Beschluss des Bundesrates
Entschließung des Bundesrates zum Entwurf der Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/die GRÜNEN eines Gesetzes zur Umsetzung europäischer Antidiskriminierungsrichtlinien

Der Bundesrat hat in seiner 808. Sitzung am 18. Februar 2005 die aus der Anlage ersichtliche Entschließung gefasst.

Anlage

Entschließung des Bundesrates
zum Entwurf der Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/die GRÜNEN eines Gesetzes zur Umsetzung europäischer Antidiskriminierungsrichtlinien

Der Bundesrat fordert den Deutschen Bundestag auf, sich bei der Umsetzung der Richtlinie 2000/43/EG, der Richtlinie 2000/78/EG, der Richtlinie 2002/73/EG und der Richtlinie 2004/113/EG auf das europarechtlich Geforderte zu beschränken und jede darüber hinausgehende Regelung zu unterlassen, die zu einer weitergehenden Einschränkung der Vertragsfreiheit und zusätzlichen Kosten oder unangemessenen Benachteiligungen für die deutsche Wirtschaft im internationalen Rahmen führt.

1. Der Bundesrat bekennt sich zu dem Grundsatz, dass Diskriminierungen wegen der Rasse, der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion, der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters und der sexuellen Identität in einer aufgeklärten Gesellschaft keinen Platz haben dürfen.

2. Der Bundesrat ist allerdings der Auffassung, dass der bei dem Deutschen Bundestag am 16. Dezember 2004 als Bundestagsdrucksache 15/4538 eingebrachte Entwurf der Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/die GRÜNEN eines Gesetzes zur Umsetzung europäischer Antidiskriminierungsrichtlinien im Arbeits- und Vertragsrecht weit über die Vorgaben des Europarechts hinausgeht, dadurch erhebliche zusätzliche bürokratische und finanzielle Belastungen für die deutsche Wirtschaft mit sich bringt und nicht geeignet ist, die Freiheit des Einzelnen mit berechtigten Anliegen von Wirtschaft und Gesellschaft zu einem vernünftigen Ausgleich zu bringen. Im Gegenteil führt der Gesetzentwurf in Artikel 1 - Gesetz zum Schutz vor Diskriminierung (Antidiskriminierungsgesetz - ADG) - insbesondere in den Abschnitten "Schutz der Beschäftigten vor Benachteiligung" und "Schutz vor Benachteiligung im Zivilrechtsverkehr" durch die Verwendung zahlreicher unbestimmter Rechtsbegriffe zu erheblicher Rechtsunsicherheit vor allem in kleinen und mittleren Unternehmen. Er schafft Hemmnisse für die Vertragsfreiheit, die Unsicherheiten und Streitigkeiten in Bereichen provozieren werden, die den Vertragsparteien zur freien und selbstverantwortlichen Gestaltung überlassen bleiben können. Er bringt damit ein Misstrauen gegenüber den Vertragsparteien zum Ausdruck, das die Lebenserfahrung nicht rechtfertigt und das im ungünstigsten Falle geeignet ist, Ressentiments gegen eine als unangemessen empfundene staatliche Bevormundung zu schüren und eine Integration insbesondere von Menschen mit Behinderungen zu erschweren.

Zu erwarten ist vor diesem Hintergrund eine Flut von Prozessen, die bei den Betroffenen und den Gerichten zu weiteren Erschwernissen führen wird. All dies steht in diametralem Gegensatz zu den vielfältigen Initiativen und Bemühungen auf Bundes- und Landesebene, die den Abbau von bürokratischen wie gesetzlichen Hemmnissen im Wirtschaftsleben bezwecken.

3. Der Entwurf eines Antidiskriminierungsgesetzes (ADG-E) - Artikel 1 des Gesetzentwurfs - erstreckt in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 ADG-E den Anwendungsbereich des Schutzes von Beschäftigten auf Gewerbetreibende und Selbständige, die in einem wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnis stehen. Angesichts der großen Zahl der Fälle, bei denen wegen enger vertraglicher Bindungen zu einem Vertragspartner faktisch eine wirtschaftliche Abhängigkeit besteht, ist damit eine für das Wirtschaftsleben überaus hinderliche Ausweitung des Schutzbereichs des umfassenden Benachteiligungsverbots verbunden, obgleich das Europarecht für diesen Personenkreis einen zusätzlichen Schutz nur für den Berufszugang vorsieht.

Sachfremd ist auch die Vorschrift des § 7 Abs. 1 ADG-E, soweit damit der Versuch einer Diskriminierung erfasst werden soll. Hiernach ist ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot auch dann gegeben, wenn bei dem betroffenen Arbeitnehmer die Merkmale, deretwegen er angeblich diskriminiert worden ist, gar nicht vorliegen, der unter Umständen aufgrund der Sonderregeln zur Beweislastverteilung beweispflichtige Arbeitgeber aber nicht nachweisen kann, dass er keinen Versuch zur Diskriminierung unternommen hat. Diese Ausweitung des Benachteiligungsverbots geht ebenfalls über die Vorgaben des Europarechts hinaus, lässt zudem die betrieblichen Gegebenheiten und Bedürfnisse der Unternehmen völlig außer Acht und erscheint wegen der daran geknüpften Sanktionen überzogen.

