Antrag des Landes Nordrhein-Westfalen
Gesetz zur Stärkung des Anlegerschutzes und Verbesserung der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts
(Anlegerschutz- und Funktionsverbesserungsgesetz)

Punkt 3 der 881. Sitzung des Bundesrates am 18. März 2011

Der Bundesrat möge beschließen, zu dem vom Deutschen Bundestag am 11. Februar 2011 verabschiedeten Gesetz gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes die Einberufung des Vermittlungsausschusses aus folgendem Grund zu verlangen:

Zu Artikel 2 (§ 23 Absatz 1 Satz 1, § 35 Absatz 4 -neu-, § 37 Absatz 1 und 2, § 38 Absatz 2 -neu-, § 59 Satz 1, § 60 Absatz 1 WpÜG)

Artikel 2 ist wie folgt zu fassen:

"Artikel 2
Änderung des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes

Das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz vom 20. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3822), das zuletzt durch Artikel 3 des Gesetzes vom 30. Juli 2009 (BGBl. I S. 2497) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

1. In § 23 Absatz 1 Satz 1 werden nach den Wörtern "zuzurechnenden Stimmrechtsanteile" die Wörter "und die Höhe der nach den §§ 25 und 25a des Wertpapierhandelsgesetzes mitzuteilenden Stimmrechtsanteile" eingefügt.

2. Dem § 35 wird folgender Absatz 4 angefügt:

(4) Die Verpflichtungen nach Absatz 1 und 2 gelten entsprechend für einen Bieter, der unmittelbar oder mittelbar mindestens 30 Prozent, aber nicht die Mehrheit der Stimmrechte an der Zielgesellschaft hält und der innerhalb eines Zeitraums von zwölf Monaten mindestens 2 Prozent der Stimmrechte an der Zielgesellschaft direkt oder indirekt hinzu erwirbt. Bei der Ermittlung der Zahl der innerhalb der vorgenannten Frist hinzu erworbenen Stimmrechte bleiben Erwerbe bis zum Ablauf einer weiteren Annahmefrist nach § 16 Absatz 2 unbeachtlich."

3. In § 37 ist in Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2 Satz 1 nach der Angabe "Abs. 2 Satz 1" die Angabe ", jeweils auch in Verbindung mit § 35 Absatz 4 Satz 1," einzufügen.

4. § 38 wird wie folgt geändert:

5. § 59 wird wie folgt geändert:

6. § 60 Absatz 1 wird wie folgt geändert:

Begründung:

Zu Nummer 1

Nummer 1 beinhaltet die in dem Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehene Änderung des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes (WpÜG).

Zu Nummer 2

Das auf europäischen Vorgaben beruhende Übernahmerecht verfolgt die Zielsetzung, die Rechtssicherheit bei Übernahmevorgängen im Interesse aller Beteiligten zu erhöhen und gleichzeitig den Schutz der Minderheitsaktionäre zu gewährleisten.

Nach den Bestimmungen des WpÜG soll dementsprechend den Aktionären einer Gesellschaft im Falle eines Kontrollwechsels die Möglichkeit gegeben werden, ihre Aktien zu einem fairen und angemessenen Preis zu veräußern.

Dies wird hingegen unterlaufen, wenn dem Bieter auf legalem Wege die Möglichkeit offensteht, sich an eine Zielgesellschaft anzuschleichen ("creeping in"), um möglichst kostengünstig und möglichst unauffällig eine Kontrollposition von mehr als 30 Prozent der Anteile an einer Zielgesellschaft zu erhalten.

Typischerweise erwirbt der Bieter in einem ersten Schritt eine Position von knapp unter 30 Prozent. In einem zweiten Schritt richtet er an alle Aktionäre ein - freiwilliges - Übernahmeangebot nach § 29 Abs. 1 WpÜG. Zielsetzung ist in derartigen Fällen regelmäßig nicht der Erwerb aller Anteile, sondern der Erwerb lediglich hinreichend vieler Anteile zur Überschreitung der Kontrollschwelle des § 29 Abs. 2 von 30 Prozent. Dementsprechend zeigt sich in der Praxis, dass ein solcher Bieter versucht, das Übernahmeangebot wirtschaftlich so wenig attraktiv wie möglich zu gestalten.

Für die Aktionäre einer Zielgesellschaft kann das bedeuten, dass sie im Rahmen eines Übernahmeangebots ggfs. einen Preis unterhalb des aktuellen Börsenkurses hinnehmen müssen, da für die Bemessung des Mindestpreises der Durchschnittskurs der letzten drei Monate maßgebend ist.

Nach Durchführung eines solchen Übernahmeangebots und Erreichen einer Kontrollposition von mehr als 30 Prozent ist der Bieter frei, seinen Anteil durch weiteren Zukauf über die Börse kostengünstig auszubauen, ohne nochmals ein attraktives Übernahmeangebot an die Aktionäre richten zu müssen.

