Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht über die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips im Jahr 2003
("Subsidiaritätsbericht 2003")

Bundesministerium der Finanzen Berlin, den 27. Januar 2005
Der Bundesminister

An den
Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Matthias Platzeck

Sehr geehrter Herr Präsident,

in der Anlage übersende ich Ihnen den

Das Bundeskabinett hat den Bericht am 17. November 2004 zustimmend zur Kenntnis genommen und seine Zuleitung an den Deutschen Bundestag und an den Bundesrat beschlossen.


Mit freundlichen Grüßen
Hans Eichel
Bundesministerium der Finanzen

Bericht über die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips im Jahr 2003 ("Subsidiaritätsbericht 2003")

I. Überblick

Der Bundesminister der Finanzen legt entsprechend dem Auftrag des Bundeskabinetts vom 12. November 2003 für das Jahr 2003 einen Bericht über die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips durch die Europäische Union vor. Der Bericht schließt an den Subsidiaritätsbericht der Bundesregierung für 2002 vom 30. Oktober 2003 an und erfasst den Zeitraum 1. April 2003 bis 31. März 2004.

Im Mittelpunkt dieses Berichts stehen wie in den Vorjahren die Ergebnisse der Subsidiaritätsprüfungen durch die Bundesressorts und den Bundesrat. Ferner befasst sich der Subsidiaritätsbericht mit dem Bericht der Europäischen Kommission "Bessere Rechtsetzung 2003" vom 17. Dezember 2003 und dessen Bewertung durch die Bundesregierung und den Bundesrat. Darüber hinaus geht der Bericht auf die Neuerungen ein, die sich für die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips mit Inkrafttreten der Europäischen Verfassung durch das dabei geänderte Subsidiaritätsprotokoll der Gemeinschaft ergeben werden.

Die dem Bericht zugrunde liegende Analyse der Rechtsetzungstätigkeit der Gemeinschaft zeigt, dass die Gemeinschaftsorgane sich mehr denn je der großen Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips bewusst sind und sich um seine Beachtung bei der Gemeinschaftsgesetzgebung bemühen. Dies wird zum einen aus der Darstellung der umfangreichen Maßnahmen der Kommission in ihrem Bericht "Bessere Rechtsetzung 2003" und zum anderen aus den Ergebnissen der Subsidiaritätsprüfungen durch die Bundesressorts und den Bundesrat deutlich. Die Bundesressorts haben im Berichtszeitraum nach einer Prüfung von insgesamt 106 Kommissionsvorschlägen für neue Rechtsakte lediglich zehn Vorschläge als teilweise unvereinbar mit dem Subsidiaritätsprinzip bewertet. Der Bundesrat hat bei seinen Subsidiaritätsprüfungen zwar eine größere Zahl von Vorschlägen und sonstigen Maßnahmen beanstandet (insgesamt 15), diese liegt jedoch deutlich unter der Anzahl der im Vorjahr kritisierten Rechtsakte (insgesamt 27). Unter Berücksichtigung der Bemühungen, im Rahmen der noch laufenden Verhandlungen Änderungen zu bewirken, verbleibt jedoch wie schon in den Vorjahren nur eine relativ geringe ZahI, bei denen grundlegende Bewertungsunterschiede zwischen Bundesregierung und Bundesrat zu erkennen sind.

II. Subsidiaritätsprüfungen durch die Bundesressorts und den Bundesrat

1. Rechtliche Grundlagen

Maßstab für die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips durch die Bundesregierung ist die Definition, die Art. 5 Abs. 2 EG-Vertrag enthält. Danach wird die Gemeinschaft in den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen,

"nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen auf der Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können und daher wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können".

Seit dem 1. Januar 1999 legt die Bundesregierung ihrer Prüfung ferner die Leitlinien zugrunde, die in dem "Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit" von 1997 zum EG-Vertrag enthalten sind. Danach (Ziffer 5 des Protokolls)Kommt ein Tätigwerden der Gemeinschaft nur in Betracht,

Die Sachdienlichkeit ihrer Vorschläge hat die Kommission unter dem Aspekt der Subsidiarität ausführlich zu begründen (Art. 253 EG).

Bereits 1992 hat die Bundesregierung für die Prüfung neuer Kommissionsvorschläge unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität ein Prüfraster entwickelt (§ 74 Abs. 1 GGO, Anlagen 9 und 10), das an die materiellen Prüfungsanforderungen aus dem Subsidiaritätsprotokoll angelehnt ist. Die Prüfung durch die Ressorts findet ihren Niederschlag in einem sog. Prüfbogen, der dem EU-Ausschuss des Bundesrates übermittelt wird.

