Antrag des Landes Hessen
Entschließung des Bundesrates "Verstetigung von Deradikalisierungsmaßnahmen im Strafvollzug - Errichtung eines bundesweiten Netzwerkes"

Hessische Staaskanzlei
Wiesbaden, 22. April 2015
Der Chef der Staatskanzlei Staatsminister

An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Volker Bouffier

Sehr geehrter Herr Präsident,
die Hessische Landesregierung hat beschlossen, dem Bundesrat die anliegende Entschließung des Bundesrates "Verstetigung von Deradikalisierungsmaßnahmen im Strafvollzug - Errichtung eines bundesweiten Netzwerkes" mit dem Antrag zuzuleiten, die Entschließung zu fassen.

Ich bitte Sie, die Vorlage gemäß § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates in die Tagesordnung der Plenarsitzung am 8. Mai 2015 aufzunehmen und sie anschließend den Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.

Mit freundlichen Grüßen
Axel Wintermeyer

Entschließung des Bundesrates: "Verstetigung von Deradikalisierungsmaßnahmen im Strafvollzug Errichtung eines bundesweiten Netzwerkes"

Der Bundesrat möge beschließen:

I. Der Bundesrat stellt fest:

Der Kampf gegen den politischen und religiös motivierten Extremismus ist allgegenwärtig geworden. Insbesondere in Syrien und im Nordirak hat die rücksichtslose Brutalität, die vom sog. Islamischen Staat gegenüber Andersgläubigen ausgeübt wird, jede Grenze gesprengt.

Es hat lange gedauert, bis die westliche Welt eine Mitverantwortung für das Leid vieler zehntausender Menschen im Sindschar-Gebirge und anderswo erkannt und entsprechend reagiert hat. Denn es waren oft in den Hinterhöfen europäischer Hauptstädte radikalisierte junge Menschen, die diese Taten durchgeführt und unterstützt haben.

Seitdem wurden nahezu auf jeder politischen Ebene entsprechende Maßnahmen eingeleitet, mit denen dieser neuen Dimension des Terrors entgegengetreten werden soll. Auch der Bundesrat sieht sich in dieser Verantwortung und begleitet konstruktiv die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Maßnahmen zur Strafbarkeit der Ausreise zum Zwecke der Begehung schwerer Gewalttaten im Ausland sowie der Finanzierung solcher terroristischer Gruppierungen.

Von diesen Maßnahmen sind und werden eine recht hohe Anzahl von Personen betroffen sein. Neue Straftatbestände und die erhöhte Aufmerksamkeit der Sicherheitsbehörden werden dazu beitragen, dass viele dieser Personen in absehbarer Zeit in den Vollzugsanstalten ihre Haftstrafen antreten werden. Deutschen Vollzugsanstalten steht eine bisher noch nicht dagewesene Anzahl radikalisierter Straftäter im Vollzug bevor.

Mit strafrechtlichen Nachbesserungen wird das gesellschaftliche Phänomen der Anfälligkeit besonders junger Menschen für diesen Terror jedoch nur schwer zu bekämpfen sein, denn auch die Anti-Terror-Gesetze in Reaktion auf die Anschläge des 9. September 2001 haben diese Menschen nicht davon abgehalten, in den sog. Dschihad zu ziehen.

Einer der Gründe dafür ist, dass religiöse Extremisten sehr gezielt und gut organisiert auf junge Menschen zugehen. Mit aufwändig produzierten Videos und eigenen sozialen Netzwerken im Internet, falschen Heilsbringern an Schulen, Moschee-Vereinen oder Kulturcafés wird auf meist sehr junge Menschen - seien es Deutsche, seien es Ausländer - mit romantisierenden Versprechungen vom sog. Heiligen Krieg eingewirkt und diese zur Mithilfe bei diesen verbrecherischen Gewalttaten angeworben.

Die Ausreise von europaweit etwa 4.150 Personen nach Syrien, darunter etwa 600 aus Deutschland (Stand: Januar 2015), ist deshalb kein zeitlich begrenztes Phänomen, sondern das Ergebnis einer langfristig angelegten ebenso hochwertigen wie perfiden Rekrutierungsstrategie.

Deutschland muss deshalb mit gleicher Intensität im Bereich der Prävention tätig werden, wie es sich auf Ebene der Sicherheitsbehörden dem Terrorismus entgegenstellt. Denn vor jeder Ausreise zum Dschihad steht die Radikalisierung. Präventionsarbeit ist deshalb eine direkte Investition in die Sicherheit, denn insbesondere die Rückkehrer aus solchen Konfliktgebieten können eine Bedrohung für die innere Sicherheit in Deutschland darstellen.

Im besonderen Fokus stehen dabei die Vollzugsanstalten. Diese dürfen keinen Nährboden für radikales Gedankengut bilden. Eine wichtige Lehre, die man jetzt schon aus den schrecklichen Terroranschlägen von Paris und Kopenhagen ziehen kann, ist, dass stärkere Präventionsanstrengungen notwendig sind. In vielen Bundesländern sind deshalb bereits entsprechende Angebote religiöser Betreuung für Muslime begonnen worden, um nicht den Radikalen das Feld zu überlassen.

Neben der religiösen Betreuung bedarf es aber weiterer Maßnahmen, um insbesondere auf diejenigen Personen einzuwirken, deren Nähe zur salafistischen Szene bekannt und durch eine einschlägige Verurteilung dokumentiert ist.

In Hessen wurde bereits im letzten Jahr die Zusammenarbeit mit "Violence Prevention Network (VPN)" aufgenommen, um die bereits ohnehin vorhandenen Maßnahmen im Vollzug, etwa Anti-Gewalttrainings, durch zusätzliche Deradikalisierungsmaßnahmen zu flankieren. So ist Ziel der schon bestehenden Deradikalisierungsmaßnahmen der Hessischen Landesregierung, links- und rechtsextremen Strömungen und Tendenzen sowohl durch präventive Maßnahmen, aber auch durch verstärkte Gesprächs- und Trainingsangebote zu begegnen. Eine verstärkte Aus- und Fortbildung der Beschäftigten dient zudem der Sensibilisierung für diesen Phänomenbereich. Diese Bemühungen der Landesregierung werden neben der Zusammenarbeit mit Violence Prevention Network fortgeführt.

Projekte, wie die Zusammenarbeit mit Violence Prevention Network, müssen bundesweit ausgebaut werden.

Auch wenn der Strafvollzug mit in die Zuständigkeit der Länder fällt, sind bei der Bekämpfung dieser gesellschaftlichen Tendenzen alle - Bund, Länder und Kommunen gleichsam gefordert. Denn auch bei der Strafverfolgung erkennt der Bund seine koordinierende Verantwortung an und führt die entsprechenden Verfahren durch den Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof. Eine gespiegelte Verantwortung auf der Ebene des Strafvollzuges für diese Tätergruppe wäre deshalb kein Verstoß gegen die Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern, sondern die Wahrnehmung derselben Verantwortung.

Ein Vorbild, wie eine solche Zusammenarbeit sehr gut funktioniert, ist das Projekt "Kein Täter werden" an der Berliner Charité. Auch hier stellt der Bund eine Sockelfinanzierung sicher und die Länder können bei Bedarf selbstfinanzierte Projekte in ihre Arbeit vor Ort einfließen lassen.

II. Der Bundesrat hält deshalb folgende Maßnahmen für erforderlich: