Gesetzentwurf der Bundesregierung
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Überstellungsausführungsgesetzes und des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen

A. Problem und Ziel

B. Lösung

C. Alternativen

D. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte

E. Sonstige Kosten

Gesetzentwurf der Bundesregierung
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Überstellungsausführungsgesetzes und des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen

Bundesrepublik Deutschland Berlin, den 26. Mai 2006
Die Bundeskanzlerin

An den
Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Peter Harry Carstensen

Sehr geehrter Herr Präsident,
hiermit übersende ich gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes den von der Bundesregierung beschlossenen

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Überstellungsausführungsgesetzes und des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen

mit Begründung und Vorblatt.

Federführend ist das Bundesministerium der Justiz.


Mit freundlichen Grüßen
Dr. Angela Merkel

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Überstellungsausführungsgesetzes und des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Änderung des Überstellungsausführungsgesetzes

Das Überstellungsausführungsgesetz vom 26. September 1991 (BGBl. I S. 1954, 1992 I S. 232, 1994 I S. 1425) wird wie folgt geändert:

Artikel 2
Änderung des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen

§ 71 Abs. 4 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. Juni 1994 (BGBl. I S. 1537), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 22. Juli 2005 (BGBl. I S. 2189) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

Artikel 3
Inkrafttreten

(1) Dieses Gesetz tritt an dem Tag in Kraft, an dem das Zusatzprotokoll vom 18. Dezember 1997 zu dem Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen nach seinem Artikel 4 in Kraft tritt.

(2) Der Tag, an dem dieses Gesetz in Kraft tritt, ist im Bundesgesetzblatt bekannt zu machen.

Begründung

Zu Artikel 1

Im Gegensatz zu dem Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen vom 21. März 1983 verzichtet das Zusatzprotokoll vom 18. Dezember 1997 in bestimmten Fällen auf das Erfordernis der Zustimmung der verurteilten Person zur Strafverbüßung im Heimatland.

Dem trägt - neben einer durch § 1 vorab vorgenommenen Klarstellung des auch für das Zusatzprotokoll und das Schengener Durchführungsübereinkommen geltenden Anwendungsbereiches des Überstellungsausführungsgesetzes [ÜAG (BGBl. 1991 I S. 1954)] - die Neufassung von § 2 ÜAG Rechnung, indem in Absatz 1 geregelt wird, dass auf Vollstreckungsersuchen nach dem Übereinkommen von 1983 - wie schon nach der bisherigen Fassung des § 1 ÜAG - § 71 Abs. 3 und 4 IRG keine Anwendung findet. Gleiches gilt für Fluchtfälle nach Artikel 2 des Zusatzprotokolls und den Artikeln 68 und 69 des Schengener Durchführungsübereinkommens.

§ 2 Absatz 2 stellt dagegen - aus einem Rückschluss zu Absatz 1 folgend letztlich deklaratorisch - klar, dass bei Vollstreckungsersuchen nach Artikel 3 des Zusatzprotokolls die Notwendigkeit einer gerichtlichen Zulässigkeitsentscheidung besteht.

Angesichts der erheblichen Tragweite, die der Entscheidung über die Vollstreckung einer Sanktion im Ausland für den Verurteilten zukommt, macht § 71 Absatz 4 Satz 1 IRG das Ersuchen um Vollstreckung einer freiheitsentziehenden Sanktion davon abhängig, dass die Zulässigkeit der Vollstreckung im Ausland von einem Gericht festgestellt worden ist. Das ÜAG sieht in seinem bisherigen § 1 (künftig § 2 Abs. 1) jedoch vor, dass § 71 Abs. 3 und 4 IRG für die vom Übereinkommen erfassten Fälle keine Anwendung findet. Während die Festlegung, dass Absatz 3 keine Anwendung findet, im Hinblick auf den Inhalt des Übereinkommens und § 1 Abs. 3 IRG (Vorrang völkerrechtlicher Regelungen vor den Vorschriften des IRG) nur deklaratorischen Charakter hat, ist die Nichtanwendbarkeit des Absatzes 4 konstitutiver Art.

In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu:

Da das Zusatzprotokoll jedoch bei Verurteilten, die der Ausweisung oder Abschiebung unterliegen (Artikel 3 des Zusatzprotokolls), auf ihre Zustimmung verzichtet, gelten die Erwägungen zur fehlenden Notwendigkeit einer gerichtlichen Zulässigkeitsprüfung in diesen Fällen nicht. Nach der Systematik des IRG muss bei wesentlichen Eingriffen in die Rechte von Betroffenen eine gerichtliche Zulässigkeitsentscheidung von Amts wegen vorgesehen werden, sofern die Betroffenen dem Eingriff nicht zustimmen. Dies gilt für die Vollstreckungshilfe im vertragslosen Bereich nach § 71 Abs. 4 IRG. Entsprechend ist es geboten, für die Fälle nach Artikel 3 des Zusatzprotokolls wieder eine gerichtliche Zulässigkeitsprüfung gemäß § 71 Abs. 4 IRG vorzusehen.

