Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht und Einschätzung der Bundesregierung zur Regelung für Langzeitarbeitslose nach § 22 Absatz 4 Satz 2 des Mindestlohngesetzes

Bundesministerium für Arbeit und Soziales
Berlin, 8. Februar 2016

An die Präsidentin des Bundesrates
Frau Ministerpräsidentin
Malu Dreyer

Sehr geehrte Frau Bundesratspräsidentin,
anliegend übersende ich Ihnen den Bericht und Empfehlung der Bundesregierung zur Regelung für Langzeitarbeitslose nach § 22 Abs. 4 des Mindestlohngesetzes*. Der Bericht wurde von der Bundesregierung in der heutigen Kabinettsitzung beschlossen.

Mit freundlichen Grüßen
Andrea Nahles

Bericht und Einschätzung der Bundesregierung zur Regelung für Langzeitarbeitslose nach § 22 Absatz 4 Satz 2 des Mindestlohngesetzes

Das Mindestlohngesetz sieht in § 22 Abs. 4 folgende Regelung vor:

"Für Arbeitsverhältnisse von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die unmittelbar vor Beginn der Beschäftigung langzeitarbeitslos im Sinne des § 18 Absatz 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch waren, gilt der Mindestlohn in den ersten sechs Monaten der Beschäftigung nicht. Die Bundesregierung hat den gesetzgebenden Körperschaften zum 1. Juni 2016 darüber zu berichten, inwieweit die Regelung nach Satz 1 die Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt gefördert hat, und eine Einschätzung darüber abzugeben, ob diese Regelung fortbestehen soll." Die Regelung ist darauf gerichtet, den Beschäftigungschancen von Langzeitarbeitslosen in besonderem Maße Rechnung zu tragen, da der Wiedereinstieg in das Arbeitsleben für Langzeitarbeitslose oftmals mit nicht unerheblichen Schwierigkeiten verbunden ist.

Die Bundesregierung hat die Regelung zur Ausnahme der Geltung des Mindestlohns für Langzeitarbeitslose in den ersten sechs Monaten ihrer Beschäftigung durch das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) evaluieren lassen. Im Rahmen der wissenschaftlichen Forschung des IAB zur Ausnahmeregelung wurden sowohl Befragungen durchgeführt als auch administrative Arbeitsmarktdaten aufbereitet, um mit Hilfe von qualitativen und quantitativen Analysemethoden auf verschiedene Aspekte der Ausnahmeregelung einzugehen. Dabei war von besonderem Interesse, ob die Regelung zu einer nachhaltigen Integration von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt beigetragen oder lediglich zu kurzfristigen Beschäftigungsmöglichkeiten für Langzeitarbeitslose geführt hat.

Die Analysen des IAB zeigen, dass die Ausnahmeregelung nur in sehr wenigen Fällen auch tatsächlich angewandt wird. Nur etwa 1,4 Prozent der Langzeitarbeitslosen fordern vor ihrer Beschäftigungsaufnahme eine Bescheinigung ihrer Langzeitarbeitslosigkeit im Jobcenter oder der Arbeitsagentur überhaupt an. Bei ca. 25.000 Beschäftigungseintritten pro Monat im untersuchten Zeitraum ergibt das monatlich ca. 350 Anfragen deutschlandweit. Die Zahl der tatsächlich genutzten Bescheinigungen liegt nochmals darunter.

Die Evaluation hat gezeigt, dass die Ausnahmeregelung keinen signifikanten Effekt auf den Lohn hat, den ehemals Langzeitarbeitslose kurz nach Eintritt in eine Beschäftigung erzielen.

Eine Häufung von Einstellungen Langzeitarbeitsloser, zu Lasten anderer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer oder zusätzlich zu diesen, ist weder auf Basis der Befragungsdaten, noch auf Basis umfangreicher administrativer Daten zu erkennen. Auch direkt nach Eintritt der Langzeitarbeitslosigkeit lässt sich keine erhöhte Einstellungshäufigkeit verzeichnen. Schließlich finden sich in der Untersuchung des IAB keine Hinweise auf Drehtüreffekte, also einer Häufung von Entlassungen, wenn die Ausnahmeregelung sechs Monate nach der Einstellung ausläuft.

Zusammenfassend kann daher festgestellt werden, dass die Sonderregelung vor dem Hintergrund der guten Lage auf dem Arbeitsmarkt und wachsenden Beschäftigung nur in wenigen Fällen genutzt wurde, um Langzeitarbeitslosen einen Weg in den Arbeitsmarkt zu eröffnen. Auch wenn die Regelung damit nicht zu einer deutlichen Verbesserung der Eingliederungschancen von Langzeitarbeitslosen geführt hat, haben sich auch die befürchteten negativen Effekte (Verdrängungs- und Drehtüreffekte) nicht eingestellt.

Einschätzung der Bundesregierung

Aus Sicht der Bundesregierung gibt es damit unter den bestehenden Rahmenbedingungen weder zwingende Gründe für eine Beibehaltung der Regelung noch zwingende Gründe für eine Abschaffung. Angesichts der Unsicherheiten über die weiteren Entwicklungen der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes in den kommenden Jahren hält es die Bundesregierung jedoch für sinnvoll, Arbeitgebern weiterhin Anreize zu geben, Langzeitarbeitslosen einen Einstieg in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Die Bundesregierung empfiehlt daher, zum jetzigen Zeitpunkt keine gesetzlichen Änderungen vorzunehmen. Nach Auffassung der Bundesregierung soll die weitere Entwicklung jedoch beobachtet und gegebenenfalls eine erneute Evaluation unter veränderten Bedingungen durchgeführt werden.

* wird auch als Bundestags-Drucksache 18/11118 verteilt