Stellungnahme des Bundesrates
Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union
(Europäisches Haftbefehlsgesetz - EuHbG)

Der Bundesrat hat in seiner 820. Sitzung am 10. März 2006 beschlossen, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Abs. 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:

1. Zu Artikel 1 Nr. 3 (§ 40 Abs. 2 Nr. 1 IRG)

Artikel 1 Nr. 3 ist zu streichen.

Begründung

§ 40 Abs. 2 Nr. 1 IRG-E beruht auf einem Fehlverständnis der im Zulässigkeitsverfahren vorzunehmenden Prüfung und ist ohne eigenständigen Regelungsbereich.

Der Bundesrat hatte bereits seinerzeit in der Begründung zur Anrufung des Vermittlungsausschusses zu Artikel 1 Nr. 2a des Europäischen Haftbefehlsgesetzes vom 21. Juli 2004, der eine identische Regelung enthielt, ausgeführt (BR-Drs. 196/04(B) HTML PDF , S. 1):

"Mit der Neufassung des § 40 Abs. 2 Nr. 1 IRG soll die Pflichtverteidigerbestellung ausgeweitet werden, wenn Zweifel bestehen, ob Straftaten im Ausland zu den Straftaten gehören, bei denen es auf die Strafbarkeit in Deutschland nicht mehr ankommt. Die Ausweitung ist zum einen nicht veranlasst. Schon nach geltendem Recht ist ein Pflichtverteidiger dann zu bestellen, wenn "wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Beistands geboten ist". Nachdem es nach nahezu einhelliger Meinung in der Europäischen Union grundsätzlich dem um Auslieferung ersuchenden Staat obliegt, zu beurteilen, ob ein Delikt nach seinem Recht zu den Straftaten gehört, bei denen es nach dem Rahmenbeschluss auf die Strafbarkeit im ersuchten Staat nicht mehr ankommt, macht die Ergänzung zum anderen keinen Sinn."

Dies gilt auch weiterhin. Es besteht kein Regelungsbedürfnis.

2. Zu Artikel 1 Nr. 4 (§ 73 Satz 3 - neu - IRG)

In Artikel 1 Nr. 4 ist § 73 folgender Satz anzufügen:

Begründung

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist bei der Auslieferung von Deutschen von besonderer Bedeutung. Er muss im Gesetz ausdrücklich angesprochen werden. Die Regelungstechnik lehnt sich an § 97 Abs. 5 Satz 2 StPO an.

3. Zu Artikel 1 Nr. 8 (§ 79 Abs. 2 Satz 1 IRG)

In Artikel 1 Nr. 8 ist § 79 Abs. 2 Satz 1 wie folgt zu fassen:

Begründung

§ 79 IRG-E sieht für Auslieferungsersuchen aus der Europäischen Union ein Verfahren vor, in dem das Oberlandesgericht entweder zugleich mit der Zulässigkeit der Auslieferung (Absatz 2) oder nachträglich auf Antrag (Absatz 3) über die Rechtmäßigkeit der Verneinung von Bewilligungshindernissen befindet.

Damit werden an den unionsinternen Auslieferungsverkehr höhere Anforderungen gestellt als an den übrigen vertraglichen wie vertraglosen, denn weder in den allgemeinen Vorschriften des zweiten Teils des IRG noch in für Deutschland verbindlichen Auslieferungsübereinkommen gibt es eine vergleichbare Regelung.

Es gibt keine sachliche Rechtfertigung dafür, den Auslieferungsverkehr innerhalb einer Wertegemeinschaft mit so engen politischen und rechtlichen Verbindungen wie der Europäischen Union generell Restriktionen zu unterwerfen, wie sie noch nicht einmal für Staaten gelten, zu denen keinerlei vertragliche Beziehungen im Bereich der Auslieferung bestehen. Insbesondere folgen diese nicht aus Artikel 16 Abs. 2 Satz 1 GG oder anderen verfassungsrechtlichen Bestimmungen und Grundsätzen. Vielmehr hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 18. Juli 2005 zu dem Europäischen Haftbefehlsgesetz vom 21. Juli 2004 eine gerichtliche Überprüfbarkeit der Bewilligungsentscheidung lediglich für deutsche Staatsangehörige gefordert und dabei ausdrücklich mit der "verfassungsrechtlich begründeten Schutzpflicht gegenüber deutschen Staatsangehörigen" argumentiert (vgl. BVerfG, 2 BvR 2236/04, insbesondere Rnr. 113 und 119).