Ein erhebliches Erschwernis stellt auch die in § 16 Satz 1 Nr. 2 ADG-E vorgesehene Haftung des Arbeitgebers dar, wenn Dritte, z.B. Kunden oder Lieferanten, einen Mitarbeiter seines Betriebs diskriminieren, auch wenn zur Haftungsbegründung hinzutreten muss, dass der Arbeitgeber seine Verpflichtung zum Ergreifen geeigneter Schutzmaßnahmen nach § 12 ADG-E schuldhaft verletzt hat. Dies erscheint schon im Ausgangspunkt abwegig, weil der Arbeitgeber hinsichtlich des Verhaltens von außerhalb seines Unternehmens tätigen Dritten keinerlei Kontrollmöglichkeiten besitzt, und wird auch angesichts der Unbestimmtheit der an die erforderlichen Schutzmaßnahmen im Sinne des § 12 Abs. 1 ADG-E zu stellenden Anforderungen zu verbreiteter Rechtsunsicherheit in den Betrieben führen.

Über vorgenannte Einzelregelungen hinaus bürdet der Gesetzentwurf in der Gesamtschau der Wirtschaft eine Vielzahl und mangels zwingender Vorgaben des Europarechts zum Teil unnötige und mit hohem bürokratischem Aufwand umzusetzende Reglementierungen auf, die unverhältnismäßige Kostenbelastungen für die Unternehmen nach sich ziehen werden, die in der Folgenabschätzung des Gesetzentwurfs völlig ausgeblendet bleiben.

4. Darüber hinaus erklärt der Entwurf eines Antidiskriminierungsgesetzes in § 20 Abs. 1 ADG-E eine Benachteiligung aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität "bei der Begründung, Durchführung und Beendigung" solcher "zivilrechtlichen Schuldverhältnisse" für unzulässig, die

Die Regelung kombiniert damit, ohne dass das Europarecht dazu verpflichtet, den Geltungsbereich der Richtlinie 2000/43/EG und der Richtlinie 2004/113/EG mit den in der Richtlinie 2000/78/EG genannten Merkmalen und geht über die anerkannte mittelbare Drittwirkung der Grundrechte vermittels der Generalklauseln des Bürgerlichen Gesetzbuchs hinaus.

Auf diese Weise greift der Gesetzentwurf in Bereiche ein, die - mit Rücksicht auf die Freiheit des Einzelnen - bisher einer Korrektur über die allgemeine Moral nicht zugänglich waren. Das in dem Gesetzentwurf zum Ausdruck gebrachte Anliegen einer vorurteilsfreien und toleranten Gesellschaft ist uneingeschränkt billigenswert. Nicht aber ist es der Ansatz, die Entscheidung des Einzelnen für diese Werte nicht seiner freien Entschließung zu überlassen, sondern über das Zivilrecht zu erzwingen.

Der Gesetzentwurf lässt damit Zweifel an der Überzeugungskraft aufgeklärten Gedankenguts erkennen, die nicht gerechtfertigt sind.

5. Der Entwurf eines Antidiskriminierungsgesetzes vermag allein für Diskriminierungen wegen der Rasse und der ethnischen Herkunft ein umfassendes Verbot zu postulieren. Im Übrigen muss er anerkennen, dass es Fallgestaltungen geben kann, die eine Differenzierung wegen eines der in § 1 ADG-E genannten Merkmale gebieten.

Da die Lebensumstände, die solche Differenzierungen erfordern, vielgestaltig sind, bleibt der Gesetzentwurf bei der Definition dessen, was eine "unterschiedliche Behandlung" rechtfertigt, vage: Nach § 21 Satz 1 ADG-E verneint er eine "Verletzung des Benachteiligungsverbots", wenn ein - vom "Benachteiligenden" darzulegender und zu beweisender - "sachlicher Grund" für die Differenzierung vorliegt.

Um den sehr unscharfen Begriff des "sachlichen Grundes" auszufüllen, formuliert der Gesetzentwurf in § 21 Satz 2 ADG-E Regelbeispiele, die, sofern ihre Voraussetzungen vorliegen, eine Unterscheidung erlauben, unter anderem ein Handeln

oder weil die unterschiedliche Behandlung "besondere Vorteile gewährt und ein Interesse an der Durchsetzung der Gleichbehandlung fehlt."

Solche Leerformeln werden der Rechtsprechung - sollten sie Gesetz werden - künftig viel Arbeit machen. Sie schaffen ohne Not Rechtsunsicherheit in Bereichen, in denen die Privatautonomie auch mit Rücksicht auf die europarechtlichen Vorgaben unangetastet bleiben könnte.