Der Umfang der Prüfung wird durch dieses Prüfraster maßgeblich bestimmt. Danach wird neben formalen Aspekten in materieller Hinsicht von den Ressorts die Subsidiarität gemäß Art. 5 Abs. 2 EG geprüft. Nach dem Prüfraster ist Subsidiarität als "dynamischer Grundsatz" zu verstehen, der sowohl zu einer Beschränkung oder Aussetzung als auch zu einer Ausweitung der Gemeinschaftstätigkeit führen kann. Subsidiarität nach EG-Recht betrifft somit das Ausmaß, in dem die Gemeinschaft die ihr zugewiesenen Kompetenzen ausüben soll.

Geprüft wird ferner auch die Verhältnismäßigkeit einer Maßnahme gemäß Art. 5 Abs. 3 EG. Die Maßnahmen der Gemeinschaft dürfen nach letzterer Vorschrift nicht über das für die Erreichung der Ziele des EG-Vertrages erforderliche Maß hinausgehen (vgl. auch Ziff. 6, S. 2, des Subsidiaritätsprotokolls). Bei der Verhältnismäßigkeit geht es mithin um das "Wie" einer gemeinschaftlichen Kompetenzausübung.

Die Frage, ob die Gemeinschaft überhaupt tätig werden kann, d.h. ob eine Rechtsgrundlage für ihr Handeln im Vertrag besteht, ist hingegen nicht Gegenstand der Prüfung. Ob eine Kompetenz für den Erlass eines neuen gemeinschaftlichen Rechtsaktes besteht, stellt lediglich eine Vorfrage für die Subsidiaritätsprüfung dar: nur im Falle einer "konkurrierenden" oder "parallelen" Gesetzgebungszuständigkeit ist die Subsidiarität zu prüfen, während bei einer ausschließlichen Kompetenz der Gemeinschaft eine Subsidiaritätsprüfung gar nicht unternommen werden kann.

Gegenstand der Prüfung anhand des Prüfrasters sind alle formellen Vorschläge der Europäischen Kommission für neue Rechtsakte (Richtlinien, Verordnungen, Entscheidungen und Empfehlungen). Daneben können auch andere Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaft (z.B. Aktionsprogramme)einbezogen werden, soweit sie darauf angelegt sind, zu Rechtsakten zu führen, und/oder finanzwirksam werden können. Geprüft werden weiterhin Rahmenbeschlüsse und überein Kommen gemäß der 2. und 3. Säule des EU-Vertrages.

Im Rahmen dieser 2. und 3. Säule des EU-Vertrages kann der Rat aber nicht nur auf Vorschlag der Kommission tätig werden, sondern auch auf Initiative eines Mitgliedstaats (Art. 22, 34 Abs. 2 EU). Da das Subsidiaritätsprinzip für alle Maßnahmen der Gemeinschaft, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen (Art. 5 EG), und über Art. 2 S. 2 EU auch für das Handeln der Union gilt, müssen auch Maßnahmen, die nicht auf Vorschlag der Kommission, sondern auf Initiative eines Mitgliedstaats beschlossen werden, mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar sein. Diese Auslegung entspricht auch der Definition eines dem Subsidiaritätsprinzip unterliegenden "Europäischen Gesetzgebungsaktes" gemäß dem neuen, mit Inkrafttreten der Europäischen Verfassung wirksam werdenden Subsidiaritätsprotokolls (siehe unter IV.), die ebenfalls Vorschläge der Mitgliedstaaten erfasst. Daher wurden auch Subsidiaritätsprüfungen, die von den Mitgliedstaaten initiierte Maßnahmen betrafen, in den Bericht einbezogen. Eine entsprechende Anpassung des Prüfrasters im Rahmen der GGO, nach der diese Vorschläge künftig einer systematischen Prüfung unterliegen sollen, wurde bereits durch die Bundesregierung eingeleitet.