Es ist daher von Verfassungs wegen lediglich geboten, die Bewilligung der Auslieferung deutscher Staatsangehöriger justiziabel zu gestalten. Umgekehrt ist es weder verfassungsrechtlich zwingend noch sachgerecht, das in § 79 Abs. 2 und 3 IRG-E vorgesehene Verfahren auf die Auslieferung ausländischer Staatsangehöriger an andere EU-Mitgliedstaaten zu erstrecken. Der Änderungsvorschlag trägt dem Rechnung. Durch die Inbezugnahme von § 79 Abs. 2 Satz 1 IRG-E in Absatz 3 wird auch hinreichend deutlich, dass die gerichtliche Überprüfbarkeit später eingetretener oder bekannt gewordener Umstände ebenfalls nur bei Ersuchen um die Auslieferung deutscher Staatsangehöriger zulässig ist.

4. Zu Artikel 1 Nr. 8 (§ 79 Abs. 2 IRG)

In Artikel 1 Nr. 8 ist § 79 Abs. 2 wie folgt zu ändern:

Begründung

Es stellt ein gewisses Novum da, dass das Oberlandesgericht mit einer beabsichtigten Entscheidung konfrontiert wird. Vor diesem Hintergrund erscheint es angebracht, ausdrücklich klarzustellen, dass § 33 StPO gilt. Darüber hinaus muss im Fall der vereinfachten Auslieferung klargestellt werden, dass es auch hier keiner Begründung bedarf. In der Einzelbegründung zu § 79 IRG-E (BR-Drs. 070/06 (PDF) , S. 27) wird dies auch so gesehen.

5. Zu Artikel 1 Nr. 8 (§ 79 Abs. 3 Satz 2 - neu - , 3 - neu - IRG)

In Artikel 1 Nr. 8 sind § 79 Abs. 3 folgende Sätze anzufügen:

Begründung

Der Verfolgte kann von seinem Recht auf Überprüfung der Bewilligungsentscheidung nur Gebrauch machen, wenn er die hierfür maßgeblichen Tatsachen auch kennt. Es bedarf deshalb der Klarstellung im Gesetzestext selbst - und nicht nur in der Entwurfsbegründung -, dass er von der Bewilligungsbehörde über für die Bewilligungsentscheidung relevanten Tatsachen zu informieren ist.

6. Zu Artikel 1 Nr. 8 (§ 80 Abs. 1, 2 IRG)

In Artikel 1 Nr. 8 ist § 80 wie folgt zu ändern:

Begründung

§ 80 Abs. 2 und 3 IRG-E ist unübersichtlich und genügt dem Bestimmtheitsgebot kaum. Insbesondere ist das in Absatz 1 Nr. 2 und Absatz 2 Nr. 2 enthaltene Abgrenzungskriterium des "maßgeblichen Bezugs" zum ersuchenden Mitgliedstaat bzw. zum Inland zu unbestimmt. Insoweit greift der Entwurf auf eine Formulierung zurück, die das Bundesverfassungsgericht zur Umschreibung der verfassungsrechtlichen Grenzen der Auslieferung deutscher Staatsangehöriger verwendet hat, ohne sie hinreichend näher zu konkretisieren. Zu mehr Rechtsklarheit führt es außerdem, wenn die derzeit als Regelbeispiele formulierten Kriterien als Tatbestandsmerkmale gefasst werden.

In seiner Entscheidung vom 18. Juli 2005 (2 BvR 2236/04) hat das Bundesverfassungsgericht ein gesetzliches Prüfungsprogramm nur für die Fallkonstellation des Handelns im Inland mit ganz oder teilweise im Ausland eingetretenem Erfolg vorgeschrieben. Im Übrigen hat es das Gericht ausdrücklich in das Ermessen des Gesetzgebers gestellt, die durch Artikel 4 Nr. 7 Buchstabe a des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl eröffneten Spielräume innerhalb der verfassungsrechtlichen Grenzen durch tatbestandliche Konkretisierungen auszufüllen. Von dieser Möglichkeit sollte Gebrauch gemacht werden.

Die Vorschrift wird übersichtlicher und klarer, wenn dieser Weg im Rahmen des europarechtlich Zulässigen begangen wird.

Vorzuziehen ist eine an den Forderungen des Bundesverfassungsgerichts in dessen o.g. Urteil orientierte, auf das Notwendige reduzierte Fassung, wie sie der vorliegende Änderungsvorschlag enthält:

Absatz 1 geht von der grundsätzlichen Zulässigkeit der Auslieferung Deutscher aus, wenn die allgemeinen Auslieferungsvoraussetzungen vorliegen und sonstige Auslieferungshindernisse nicht bestehen. Ferner dürfen die in Absatz 1 Nr. 1 und 3 genannten besonderen Auslieferungshindernisse nicht eingreifen.

Absatz 1 Nr. 1 beruht auf folgenden Erwägungen:

Wenn die Tat keinen maßgeblichen Bezug der Tat zum ersuchenden Mitgliedstaat aufweist sollte eine Auslieferung Deutscher nicht erfolgen. Besteht ein maßgeblicher Bezug zu einem Drittstaat, gibt es ebenfalls keinen sachlichen Grund, der Verfolgung in einem anderen Staat, zu dem die Tat keinen maßgeblichen Bezug hat, den Vorrang einzuräumen. Betreibt auch der EU-Mitgliedstaat, zu dem die Tat maßgeblichen Bezug hat, die Auslieferung, verdient dieses Ersuchen den Vorrang. In den anderen Fällen sollte eine Verfolgung im Inland erfolgen. Dies gilt insbesondere auch in dem Fall, dass die Tat maßgeblichen Bezug zu einem Staat hat, der der EU nicht angehört und an den deshalb ein deutscher Staatsbürger nicht ausgeliefert werden kann. In diesem Fall besteht ein schutzwürdiges Vertrauen, dass die Verfolgung allenfalls im Inland erfolgt.

Auf Grund ihrer Schwerpunkte in Tathandlung und Taterfolg sollen sich typischerweise als Inlandsdelikte darstellende Straftaten regelmäßig nicht zur Auslieferung berechtigen. Eine Ausnahme soll lediglich für Verbrechen und schwere Vergehen transnationaler Dimension gelten, die nach der Art und Weise ihrer Begehung typischerweise keine Rücksicht auf nationale Grenzen nehmen. Zur Vermeidung von Unzuträglichkeiten sollte in diesen Fällen am Erfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit festgehalten werden. Bei terroristischen Verfahren und solchen der international agierenden Organisierten Kriminalität wird dies die Auslieferung nicht hindern.

Mit der vorgeschlagenen Formulierung des Absatzes 1 Nr. 2 wird einer weiteren Forderung des Bundesverfassungsgerichts Rechnung getragen. Dieses hat in seiner Entscheidung vom 18. Juli 2005 ausgeführt:

"Die bloße Zusage einer Rücküberstellung ist insoweit unzureichend, weil damit noch nichts über die Möglichkeit der Strafverbüßung in Deutschland gesagt ist" (vgl. BVerfG, a.a.O., Rnr. 100).

Im Hinblick auf diese vom Bundesverfassungsgericht gesehene Schutzlücke erscheint es erforderlich, die Auslieferung auch davon abhängig zu machen, dass eine Strafvollstreckung im Inland möglich ist. Dies setzt nach der gegenwärtigen Fassung des § 49 Abs. 1 Nr. 3 IRG voraus, dass die Tat auch im Inland strafbar ist. Die Konsequenz ist, dass jedenfalls bei Auslieferungsersuchen gegen Deutsche auch bei Katalogtaten im Hinblick auf die Frage einer späteren Vollstreckung im Inland die beiderseitige Strafbarkeit geprüft werden müsste wenn sich aus dem mitgeteilten Sachverhalt Zweifel daran ergeben, dass eine Strafbarkeit nach deutschem Recht vorliegen würde (so bereits OLG Stuttgart, NJW 2005, 1522). Sichergestellt werden kann die Rücküberstellung in allen denkbaren Konstellationen nur bei einer Änderung des § 49 Abs. 1 Nr. 3 IRG.

Absatz 1 Nr. 3 stellt die vom Bundesverfassungsgericht eingeforderte konkrete Abwägung im Einzelfall sicher. Insoweit hat das Bundesverfassungsgericht (a.a.O., Rnr. 87) angeführt:

"In diesen Fällen werden insbesondere das Gewicht des Tatvorwurfs und die praktischen Erfordernisse und Möglichkeiten einer effektiven Strafverfolgung mit den grundrechtlich geschützten Interessen des Verfolgten unter Berücksichtigung der mit der Schaffung eines Europäischen Rechtsraums verbundenen Ziele zu gewichten und zueinander ins Verhältnis zu setzen sein."

Berücksichtigt werden müssen insbesondere die Interessen der verfolgten Deutschen. Die Formulierung lehnt sich an § 97 Abs. 5 Satz 2 StPO an.

Weiter gehender Klarstellung bedarf es nicht.

7. Zu Artikel 1 Nr. 8 (§ 80 Abs. 4 IRG)

In Artikel 1 Nr. 8 ist § 80 Abs. 4 zu streichen.

Begründung

§ 80 Abs. 4 IRG-E enthält eine sachlich nicht gebotene Privilegierung bestimmter Ausländergruppen. Zu der in § 80 Abs. 3 IRG in der Fassung des Europäischen Haftbefehlsgesetzes vom 21. Juli 2004 getroffenen Regelung hatte der Bundesrat in der Anrufung des Vermittlungsausschusses seinerzeit ausgeführt (BR-Drs. 196/04(B) HTML PDF , S. 2 f.):

"Ziel des vom Deutschen Bundestag eingefügten Absatzes 3 ist die Gleichstellung von Ausländern, die im Inland ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben und zusätzlich eines von vier Kriterien erfüllen. Die Regelung ist als "Muss-Vorschrift" ausgestaltet. Die Vorschrift läuft bei Schwerkriminalität darauf hinaus, dass gegen Ausländer im Ausland Strafen verhängt, die Strafen in Deutschland sodann vollstreckt und die Ausländer anschließend ausgewiesen werden. Die Handhabung in diesem Sinn ist unverständlich. Sie belastet völlig unnötig den deutschen Justizvollzug und schafft darüber hinaus Sicherheitsrisiken. Der Strafvollzug in Deutschland kann auch nicht auf ein Leben im künftigen Abschiebestaat vorbereiten. Insbesondere die letzte Ziffer in § 80 Abs. 3 IRG- neu lädt zu Missbräuchen geradezu ein, wenn es als ausreichend angesehen wird, dass ein Ausländer, der im Inland seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, mit einem deutschen Staatsangehörigen in "familiärer" Lebensgemeinschaft lebt."

Die gegen die frühere Regelung gerichteten Einwände treffen auch für die nunmehr in § 80 Abs. 4 IRG-E vorgesehene, inhaltlich weniger weit gehende Regelung zu.

Dem lässt sich auch nicht mit der Einzelbegründung zu § 80 IRG-E (S. 40 f.) der verfassungsrechtlich gebotene Schutz von Ehe und Familie entgegenhalten.

In Literatur und Rechtsprechung ist allgemein anerkannt, dass weder Artikel 6 GG noch Artikel 8 EMRK eine Auslieferung grundsätzlich hindern. Ausnahmen kommen nur in besonders gelagerten Fällen und unter den Voraussetzungen in Betracht, in denen auch die Vollstreckung einer inländischen Freiheitsstrafe unzulässig wäre (vgl. EuGH, NJW 2004, 2147 <2148>; BVerfG, NStZ-RR 2004, 179 <180> = EuGRZ 2004, 108; OLG Hamm, NStZ-RR 2000, 158; OLG Karlsruhe, NStZ 2005, 351 f. sowie Beschluss vom 9. November 1999 - 1 AK 001/99 ; Schomburg/Lagodny, 3. Aufl., § 73 IRG Rnr. 105; Schmidt NStZ-RR 2005, 161 <163>).

