Unterrichtung durch die Europäische Kommission
Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat: Auf dem Weg zu einer vertieften und echten Wirtschafts- und Währungsunion - Vorabkoordinierung größerer wirtschaftspolitischer Reformvorhaben - COM (2013) 166 final

Der Bundesrat wird über die Vorlage gemäß § 2 EUZBLG auch durch die Bundesregierung unterrichtet.

Hinweis: vgl.
Drucksache 864/11 (PDF) = AE-Nr. 111162 und
Drucksache 743/12 (PDF) = AE-Nr. 120958

Brüssel, den 20.3.2013
COM (2013) 166 final

1. Einleitung

Die Lehren aus der jüngsten Wirtschafts-, Finanz- und Staatsschuldenkrise haben zu einer grundlegenden Überarbeitung der wirtschaftspolitischen Steuerung in der EU und der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) geführt. Durch die im Europäischen Semester zusammengelegte Überwachung der Wirtschafts-, Haushalts- und Strukturpolitik ist die WWU heute robuster als bei Ausbruch der Krise und für die Zukunft besser gewappnet. Die Überwachung erstreckt sich nun auch auf die Wettbewerbsfähigkeit sowie interne und externe Ungleichgewichte im Rahmen des neuen Verfahrens bei makroökonomischen Ungleichgewichten (Macroeconomic Imbalances Procedure - MIP).

Der neue Steuerungsrahmen soll der Union helfen, gestärkt aus der Krise hervorzugehen, indem Wettbewerbsfähigkeit, Produktivität, Wachstumspotenzial, sozialer Zusammenhalt und wirtschaftliche Konvergenz erhöht werden. Dies wird der EU nicht nur im Inneren zugute kommen, sondern auch ihre internationale Rolle als Schlüsselakteur in der Weltwirtschaft stärken.

Die neue wirtschaftspolitische Überwachungsarchitektur in der EU und insbesondere im Euroraum sieht eine Differenzierung zwischen den Mitgliedstaaten je nach deren wirtschaftlichen Bedingungen vor. Dies kommt in den verschiedenen Politikinstrumenten zum Ausdruck, die von der präventiven Überwachung im Rahmen des Europäischen Semesters1 über die korrektive Überwachung2 bis hin zur Krisenüberwachung bei Mitgliedstaaten reichen, die Rettungsmechanismen in Anspruch nehmen wollen.

Um diesen Steuerungsrahmen zu komplettieren, ist es aus Sicht der Kommission wichtig, dass größere wirtschaftspolitische Reformvorhaben der Mitgliedstaaten auf EU-Ebene bewertet und erörtert werden, bevor auf nationaler Ebene endgültige Entscheidungen fallen. Dies würde auch sicherstellen, dass die Mitgliedstaaten die EU-Dimension zentraler Reformen bei ihren nationalen Entscheidungsprozessen berücksichtigen. Dies ist die sogenannte Vorabkoordinierung, die auch den Geist des Artikels 121 Absatz 1 AEUV3 widerspiegelt.

Die Idee der Vorabkoordinierung größerer wirtschaftspolitischer Reformvorhaben wurde mit dem Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion (SKS-Vertrag)4 eingeführt.

Artikel 11 SKS-Vertrag verpflichtet die Vertragsparteien, alle von ihnen geplanten größeren wirtschaftspolitischen Reformen untereinander zu erörtern und gegebenenfalls zu koordinieren. Der SKS-Vertrag sieht vor, dass sein Inhalt binnen maximal fünf Jahren nach seinem Inkrafttreten in den Rechtsrahmen der EU überführt wird. Der aktuelle EU-Rahmen für die wirtschaftspolitische Überwachung umfasst zwar ein Verfahren zur Koordinierung der Wirtschaftspolitik, sieht aber keine strukturierte Voraberörterung und -koordinierung geplanter größerer wirtschaftspolitischer Reformen im Sinne von Artikel 11 SKS-Vertrag vor. Dass größere Reformen mit möglichen Übertragungseffekten vorab erörtert werden sollen, wurde auch in der Empfehlung des Rates von 2012 zur Umsetzung der Grundzüge der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist 5, bestätigt.

In ihrem Konzept für eine vertiefte und echte Wirtschafts- und Währungsunion vom November 20126 stellte die Kommission bereits Überlegungen zur Vorabkoordinierung an. Auf seiner Tagung vom 13. und 14. Dezember 2012 ersuchte der Europäische Rat die Präsidenten des Europäischen Rates und der Kommission, die Arbeiten in folgenden Bereichen weiterzuführen: Koordinierung der nationalen Reformen, soziale Dimension der WWU, einschließlich des sozialen Dialogs, Durchführbarkeit und Modalitäten von gegenseitig vereinbarten Verträgen für Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum und Solidaritätsmechanismen, durch die die Anstrengungen der Mitgliedstaaten, die solche Vereinbarungen schließen, unterstützt werden können.7

Die vorliegende Mitteilung ist ein Beitrag zu der aktuellen Diskussion zwischen den maßgeblichen Interessenträgern, insbesondere dem Europäischen Parlament, den Mitgliedstaaten und den nationalen Parlamenten, über die nächsten Schritte auf dem Weg zu einer vertieften und echten WWU. Sie konzentriert sich auf die Frage, wie die Vorabkoordinierung größerer wirtschaftspolitischer Reformvorhaben im Rahmen der bestehenden Verträge umgesetzt werden kann.

