Verluste (damnum emergens) aufgrund wettbewerbswidriger Preisaufschläge, sondern auch auf entgangene Gewinne (lucrum cessans) aufgrund von Umsatzeinbußen und beinhaltet auch den Anspruch auf Zinsen.

Im Interesse der Rechtssicherheit und in dem Bemühen, bei potenziellen Rechtsverletzern und Geschädigten die Kenntnis der Rechtslage zu verbessern, schlägt die Kommission vor, den derzeitigen gemeinschaftlichen Besitzstand (acquis communautaire) zum Umfang des Schadenersatzanspruchs von Opfern von Wettbewerbsverstößen in einem gemeinschaftlichen Rechtsinstrument zu kodifizieren.

Nachdem die Art des zu ersetzenden Schadens geklärt ist, muss die Schadenshöhe berechnet werden. Diese Berechnung, die einen Vergleich der wirtschaftlichen Lage des Opfers mit der hypothetischen Situation unter Marktbedingungen mit funktionierendem Wettbewerb voraussetzt ist häufig sehr mühsam und kann sich als übermäßig schwierig oder gar praktisch unmöglich erweisen, wenn man strikt das Ziel verfolgt, den erlittenen Schaden immer exakt zu berechnen. Weitreichende Verpflichtungen zur Berechnung des Schadens können überdies außer Verhältnis zur Höhe des erlittenen Schadens stehen.

Um die Berechnung des Schadenersatzes zu erleichtern beabsichtigt die Kommission daher13:

2.6. Schadensabwälzung

Wenn der direkte Abnehmer des Rechtsverletzers die rechtswidrigen Preisaufschläge an seine eigenen Kunden (die indirekten Abnehmer) weitergegeben hat, treten mehrere rechtliche Probleme auf. Dies hat derzeit zur Folge, dass ein hohes Maß an Rechtsunsicherheit besteht und Schadenersatzklagen bei Wettbewerbsverstößen erschwert werden.

Einerseits kommt es zu Problemen, wenn der Rechtsverletzer bei einer Schadenersatzklage gegenüber dem Kläger den Einwand der Schadensabwälzung geltend macht, also vorbringt, dass dem Kläger kein Schaden entstanden sei, weil dieser den Preisaufschlag an seine Kunden weitergegeben habe.

Die Kommission erinnert in diesem Zusammenhang an das vom EuGH bekräftigte Kompensationsprinzip und die Prämisse des EuGH, dass jeder Geschädigte Anspruch auf Entschädigung hat, der einen hinreichenden ursächlichen Zusammenhang mit der Zuwiderhandlung nachweisen kann. Vor diesem Hintergrund sollte es Rechtsverletzern erlaubt sein, eine etwaige Abwälzung rechtswidriger Preisaufschläge geltend zu machen.

Würde dieser Einwand nicht zugelassen, könnte dies in der Tat zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Abnehmer führen, die den Preisaufschlag tatsächlich an ihre Kunden weitergegeben haben, sowie zu einer unbilligen Mehrfachentschädigung für den rechtswidrigen Preisaufschlag durch die beklagte Partei. Daher schlägt die Kommission Folgendes vor14:

Andererseits bestehen ebenfalls Probleme, wenn ein indirekter Abnehmer zum Nachweis des ihm entstandenen Schadens die Abwälzung von Preisaufschlägen geltend macht. Häufig sind es die Abnehmer am oder fast am Ende der Vertriebskette, die durch den Wettbewerbsverstoß am stärksten geschädigt werden. Angesichts ihrer Distanz zur Zuwiderhandlung haben sie besondere Mühe, die erforderlichen Beweise für die Abwälzung und den Umfang der Abwälzung rechtswidriger Preisaufschläge über die Vertriebskette zu erbringen. Können diese Kläger die erforderlichen Beweismittel nicht beibringen, wird ihnen kein Ausgleich zugesprochen, während dem Rechtsverletzer, der möglicherweise gegenüber einem vorgelagerten Kläger erfolgreich den Einwand der Schadensabwälzung geltend gemacht hat, eine ungerechtfertigte Bereicherung zuteil würde.

Damit eine solche Situation vermieden wird, schlägt die Kommission zur Beweiserleichterung für die Kläger Folgendes vor15:

Im Falle von gemeinsamen, parallelen oder aufeinanderfolgenden Klagen von Abnehmern, die auf verschiedenen Vertriebsstufen tätig sind, werden die einzelstaatlichen Gerichte ermutigt alle ihnen nach einzelstaatlichem, gemeinschaftlichem und internationalem Recht zur Verfügung stehenden rechtlichen Mittel auszuschöpfen, um eine zu niedrige oder zu hohe Entschädigung für den aufgrund eines Wettbewerbsverstoßes erlittenen Schaden zu vermeiden.

2.7. Verjährung

Verjährungsregeln leisten einen wichtigen Beitrag zur Rechtssicherheit, können sich aber auch als erhebliches Hindernis erweisen, sowohl bei eigenständigen Klagen als auch bei Folgeklagen auf Schadenersatz wegen Verstoßes gegen Artikel 81 oder 82.

So ist es für die Geschädigten im Falle dauernder oder fortgesetzter Zuwiderhandlungen oder wenn sie nicht von der Zuwiderhandlung wussten und auch nicht vernünftigerweise davon wissen konnten, oft sehr schwer, den Beginn der Verjährungsfrist zu ermitteln. Dieses Problem besteht gerade bei besonders gravierenden und schwerwiegenden Wettbewerbsverstößen wie beispielsweise Kartellen, die häufig sowohl während ihres Bestehens als auch danach geheim bleiben.

Die Kommission schlägt daher vor16, dass die Verjährungsfrist nicht beginnen sollte:

Um die Möglichkeit von Folgeklagen offenzulassen, sollte durch entsprechende Maßnahmen verhindert werden, dass Verjährungsfristen noch während einer Durchsetzung der Wettbewerbsvorschriften durch die zuständige Wettbewerbsbehörde (und gerichtliche Rechtsmittelinstanz) ablaufen. Diesbezüglich bevorzugt die Kommission die Option einer neuen Verjährungsfrist ab bestandskräftiger Behörden- oder Gerichtsentscheidung gegenüber der Option einer Hemmung der Verjährungsfrist im Falle behördlicher Ermittlungen.

Im letzten Fall wäre es nämlich für die Kläger (wie auch die Beklagten) schwierig, den noch verbleibenden Verjährungszeitraum genau zu berechnen, da nicht immer öffentlich bekannt ist wann eine Wettbewerbsbehörde ein Verfahren einleitet bzw. abschließt. Würde die Hemmung zu einem relativ späten Zeitpunkt der Verjährungsfrist einsetzen, kann darüber hinaus nicht mehr genug Zeit für die Vorbereitung einer Schadenersatzklage zur Verfügung stehen.

Die Kommission schlägt daher vor17:

2.8. Kosten einer Schadenersatzklage

Die mit einer Schadenersatzklage verbundenen Kosten sowie die Vorschriften für die Kostentragung können Kläger entscheidend von der Erhebung einer Schadenersatzklage wegen Wettbewerbsverstoßes abhalten. Denn solche Klagen sind in der Regel komplexer und zeitaufwendiger als andere zivilrechtliche Klagen und können mit außergewöhnlichen Kosten verbunden sein können .

Nach Auffassung der Kommission wäre es sinnvoll, wenn die Mitgliedstaaten ihre geltenden Kostentragungsvorschriften überdenken und die in anderen EU-Mitgliedstaaten angewandten Verfahren prüfen würden, um insbesondere Klägern, die finanziell wesentlich schwächer sind als der Beklagte, begründete Schadenersatzklagen zu ermöglichen, die sie ansonsten allein aufgrund der hohen Kosten nicht erheben könnten.

Diesbezüglich sollten Mechanismen in Betracht gezogen werden, die einer möglichst raschen Beilegung von Rechtsstreitigkeiten (z.B. durch einen Vergleich) dienen, da so Prozesskosten der Parteien sowie Kosten für die Justiz begrenzt bzw. ganz vermieden werden können.

Des Weiteren könnten die Mitgliedstaaten erwägen, gegebenenfalls Obergrenzen für Gerichtskosten von Schadenersatzklagen aufgrund von Wettbewerbsverstößen einzuführen.

