Antrag des Freistaates Sachsen
Entwurf eines Gesetzes zur Reform der elterlichen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern

Punkt 38 der 900. Sitzung des Bundesrates am 21. September 2012

Der Bundesrat möge beschließen, zu dem Gesetzentwurf wie folgt Stellung zu nehmen:

Zum Gesetzentwurf insgesamt

Der Bundesrat begrüßt das Ziel des Gesetzentwurfs, unter Berücksichtigung der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 3. Dezember 2009 (Rs. 22028/04 - Zaunegger ./. Deutschland, NJW 2010, 501) und des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juli 2010 (- 1 BvR 420/09 -, NJW 2010, 3008) die rechtliche Stellung des mit der Kindesmutter nicht verheirateten Vaters zu verbessern und eine Sorgerechtsübertragung auf den Vater auch ohne die Zustimmung der Mutter zu ermöglichen. Er bittet aber, im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens zu prüfen, ob die verfassungsrechtlich gebotene Gleichbehandlung von Mutter und Vater, von verheirateten und unverheirateten Vätern und von Kindern in Abhängigkeit vom Familienstand ihrer Eltern noch konsequenter realisiert werden kann.

Insbesondere bittet der Bundesrat um Prüfung, ob dem im Gesetzentwurf vorgesehenen Regelungsmodell das unter anderem von der Kinderrechtekommission des Deutschen Familiengerichtstages und Teilen der Rechtswissenschaft befürwortete "Widerspruchsmodell" vorzuziehen ist.

Nach diesem Widerspruchsmodell sollen nicht verheiratete Väter kraft Gesetzes automatisch sorgeberechtigt sein, wenn sie eine Sorgeerklärung abgegeben haben. Ausnahmen von dieser gesetzlichen Regel sollen von dem Elternteil, der mit der gemeinsamen Sorge nicht einverstanden ist, gerichtlich im Wege des Widerspruchs geltend gemacht werden. Auf einen solchen Widerspruch hin hätte das Familiengericht zu prüfen, ob Kindeswohlerwägungen der gemeinsamen elterlichen Sorge entgegenstehen.

Begründung:

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 21. Juli 2010 festgestellt, dass die bisherige gesetzliche Regelung das Elternrecht des Vaters eines nichtehelichen Kindes verletzt, weil dieser den Ausschluss des Sorgerechts nicht einer gerichtlichen Einzelfallprüfung am Maßstab des Kindeswohls unterziehen kann. Dieser Kritik wird der vorliegende Gesetzentwurf zwar gerecht, weil er dem Vater nun die Erlangung des Sorgerechts auch gegen den Willen der Mutter ermöglicht.

Der Gesetzentwurf stellt unverheiratete Väter im Vergleich zu unverheirateten Müttern und verheirateten Vätern aber weiterhin faktisch schlechter. Dem Regelungskonzept liegt die Annahme zugrunde, die (Mit-)Sorge des unverheirateten Vaters sei dem Kindeswohl nicht ohne weiteres zuträglich und dem Vater müsse deshalb die Last aufgebürdet werden, das Sorgerecht vor Gericht zu erstreiten. Eine solche negative Grundtypisierung der gemeinsamen Sorge für den Fall des Fehlens übereinstimmender Sorgeerklärungen der Eltern wird den gewandelten Lebensverhältnissen aber nicht gerecht. Vielerorts sind Kinder mit nicht miteinander verheirateten Eltern inzwischen der Regelfall. Es lässt sich auch keine Vermutung begründen, dass das Fehlen übereinstimmender Sorgeerklärungen auf eine Kooperationsunfähigkeit der Eltern zurückzuführen ist. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner genannten Entscheidung unter Bezugnahme auf empirische Forschungen ausgeführt, es sei nicht zu belegen, dass die Zustimmungsverweigerung von Müttern in aller Regel von Gründen getragen sei, die nicht dem Eigeninteresse der Mutter folgen, sondern der Wahrung des Kindeswohls dienen; vielmehr sei in einer relevanten Zahl von Fällen davon auszugehen, dass der Zugang zum Sorgerecht vom dominierenden Willen der Mutter abhänge, ohne dass damit feststehe, ob eine gemeinsame Sorge dem Kindeswohl zu- oder abträglich sei.

Leitbild und Ausgangspunkt einer gesetzlichen Regelung sollte unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben sowie der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichtes die Annahme sein, dass die gemeinsame Sorge bei Sorgebereitschaft beider Eltern dem Kindeswohl dient.

Dementsprechend sollte ein gemeinsames Sorgerecht von nichtverheirateten Müttern und Vätern als Grundsatz in § 1626a BGB verankert werden. Eine im Einzelfall dem Kindeswohl abträgliche gemeinsame Sorge lässt sich ausschließen, wenn einerseits der gesetzliche Eintritt der gemeinsamen Sorge davon abhängig gemacht wird, dass der Vater mit einer Sorgeerklärung Interesse an dem Sorgerecht bekundet hat, und andererseits ein Widerspruchsrecht des einen Elternteils gegen das Sorgerecht des anderen Elternteils begründet wird. Eine solche Lösung ist einfach und unbürokratisch, bevorzugt keinen Elternteil unangemessen und fordert von beiden Eltern die Erfüllung ihrer verfassungsrechtlich verankerten Verantwortung gegenüber ihrem Kind ein. Die automatische gemeinsame Sorge ist auch in den Rechtsordnungen zahlreicher anderer europäischer Staaten vorgesehen.

Im Übrigen würden bei einer "Widerspruchslösung" auch die Bedenken gegenstandslos, die vielfach gegen das in § 155a Absatz 3 FamFG-E vorgesehene vereinfachte Verfahren erhoben werden.