Antrag des Landes Nordrhein-Westfalen
Entschließung des Bundesrates zur Änderung des Euratom-Vertrages - europaweiten Atomausstieg voranbringen

Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien des Landes Nordrhein-Westfalen Düsseldorf, den 18. Mai 2011

An die Präsidentin des Bundesrates
Frau Ministerpräsidentin
Hannelore Kraft

Sehr geehrte Frau Präsidentin,
die Landesregierung Nordrhein-Westfalen hat beschlossen, dem Bundesrat den als Anlage beigefügten Antrag für eine "Entschließung des Bundesrates zur Änderung des Euratom-Vertrages - europaweiten Atomausstieg voranbringen" zuzuleiten.

Ich bitte Sie, den Entschließungsantrag gemäß § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung auf die Tagesordnung der Bundesratssitzung am 27. Mai 2011 zu setzen. Mit freundlichen Grüßen
Dr. Angelica Schwall-Düren

Entschließung des Bundesrates zur Änderung des Euratom-Vertrages - europaweiten Atomausstieg voranbringen

Der Bundesrat möge beschließen:

Begründung:

Zu 1.

Der Vertrag zur Gründung einer europäischen Atomgemeinschaft wurde in den nunmehr 54 Jahren seiner Unterzeichnung am 25. März 1957 in Rom kaum verändert. Die Vorzeichen, unter denen er gegründet wurde, sind jedoch völlig andere als die, unter denen heute eine verantwortliche Energiepolitik betrieben werden muss. Damaliges Ziel war, die Entwicklung der zivilen Atomenergienutzung in Europa zu fördern, in dem Bewusstsein, dass die Kernenergie eine unentbehrliche Hilfsquelle für die Entwicklung und Belebung der Wirtschaft und für den friedlichen Fortschritt darstellt. Die Hoffnungen auf eine saubere und vor allem sichere Energieversorgung durch Atomenergie haben sich jedoch nicht erfüllt. Dies haben die Unfälle von Harrisburg, Tschernobyl oder auch Fukushima leidvoll gezeigt. Zudem sind wichtige Fragen, wie die der Endlagerung der atomaren Abfälle, auch heute noch ungelöst.

Der Vertrag hat den politischen und gesellschaftlichen Wandel bei der Akzeptanz der Atomenergie nicht nachvollzogen. Die Zielrichtung des Euratom-Vertrages "die Voraussetzungen für die Entwicklung einer mächtigen Kernindustrie zu schaffen" steht vielmehr in eklatantem Widerspruch zu den Bemühungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union, eine sichere und nachhaltige Energieversorgung durch erneuerbare Energien zu verwirklichen. Trotz divergierender Ansichten der Mitgliedstaaten zur Atomkraft besteht doch ein Konsens dahingehend, dass die Zukunft der Energieversorgung nicht in der Kernspaltung, sondern in regenerativen Energien liegt.

Zu 2.

Ein möglicher atomarer Unfall und seine Folgen bedrohen die Bevölkerung ganz Europas. Nur ein gemeinsames europäisches Handeln kann die Bevölkerung und die Umwelt ausreichend schützen. Um ein zukunftsfähiges Energiekonzept zu entwickeln, muss zunächst der Vertrag zur Gründung einer Europäischen Atomgemeinschaft grundlegend reformiert werden.

Bisher hat der Euratom-Vertrag alle energiepolitischen Debatten der letzten Jahrzehnte nahezu unverändert überstanden. Auch nach Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon blieb die Europäische Atomgemeinschaft als eigenständige Organisation neben der EU bestehen. Der Euratom - Vertrag wurde lediglich an die neuen Regelungen angepasst, blieb aber inhaltlich unverändert. Damit wurde die Chance vertan, den Euratom-Vertrag an die energiepolitischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts anzupassen. Der Aktualisierungsbedarf wurde jedoch schon von einigen Mitgliedstaaten, darunter der Bundesrepublik, erkannt. Sie gab mit anderen Mitgliedstaaten folgende Erklärung zur Schlussakte von Lissabon vom 13. Dezember 2007 ab:

Erklärung Nr. 54: Deutschland, Irland, Ungarn, Österreich und Schweden stellen fest, dass die zentralen Bestimmungen des Vertrags zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft seit seinem Inkrafttreten in ihrer Substanz nicht geändert worden sind und aktualisiert werden müssen. Daher unterstützen sie den Gedanken einer Konferenz der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten, die so rasch wie möglich einberufen werden sollte."

An diese Erklärung muss nun angeknüpft werden.

Zu 3.

Der Euratom - Vertrag entspricht mit seinen Regelungen nicht mehr der heutigen Bewertung der Kernenergie mit all ihren Risiken. Durch die Neuausrichtung muss daher zunächst die Sonderstellung abgeschafft werden, die der Kernenergie bisher durch den Euratom-Vertrag - bspw. durch Investitionserleichterungen - zukommen. Diese Sonderstellung entspricht auch nicht der Rolle, die die Energieerzeugung durch Kernkraft tatsächlich im Rahmen des Energiemixes der europäischen Mitgliedstaaten einnimmt: ihr Anteil an der Energieerzeugung liegt bei rund einem Viertel in der gesamten EU.

Die bestehenden Einrichtungen der Europäischen Atomenergiebehörde sollen künftig verstärkt dazu genutzt werden, höchste einheitliche Sicherheitsstandards in der EU zu garantieren und die Forschung und Entwicklung von Sicherheits- und Endlagerkonzepten voranzutreiben. Dabei soll auch der Austausch mit den Nachbarländern der EU gefördert werden, um auch diese an der Verbesserung der Sicherheit von Atomkraftanlagen teilhaben zu lassen.

Der Euratom-Vertrag steht in seiner jetzigen Fassung im Widerspruch zur Energiepolitik vieler Mitgliedstaaten. Zudem bietet er keine Lösung für die drängenden energiepolitischen Fragen des 21. Jahrhunderts.