Auch § 56 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG steht dem nicht entgegen, da ein besonderer Ausweisungsschutz nicht zwingend zu einer auslieferungsrechtlichen Gleichstellung mit deutschen Staatsangehörigen führt. Hinzu kommt, dass die Privilegierung ungeachtet der ausländerrechtlichen Lage auch dann gewährt werden soll wenn die verfolgte Person danach tatsächlich ausreisepflichtig wäre.

Weiter ist zu berücksichtigen, dass die in § 80 Abs. 4 IRG-E vorgesehene Privilegierung bestimmter Ausländergruppen nur gegenüber EU-Mitgliedstaaten und dabei auch gegenüber dem Staat gelten soll, über dessen Staatsangehörigkeit die verfolgte Person verfügt, sofern dieser der EU angehört. Dies würde zu dem nicht nachvollziehbaren Ergebnis führen, dass dieser Ausländer grundsätzlich an jeden beliebigen Staat ausgeliefert werden könnte, nur nicht an einen EU-Mitgliedstaat - und zwar auch dann nicht, wenn dies sein Heimatstaat ist.

Schließlich ist bei einem Ausländer - anders als bei einem Deutschen - zweifelhaft, ob wirklich in allen Fällen ein inländisches Verfahren durchgeführt werden kann. § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB hat wesentlich engere Voraussetzungen als § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB. Insofern kann ein Ausländer im Einzelfall gegenüber einem Deutschen privilegiert werden. Dafür gibt es keine Rechtfertigung.

8. Zu Artikel 1 Nr. 8 (§ 80 Abs. 5 - neu - IRG)

In Artikel 1 Nr. 8 ist § 80 folgender Absatz 5 anzufügen:

Begründung

Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 18. Juli 2005 (2 BvR 2236/04) kritisiert, dass die bloße Zusage einer Rücküberstellung unzureichend ist weil damit noch nichts über die Möglichkeit der Strafverbüßung in Deutschland gesagt wird. Im Hinblick auf diese vom Bundesverfassungsgericht zu Recht gesehene Schutzlücke erscheint es erforderlich, die Auslieferung davon abhängig zu machen, dass eine Strafvollstreckung im Inland tatsächlich möglich ist. Nach der gegenwärtigen Fassung des § 49 Abs. 1 Nr. 3 IRG setzt dies voraus, dass die Tat auch im Inland strafbar ist. Die Konsequenz ist, dass bei Auslieferungsersuchen gegen Deutsche auch bei Katalogtaten im Hinblick auf die Frage einer späteren Vollstreckung im Inland die beiderseitige Strafbarkeit geprüft werden muss, wenn sich aus dem mitgeteilten Sachverhalt Zweifel daran ergeben, dass eine Strafbarkeit nach deutschem Recht vorliegen würde. Selbst wenn man die beiderseitige Strafbarkeit prüft und bei deren Fehlen die Auslieferung ablehnt, kann die Rücküberstellung nicht in allen denkbaren Konstellationen sichergestellt werden. Zu bedenken ist auch der Fall, dass zunächst unter Wahrung der beiderseitigen Strafbarkeit ausgeliefert wird, sodann im Ausland aber wegen eines Straftatbestandes verurteilt wird, der in Deutschland nicht existiert und deshalb eine Rücküberstellung nach geltendem Recht nicht möglich wäre. Vor diesem Hintergrund ist es zwingend, in solchen Fällen § 49 Abs. 1 Nr. 3 IRG für unanwendbar zu erklären.

9. Zu Artikel 1 Nr. 8 (§ 83 Nr. 3 IRG)

In Artikel 1 Nr. 8 § 83 Nr. 3 sind die Wörter "dem Verfolgten" durch die Wörter "der Verfolgte eine persönliche Ladung durch Flucht verhindert hat oder ihm" zu ersetzen.

Begründung

Nach gegenwärtiger Rechtslage, die für Nicht-EU-Mitgleidstaaten weiterhin gilt ist die Auslieferung zur Vollstreckung einer durch Abwesenheitsurteil verhängten Freiheitsstrafe zulässig, wenn es sich um einen so genannten Fluchtfall handelte der Verfolgte sich also in Kenntnis des gegen ihn gerichteten Verfahrens ins Ausland begeben hatte. Auf der Grundlage des § 83 Nr. 3 IRG in der Fassung des durch das Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärten Umsetzungsgesetzes wurde dagegen überwiegend die Auffassung vertreten, dass Fluchtfälle nicht anders zu behandeln sind als andere Fälle des Abwesenheitsurteils (vgl. OLG Karlsruhe StV 2004, 547 f.; KG, Beschluss vom 20. Dezember 2004 - (4) Ausl. A 766/02 (148/04); zust. Hackner, NStZ 2005, 311, <313>). Zu einer vom Kammergericht angestrebten Entscheidung dieser Frage durch den Bundesgerichtshof ist es in Folge der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2005 (BGBl. I S. 2300 ff.) nicht mehr gekommen.

Diese Auslegung des Gesetzes führt zu einer sachlich nicht zu rechtfertigenden Erschwerung von Auslieferungen an Mitgliedstaaten der EU. Es erscheint deshalb geboten dem durch eine Ausnahmeregelung für Fluchtfälle im Gesetz entgegenzuwirken. Diese Ausnahme ist auch mit Artikel 5 Nr. 1 des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl vereinbar, da hierdurch die Vollstreckungsmöglichkeiten nicht eingeschränkt, sondern erweitert werden.

10. Zu Artikel 1 Nr. 8 (§ 83b Nr. 4 IRG)

In Artikel 1 Nr. 8 ist § 83b Nr. 4 zu streichen.

Begründung

§ 83b Nr. 4 IRG-E geht auf Artikel 5 Nr. 2 des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl zurück und ist unverändert aus dem Europäischen Haftbefehlsgesetz vom 21. April 2004 übernommen worden. Dabei ist es weder verfassungsrechtlich zwingend geboten noch sachgerecht, eine Prüfung lebenslang freiheitsentziehender Sanktionen nach spätestens zwanzig Jahren ausschließlich bei der Auslieferung an EU-Mitgliedstaaten zur Voraussetzung zu machen.

In seiner Entscheidung vom 18. Juli 2005 ist das Bundesverfassungsgericht auf § 83b Nr. 4 IRG in der Fassung des Europäischen Haftbefehlsgesetzes vom 21. Juli 2004 lediglich unter dem Gesichtspunkt der Grundrechtsrelevanz lebenslanger Freiheitsentziehung eingegangen (vgl. BVerfG, 2 BvR 2236/04, Rnr. 113). Ein verfassungsrechtliches Verbot der Auslieferung bei verhängter oder zu erwartender lebenslanger Freiheitsentziehung, wenn nicht spätestens nach zwanzig Jahren eine Überprüfung beansprucht werden kann, hat es dagegen nicht postuliert. Vielmehr hat der zweite Senat sowohl vor seiner genannten Entscheidung als auch danach (vgl. BVerfG, NJW 2005, 3483 sowie 2 BvR 1090/05 vom 22. November 2005, DVBl. 2006, 113 f.) ausdrücklich klar gestellt, dass eine lebenslange Freiheitsstrafe die Auslieferung nicht hindert, wenn zumindest eine praktische Chance auf Wiedererlangung der Freiheit, und sei es im Wege der Begnadigung oder Umwandlung, besteht. Es ist auch sachlich nicht geboten, den Auslieferungsverkehr bei lebenslanger Freiheitsentziehung von einer besonderen Überprüfung nach zwanzig Jahren abhängig zu machen. Nicht nachvollziehbar ist es aber, innerhalb einer Wertegemeinschaft mit so engen politischen und rechtlichen Verbindungen wie der Europäischen Union höhere Anforderungen zu stellen als im übrigen vertraglichen wie auch im vertraglosen Auslieferungsverkehr.