Die Anwendung der Regelung des § 71 Abs. 4 IRG auf Fälle nach Artikel 3 des Zusatzprotokolls vermeidet eine Zersplitterung des Rechtsschutzes bei Verfahren der internationalen strafrechtlichen Zusammenarbeit. Eine Überprüfung von Amts wegen in allen Fällen trägt dem Umstand Rechnung, dass sich im Hinblick auf die häufig schwierigen tatsächlichen und rechtlichen Fragen eine gerichtliche Überprüfung der Zulässigkeit der Vollstreckungshilfe bewährt hat.

Bei dieser gerichtlichen Zulässigkeitsprüfung wird namentlich geprüft, ob bei Abwägung aller persönlichen Umstände eine Überstellung gegen den Willen der verurteilten Person in Betracht kommt ob angesichts der Vollzugs- und Vollstreckungspraxis im Vollstreckungsstaat eine Überstellung überhaupt zulässig ist und ob ernstliche Gründe für die Annahme bestehen, dass die verurteilte Person im Falle ihrer Überstellung politisch verfolgt wird (vgl. dazu § 6 Abs. 2 IRG). Daneben sind die übergeordneten Wertungen des § 73 IRG (Ordre Public) zu achten. Die Entscheidung soll durch ein Oberlandesgericht getroffen werden (vgl. dazu nachfolgend Artikel 2).

Hingegen bedarf es bei den von Artikel 2 des Zusatzprotokolls erfassten Fällen der Flucht in einen anderen Vertragsstaat - ebenso wie bei den für die Schengenstaaten durch die Artikel 68 und 69 des Schengener Durchführungsübereinkommens geregelten und insoweit gleich gelagerten Fluchtfällen - keiner gerichtlichen Zulässigkeitsentscheidung gemäß § 71 Abs. 4 IRG. Hat sich der Verurteilte der Vollstreckung der freiheitsentziehenden Sanktion in Deutschland durch Flucht entzogen, so ist im Vergleich zu den durch Artikel 3 des Zusatzprotokolls geregelten Ausweisungs-/Abschiebefällen das Rechtsschutzbedürfnis des Verurteilten von geringerer Ausprägung. Da sich der Verfolgte bewusst in eine fremde Rechtsordnung begeben hat, scheidet ein schützenswertes Interesse beispielsweise an der Prüfung der Frage, ob er im ersuchten Staat politisch verfolgt wird (§ 71 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 6 Abs. 2 IRG), aus. Bei der Beurteilung des Rechtsschutzinteresses ist ferner zu berücksichtigen, dass im Falle der Flucht des Verurteilten der ersuchte Staat die volle Souveränität über den Verfolgten besitzt. Er kann seitens des ersuchenden Staates beispielsweise nicht daran gehindert werden, den Flüchtigen entgegen Artikel 3 Abs. 4 des Zusatzprotokolls unter Spezialitätsverstoß wegen anderweitiger Straftaten zu verfolgen.

Zu Artikel 2

§ 71 Abs. 4 IRG sieht in seiner derzeitigen Fassung die Zulässigkeitsprüfung durch ein Landgericht vor. Es erscheint jedoch geboten, die Entscheidung nach § 71 Abs. 4 IRG künftig den Oberlandesgerichten zuzuweisen. Hierdurch wird zum einen ein Gleichklang mit den von der Interessenlage der Betroffenen vergleichbaren Auslieferungsfällen geschaffen und die insoweit bestehende besondere Sachkunde der Oberlandesgerichte nutzbar gemacht.

Zum anderen wird das Überstellungsverfahren durch den mit der Zuweisung zu einem Oberlandesgericht verbundenen Wegfall des Instanzenzuges gestrafft. Die Landgerichte verfügen nach der bisherigen Rechtslage über keine besondere Erfahrung bei der Entscheidung von Fällen, in denen Verfolgte gegen ihren Willen an ausländische Justizbehörden überantwortet werden sollen. Weist man aus den vorbenannten Gründen Überstellungen nach dem Zusatzprotokoll künftig den Oberlandesgerichten zu, bietet es sich zwecks Vermeidung einer Zuständigkeitsspaltung bei Überstellungen auf vertragsloser Grundlage an, die Zuständigkeit nach § 71 Abs. 4 IRG insgesamt und nicht nur für die Fälle des Zusatzprotokolls auf die Oberlandesgerichte zu übertragen. Dies wird durch die Änderung der Sätze 2 und 4 des § 71 Abs. 4 IRG sichergestellt.

Zu Artikel 3

Diese Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes und enthält die übliche Inkrafttretensregelung.