Der Bundesrat hat in seiner 841. Sitzung am 15. Februar 2008 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat hat bereits in seiner Stellungnahme vom 23. September 2005 das Lissabon-Programm der Gemeinschaft als Gegenstück zu den nationalen Programmen der Mitgliedstaaten unterstützt (BR-Drucksache 607/05(B) ).
Er sieht in der Fortsetzung des Programms im Zyklus 2008 bis 2010 einen Beitrag, um auf Gemeinschaftsebene die zu treffenden Maßnahmen zu identifizieren, die den ehrgeizigen Zielen der erneuerten Lissabon-Agenda gerecht werden.
- 2. Der Bundesrat begrüßt daher die Mitteilung der Kommission und ihren Vorschlag für ein neues Lissabon-Programm der Gemeinschaft (LPG) 2008 bis 2010, insbesondere da dieses die politischen Strategien und einzelstaatlichen Maßnahmen der nationalen Reformprogramme unterstützen und ergänzen soll.
Die vorgesehene Fokussierung auf zehn Hauptziele und ihre Ausrichtung an den vier vorrangigen Bereichen, die der Europäische Rat auf seinem Frühjahrsgipfel 2006 festgelegt hat, sind konsequent und folgerichtig.
- 3. Der Bundesrat unterstützt daher das Festhalten an den im Jahr 2006 durch den Europäischen Rat festgelegten vier Prioritäten der erneuerten Lissabon-Strategie, das eine kontinuierliche Verfolgung der politischen Ziele der Gemeinschaft gewährleistet und so die Glaubwürdigkeit des Lissabon-Prozesses untermauert.
- 4. Auch die Fortsetzung des vereinten Engagements der Kräfte des Europäischen Parlaments, der Kommission und der Mitgliedstaaten wird vom Bundesrat begrüßt. Dabei setzt der Bundesrat voraus, dass die geplanten Maßnahmen entsprechend den Anforderungen des Subsidiaritätsprinzips die nationalen Bemühungen ergänzen und unterstützen.
- 5. Der Bundesrat bedauert, dass die Kommission innerhalb kürzester Zeit eine Fülle von teils inhaltlich eng verbundenen Grundsatz- und Ergänzungsdokumenten bezogen auf die strategische Ausrichtung und die Durchführung von Maßnahmen zur Umsetzung der erneuerten Lissabon-Strategie vorgelegt hat und dieses gewählte Verfahren zu einer unnötigen Unübersichtlichkeit führt und eine Bewertung erschwert.
- 6. Angesichts einer Verlangsamung des europäischen Wirtschaftswachstums und von Risiken aufgrund der Unruhen auf den Finanzmärkten sowie steigender Öl- und Rohstoffpreise ist es nun wichtig, die Lissabon-Strategie noch energischer umzusetzen. Der gemeinsame politische Wille aller EU-Organe ist erforderlich, um in der nächsten Phase Einigung über die Annahme von Maßnahmen zu erzielen damit Wachstum und Beschäftigung belebt werden. In einer Verbindung nationalen gemeinschaftlichen und internationalen Handelns sollte jede Ebene ihren Beitrag leisten, damit die gemeinsamen Herausforderungen bewältigt werden. Dazu enthält das neue LPG einen wichtigen Beitrag.
Drei Ziele im neuen LPG sind aus deutscher Sicht besonders hervorzuheben:
- 7. Der Bundesrat begrüßt besonders das im Ziel 3 des LPG angekündigte Vorschlagspaket eines "Small Business Act" und die damit vorgesehene Befreiung der KMU von unverhältnismäßigen rechtlichen Vorschriften, den leichteren Zugang zu Risikokapital und die vorgesehenen Aktivitäten zum Schutz des geistigen Eigentums sowie die stärkere Vernetzung mit Hochschulen und Forschungszentren.
