Antrag des Landes Berlin
Entschließung des Bundesrates zur Stärkung der Gerechtigkeit in der Gesundheitsversorgung durch erste Schritte in Richtung einer Bürgerversicherung

Der Regierende Bürgermeister von Berlin Berlin, 22. März 2017

An die Präsidentin des Bundesrates
Frau Ministerpräsidentin
Malu Dreyer

Sehr geehrte Frau Präsidentin,
der Senat von Berlin hat beschlossen, dem Bundesrat die als Anlage beigefügte Entschließung des Bundesrates zur Stärkung der Gerechtigkeit in der Gesundheitsversorgung durch erste Schritte in Richtung einer Bürgerversicherung zuzuleiten.

Ich bitte Sie, die Vorlage gemäß § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates auf die Tagesordnung der Sitzung des Bundesrates am 31. März 2017 aufzunehmen und anschließend den zuständigen Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.

Mit freundlichen Grüßen
Michael Müller

Entschließung des Bundesrates zur Stärkung der Gerechtigkeit in der Gesundheitsversorgung durch erste Schritte in Richtung einer Bürgerversicherung

Der Bundesrat möge beschließen:

Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, zeitnah einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem

Begründung:

Zu 1)

Faktisch besitzen Beamtinnen und Beamte kein Wahlrecht, wenn sie entscheiden, ob sie Mitglied einer gesetzlichen oder einer privaten Krankenversicherung sein wollen. Denn finanziell ist die private Krankenversicherung für sie die finanziell günstigere Option: Der Dienstherr gewährt über die Beihilfe eine direkte Kostenbeteiligung an den Kosten einer Krankenbehandlung. Darüber hinaus gehende Kosten müssen über eine private Krankenversicherung versichert werden. Dieser Teilkostentarif wird von der GKV nicht angeboten. Entscheiden sich Beamtinnen und Beamte für eine gesetzliche Krankenversicherung, steht ihnen i.d.R. keine Beihilfe zu, denn für Beamtinnen und Beamte ergibt sich gegenwärtig ein Anspruch auf einen Beitragszuschuss zu den Krankenversicherungsbeiträgen der GKV weder unter dem Gesichtspunkt der Fürsorgepflicht des Dienstherrn noch aus den Beihilfevorschriften. Zudem müssen sie den Arbeitgeberanteil des Krankenkassenbeitrages selber tragen.

Bei der Schaffung eines echten Wahlrechts für Beamtinnen und Beamte handelt es sich vor allem um eine Frage der Gerechtigkeit. De facto gilt für Beamtinnen und Beamte aus finanziellen Gründen eine Versicherungspflicht in der PKV, da die GKV für sie finanziell unattraktiv ist. Damit werden sie nicht nur diskriminiert, sondern auch einem System ausgesetzt, dessen Behandlungen oftmals über das medizinisch Notwendige hinausgehen. Denn während in der GKV

Patientinnen und Patienten der Grundsatz der evidenzbasierten Medizin schützt, werden bei privat Versicherten auch oft Behandlungen durchgeführt, deren medizinischer Nutzen fragwürdig ist - ihre Durchführung aber lukrativ. Auch zum Schutz der privat Versicherten ist die Zusammenführung von gesetzlicher und privater Versicherung hin zu einer Bürgerversicherung geboten.

Dass ein Wahlrecht die öffentlichen Haushalte teuer zu stehen kommen würde, hat zuletzt eine Studie des IGES-Instituts widerlegt. Zwar müsste diese Studie durch eine Untersuchung auf breiterer Datenbasis ergänzt werden. Dennoch ist festzustellen, dass die Studie zu dem Ergebnis kommt, dass die Beihilfeausgaben bis 2030 stark steigen werden. Die Ausgaben für den Bund sollen bis 2030 um 46 Prozent auf jährlich 6,6 Milliarden Euro steigen. Für die Länder erhöhen sich die Kosten für die Beihilfe sogar um mehr als 80 Prozent auf 13,6 Milliarden Euro pro Jahr. Grund hierfür ist, dass die geburtenstarken Jahrgänge 1955 bis 1965 nach und nach ihre Pension antreten. Dadurch erhalten sie einen auf 70 Prozent der Behandlungskosten erhöhten Anspruch auf Beihilfe. Würden 90 Prozent der Beamtinnen und Beamten in die GKV wechseln, würden die öffentlichen Haushalte entlastet, da der Arbeitgeberanteil des Krankenkassenbeitrages nur 75 Prozent der früher anfallenden Beihilfezahlungen betragen würde.

