Gesetzesantrag des Landes Baden-Württemberg
Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der Persönlichkeitsrechte bei Abstammungsuntersuchungen

A. Problem und Ziel:

B. Lösung:

C. Alternativen:

D. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte:

E. Sonstige Kosten:

Gesetzesantrag des Landes Baden-Württemberg
Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der Persönlichkeitsrechte bei Abstammungsuntersuchungen

Staatsministerium Baden-Württemberg Stuttgart, den 21. April 2005

Der Staatssekretär

An den

Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Matthias Platzeck

Sehr geehrter Herr Präsident,

die Regierung des Landes Baden-Württemberg hat beschlossen, dem Bundesrat den als Anlage mit Begründung beigefügten

zuzuleiten.

Ich bitte, die Vorlage gemäß § 36 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates in die Tagesordnung der Sitzung des Bundesrates am 29. April 2005 aufzunehmen. Nach Vorstellung im Plenum soll der Gesetzentwurf den Ausschüssen zur weiteren Beratung überwiesen werden.

Mit freundlichen Grüßen

Rudolf Böhmler

Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der Persönlichkeitsrechte bei Abstammungsuntersuchungen

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs

§ 1600 des Bürgerlichen Gesetzbuchs in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 400-2, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch geändert worden ist, wird folgender Absatz 5 angefügt:

Artikel 2
Schlussvorschriften

(1) Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.

(2) Eine vor Inkrafttreten dieses Gesetzes veranlasste genetische Untersuchung oder Gewinnung von Proben kann nach Maßgabe des § 1600 Abs. 5 BGB für die Vorbereitung einer gerichtlichen Anfechtung der Vaterschaft verwendet werden.

Begründung

A. Allgemeines

1. Zielsetzung:

Die Landesregierung Baden-Württemberg ist bestrebt, dem verbreiteten Bedürfnis Rechnung zu tragen, Zweifel an der Abstammung eines Kindes auf diskrete, die persönlichen Beziehungen der Beteiligten nicht belastende Weise zu klären, zugleich die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen zu wahren und dadurch Ehe und Familie zu schützen. Dabei sollen zusätzliche Gerichts- oder Verwaltungsverfahren vermieden werden.

Dieses Ziel lässt sich nur erreichen, wenn einem bestimmten, eng umgrenzten Personenkreis gestattet wird, ohne Einschaltung eines Gerichts oder einer Behörde die notwendige genetische Untersuchung auch ohne Einwilligung anderer an dem Kindschaftsverhältnis beteiligter Personen zu veranlassen.

2. Inhalt:

Nur unter bestimmten Voraussetzungen kann die rechtliche Vaterschaft durch Anfechtung beseitigt und danach gemäß § 1594 BGB oder § 1600d BGB ein anderer Mann zum Vater bestimmt werden. § 1600 BGB bestimmt den Kreis der anfechtungsberechtigten Personen abschließend. Anfechtungsberechtigt sind

Die Ausübung des Anfechtungsrechtes ist fristgebunden. Die Anfechtungsfrist beträgt für alle Anfechtungsberechtigten zwei Jahre, beginnend mit der Kenntnis der gegen die Vaterschaft sprechenden Umstände ( § 1600b BGB). Für ein Kind, dessen gesetzlicher Vater die Vaterschaft nicht rechtzeitig angefochten hat, beginnt die Frist mit der Volljährigkeit neu. Erlangt es eigene Kenntnis erst später, so beginnt die Frist erst mit dieser. Das Anfechtungsrecht ist höchstpersönlich (§ 1600a BGB). Für das minderjährige Kind kann nur sein gesetzlicher Vertreter anfechten. Er ist in seiner Entscheidung insoweit nicht frei. Die Anfechtung durch den gesetzlichen Vertreter ist nur zulässig, wenn sie dem Wohl des Vertretenen dient (§ 1600a Abs. 4 BGB). Wer eine Vaterschaft anfechten will, muss zur Begründung seiner Klage die Umstände vortragen, die bei objektiver Betrachtung geeignet sind, Zweifel an der Abstammung des Kindes von dem als Vater Geltenden zu wecken und die Möglichkeit der Abstammung des Kindes von einem anderen Mann als nicht ganz fern liegend erscheinen zu lassen. Der Anfechtende muss sich also von der Vater-Kind-Beziehung lossagen. Dies birgt die Gefahr, dass - auch bei im Ergebnis erfolgloser Anfechtung - das sozialfamiliäre Band zwischen dem Kind und einem Elternteil oder zwischen dem Elternpaar zerbricht. Der Bundesgerichtshof hat in zwei Urteilen vom 12. Januar 2005 (XII ZR60/ 03 und XII ZR 227/03) entschieden, dass nach derzeitiger Rechtslage eine heimlich eingeholte genetische Analyse im Vaterschaftsanfechtungsverfahren nicht verwertbar ist, dass sie insbesondere auch nicht für die schlüssige Begründung einer Anfechtungsklage herangezogen werden kann.