Die KMU sind angesichts der weiter fortschreitenden Globalisierung und der weiteren Zunahme der weltweiten Wirtschaftsverflechtungen (siehe auch Ziffer 13) ein wichtiger Stabilitätsfaktor Europas und somit Garant für das Gedeihen der europäischen Regionen mit ihren Städten und Gemeinden. Sie sind Wohlstandsquelle der Gesellschaft, sorgen für die Ausbildung der jungen Menschen und geben ihnen damit wirtschaftlich wie auch in einem umfassenderen Sinne "Zukunft". Der selbständige Mittelstand ist zudem wesentlicher Impulsgeber für das Wirtschaftswachstum. Nach wie vor haben jedoch gerade KMU mit weniger als 250 Beschäftigten mit großen Wettbewerbsproblemen zu kämpfen: Finanzielle Nachteile im Kampf um die besten Köpfe, Innovationshemmnisse (wegen ausgeprägten Fachkräftemangels) und Finanzierungsprobleme bzw. Probleme bei der Kapitalbeschaffung, bei der Bürokratie sowie beim Wissenstransfer von der Forschung in die Betriebe, um nur einige wichtige Punkte zu nennen. Zentrale wirtschaftspolitische und damit KMU-freundliche Rahmenbedingungen müssen daher zuvörderst auf der europäischen Gemeinschaftsebene gesetzt werden damit nationalstaatliche Maßnahmen greifen können. Die Schaffung dieser allgemeinen Rahmenbedingungen auf der europäischen Gemeinschaftsebene sind der Schlüssel für die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der KMU. An der Verwirklichung dieser Rahmenbedingungen wird sich der Erfolg der Lissabon-Strategie für mehr Wachstum und Beschäftigung messen lassen müssen.
- 8. Der Bundesrat nimmt zur Kenntnis, dass die Kommission innerhalb ihres Ziels 7 für das Jahr 2010 die Annahme eines Vorschlags für eine Verordnung zum Gemeinschaftspatent und zusätzliche Maßnahmen zur Schaffung eines EU weiten Gerichtsbarkeitssystems für Patentstreitsachen (BR-Drucksache 026/08 (PDF) , S. 20) plant.
Der Bundesrat begrüßt die aktuelle Diskussion um ein europäisches Patentsystem.
Ein effektives, kostengünstiges und rechtssicheres Gemeinschaftspatentsystem und eine europaweite Patentgerichtsbarkeit dienen grundsätzlich der Integration des Binnenmarkts und können zu einer Verringerung der Kosten für Patentanmeldung und einer höheren Rechtssicherheit beitragen. Der Bundesrat verweist hierbei auf seine Stellungnahme vom 11. Mai 2007 zur Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an das Europäische Parlament und den Rat: Vertiefung des Patentsystems in Europa (BR-Drucksache 244/07(B) ) und auf seine Entschließung vom 7. April 2006 zu einem Gemeinschaftspatentsystem in Europa (BR-Drucksache 209/06(B) ).
- 9. Der Bundesrat betont, dass alle Ansätze zur Weiterentwicklung des Patentsystems in Europa auch an ihrer Umsetzbarkeit im Rahmen des geltenden Rechts gemessen werden müssen. Bei den zuletzt vorgelegten Vorschlägen für eine Einbeziehung der Europäischen Bündelpatente nach dem Europäischen Patentübereinkommen (EPÜ) in eine europäische Patentgerichtsbarkeit sieht der Bundesrat noch erheblichen Klärungsbedarf. Die erforderliche Prüfung sollte vorgenommen werden, bevor vertieft über die nähere Ausgestaltung des Patentsystems nachgedacht wird. Der Bundesrat begrüßt es daher, dass die Kommission den Vorschlag für eine Verordnung zum Gemeinschaftspatent mit zusätzlichen Maßnahmen zur Schaffung eines EU-weiten Gerichtsbarkeitssystems für Patentstreitsachen verknüpft und damit einen umfassenden Prüfungsansatz verfolgt.
- 10. Der Bundesrat erinnert an seine ablehnende Haltung zum Vorschlag für ein Gemeinschaftspatent und eine Gemeinschaftspatentgerichtsbarkeit nach der gemeinsamen politischen Ausrichtung vom März 2003 (BR-Drucksachen 064/04(B) und 065/04(B) vom 2. April 2004). Dies betrifft insbesondere die Sprachenfrage und die seinerzeit vorgeschlagene zentrale EU-Gerichtsbarkeit in erster Instanz. Die Arbeiten zu einem neuen Verordnungsvorschlag können daher nicht daran ansetzen, sondern müssen die Forderungen der europäischen Wirtschaft und der beteiligten Kreise, wie sie in der Konsultation der Kommission im Jahr 2006 zur Vertiefung des Patentsystems in Europa deutlich wurden aufgreifen und berücksichtigen.
- 11. Der Bundesrat erinnert an die Bedeutung des Patentrechts und der Patentgerichtsbarkeit gerade für Deutschland, wo über die Hälfte aller Patentstreitverfahren in Europa geführt werden. Er erinnert weiter daran, dass nach der Ratifizierung des Londoner Sprachenabkommens durch Frankreich dieses demnächst in Kraft treten und zu einer deutlichen Verbilligung der Europäischen Bündelpatente führen wird. Insgesamt steht damit ein funktionsfähiges europäisches Patentrechtsregime für die deutsche Wirtschaft zur Verfügung. Der Bundesrat lehnt daher Änderungen des Status quo um jeden Preis ab und bittet die Bundesregierung, Änderungen nur zuzustimmen, wenn sie einen klaren Mehrwert für die Wirtschaft und Patentrechtspraxis in Deutschland bringen.
