Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat
Viertes Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze

Der Bundesrat hat in seiner 910. Sitzung am 7. Juni 2013 beschlossen, zu dem vom Deutschen Bundestag am 16. Mai 2013 verabschiedeten Gesetz zu verlangen, dass der Vermittlungsausschuss gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes aus folgenden Gründen einberufen wird:

Begründung:

Zu Ziffer 1:

Die im Gesetz vorgesehene Beschränkung des neuen Fahreignungs-Bewertungssystems auf Verstöße mit direkter Bedeutung für die Verkehrssicherheit (vgl. Begründung in BR-Drucksache 799/12 (PDF), Seite 030/31 ) ist abzulehnen.

Das Fahreignungs-Bewertungssystem darf nicht nur die unmittelbare Verkehrssicherheit im Sinne einer Unfallverhütung, sondern muss umfassend die Einhaltung der Rechtsordnung im Straßenverkehr schützen, wie dies beim derzeitigen Punktesystem der Fall ist. Zweifel an der charakterlichen Fahreignung sind bei schwerwiegenden oder hartnäckigen Verstößen unabhängig von der unmittelbaren Relevanz für die Verkehrssicherheit gerechtfertigt.

Verstöße gegen Tatbestände mit Bezug zum Straßenverkehr, die nicht der Verkehrssicherheit im engeren Sinne, sondern anderen Zwecken dienen, dürfen nicht von vornherein von einer Bewertung mit Punkten im FahreignungsBewertungssystem ausgeschlossen werden. Die Entscheidung, ob solche Verstöße punktebewehrt bleiben sollen, muss vielmehr dem Verordnungsgeber unter Berücksichtigung der Bedeutung des Verstoßes für die Belange des Straßenverkehrs und unter Berücksichtigung der erforderlichen Abschreckungswirkung des Fahreignungs-Bewertungssystems neben einer finanziellen Sanktion vorbehalten bleiben.

Die Einstufung als schwerwiegender Verstoß und als Bußgeldtatbestand kann sehr unterschiedliche Gründe haben, die durchweg auch im FahreignungsBewertungssystem relevant sein müssen, etwa:

Schließlich ist die Abgrenzung nach der Relevanz für die Verkehrssicherheit nicht praktikabel. Beispielsweise können Geschwindigkeitsbeschränkungen nach den Vorgaben der Straßenverkehrs-Ordnung nicht nur aus Gründen der Verkehrssicherheit im Sinne einer Unfallverhütung, sondern auch aus Gründen des Lärmschutzes oder der Luftreinhaltung angeordnet werden, ohne dass dies auf dem Verkehrsschild erkennbar sein muss.

Zu Ziffer 2:

Die Differenzierung in ein Drei-Punkte-System bleibt in der Praxis wirkungslos, da die mit drei Punkten bewerteten Straftaten ohnehin zum Entzug der Fahrerlaubnis führen. Im Fall der Neuerteilung der Fahrerlaubnis werden alle Punkte gelöscht.

Zu Ziffer 3:

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 21. Dezember 2012, BR-Drucksache 799/12 (PDF) , sieht - im Gegensatz zur derzeitigen Rechtslage - keinen Punkterabatt mehr vor bei freiwilliger Teilnahme an einem Fahreignungsseminar vor Erreichen eines Punktestands, bei dem ein Seminar verbindlich angeordnet wird. In der Gesetzesbegründung wird hierzu ausgeführt (BR-Drucksache 799/12 (PDF), Seite 30):

"... wird dem Freikaufen durch Punkterabatte ein Riegel vorgeschoben. Untersuchungen haben die bisherige dem Punkterabatt zugrunde liegende Annahme, der Besuch von Aufbauseminaren nach dem Punktsystem verbessere das Verkehrsverhalten, nicht bestätigt. Gerade die unbelehrbaren Wiederholungstäter haben diese Möglichkeit vielmehr nur genutzt, um dadurch ihr Punktekonto zu bereinigen. Die beabsichtigte positive Änderung des Fahrverhaltens konnte nicht festgestellt werden. Durch die Rabatte konnten sie die 18-Punkte-Grenze für sich persönlich auf 24 Punkte erhöhen und der eigentlich gebotenen Entziehung vorerst entgehen. Solchem Taktieren soll jetzt ein Riegel vorgeschoben werden, indem auf die Punkterabatte verzichtet wird."

Ein Antrag zur Wiedereinführung des Punkterabatts wurde im Verkehrsausschuss des Bundesrates am 16. Januar 2013 abgelehnt.

Die Wiedereinführung des Punkterabatts wurde aber durch Änderungsantrag des Verkehrsausschusses des Deutschen Bundestages am 24. April 2013, BT

Drucksache 17(15)561, Ziffer 1a.bb. zu § 4 Absatz 7a StVG, mehrheitlich beschlossen und in der Plenarsitzung des Deutschen Bundestages am 16. Mai 2013 bestätigt.