Außerdem werden die Mitgliedstaaten eingeladen, ihre Bestimmungen zur Kostentragung daraufhin zu prüfen, wie potentiellen Klägern die Unsicherheit hinsichtlich der von ihnen zu tragenden Kosten genommen werden könnte. Dem in den Mitgliedstaaten vorherrschenden Grundsatz, dass die unterlegene Partei die Kosten zu tragen hat, kommt zwar eine wichtige Filterfunktion dadurch zu, dass er gänzlich unbegründete Schadenersatzklagen bremst. Unter bestimmten Umständen kann dieser Grundsatz jedoch auch Kläger mit begründeten Schadenersatzansprüchen von deren Geltendmachung abhalten. Deshalb müssten die einzelstaatlichen Gerichte möglicherweise befugt werden, von diesem Grundsatz abzuweichen, indem sie gewährleisten, dass der unterliegende Kläger keine Kosten der obsiegenden Partei übernehmen muss, die diese ohne angemessenen Grund oder böswillig verursacht hat.

Daher möchte die Kommission die Mitgliedstaaten ermutigen18,

2.9. Verhältnis zwischen Kronzeugenprogrammen und Schadenersatzklagen

Sowohl für die behördliche wie auch für die private Durchsetzung des Wettbewerbsrechts ist es von Bedeutung, dass Kronzeugenprogramme ihre Attraktivität behalten.

Für Unternehmenserklärungen ("Corporate Statements") im Rahmen von Kronzeugenprogrammen muss im Rahmen zivilrechtlicher Schadenersatzklagen ein angemessener Schutz vor Offenlegung sichergestellt werden, damit der Antragsteller nicht gegenüber anderen Beteiligten an dem Wettbewerbsverstoß schlechter gestellt wird. Denn eine drohende Offenlegung solcher Erklärungen könnte negative Auswirkungen auf die Qualität der Eingaben des Antragstellers haben oder ihn sogar ganz davon abhalten, das Kronzeugenprogramm in Anspruch zu nehmen.

Die Kommission schlägt daher vor, einen solchen Schutz wie folgt zu gestalten19:

Dieser Schutz gilt auch unabhängig davon, ob ein Gericht vor oder nach dem Erlass einer Entscheidung durch die zuständige Wettbewerbsbehörde die Offenlegung eines Corporate Statements anordnet. Die freiwillige Offenlegung von Corporate Statements durch Parteien, die eine Kronzeugenbehandlung (Erlass oder Ermäßigung von Geldbußen) beantragt haben, sollte zumindest bis zur Übermittlung einer Mitteilung der Beschwerdepunkte ausgeschlossen sein.

Eine weitere Maßnahme mit dem Ziel, dass Kronzeugenprogramme ihre ganze Attraktivität behalten könnte eine Begrenzung der zivilrechtlichen Haftung von Kronzeugen sein, denen ein Erlass der Geldbuße zuerkannt wurde. Deshalb regt die Kommission eine weitere Diskussion über die Möglichkeit an20, die zivilrechtliche Haftung jener Kronzeugen, denen der Erlass einer Geldbuße zuerkannt wurde, auf Schadenersatzansprüche ihrer direkten und indirekten Vertragspartner zu begrenzen. Dadurch würden die von einem solchen Kronzeugen zu leistenden Schadenersatzzahlungen besser abschätzbar und in der Höhe begrenzt, ohne dass er seiner zivilrechtlichen Haftung für den Wettbewerbsverstoß über Gebühr enthoben würde. Das Unternehmen, dem der Erlass einer Geldbuße zuerkannt wurde, würde nachweisen müssen, in welchem Umfang seine zivilrechtliche Haftung einzuschränken ist. In Zusammenhang mit der hier zur Diskussion gestellten Maßnahme sollte jedoch insbesondere überlegt werden, inwieweit für sie ein Bedürfnis besteht und welche Auswirkungen sie auf die vollständige Entschädigung der Opfer von Wettbewerbsverstößen und die Stellung der anderen Rechtsverletzter hätte, insbesondere derjenigen, die ebenfalls Kronzeugenstatus beantragen.

Die Kommission lädt zur Stellungnahme zu diesem Weißbuch ein. Stellungnahmen können bis zum 15. Juli 2008 übermittelt werden

per E-Mail an:

oder per Post an:


Europäische Kommission
Generaldirektion Wettbewerb, Referat A 5
Schadenersatzklagen wegen Verletzung des EG-Wettbewerbsrechts
1049 Brüssel
Belgien

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