Antrag des Landes Berlin
Entschließung des Bundesrates zur Verbesserung der Rehabilitierung, Entschädigung und Versorgung der nach 1945 in beiden deutschen Staaten von §§ 175, 175a Nr. 3 und 4 des Strafgesetzbuches und § 151 des Strafgesetzbuches der DDR Betroffenen

Der Regierende Bürgermeister von Berlin Berlin, 18. Juli 2018
Chef der Senatskanzlei

An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Regierenden Bürgermeister
Michael Müller

Sehr geehrter Herr Präsident,
der Senat von Berlin hat am 17. Juli 2018 beschlossen, dem Bundesrat die als Anlage mit Begründung beigefügte Entschließung des Bundesrates zur Verbesserung der Rehabilitierung, Entschädigung und Versorgung der nach 1945 in beiden deutschen Staaten von §§ 175, 175a Nr. 3 und 4 des Strafgesetzbuches und § 151 des Strafgesetzbuches der DDR Betroffenen zuzuleiten.

Ich bitte Sie, die Vorlage gemäß § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates auf die Tagesordnung der 970. Sitzung am 21.09.2018 zu setzen und sie anschließend den zuständigen Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.

Mit freundlichen Grüßen
Christian Gaebler

Entschließung des Bundesrates zur Verbesserung der Rehabilitierung, Entschädigung und Versorgung der nach 1945 in beiden deutschen Staaten von §§ 175, 175a Nr. 3 und 4 des Strafgesetzbuches und § 151 des Strafgesetzbuches der DDR Betroffenen

Der Bundesrat möge beschließen:

Begründung:

Der Bundesrat knüpft an seine Beschlüsse zur Rehabilitierung der nach 1945 in beiden deutschen Staaten gemäß §§ 175, 175a Nr. 3 und 4 des Strafgesetzbuches und gemäß § 151 des Strafgesetzbuches der DDR verurteilten Männer aus den Jahren 2012 (BR-Drs. 241/12 (PDF) ) und 2015 (BR-Drs. 189/15 (PDF) ) an. Er hat 2017 den Gesetzentwurf der Bundesregierung für das Gesetz zur strafrechtlichen Rehabilitierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilten Personen (StrRehaHomG) ausdrücklich begrüßt und ihm am 7. Juli 2017 zugestimmt. Gleichwohl sehen die Länder Nachbesserungsbedarfe, um die Rehabilitierung, Entschädigung und Versorgung der in der Zeit vom 08.05.1945 bis zum 11.06.1994 von der strafrechtlichen Verfolgung wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen Betroffenen zu verbessern.

Zu 1.(a):

Indem das StrRehaHomG den nach den genannten Vorschriften Verurteilten eine Rehabilitierung zuspricht, "es sei denn, den Verurteilungen liegen sexuelle Handlungen mit Personen unter 16 Jahren [...] zugrunde", wird rückwirkend eine Ungleichbehandlung wegen der sexuellen Orientierung fortgeschrieben. Während einvernehmliche sexuelle Handlungen zwischen Männern und Jungen bis zum Alter von 18 Jahren bis Juni 1989 ( § 151 StGB der DDR) bzw. Juni 1994 ( § 175 StGB der BRD) unter Strafe standen, unterlagen einvernehmliche heterosexuelle Handlungen sowohl in der BRD als auch in der DDR abweichenden Schutzaltersgrenzen. Diese knüpften eine Strafbarkeit zum Teil an das Vorliegen weiterer Bedingungen.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in mehreren Entscheidungen festgestellt, dass Strafgesetze, die für einvernehmliche homosexuelle Handlungen andere Schutzaltersgrenzen vorsehen als für einvernehmliche heterosexuelle Handlungen, gegen das in Art. 8 EMRK garantierte Recht auf Achtung des Privatlebens verstoßen1. Der bundesdeutsche Gesetzgeber hat diese Ungleichbehandlung 1994 im Zuge der deutschen Einigung mit der Streichung des § 175 aus dem Strafgesetzbuch beendet.

Zu 1.(b):

Nach Inkrafttreten des StrRehaHomG am 17.07.2017 wurde in den ersten Monaten seiner Anwendung sowohl im Rahmen der Bearbeitung von Rehabilitierungs- und Entschädigungsanträgen als auch in der Beratung von Betroffenen2 deutlich, dass weitere soziale Ausgleichsleistungen dringend notwendig sind, um das erfahrene Unrecht anzuerkennen und das damit einhergehende Leid zu mildern, das durch die genannten Vorschriften auch dort verursacht wurde, wo es nicht zu einer strafrechtlichen Verurteilung kam. Bekannt sind Fälle, in denen Betroffene monatelang ohne Anklage in Untersuchungshaft saßen3, Einweisungen von Jugendlichen in Einrichtungen der Fürsorgeerziehung, Disziplinarmaßnahmen und Entlassungen auf Grund von Festnahmen bei Razzien oder auf Grund von Denunziationen, Ausschlüsse von Studium und Beruf, öffentliche Bloßstelllungen und soziale Isolierung. Letzteres traf insbesondere Homosexuelle in der DDR, die zumeist nicht strafrechtlich angeklagt und verurteilt wurden. Durch die beruflichen, psychischen und materiellen Folgen leben etliche betroffene schwule Senioren heute an der Armutsgrenze oder leiden an Folgeerkrankungen. Hierfür ist ein sozialer Ausgleich zu schaffen durch

Eine Kostenregelung (in Anlehnung an § 20 StrRehaG) ist zu treffen, z.B. durch Einrichtung eines Entschädigungsfonds sowie die Bereitstellung von Verbrauchsvermögen und ggf. Festlegung eines Schlüssels, der die Kosten zwischen Bund und Ländern regelt. Es ist Eile geboten, damit die heute zumeist hochbetagten Betroffenen dies noch erleben können.

Zu 2.:

In der Zeit nach 1945 waren von den §§ 175, 175a Nr. 3 und 4 des Strafgesetzbuches und § 151 des Strafgesetzbuches der DDR nicht nur diejenigen betroffen, die strafrechtlich verfolgt und angeklagt wurden. Die Strafandrohung stellte darüber hinaus für alle gleichgeschlechtlich orientierten Personen eine massive Bedrohung im Alltag dar, die mit dem Zwang zur Geheimhaltung, dem Risiko, den Arbeitsplatz zu verlieren, Erpressungen und nicht selten Suizidversuchen und Suiziden einherging. Auch dieses Unrecht bedarf der Wiedergutmachung, die jedoch nicht individuell, sondern nur kollektiv erfolgen kann und soll.

Für das erlittene Unrecht, das über die Verurteilten hinaus alle Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen in der Zeit von 1945 bis 1994 betraf, sind deshalb die im Folgenden dargestellten kollektiven Formen der Entschädigung zu schaffen.

Im Einzelnen: