Unterrichtung durch die Europäische Kommission
Stellungnahme der Europäischen Kommission zu dem Beschluss des Bundesrates zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Europäische Herausgabeanordnungen und Sicherungsanordnungen für elektronische Beweismittel in Strafsachen

C(2018) 6849 final

Europäische Kommission
Brüssel, den 19.10.2018 C(2018) 6849 final

Herrn Michael MÜLLER
Präsident des Bundesrates
Leipziger Straße 3-4
10117 Berlin Deutschland

Sehr geehrter Herr Bundesratspräsident,
die Kommission dankt dem Bundesrat für seine Stellungnahme zum Vorschlag für eine Verordnung über Europäische Herausgabeanordnungen und Sicherungsanordnungen für elektronische Beweismittel in Strafsachen (

COM (2018) 225) und zum Vorschlag für eine Richtlinie zur Festlegung einheitlicher Regeln,für die Bestellung von Vertretern zu Zwecken der Beweiserhebung in Strafverfahren (COM (2018) 226 final).

Die im April 2018 vorgelegten Vorschläge leisten einen Beitrag zu den Bemühungen der Kommission, die im Rahmen der Gemeinsamen Erklärung über die Gesetzgebungsprioritäten der Europäischen Union für 2018-2019 eingegangenen

Verpflichtungen zu erfüllen, die europäischen Bürgerinnen und Bürger besser zu schützen und die Strafverfolgungsbehörden mit effizienten Instrumenten auszurüsten, damit elektronische Beweismittel leichter und schneller eingeholt werden können.

Mit der vorgeschlagenen Verordnung sollen der Justiz und der Strafverfolgung Instrumente für den Umgang mit den heutigen Kommunikationsmethoden von Straftätern an die Hand gegeben und gegen moderne Formen der Kriminalität vorgegangen werden. Außerdem wird dadurch das Verfahren zur Sicherung und Einholung elektronischer Beweismittel beschleunigt, die in einem anderen Staat gespeichert wurden und/oder über die in einem anderen Staat niedergelassene Diensteanbieter verfügen. Gleichzeitig soll die Rechtssicherheit für Behörden, Diensteanbieter und betroffene Menschen verbessert und zugleich dafür gesorgt werden, dass Ersuchen von Strafverfolgungsbehörden weiterhin hohen Standards genügen und somit der Schutz der Grundrechte, Transparenz und Rechenschaftspflicht gewährleistet wird. Dieses Instrument wird neben den derzeitigen Instrumenten zur justiziellen Zusammenarbeit bestehen, beispielsweise der Europäischen Ermittlungsanordnung, die weiterhin nach Bedarf von den zuständigen Behörden eingesetzt werden kann.

Die vorgeschlagene Richtlinie gewährleistet die Schaffung gleicher Voraussetzungen .für die Benennung von Vertretern im Hinblick auf die Erhebung von Beweismitteln in Strafverfahren für alle unter diesen Vorschlag fallenden Diensteanbieter, die in der Union Dienstleistungen anbieten.

Die Verhandlungen über beide Vorschläge in der zuständigen Arbeitsgruppe des Rates haben im April begonnen und im September werden die eingehenden Beratungen im Europäischen Parlament aufgenommen.

Die Kommission begrüßt den Standpunkt des Bundesrates, wonach - wie im Vorschlag vorgesehen - Maßnahmen auf Unionsebene erforderlich sind, um die Instrumente für die Strafverfolgungsbehörden an die mit neuen Technologien verbundenen Herausforderungen anzupassen. Die Kommission nimmt die Bemerkungen des Bundesrates zu bestimmten Teilen der Vorschläge, beispielsweise zum Grad der Einbindung des Mitgliedstaats, in dem der Vertreter oder der Diensteanbieter ansässig ist, zur Kenntnis. Die Kommission möchte diese Gelegenheit für ausführliche Erläuterungen zu ihren Vorschlägen nutzen und auf die eher technischen Anmerkungen in der im Anhang beigefügten Stellungnahme eingehen.

Die Kommission hofft, dass die vom Bundesrat angesprochenen Punkte mit diesen Ausführungen geklärt werden können, und sieht der Fortsetzung des politischen Dialogs erwartungsvoll entgegen.

Mit freundlichen Grüßen
Frans Timmermans Wra Jourovä
Erster Vizepräsident Mitglied der Kommission

Die Kommission hat die in der Stellungnahme des Bundesrates aufgeworfenen Fragen sorgfältig geprüft und macht dazu die nachstehenden Anmerkungen.