Der in § 1600 Abs. 1 BGB bestimmte Kreis anfechtungsberechtigter Personen ist jeweils Träger eigener Rechtspositionen. Bei der Klärung der Abstammung sind die Interessen aller Betroffenen, Mutter, Vater und Kind, zu berücksichtigen:

Andererseits sind das aufgrund eines tatsächlichen Familienverbandes bestehende Elternrecht eines rechtlichen Vaters, auch wenn er nicht biologischer Vater ist, sowie die bestehende sozialfamiliäre Verantwortungsgemeinschaft durch Artikel 6 Abs. 2 GG geschützt. Der Gesetzgeber hat dem durch die Einschränkung des Anfechtungsrechts eines biologischen Vaters in § 1600 Abs. 2 BGB Rechnung getragen.

Nach den beiden Urteilen des Bundesgerichtshofs vom 12.1.2005 hat nach derzeitiger Rechtslage, die keine spezielle gesetzgeberische Abwägungsentscheidung enthält, das Recht des Vaters auf Klärung der Vaterschaft hinter dem Recht des Kindes auf informationelle Selbstbestimmung zurückzutreten. Dieses vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Recht gilt für Fallkonstellationen, bei denen der Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung unmittelbar durch den Staat erfolgt. Die Gewinnung einer Probe für eine genetische Untersuchung oder die Veranlassung der Untersuchung selbst zur Klärung der Abstammung ist jedoch nicht dem Staat zuzurechnen, sondern einer Privatperson. Gerade auch für den familiären Bereich und das Verhältnis zwischen rechtlichem und biologischem Vater sowie Mutter und Kind kommt dem Gesetzgeber eine Gestaltungsbefugnis zu, die konkreten Rechte und Pflichten der Elternteile nach Abwägung der betroffenen Rechtsgüter auszugestalten (BVerfGE 92, 158, 178 f.; 108, 82, 106).

Die Abwägung dieser grundrechtlich geschützten Positionen von Mutter, Vater und Kind gebietet eine differenzierte Betrachtungsweise. Die Verwendung des Genmaterials ohne Einwilligung dient einem legitimen Ziel, die tatsächliche Vaterschaft offen zu legen. Sowohl das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung als auch das Recht auf Kenntnis der Vaterschaft ist durch Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützt. Demgegenüber erscheint die heimliche Verwendung von Genmaterial für die anderen Beteiligten nicht als schwerwiegender oder unzumutbarer Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Zum einen ist auch eine untergeschobene Vaterschaft ethisch bedenklich, zumal sie für den Betroffenen weit reichende rechtliche und wirtschaftliche Konsequenzen hat. Vor allem aber ist die Gewinnung einer genetischen Probe ohne Kenntnis der übrigen Beteiligten geeignet, nicht nur bestehende Zweifel zu bestätigen, sondern - in den meisten Fällen - vorhandene Zweifel auszuräumen und dadurch die bestehende familiäre Beziehung zu schonen. Bei einer Offenlegung des Zweifels an der Vaterschaft ist dagegen in vielen Fällen zu befürchten, dass der Familienfriede nachhaltig gestört wird. Dies wäre vor allem der Fall, wenn durch den Wunsch, eine genetische Untersuchung vornehmen zu lassen, der Verdacht ehelicher Untreue ausgesprochen würde. Auch aus dem Gesichtspunkt des Kindeswohls ist die Klärung bestehender Zweifel ohne Kenntnis der übrigen Betroffenen weniger schwerwiegend als die Begutachtung im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens. Der Schutz von Ehe und Familie gebietet daher, für die Anfechtungsberechtigten eine genetische Untersuchung zur Klärung der Vaterschaft auch ohne Kenntnis der anderen Beteiligten zu ermöglichen. Zugleich soll zum Schutz der Persönlichkeitsrechte der Betroffenen eine solche Untersuchung jedoch nur unter sehr engen Voraussetzungen zugelassen werden.

3. Alternativen:

Der Gesetzesvorschlag regelt die Zulässigkeit einer genetischen Untersuchung zur Klärung der Abstammung auf verfassungsgemäße Weise, ohne ein zusätzliches gerichtliches Verfahren oder Verwaltungsverfahren vorzusehen. Außerdem wird davon abgesehen, eine Anfechtung der Vaterschaft "auf bloßen Verdacht" zu ermöglichen oder die Weigerung, in eine solche genetische Untersuchung einzuwilligen, als einen die Anfechtungsklage schlüssig machenden Grund ausreichen zu lassen. Dies würde im Hinblick auf rd. 50.000 jährlich in der Bundesrepublik Deutschland durchgeführte genetische Abstammungsgutachten zu einem deutlichen Anstieg gerichtlicher Anfechtungsverfahren und damit zu einer erheblichen Mehrbelastung nicht nur der Gerichte, sondern vor allem potentieller Anfechtungsgegner führen. Die genannten Alternativen sind deshalb nicht als milderer Eingriff in das durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht vorzuziehen.

4. Gesetzesfolgen:

Für den Bund, die Länder und Kommunen sowie für die Wirtschaft entstehen keine Kosten. Es ist vielmehr zu erwarten, dass die Möglichkeit der diskreten Klärung der Abstammung im Vorfeld eines gerichtlichen Anfechtungsverfahrens zur Entlastung der Länder und des Bundes (Gerichtsverfahren) führen wird.

B. Besonderer Teil

Zu Artikel 1 (Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs)

Die Abwägung der Persönlichkeitsrechte der Beteiligten, insbesondere auch ihres Rechtes auf informationelle Selbstbestimmung sowie der Schutz von Ehe und Familie führen dazu, dass eine genetische Untersuchung zur Klärung der Abstammung ohne Kenntnis der Betroffenen nur unter sehr engen Voraussetzungen zulässig sein soll.

Deshalb beschränkt die vorgeschlagene Regelung den Personenkreis auf die nach § 1600 Abs. 1 BGB zur Erhebung einer Anfechtungsklage Berechtigten. Selbst nahen Verwandten - etwa Großeltern -, denen gegenüber ein Kind unterhalts-, erb- oder pflichtteilsberechtigt sein kann, steht ein Anfechtungsrecht nicht zu. Sie sollen deshalb auch von der Möglichkeit ausgeschlossen bleiben, ohne Kenntnis der Anfechtungsberechtigten eine genetische Untersuchung vornehmen zu lassen.

Die Formulierung "zur Vorbereitung eines gerichtlichen Verfahrens" gewährleistet darüber hinaus, dass die Einholung und Verwendung des Gutachtens nicht nur beschränkt ist auf den Anfechtungsberechtigten selbst, sondern auch auf die Möglichkeit, das Ergebnis der genetischen Untersuchung für ein gerichtliches Anfechtungsverfahren zu verwerten, insbesondere für eine schlüssige Darlegung der Umstände, die geeignet sind, Zweifel an der Abstammung des Kindes zu wecken. Ist die Anfechtungsfrist dagegen abgelaufen oder die Vaterschaft anderweitig abschließend geklärt, soll eine rechtlich zulässige genetische Untersuchung ohne Einwilligung nicht eröffnet werden. Die vorgeschlagene Formulierung gewährleistet außerdem, dass die Untersuchung oder die Gewinnung von Proben auf die Klärung der Abstammung beschränkt ist. Feststellungen über andere Tatsachen dürfen nicht getroffen werden. Für andere Zwecke, insbesondere der Lebensplanung oder der Vorbereitung von Vertragsabschlüssen etwa im Versicherungsbereich oder im Arbeitsleben, darf die Untersuchung nicht erfolgen und dürfen gewonnene Proben oder Untersuchungsergebnisse nicht verwendet werden.

Gegenstand der genetischen Untersuchung ist der Vergleich des Genmaterials einer anfechtungsberechtigten Person im Sinne des § 1600 Abs. 1 BGB und des Anfechtungsgegners im Sinne des § 1600e BGB. Die Gewinnung von Proben erlaubt die Neuregelung nur unterhalb der Schwelle des § 223 StGB. Sie bietet keine Rechtfertigung für eine Körperverletzung. Der Hinweis auf die Grundsätze der Wissenschaft in der vorgeschlagenen Vorschrift greift Teile der Regelung des § 372a ZPO auf.

Zu Artikel 2 (Schlussvorschriften)

Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten. Außerdem sieht sie eine Übergangsregelung vor, die es ermöglicht, eine vor Inkrafttreten der Neuregelung von einer anfechtungsberechtigten Person veranlasste Untersuchung oder gewonnene Probe für ein gerichtliches Anfechtungsverfahren, insbesondere die schlüssige Begründung der Klage, zu verwenden.