Durchführungsakte der Kommission unterfallen in der Regel nicht der Prüfung, da sie auf bereits geprüften und verabschiedeten Basisrechtsakten beruhen. Auch Verwaltungsakte und sonstige Maßnahmen, die nicht legislativen Charakter haben, wie z.B. Mitteilungen, Grün- und Weißbücher der Kommission, werden in diesem Rahmen nicht berücksichtigt. Die Bundesregierung vertritt jedoch wie der Bundesrat grundsätzlich die Auffassung, dass auch Überlegungen und informelle Vorschläge, die in Grün- und Weißbüchern sowie in Mitteilungen und Berichten der Kommission enthalten sind, dem Subsidiaritätsprinzip uneingeschränkt entsprechen sollten, da sie als Vorbereitungsakte für formelle Rechtsetzungsvorschläge in der Praxis meist in konkrete Rechtsakte münden und eine frühzeitige Berücksichtigung dieses Rechtsgedankens daher sinnvoll erscheint. Die Bundesregierung äußert sich deshalb in ihren Stellungnahmen zu Grün- und Weißbüchern entsprechend und bemüht sich im Rahmen der gemeinschaftlichen Verhandlungen über diese informellen Rechtsakte auch um eine Beachtung etwaiger Subsidiaritätsbedenken.

Die Bundesregierung berücksichtigt bei ihrer Prüfung die Stellungnahmen, die der Bundesrat und der Deutsche Bundestag zur Vereinbarkeit neuer Kommissionsvorschläge mit dem Subsidiaritätsprinzip entsprechend den Bestimmungen des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in EU-Angelegenheiten (EUZBLG)bzw. des Gesetzes über die Zusammenarbeit zwischen Bundesregierung und Bundestag in EU-Angelegenheiten (EUZBBG)abgeben. Gemäß § 5 EUZBLG ist sie dazu verpflichtet, Stellungnahmen des Bundesrates bei der Festlegung ihrer Verhandlungsposition maßgeblich zu berücksichtigen, wenn bei einem EG-Vorhaben im Schwerpunkt Gesetzgebungsbefugnisse der Länder betroffen sind und der Bund kein Recht zur Gesetzgebung hat oder ein EG-Vorhaben im Schwerpunkt die Einrichtung der Behörden der Länder oder ihre Verwaltungsverfahren betrifft. In anderen Fällen ist die Bundesregierung verpflichtet, die Auffassung des Bundesrates zu berücksichtigen, nicht jedoch dazu, sie zu übernehmen.

2. Subsidiaritätsprüfung durch die Bundesressorts

Die systematische Prüfung der im Berichtszeitraum vorgelegten Vorschläge der Kommission für neue Rechtsakte durch die Bundesressorts hat ergeben, dass die ZahI der Vorschläge, die geprüft wurden und bei denen ein Verstoß festgestellt wurde, zwar gestiegen ist (vgl. Tabelle in der Anlage). Nach wie vor handelt es sich dabei aber nur um eine geringe Anzahl: Die Ressorts haben im Berichtszeitraum 106 neue Vorschläge der Kommission. auf Verstöße gegen das Subsidiaritätsprinzip geprüft (im Vorjahr: 93 Vorschläge). Vertieft geprüft wurden 14 neue Vorschläge (im Vorjahr: fünf Vorschläge). Davon wurden in zehn Fällen Bedenken festgestellt, die nicht bzw. noch nicht vollständig ausgeräumt worden sind (im Vorjahr: vier Vorschläge).

Dabei muss aber berücksichtigt werden, dass diese zehn Vorschläge, bei denen noch Subsidiaritätsbedenken bestehen, vom Rat noch nicht verabschiedet wurden. Die Bundesregierung ist in diesen Fällen weiterhin bestrebt, die Bedenken durch Verhandlungen zu beseitigen. Im Einzelnen handelt es sich um folgende Rechtsakte:

In vier Fällen wurden zunächst Bedenken von der Bundesregierung geäußert. Durch Verhandlungen konnten diese Bedenken jedoch ausgeräumt werden. Es handelt sich um folgende Vorschläge:

3. Subsidiaritätsprüfung durch den Bundesrat

a)Vom Bundesrat geprüfte Vorschläge für Rechtsakte

Der Bundesrat hat im Berichtszeitraum 15 neue Rechtsetzungsvorschläge wegen Bedenken im Hinblick auf das Subsidiaritätsprinzip gerügt (im Vorjahr 27):

(BR-Beschluss 327/03 (PDF) )

(BR-Beschluss 589/03 (PDF) )

(BR-Beschluss 590/03 (PDF) )

(BR-Beschluss 770/03 (PDF) )

(BR-Beschluss 618/03 (PDF) )

(BR-Beschluss 649/03 (PDF) )

(BR-Beschluss 718/03 (PDF) )

(BR-Beschluss 919/03 (PDF) )

(BR-Beschluss 850/03 (PDF) )

(BR-Beschluss 299/03 (PDF) )

(BR-Beschluss 019/04 (PDF) )

(BR-Beschluss 887/03 (PDF) )

(BR-Beschluss 067/04 (PDF) )

(BR-Beschluss 068/04 (PDF) )

b)Sonstige Beanstandungen durch den Bundesrat

Der Bundesrat hat ferner in 13 Fällen zu nicht legislativen Maßnahmen der Kommission - wie Mitteilungen, Berichte, Grünbücher - unter Subsidiaritätsgesichtspunkten Stellung genommen (im Vorjahr acht).

4. Unterschiede bei der Beurteilung durch Bundesregierung und Bundesrat

Insgesamt ergibt sich eine große Übereinstimmung bei der Bewertung von Kommissionsvorschlägen durch Bundesregierung und Bundesrat. So teilt die Bundesregierung in sieben Fällen explizit die vom Bundesrat geäußerten Subsidiaritätsbedenken. Die Bedenken richten sich zum einen vor allem gegen Maßnahmen, die infrastrukturelle Einrichtungen zum Gegenstand haben und damit in die innere Organisation der Mitgliedstaaten eingreifen (z.B.. Einrichtung einer unabhängigen Infrastrukturaufsichtsbehörde bei der geplanten Richtlinie über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Verkehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge oder die Schaffung eines Behördensystems zur Durchsetzung von Verbraucherschutzgesetzen im Falle einer Verordnung über die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz). Zum anderen betreffen sie Maßnahmen, die auch reine Inlandssachverhalte regeln sollen (so etwa im Falle der Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens oder bei der Regelung von Haftungsfragen für Verlust oder Beschädigung von Gütern auch im rein innerstaatlichen Schienengüterverkehr).

Nur in zwei Fällen weicht die Bundesregierung ausdrücklich vom Votum des Bundesrates ab. In einem dieser beiden Fälle bezog sich die Bewertung des Bundesrates auf einen überholten Verordnungsvorschlag, während die letztlich verabschiedete Fassung den Bedenken des Bundesrates voll Rechnung trug (Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Errichtung eines Europäischen Zentrums für die Prävention und die Bekämpfung von Seuchen); insofern lag. kein echter Dissens zwischen Bundesregierung und Bundesrat vor. Im anderen Fall unterstützte die Bundesregierung unter anderem aus Sicherheitsgründen den Verordnungsvorschlag der Kommission (Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Anwendung des Internationalen Codes für Maßnahmen zur Organisation eines sicheren Schiffsbetriebs innerhalb der Gemeinschaft).

Bei den restlichen sechs vom Bundesrat beanstandeten Vorschlägen hat seitens der Bundesregierung eine Subsidiaritätsprüfung nicht statt gefunden, da aus Sicht der betroffenen Ressorts Anhaltspunkte für Bedenken nicht bestanden. In diesem Zusammenhang muss aber berücksichtigt werden, dass die Bundesregierung gleichzeitig zahlreiche Kommissionsvorschläge einer Subsidiaritätsprüfung unterzogen (insgesamt 93 mehr als der Bundesrat)und Bedenken geäußert hat, die vom Bundesrat nicht beanstandet worden waren.

Keiner der Vorschläge, bei denen Subsidiaritätsbedenken des Bundesrates von der Bundesregierung nicht geteilt wurden, betrifft Vorhaben, die im Schwerpunkt Gesetzgebungsbefugnisse der Länder, die Einrichtung ihrer Behörden oder ihre Verwaltungsverfahren betreffen. In diesen Fällen ist die Bundesregierung gemäß § 5 Abs. 2 EuZBLG verpflichtet, die Auffassung der Länder maßgeblich zu berücksichtigen, soweit nicht gesamtstaatliche Interessen entgegenstehen.

Unabhängig von diesen Bewertungsunterschieden berücksichtigt die Bundesregierung die vom Bundesrat geäußerten Subsidiaritätsbedenken so weit wie möglich und führt sie in die Beratungen der Ratsgremien ein. Dementsprechend hat die Bundesregierung bereits die Bedenken hinsichtlich der in den BR-Beschlüssen 327/03 (PDF) , 598/03 (PDF) , 590/03 (PDF) , 919/03 (PDF) genannten Kommissionsvorschlägen bei den noch laufenden Verhandlungen im Rat mehrfach deutlich gemacht. Diese Verhandlungen erfolgen zum Teil in enger Abstimmung mit den Ländern. Mehrfach konnte die Bundesregierung dort Nachbesserungen bezüglich beanstandeter Regelungen erreichen. Andere vom Bundesrat unter Subsidiaritätsgesichtspunkten kritisierte Vorschläge wurden bislang im Rat noch nicht beraten. Die Bundesregierung wird sich aber auch hier für eine Beachtung des Subsidiaritätsprinzips einsetzen.

Soweit die Beanstandungen des Bundesrates auch Berichte, Mitteilungen, Grün- und Weißbücher betreffen, sind diese in der Aufstellung der Bundesregierung nicht enthalten (siehe unter II.1 sowie unter IV.), da eine formelle Subsidiaritätsprüfung hier nicht stattfindet.

5. Stellungnahmen des Bundestages

Mehrere Ausschüsse des Bundestages - so der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union sowie der Unterausschuss Europarecht des Rechtsausschusses - haben sich im Berichtsjahr im Zusammenhang mit dem Subsidiaritätsbericht der Bundesregierung für 2002 und dem Rechtsetzungsbericht der Kommission für 2003 mit dem Thema Subsidiarität befasst. Die vorgenannten Berichte wurden zur Kenntnis genommen.

III. Jahresbericht "Bessere Rechtsetzung 2003" der Europäischen Kommission

Die Europäische Kommission hat dem Europäischen Rat am 12. Dezember 2003 den Jahresbericht "Bessere Rechtsetzung 2003" gemäß Artikel 9 des Protokolls über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit übermittelt ( KOM (2003) 770 endg.). Die Kommission berichtet darin über die Durchführung des Aktionsplanes "Vereinfachung und Verbesserung des Regelungsumfeldes" im Jahre 2003 und über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit. Die Bundesregierung hatte den vorangegangenen Jahresbericht der Kommission von 2002 in ihrem Subsidiaritätsbericht 2002 ausgewertet. Der Bundesrat hat mit Beschluss vom 12. März 2003 zum Rechtsetzungsbericht der Kommission Stellung genommen. Im Folgenden setzt sich die Bundesregierung mit dem neuen Jahresbericht der Kommission kritisch auseinander.

1. Inhalt des Kommissionsberichtes

Im Einzelnen behandelt die Kommission in ihrem Bericht

- Maßnahmen auf der Ebene der Gemeinschaftsorgane

Mitteilung der Kommission von Dezember 2002 in Bezug auf den Aktionsplan "Wissenschaft und Gesellschaft" ( KOM (2002) 713 ) enthalten, der im Kern die Erweiterung und Systematisierung der Einholung von Expertenwissen betrifft, zum Beispiel durch das elektronische Netz SINAPSE, das 2004 in eine Pilotphase eintritt.

Im Februar 2003 wurde außerdem der Aktionsrahmen "Aktualisierung und Vereinfachung des Acquis communautaire" ( KOM (2003) 71)beschlossen, der kurze und mittelfristige Maßnahmen zur Verringerung des Umfangs des Gemeinschaftsrechts (Kodifizierung und Eliminierung veralteter Vorschriften)vorsieht und sicherstellen soll, dass die Gemeinschaftsvorschriften klar, verständlich und aktuell sind. Nach der ersten Phase der Durchführung zeigen sich laut Kommission zwar Schwachstellen des Aktionsrahmens bei kurz- bis mittelfristigen Maßnahmen zur Verringerung des Umfangs des Gemeinschaftsrechts. Insgesamt laufe der eingeleitete Prozess aber gut an.

Erhöhte Aufmerksamkeit muss laut Kommission der Wahl ihrer Instrumente zu Kommen. Die Richtlinien sollten wieder der ursprünglichen Definition entsprechen und auf die Festlegung eines rechtlichen Rahmens und eines Zieles begrenzt werden. Außerdem schlägt die Kommission die Nutzung von "Alternativinstrumenten" vor, die zwar im Vertrag nicht vorgesehen sind, die als "Soff law"-Instrumente aber neben den klassischen Instrumenten wie Verordnungen und Richtlinien zum Einsatz Kommen sollen. Ferner soll mehr Gebrauch von Europäischen Agenturen, insbesondere Regulierungsagenturen, gemacht werden, die eine unmittelbare und formale Rolle in der Rechtsetzung der Gemeinschaft spielen sollen. Schließlich empfiehlt die Kommission den Abschluss von Verträgen und Vereinbarungen zwischen der Gemeinschaft, den Mitgliedstaaten und den lokalen Gebietskörperschaften, durch die subnationale Stellen zur Durchführung bestimmter Maßnahmen ermächtigt werden, um den regionalen Rahmenbedingungen bei der Gestaltung und Durchführung der Gemeinschaftspolitik Rechnung zu tragen.