2. Auswahl VORAB zu koordinierender Reformen

Nach Auffassung der Kommission sollte die Vorabkoordinierung nur für größere wirtschaftspolitische Reformvorhaben der Mitgliedstaaten gelten und frühzeitig vor der Verabschiedung der Maßnahmen erfolgen. Grund für die Vorabkoordinierung ist der Wunsch zu gewährleisten, dass mögliche Übertragungseffekte größerer wirtschaftspolitischer Reformen eines Mitgliedstaats auf andere Mitgliedstaaten bzw. den Euroraum und die EU im nationalen Entscheidungsprozess auch berücksichtigt werden. Die Art und Weise, wie Reformen umgesetzt werden, kann einen Einfluss auf die reibungslose Funktionsweise der WWU haben.

Um positive Übertragungseffekte zu maximieren und negative zu minimieren, erwägt die Kommission vorzuschlagen, dass die zu koordinierenden Reformen nach folgenden Filtern relevant sein sollten:

Fragen an die Konsultationsteilnehmer:

3. Rahmen für die Vorabkoordinierung grösserer Wirtschaftspolitischer Reformvorhaben

3.1. Welche Mitgliedstaaten sollten einbezogen werden?

Übertragungseffekte sind zwar zwischen allen Mitgliedstaaten möglich, werden im Euroraum aber aufgrund der größeren wechselseitigen Abhängigkeiten der Euro-Länder verstärkt. Aus diesem Grund erwägt die Kommission vorzuschlagen, dass ein verbindlicher Rahmen für die Vorabkoordinierung größerer wirtschaftspolitischer Reformvorhaben für alle Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets gelten sollte. Gleichzeitig sollten Möglichkeiten geschaffen werden, auch andere Mitgliedstaaten einzubeziehen. Dies würde auch den Geist des Artikels 121 Absatz 1 AEUV widerspiegeln, der für alle EU-Mitgliedstaaten gilt.

Die Kommission erwägt, Mitgliedstaaten mit einem makroökonomischen Anpassungsprogramm von den Meldepflichten und Erörterungen im Rahmen der Vorabkoordinierung auszunehmen, da sie im Rahmen des Programms bereits strengen Berichtspflichten und einer Überwachung unterliegen 8, denkt jedoch zugleich darüber nach, ihnen eine freiwillige Beteiligung zu ermöglichen.

Fragen an die Konsultationsteilnehmer:

3.2. Verfahren

Die Kommission erwägt für die Vorabkoordinierung folgendes Verfahren:

Fragen an die Konsultationsteilnehmer:

3.3. Demokratische Legitimität gewährleisten

Ein Rahmen für die Vorabkoordinierung der wichtigsten nationalen Reformvorhaben kann deren Umsetzung fördern und die Reformgestaltung verbessern, die effizienzsteigernde Wirkung von Reformen gewährleisten und sicherstellen, dass Übertragungseffekte auf andere Länder bei den nationalen Verfahren berücksichtigt werden.

Demokratische Legitimität und Rechenschaftspflicht des Prozesses müssen bei den demokratischen Einrichtungen der Mitgliedstaaten beginnen. Das geplante neue Verfahren respektiert die nationalen Entscheidungsgewalten und überlässt die Entscheidung über das Reformvorhaben letztlich dem betreffenden Mitgliedstaat. Das im obigen Abschnitt 3.2 beschriebene Verfahren ist eine Möglichkeit, diese Anforderung zu erfüllen. Die Vorabkoordinierung auf EU-Ebene sollte so organisiert werden, dass sie den Reformprozess in den Mitgliedstaaten erleichtert und durch bessere Gestaltung der Reformen einen Mehrwert bringt. Auf EU-Ebene könnte ein Verfahren des wirtschaftspolitischen Dialogs ins Auge gefasst werden, bei dem beispielsweise die Kommission, der Ratspräsident oder der Eurogruppen-Präsident vom zuständigen Ausschuss des Europäischen Parlaments eingeladen würden, die Stellungnahme der Kommission zu den Reformvorhaben eines Mitgliedstaats sowie die Ergebnisse der Gespräche im Rat zu erörtern. Der zuständige Ausschuss des Europäischen Parlaments könnte auch die Mitgliedstaaten zur Teilnahme an einem Meinungsaustausch über größere wirtschaftspolitische Reformvorhaben einladen.

Fragen an die Konsultationsteilnehmer:

4. NÄCHSTE Schritte

Im Anschluss an diese Konsultation und weitere Gespräche mit dem Europäischen Parlament und dem Rat wird die Kommission im Laufe von 2013 im Rahmen der bestehenden Verträge einen förmlichen Legislativvorschlag vorlegen.