Nummer 6: Die Kommission hat sich nach eingehender Prüfung für dieses Rechtsinstrument entschieden. Ihrer Auffassung nach ist eine Verordnung aus folgenden Gründen das am besten geeignete Rechtsinstrument für die gegenseitige Anerkennung:

Eine Verordnung ist unmittelbar anwendbar und bietet mehr Rechtssicherheit. Bei einer Richtlinie hätten die Mitgliedstaaten zwar mehr Spielraum .für die Umsetzung, aber dann könnten die nationalen Rechtsvorschriften von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich ausfallen. Selbst wenn dieser Spielraum bei Harmonisierungsmaßnahmen gerechtfertigt sein mag, damit die Mitgliedstaaten den nationalen Gegebenheiten Rechnung tragen können, stellt sich die Situation bei Instrumenten .für die gegenseitige Anerkennung, die nur grenzüberschreitende Verfahren betreffen und im vorliegenden Fall sogar unmittelbar an Dritte gerichtet sind, anders dar. Für die Diensteanbieter und ihre Vertreter, die die Adressaten der Anordnungen sind, wird eine einheitliche grenzübergreifende Regelung gelten, während unterschiedliche nationale Regelungen .für sie zusätzlichen Aufwand mit sich bringen würden. Auch der Bundesrat hat in Nummer 3 seiner Stellungnahme darauf hingewiesen, dass die Belastung für die Diensteanbieter so gering wie möglich gehalten werden soll. Aus Gründen der Klarheit und Durchführbarkeit scheint eine Verordnung die beste Wahl zu sein.

Im Bereich des Zivilrechts wurden bereits mehrere Instrumente zur gegenseitigen Anerkennung in Form einer Verordnung eingeführt, die sich als wirksam erwiesen haben'. Richter und Angehörige anderer Rechtsberufe haben die Verordnungen und die nationalen Rechtsvorschriften ohne größere Probleme parallel angewendet. Es gibt keinen besonderen Grund, warum dies im Bereich des Strafrechts nicht möglich sein sollte, zumal die nationalen Instrumente nicht betroffen sein werden, da es sich hier um ein zusätzliches Instrument handelt. Die Angehörigen von Rechtsberufen sind daran gewöhnt, in grenzüberschreitenden Fällen unterschiedliche Instrumente anzuwenden.

Nummer 7: Nach sorgfältiger Prüfung dieser Frage hat die Kommission in ihrem Vorschlag beschlossen, den "Aufnahmemitgliedstaat" nicht in jedem Fall systematisch im Anordnungsstadium einzubinden. Ziel des Verordnungsvorschlags ist es, im Vergleich zu bestehenden Kooperationsinstrumenten, beispielsweise der Europäischen Ermittlungsanordnung, einen Mehrwert zu schaffen, indem effizientere Lösungen entwickelt werden, statt bestehende Mechanismen nachzubilden. Nach Ansicht der Kommission würden durch ein Notifikationssystem (gemäß der Richtlinie über die Europäische Ermittlungsanordnung) die Effizienz dieses Instruments und sein Mehrwert eingeschränkt. Zudem würde der besonderen Situation des Cyberspace, wo Dienste von überall aus erbracht werden können, und nur eine geringe Verbindung zwischen dem Aufnahmeland und dem Diensteanbieter oder dem Speicherort besteht, nicht angemessen Rechnung getragen.

Darüber hinaus sieht der Kommissionsvorschlag dann die Einbindung des Mitgliedstaats vor, in dem der Diensteanbieter oder sein Vertreter ansässig ist (im Folgenden der "Aufnahmemitgliedstaat"), und zwar in vier Fällen, in denen die Prüfung der Kommission ergeben hat, dass diese notwendig ist:

Hinsichtlich einer möglichen Nichteinhaltung der Datenschutzvorschriften hat die Harmonisierung des Datenschutzrahmens durch die Datenschutz-Grundverordnung und die Richtlinie über den Datenschutz für die Polizei unionsweit einen kohärenten Rahmen geschaffen, der die Einhaltung hoher Datenschutzstandards in allen Mitgliedstaaten gewährleistet. Die vorgeschlagenen Regeln für elektronische Beweismittel tragen diesen Rahmen in vollem Umfang Rechnung und bauen darauf auf Eine systematische Notifikation des "Aufnahmemitgliedstaats" könnte .für diesen Staat erheblichen Verwaltungsaufwand mit sich bringen, insbesondere dann, wenn ein Diensteanbieter beschließen würde, nur einen Vertreter in einem Mitgliedstaat zu benennen. Dieser "Aufnahmemitgliedstaat" würde somit Notifikationen von allen anderen teilnehmenden Mitgliedstaaten erhalten und müsste diese innerhalb einer knappen Frist prüfen. Vor allem aber hätte dieser "Aufnahmemitgliedstaat" sehr häufig keinerlei Verbindung zu der Ermittlung, und zwar weder zum Fall noch zu Opfer oder Täter. Seine Einbindung würde ausschließlich auf der Benennung eines Vertreters in seinem Hoheitsgebiet beruhen. Angesichts dieser mangelnden Verbindung zu der Ermittlung erscheint es nicht angebracht, der Rechtsordnung dieses Mitgliedstaats eine wichtige Rolle im Verfahren einzuräumen. Dies würde außerdem den Diensteanbietern die Möglichkeit bieten, den günstigsten Gerichtsstand zu wählen.

Die Kommission ist sich der Bedeutung von Vorrechten und Immunitäten in den nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten bewusst. Diese Immunitäten und Vorrechte wurden bisher nicht harmonisiert. Daher hat die Kommission in die Verordnung eine Verpflichtung zur Prüfung und Berücksichtigung geltender Immunitäten und Vorrechte in verschiedenen Phasen des Verfahrens aufgenommen. Bei der Prüfung dieser Immunitäten und Vorrechte stützt sich die Kommission vertrauensvoll auf die bestehenden Netze und Agenturen, die in diesen Situationen kontaktiert werden sollten, um Behörden des Anordnungsstaals zu unterstützen, und die Kommission ist bereit, den Angehörigen der Rechtsberufe Orientierungshilfe zu geben.

Nummern 8 und 9: Die Kommission verweist auf die vorstehenden Erläuterungen. Vor allem hätte der "Aufnahmemitgliedstaat" sehr häufig keinerlei Verbindung zu der Ermittlung, und zwar weder zum Fall noch zu Opfer oder Täter. Angesichts dieser mangelnden Verbindung zu der Ermittlung erscheint es nicht angebracht, der Rechtsordnung dieses Mitgliedstaats eine wichtige Rolle im Verfahren, auch in Bezug auf die beiderseitige Strafbarkeit, einzuräumen. Insbesondere in Fällen, in denen der Vertreter der Adressat ist, sollte diese Rechtsordnung nach Auffassung der Kommission vor dem Hintergrund der besonderen Merkmale elektronischer Beweismittel nicht die Grundlage für das anwendbare Verfahrensrecht bilden.

Nummer 11: Die Kommission erkennt an, dass es nach derzeit geltendem nationalem Recht möglich ist, dass die Polizeibehörden um die Herausgabe von Teilnehmer- oder vergleichbare Zugangsdaten ersuchen. Andererseits erlaubt die Rechtsgrundlage keine Vorschrift, die die Polizei als Anordnungsbehörde im weiteren Sinne definiert, da Artikel 82 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union nur die justizielle Zusammenarbeit abdeckt.

Nummer 12: Mit der in Artikel 4 der Verordnung vorgenommenen Unterscheidung erkennt die Kommission an, dass je nach der Kategorie der Daten, um die ersucht wird, unterschiedlich stark in die Grundrechte der betroffenen Person eingegriffen wird und daher ein höheres Schutzniveau erforderlich ist. Daher muss der Schutzstandard im Anordnungsstaat höher liegen.

Darüber hinaus ermöglicht es der Verordnungsentwurf den Untersuchungsbehörden, z.B. Transaktionsdaten aus einem anderen Mitgliedstaat, die im Rahmen einer nationalen Regelung zur Vorratsdatenspeicherung gespeichert wurden, zu erlangen. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in seiner Rechtsprechung klare Bedingungen für solche Situationen festgelegt, unter anderem die Beteiligung eines Richters oder eines Gerichts2.

Nummern 14-17: In seiner Stellungnahme äußert der Bundesrat ferner Bedenken in Bezug auf den US-amerikanischen Cloud-Act und seine Wechselwirkungen mit den vorgeschlagenen Instrumenten. Derzeit besteht - außer in Notfällen - keine Möglichkeit, einen US-amerikanischen Diensteanbieter dazu zu zwingen, Inhaltsdaten außerhalb eines Amtshilfeverfahrens offenzulegen. Daran ändert sich nichts durch die vorgeschlagenen Instrumente, die einen Rechtsrahmen für die Einholung von Teilnehmer-, Zugangs- und Transaktionsdaten von US-amerikanischen Betreibern, die ihre Dienste in der Union anbieten, schaffen.