Im Hinblick auf die Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts beschreibt die Kommission verschiedene Maßnahmen, die sie zur Verbesserung der Überwachung einer ordnungsgemäßen Umsetzung eingeführt bzw. weitergeführt hat. Dies sind z.B. Konkordanztabellen, der elektronisch geführte Zeitplan für die Umsetzung von Richtlinien, die Datenbank ASMODEE II und der jährliche Bericht über die Kontrolle der Anwendung des Gemeinschaftsrechts ( KOM (2003) 669 ).

Des Weiteren plant die Kommission die verstärkte Aufnahme von Überprüfungsklauseln in die Rechtsakte. Dadurch soll eine regelmäßige Aktualisierung und Anpassung der Rechtsvorschriften gewährleistet werden. Ferner behält sich die Kommission das Recht " vor, nicht mehr aktuelle Vorschläge wieder zurückzuziehen. Die redaktionelle Qualität von Rechtsakten soll durch gemeinsame Leitlinien der Organe für die Abfassung von Rechtstexten verbessert werden.

c)Im Hinblick auf Maßnahmen der Gemeinschaftsorgane weist die Kommission auf das Erfordernis einer engen Zusammenarbeit zwischen allen beteiligten Institutionen zur Verbesserung der Gemeinschaftsrechtsqualität hin. Daher haben sich der Rat, das Europäische Parlament und die Kommission Ende 2003 auf die Interinstitutionelle Vereinbarung "Bessere Rechtsetzung" geeinigt, deren Hauptziele darin bestehen, die Qualität der Gemeinschaftsvorschriften und deren Umsetzung in nationales Recht zu verbessern. Dabei sind als Schlüsselelemente die Verbesserung der interinstitutionellen Koordinierung der Rechtsetzungstätigkeit und der Transparenz, die Schaffung eines stabilen Rahmens für die "Soft-Law"-Instrumente, der verstärkte Einsatz von Folgeabschätzungen im gemeinschaftlichen Entscheidungsprozess und die Verpflichtung zur Festsetzung einer möglichst kurzen, bindenden Frist für die Umsetzung von Richtlinien zu nennen.

d)Bezogen auf die Mitgliedstaaten stellt die Kommission die wichtigsten Initiativen dar, die seitens der Mitgliedstaaten mit dem Ziel einer besseren Rechtsetzung ergriffen worden sind. Gleichzeitig fordert die Kommission die Mitgliedstaaten auf, konkrete Maßnahmen zur Vereinfachung und Verbesserung des europäischen Regelungsfeldes zu benennen. Insgesamt beurteilt die Kommission die Praktiken und Leistungen der Mitgliedstaaten in diesem Zusammenhang noch sehr unterschiedlich. Dabei räumt sie jedoch ein, dass es mangels einer gemeinsamen Methodologie schwierig ist, definitive Informationen über die Ergebnisse in den Mitgliedstaaten zu erfassen und zu bewerten.

f)Die Kommission betont in ihrem Bericht nochmals den dynamischen Charakter des Subsidiaritätsprinzips, das je nach Entwicklung auf mitgliedstaatlicher Ebene sowohI zu Erweiterungen als auch zu Beschränkungen der Tätigkeit der Gemeinschaft führen kann. Sie setzt sich kurz mit dem überarbeiteten Subsidiaritätsprotokoll auseinander, wie es der Europäische Konvent im Juli 2003 vorgelegt hat.

Schließlich stellt die Kommission die Auswirkungen des Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprinzips auf das Handeln der Union anhand einiger Beispiele dar:

Erweiterung des Tätigkeitsbereichs nach sich ziehen (Richtlinienvorschlag zur

Sicherheit von Tunneln im transeuropäischen Straßennetz, KOM (2002) 769 ).

kann, zeigte die Kommission mit einem Fall aus dem Verbraucherschutz (überarbeitung Richtlinie 75/106/EWG , Richtlinie 80/232/EWG ).

Auch die Auswirkungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit werden an Beispielen verdeutlicht:

Im Rahmen der Rechtsetzung haben der Rat und das Europäische Parlament nur wenige Änderungen von Kommissionsvorschlägen auf Grund der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit verlangt. Als Vertretung der Mitgliedstaaten war besonders der Rat auf eine enge Auslegung der Grundsätze bedacht, doch konnten unterschiedliche Auffassungen durch interinstitutionellen Dialog ausgeräumt werden.

Insgesamt zieht die Kommission eine positive Bilanz ihrer Anstrengungen zur Verbesserung der Qualität von Rechtsvorschriften und des Zugangs zu ihnen. Zwar basiere der Bericht nur auf ersten Erfahrungen aus den Jahren 2003 und 2004. Eine Notwendigkeit zur grundlegenden überprüfung ihrer Leitlinien kann die Kommission aus dieser Bestandsaufnahme trotz einiger konkreter Schwachpunkte und Defizite bei der Umsetzung aber nicht erkennen.

Eine Bestätigung ihrer Sichtweise sieht die Kommission schließlich in der geringen Zahl der beim Gerichtshof erhobenen Klagen, in denen ein Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip geltend gemacht wurde, und in der Tatsache, dass die Organe der Union in keinem Fall wegen eines solchen Verstoßes verurteilt wurden.

2. Bewertung des Kommissionsberichts durch die Bundesregierung

Die Bundesregierung begrüßt, dass sich die Kommission in ihrem Rechtsetzungsbericht 2003 weiterhin intensiv mit den Grundsätzen der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit auseinandergesetzt und dass sie umfangreiche neue Maßnahmen zur Verbesserung der Qualität des Gemeinschaftsrechtes aufgezeigt hat. Insbesondere ist der im Jahr 2002 verabschiedete Aktionsplan "Vereinfachung und Verbesserung des Regelungsumfelds" hervorzuheben, mit dem sich die Kommission zur Umsetzung konkreter Schritte zur Verbesserung der Rechtsetzung verpflichtet hat.

Wie schon in den Vorjahren bedauert die Bundesregierung jedoch erneut, dass auch der Rechtsetzungsbericht 2003 keine klaren Kriterien aufstellt, aufgrund derer sich die Prüfung des Subsidiaritäts- und des Verhältnismäßigkeitsprinzips nachvollziehen lässt. Auch fehlt es an einer systematischen übersicht über die Anwendung des Subsidiaritäts- und des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Stattdessen beschränkt sich die Kommission weitgehend auf die beispielhafte Darstellung einzelner Fälle. Positiv ist in diesem Zusammenhang allerdings hervorzuheben, dass die Kommission erstmalig auch eine "umgekehrte Anwendung" des Subsidiaritätsprinzips dokumentiert hat, d.h. die Rücknahme eines existierenden Gemeinschaftsrechtsaktes wegen Subsidiaritätsbedenken.

Die Bundesregierung erkennt die großen Anstrengungen der Kommission beim Aufbau und der Durchführung von Folgenabschätzungen für neue Regelungsvorhaben an. So tragen die

Einbeziehung von Expertenwissen und Folgenabschätzungen verstärkt zur Vermeidung von Fehlern bei, die sonst erst in späteren Arbeitsschritten gefunden und aus den Entwürfen gestrichen werden müssten. Das gegenwärtig praktizierte System weist aber noch zahlreiche Schwächen auf, insbesondere hinsichtlich der methodischen Grundlagen und der geringen Anzahl durchgeführter Folgenabschätzungen, die noch zu beheben sind.

Die Verabschiedung der Interinstitutionellen Vereinbarung Bessere Rechtsetzung wird begrüßt. Die Aktivitäten zwischen Kommission, Rat und Parlament zur Verbesserung der Rechtsetzung können so verstetigt, vereinheitlicht und transparenter gestaltet werden.

Insgesamt hat das Bemühen der Kommission auch zu konkreten Verbesserungen geführt:

Dies zeigt sich. an dem aus Sicht der Bundesregierung positiv zu bewertenden Rückgang des Umfangs der jährlichen Rechtsetzungstätigkeit in den vergangenen Jahren. So blieb die Anzahl neuer Rechtsakte im zweiten Jahr in Folge deutlich unter 400 Vorschlägen (gegenüber knapp 800 in 1990).

Unter dem Gesichtspunkt der Verfahrensgerechtigkeit positiv zu bewerten sind die von der Kommission eingeführten Mindeststandards für öffentliche Konsultationen, die auf wichtige Initiativen Anwendung finden sollen.

Die Kommission ruft im Bericht die Mitgliedstaaten auf, parallel zu den Initiativen der EU Maßnahmen zur Verbesserung der Rechtsetzung auch in den Mitgliedstaaten zu initiieren. Die Bundesregierung begrüßt diese Forderung und verfolgt hier schon seit längerer Zeit eine Reihe von nationalen Maßnahmen.

Ergänzend zu den Handreichungen zur Folgenabschätzung wird derzeit eine weitere praxisorientierte Arbeitshilfe entwickelt, deren Schwerpunkt insbesondere bei der Ermittlung der Kostenfolgen neuer Regelungsvorhaben liegt.

Ferner werden über die Initiative Bürokratieabbau staatliche Hemmnisse für Wirtschaft, Bürgerinnen und Bürger reduziert sowie in einem umfassenden Programm das Bundesrecht bereinigt.

3. Bewertung des Kommissionsberichts durch den Bundesrat

Der Bundesrat hat sich in seiner 797. Sitzung am 12. März 2004 mit dem Rechtsetzungsbericht der Kommission für 2003 beschäftigt und dazu folgende Aussagen beschlossen:

IV. Das neue Subsidiaritätsprotokoll nach der Europäischen Verfassung

Mit Inkrafttreten der Europäischen Verfassung wird das Subsidiaritätsprotokoll von 1997 zahlreichen, vor allem prozeduralen Änderungen unterliegen. Die jetzige als Anhang zur Europäischen Verfassung vorgesehene Fassung entspricht weitgehend dem vom Europäischen Konvent am 18. Juli 2003 vorgelegten Verfassungsentwurf (CONV 850/03 (PDF) ), der bereits im Subsidiaritätsbericht 2002 vorgestellt wurde.

Danach soll insbesondere ein neues Verfahren in Form eines Frühwarnsystems zur überprüfung des Subsidiaritätsprinzips eingeführt werden (Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit, Ziffer 3 ff.; Protokoll über die Rolle der nationalen Parlamente in der Europäischen Union, Ziffer 3). Die Kommission muss nach dem Entwurf künftig alle ihre Vorschläge und geänderten Vorschläge für einen Gesetzgebungsakt gleichzeitig dem Unionsgesetzgeber und den nationalen Parlamenten der Mitgliedstaaten übermitteln. Jedes nationale Parlament eines Mitgliedstaats oder jede Kammer eines nationalen Parlaments kann dann binnen sechs Wochen in einer begründeten Stellungnahme an die Präsidenten des Europäischen Parlaments, des Ministerrats und der Kommission Subsidiaritätsbedenken darlegen. Dabei obliegt es dem jeweiligen Parlament bzw. der Kammer, ggf. die regionalen Parlamente mit Gesetzgebungsbefugnissen zu konsultieren. Die Stellungnahmen sind vom Europäischen Parlament, vom Ministerrat und von der Kommission grundsätzlich zu berücksichtigen. Die Kommission muss ihren Vorschlag überprüfen, wenn ein Drittel (bzw. in bestimmten Fällen ein Viertel)der nationalen Parlamente und Kammern nationaler Parlamente der Ansicht ist, der Kommissionsvorschlag verstoße gegen das Subsidiaritätsprinzip.

Weiterhin werden erstmalig Gesetzgebungsvorhaben, die dem Subsidiaritätsprinzip unterliegen, gemeinschaftsrechtlich definiert sein. Im Sinne dieses Protokolls bezeichnet "Entwurf eines Europäischen Gesetzgebungsaktes" die Vorschläge der Kommission, die Initiativen einer Gruppe von Mitgliedstaaten, die Initiativen des Europäischen Parlaments, die Anträge des Gerichtshofs, die Empfehlungen der Europäischen Zentralbank und die Anträge der Europäischen Investitionsbank, die den Erlass eines Europäischen Gesetzgebungsaktes zum Ziel haben. Hierunter werden also auch Initiativen der Mitgliedstaaten nach der zweiten und dritten Säule des EU-Vertrages fallen. Unverbindliche Rechtsakte dürften dagegen jedenfalls keiner formellen Subsidiaritätsprüfung im Sinne des Protokolls unterliegen, da sie nicht unmittelbar den Erlass eines Europäischen Gesetzgebungsaktes zum Ziel haben, sondern lediglich seiner Vorbereitung dienen.

Ferner sieht das neue Subsidiaritätsprotokoll erstmals eine Zuständigkeit des Gerichtshofs für Klagen wegen Verstoßes eines Gesetzgebungsakts gegen das Subsidiaritätsprinzip vor, die gemäß der jeweiligen innerstaatlichen Rechtsordnung von einem Mitgliedstaat im Namen seines nationalen Parlaments oder einer Kammer dieses Parlaments übermittelt werden (Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit, Ziffer 7). Entsprechende Klagen sollen künftig auch vom Ausschuss der Regionen in Bezug auf Gesetzgebungsakte erhoben werden können, für deren Annahme die Anhörung des Ausschusses der Regionen nach der Verfassung vorgeschrieben ist.

V. Gesamtbewertung