Die beschriebene Möglichkeit einer unter Marktwert realisierbaren Mehrheitsübernahme einer Gesellschaft widerspricht dem Schutzgedanken des Übernahmegesetzes. Auf die Schließung dieser Schutzlücke zielt die neu geschaffene Vorschrift des § 35 Abs. 4 WpÜG-E.

Mit § 35 Abs. 4 Satz 1 wird die Veröffentlichungspflicht und die Pflicht zur Abgabe eines Angebots auf denjenigen Bieter ausgedehnt, der eine Kontrollmehrheit zwischen 30 und 50 Prozent erlangt hat und innerhalb von 12 Monaten mindestens 2 Prozent der Stimmrechte direkt oder indirekt hinzu erwirbt. Die Verpflichtung tritt bei jeder Überschreitung der Schwelle von 2 Prozent erneut ein.

Somit wird jeder Ausbau einer bestehenden Position mit einem erneuten Angebot zum Schutz der Aktionäre belegt und wirkt damit einem Anschleichen entgegen. Sofern ein Bieter die Mehrheit der Anteile erreicht oder bereits hält und weitere Anteile hinzu erwirbt, bedarf es einer solchen Regelung nicht, da dann anzunehmen ist, dass der von ihm z.B. im Rahmen eines Übernahmeangebots vorgeschlagene Preis vom Markt als hinreichend attraktiv angesehen wurde.

Bieter werden sich in der Regel von vornherein bemühen, ihr Angebot so auszugestalten, dass sie mindestens so viele Aktien erwerben können, dass sie die Mehrheit der Stimmrechte halten und nicht in den Anwendungsbereich des neuen § 35 Abs. 4 kommen, bei dessen Eingreifen sie künftig mit weiteren Übernahmeangeboten zu rechnen haben, die weitere erhebliche Kosten nach sich ziehen. Insofern dürfte die vorgeschlagene Regelung auch präventive Wirkung entfalten.

Die Festlegung der Grenze, ab der ein erneutes Übernahmeangebot zu unterbreiten ist, auf 2 Prozent trägt praktischen Bedürfnissen Rechnung.

Die in Satz 2 der neuen Vorschrift enthaltene Regelung soll lediglich klarstellen, dass Aktien, die vor oder im Zusammenhang mit einem Übernahmeangebot erworben wurden, bei der Ermittlung des Hinzuerwerbs unbeachtlich bleiben.

Mit der vorgeschlagenen Regelung wird ein Schutzniveau geschaffen, das den Bestimmungen in zahlreichen anderen europäischen Staaten vergleichbar ist. Die Änderung steht in Einklang mit europarechtlichen Vorgaben.

Sie begegnet auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, weder bezüglich des Rückwirkungsverbots noch im Hinblick auf das allgemeine rechtsstaatliche Vertrauensschutzgebot.

Der in § 35 Abs. 4 WpÜG-E vorgesehene Pflichtangebotstatbestand für zukünftige Anteilskäufe greift nicht in abgeschlossene Anteilskäufe ein, so dass keine echte Rückwirkung vorliegt. Sie wirkt aber auch nicht auf noch laufende Sachverhalte (unechte Rückwirkung) ein, da es sich bei einem Anteilskauf um ein in sich abgeschlossenes Rechtsgeschäft handelt und die Neuregelung die belastende Rechtsfolge (Pflichtangebot) nicht auch auf die in der Vergangenheit liegenden Geschäftsvorfälle stützt.

Sachlicher Anknüpfungspunkt für Vertrauensschutz im Anwendungsbereich des § 35 WpÜG ist die Erwartung des Bieters, nach der bisherigen Rechtslage auf dem Weg eines freiwilligen Übernahmeangebotes die Folgeerwerbe ohne weitere Sanktionen (Pflichtangebote) durchführen zu können.

Eine solche Erwartung eines Anteilseigners ist indes nicht Ausfluss seines grundrechtlich geschützten Anteilseigentums, sondern Erwerbschance aufgrund einer günstigen Rechtslage, indem das geltende WpÜG dem Anteilseigner günstige Rahmenbedingungen für eine weitere Aufstockung seiner Beteiligung vermittelt. Erwerbschancen, die sich aus dem bloßen Fortbestand einer günstigen Rechtslage ergeben, unterfallen nicht dem Schutzbereich des Art. 14 GG.

Zu Nummer 3 bis 6

Bei den weiteren Änderungen der Vorschriften der §§ 37, 38, 59 und 60 handelt es sich um Anpassungen, die als Folgeregelungen erforderlich sind, um die Anwendbarkeit bei Befreiungstatbeständen, Ansprüchen auf Zinszahlungen und von Sanktionsmöglichkeiten (Stimmrechtsverlust, Verhängung von Bußgeldern) sicherzustellen.