- 12. Bei jeder Änderung des Gerichtssystems ist es aus Sicht des Bundesrates nach wie vor unerlässlich, dass dezentrale Kammern in den Mitgliedstaaten eingerichtet werden können und für den Kläger die Möglichkeit besteht, das Gericht des Verletzungsorts anzurufen, wie es auch die Brüssel-I-Verordnung vorsieht.
Die Zuständigkeitsverteilung zwischen der zentralen Kammer und den dezentralen Kammern darf die Kompetenzen der dezentralen Kammern nicht unnötig einschränken. Entscheidend für die Einrichtung und die Zahl von dezentralen Kammern in den Mitgliedstaaten muss die Zahl der in den jeweiligen Staaten geführten Patentrechtsstreitigkeiten sein. Dabei muss auch sichergestellt werden, dass die etablierten deutschen Patentgerichte mit ihrer international anerkannten großen Erfahrung in das System einbezogen werden können. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, sich bei den weiteren Verhandlungen auf europäischer Ebene dafür einzusetzen, dass Deutschland wegen seines hohen Fallaufkommens von Anfang an mehr als drei dezentrale Kammern erhält.
- 13. Das Maßnahmenpaket zu Ziel 10 verstärkt ferner die außenpolitische Dimension insoweit als darin Offenheit und Verteidigung legitimer europäischer Interessen Hand in Hand gehen. Der Dialog mit Drittländern sollte intensiviert und klarer strukturiert werden mit einem deutlichen Schwerpunkt auf Globalisierungsthemen von beiderseitigem Interesse wie Marktöffnung und Marktzugang, Konvergenz auf der Regulierungsebene, Migration und Klimawandel.
Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommission in Zukunft jährlich über den Marktzugang berichten und dabei Länder und Wirtschaftszweige benennen will, in denen weiterhin erhebliche Schranken bestehen. Die Maßnahmen des neuen LPG sollten daher noch stärker als bisher die Entwicklungen der globalen Weltwirtschaft mit ihren internationalen Handels- und Finanzverflechtungen berücksichtigen.
Beispielsweise werden weltweit jedes Jahr Waren im Wert von etwa 12 083 Milliarden Dollar exportiert. Führend in diesem Welthandel sind Deutschland, die USA, China, Japan, Frankreich, die Niederlande, Großbritannien, Italien, Kanada und Belgien. Auf diese zehn Staaten entfällt - nach wie vor - etwa die Hälfte der globalen Warenausfuhren. Seit Anfang des 21. Jahrhunderts nimmt der Welthandel dramatisch zu, insbesondere wächst der grenzüberschreitende Austausch von Gütern schneller als die globale Wirtschaft. So legten beispielsweise die Warenexporte 2006 um 9,5 Prozent zu, während sich die Weltwirtschaft "nur" um 5,4 Prozent ausdehnte. Diesen Entwicklungen müssen Maßnahmen gerade auf der europäischen Gemeinschaftsebene noch besser Rechnung tragen. Auf dieser Ebene gilt es Aktivitäten zu entwickeln, die dazu beitragen, die Wettbewerbsfähigkeit der KMU, insbesondere ihre Marktzugangsfähigkeit, ihre Exportfähigkeit und Internationalisierungsbestrebungen, zu unterstützen.
Der Bundesrat sollte darauf drängen, dass hier die EU-Organe noch intensiver mit entsprechenden Maßnahmen auf der Gemeinschaftsebene gegensteuern und ein passgenaueres Maßnahmenpaket ausarbeiten, die Mitgliedstaaten darüber informieren und den Lissabon-Prozess 2008 bis 2010 mit seinem neuen LPG insgesamt noch stärker an den Prozessen der Globalisierung ausrichten.
- 14. Grundsätzlich lässt der Vorschlag für ein neues Lissabon-Programm 2008 bis 2010 aber keine abschließende Bewertung der inhaltlichen Ausgestaltung der geplanten Maßnahmen zur Erreichung der zehn im Programm genannten Ziele zu. Der Bundesrat behält sich daher weitere Stellungnahmen nach Vorliegen entsprechender konkreter Umsetzungsvorschläge vor.
- 15. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, im weiteren Prozess der Umsetzung der erneuerten Lissabon-Strategie die Länder eng einzubeziehen.