Der Punkterabatt bei freiwilliger Teilnahme an einem Fahreignungsseminar ist abzulehnen. Zunächst wird auf die o.a.

Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung vom 21. Dezember 2012 verwiesen. Darüber hinaus führt der Punkterabatt zu einer Schwächung der Präventivwirkung des Punktesystems, indem die Punkteskala von acht Punkten bis zur Fahrerlaubnisentziehung um den Rabatt von zwei Punkten bei freiwilliger Teilnahme an einem Fahreignungsseminar, also um eine komplette Stufe, "verlängert" wird. Mit Blick auf die Kosten des geplanten Fahreignungsseminars (ca. 600 Euro statt bislang ca. 200 Euro) ist zu erwarten, dass etliche Punktetäter die Möglichkeit zum Punkterabatt aus finanziellen Gründen nicht wahrnehmen können und damit hinsichtlich des "Freikaufens von Punkten" durch Seminarteilnahme schlechter gestellt würden.

Schließlich und vor allem aber ist der Punkterabatt - insbesondere in Verbindung mit dem Tattagprinzip - einer der wesentlichen Gründe für die Komplexität und Intransparenz des derzeitigen Punktesystems. Bei nachträglichem Bekanntwerden neuer Punkteverstöße zwischen Tattag und Rechtskraft müssen die Punkterabatte nämlich nachträglich zurückgenommen werden. Dies muss systembedingt zu Rückrechnungen führen, die für die zuständigen Behörden und Gerichte fehleranfällig sowie für die Betroffenen schwer verständlich und intransparent sind.

Die Wiedereinführung des Punkterabatts bei freiwilliger Teilnahme an einem Fahreignungsseminar widerspricht damit sämtlichen Zielen der Reform des Punktsystems, die bislang komplizierten, unübersichtlichen und wenig transparenten Regelungen durch einfachere und transparentere Regelungen zu ersetzen und somit einen Beitrag zur Verkehrssicherheit zu leisten.

Zu Ziffer 4:

Die Daten und Unterlagen zur verkehrspsychologischen und zur verkehrspädagogischen Teilmaßnahme des Fahreignungsseminars sind zwingend erforderlich für die Überwachung nach § 4a Absatz 8 Straßenverkehrsgesetz (StVG) bzw. nach § 31a Absatz 7 i.V.m.

§ 33 Absatz 1 und Absatz 2 Fahrlehrergesetz (FahrlG). Diese Überwachung erfolgt nach § 4a Absatz 8 Satz 3 und 4 StVG bzw. nach § 33 Absatz 2 FahrlG turnusmäßig alle zwei Jahre und kann auf vier Jahre verlängert werden. Mindestens für die Dauer dieses Überwachungsturnus müssen die Daten und Unterlagen für die Überwachung zur Verfügung stehen.

Zu Ziffer 5:

Die Konzeption des neu geschaffenen Fahreignungsseminars ist zu ungenau und die Wirksamkeit ist zweifelhaft. Das Zusammenspiel von staatlicher Überwachung einerseits und anbieterseitig durchzuführender Qualitätssicherung ist unklar. Erkennbar ist allerdings bereits jetzt der auf die Länder zukommende erhebliche Mehraufwand durch eine Vielzahl von Anerkennungsverfahren von Seminarleitern und Schulungsinstitutionen. Es ist daher sachgerecht und zielführend, eine zunächst zeitlich befristete Regelung für eine versuchsweise Einführung des Fahreignungsseminars zu schaffen. Gleichzeitig sind bundesweit einheitliche geeignete Instrumente der Qualitätssicherung und eindeutige Anforderungen an die Überwachung während der Versuchsphase vorzusehen. Die nur in der Begründung zum Gesetz vorgesehene Evaluation ist wie bei dem Modellversuch zum Begleiteten Fahren ab 17 gesetzlich zu fixieren.

Zu Ziffer 6:

Die Neuregelungen bringen für die Länder zusätzlichen Verwaltungsaufwand. Dies betrifft insbesondere auch die Einführung des neuen Fahreignungsseminars und dessen Überwachung. Die Anforderungen an die Überwachung sind allerdings noch nicht abschließend geregelt. Es wird als erforderlich angesehen, dass die Neuregelungen kostenneutral für die Länder sind und kein zusätzliches Personal in den Ländern und Kommunen notwendig wird.

Zu Ziffer 7:

Die zu erwartende Kostensteigerung durch die Zweiteilung des Fahreignungsseminars (auf voraussichtlich weit über 600 Euro) ist sozial ungerecht.