Beamtinnen und Beamten muss der bezahlbare Zugang zur GKV ermöglicht werden. Denkbare Optionen wären hier, die bereits nach § 14 SGB V für Beschäftigte der Krankenkassen bestehenden Teilkostentarife auf alle Beamtinnen und Beamte auszudehnen, die Beihilfe in den Arbeitgeberbeitrag umzuwandeln oder beide Varianten zu kombinieren.

Zu 2)

Wenn sich Selbstständige gesetzlich versichern wollen, stehen sie vor allem vor zwei Problemen: Erstens müssen sie den gesamten Krankenversicherungsbetrag selber bezahlen. Zweitens unterstellt ihnen ihre Krankenkasse bei der Beitragsberechnung ein vom Gesetzgeber festgelegtes Mindesteinkommen. Dieses unterstellte Mindesteinkommen ist aber oftmals deutlich höher als das reale Einkommen der Selbstständigen. Deswegen schaffen es immer mehr Selbstständige nicht mehr, ihren Krankenkassenbeitrag zu bezahlen. Das ist sozial ungerecht. Niemand kann sich bei dieser finanziellen Belastung gegen Krankheit versichern und gleichzeitig seinen Lebensunterhalt bestreiten oder eine Altersvorsorge ansparen. So ist Armut vorbestimmt.

Zu 3)

Die paritätische Finanzierung der Krankenversicherungsbeiträge mit der jeweils hälftigen Aufbringung der Beiträge durch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber wurde im Jahr 1951 eingeführt und hatte bis zum Jahr 2005 Bestand. In Folge des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes (GMG) wurden die Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung mit einem Sonderbeitragssatz in Höhe von 0,9 Prozent belastet und gleichzeitig die Beitragssätze der Krankenkassen um 0,9 Prozent gesenkt. Der Sonderbeitragssatz führte im Ergebnis zu einer Mehrbelastung der Arbeitnehmer von 0,45 Prozent und zu einer Absenkung der Gesamtbelastung der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber um ebenfalls 0,45 Prozent.

Mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) wurden im Januar 2009 der Gesundheitsfonds sowie ein durch Verordnung festgelegter "allgemeiner Beitragssatz" in Höhe von zunächst 15,5 Prozent eingeführt. Der Arbeitgeberanteil betrug 7,3 Prozent, die Mitglieder wurden mit 8,2 Prozent belastet. Sofern eine Krankenkasse mit Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds nicht auskam, konnte sie pauschale und einkommensunabhängige Zusatzbeiträge von den Mitgliedern erheben. Es war gesetzlich vorgesehen, bei steigenden Ausgaben den allgemeinen Beitragssatz jeweils anzuheben.

Mit dem Finanzstruktur- und Qualitäts-Weiterentwicklungsgesetz (GKV-FQWG) wurden zum Januar 2015 die pauschalen Zusatzbeiträge abgeschafft und der allgemeine Beitragssatz auf 14,6 Prozent festgelegt. Seitdem wird der allgemeine Beitragssatz hälftig von der Arbeitgeberin oder dem Arbeitgeber und von der Arbeitnehmerin oder dem Arbeitnehmer finanziert. Sofern die Krankenkassen mit den Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds nicht auskommen, müssen sie nun einen einkommensabhängigen, prozentualen Zusatzbeitrag erheben, der allein von den Mitgliedern getragen wird. Der Beitragssatz der Arbeitgeber dagegen ist nun gesetzlich dauerhaft auf 7,3 Prozent festgeschrieben. Damit wird die ehemals paritätische Finanzierung systematisch unausweichlich immer weiter zu Ungunsten der Beschäftigten und Rentnerinnen und Rentner verschoben.

Schon für die kommenden Jahre rechnen alle Expertinnen und Experten mit steigenden Ausgaben und folgend höheren Beiträgen. Die Mehrbelastungen müssen gemäß Rechtslage ausschließlich von den Mitgliedern bzw. Versicherten getragen werden. Vor diesem Hintergrund ist eine Rückkehr zur paritätischen Finanzierung dringend geboten, um die Lasten zwischen Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gerecht zu verteilen. Genauso wie der allgemeine Beitragssatz soll künftig auch der Zusatzbeitrag zur Hälfte von der Arbeitgeberin oder dem Arbeitgebern und von der Arbeitnehmerin oder dem Arbeitnehmer getragen werden. In der Folge würde dann auch die gesetzliche Rentenversicherung den hälftigen Zusatzbeitrag zur Krankenversicherung der Rentnerinnen und Rentner tragen.