Unterrichtung durch die Bundesregierung
Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an den Rat und das Europäische Parlament über vom Normalsatz abweichende Mehrwertsteuersätze KOM (2007) 380 endg.; Ratsdok. 11695/07

Übermittelt vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie am 12. Juli 2007 gemäß § 2 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union vom 12. März 1993 (BGBl. I S. 313), zuletzt geändert durch das Förderalismusreform-Begleitgesetz vom 5. September 2006 (BGBl. I S. 2098).

Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat die Vorlage am 5. Juli 2007 dem Bundesrat zugeleitet.

Die Vorlage ist von der Kommission am 6. Juli 2007 dem Generalsekretär/Hohen Vertreter des Rates der Europäischen Union übermittelt worden.


Hinweis: vgl.
Drucksache 378/87 = AE-Nr. 871276,
Drucksache 585/03 (PDF) = AE-Nr. 032720 und AE-Nr. 041394

1. Einführung

Die derzeitige Struktur der Mehrwertsteuersätze wurde 1992 vom Rat als Teil eines Maßnahmenpakets verabschiedet, das damals notwendig schien, um die Grenzkontrollen abzuschaffen und einen Binnenmarkt zu errichten. Nach diesem System müssen die Mitgliedstaaten einen einzigen Normalsatz von mindestens 15 % anwenden und können höchstens zwei ermäßigte Steuersätze von mindestens 5 % nach ihrem Ermessen auf die im Anhang III der Richtlinie 2006/112/EG des Rates (MwSt-Richtlinie) aufgeführten Gegenstände und Leistungen anwenden. In dieser Hinsicht steht es den Mitgliedstaaten nach wie vor frei, einen ermäßigten Steuersatz auf eine ganze Kategorie oder nur auf einen (sehr eingeschränkten) Teil davon anzuwenden. Diese auf alle Mitgliedstaaten anwendbare Grundstruktur wird durch eine Unzahl zeitlich befristeter Ausnahmeregelungen verkompliziert, die einzelnen Mitgliedstaaten abweichend von den allgemeinen Regelungen gewährt wurden.

Die Kommission hat 2003 einen Vorschlag zur Überarbeitung der ermäßigten Mehrwertsteuersätze vorgelegt1, in Folge dessen die Richtlinie 2006/18/EG des Rates vom 14. Februar 2006 verabschiedet wurde. Diese Richtlinie sieht die dritte Verlängerung der versuchsweisen Anwendung ermäßigter Steuersätze auf arbeitsintensive Dienstleistungen bis Ende 2010 vor, sowie eine Möglichkeit, auf die Lieferung von Fernwärme und Elektrizität nach demselben Verfahren wie bei Erdgas ermäßigte Steuersätze anzuwenden. Eine weiter reichende Einigung über den Anwendungsbereich und die Höhe ermäßigter Steuersätze konnte nicht erreicht werden. Insbesondere gab es keine Einigung über die Rationalisierung der Struktur der ermäßigten Steuersätze oder über die Anwendung eines ermäßigten Steuersatzes auf das gesamte Wohnungswesen oder das gesamte Gaststättengewerbe, wie damals von der Kommission vorgeschlagen.

Allerdings sieht die Richtlinie 2006/18/EG des Rates vor, dass die Kommission dem Europäischen Parlament und dem Rat spätestens bis zum 30. Juni 2007 einen globalen Bewertungsbericht über die Auswirkung ermäßigter Sätze vorlegt. Dieser soll die Auswirkungen ermäßigter Sätze auf lokal erbrachte Dienstleistungen einschließlich des Gaststättengewerbes, insbesondere in Bezug auf die Schaffung von Arbeitsplätzen, auf das Wirtschaftswachstum und auf das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts untersuchen und soll sich auf eine von einer unabhängigen Expertengruppe für Wirtschaftsfragen durchgeführten Untersuchung stützen.

Die Studie wurde bei der Beratungsgesellschaft Copenhagen Economics2 in Auftrag gegeben. Der Schwerpunkt der Untersuchung lag auf den Auswirkungen von ermäßigten Steuersätzen und von Ausnahmeregelungen, nicht nur auf lokal erbrachte Dienstleistungen, sondern in einem weiteren Kontext. Des Weiteren wurden auch die Auswirkungen auf die Einkommensverteilung, die Schattenwirtschaft und auf die Befolgungskosten der Unternehmen berücksichtigt.

Diese Mitteilung fasst die wesentlichen Schlussfolgerungen der oben genannten Untersuchung zusammen, stellt Fragen zur Diskussion und sucht auf dem Gebiet der ermäßigten Steuersätze nach Wegen für die Zukunft. Die Kommission ist der Auffassung, dass die vorgelegte Studie hierfür eine gute Ausgangsbasis ist. Die nachfolgend vorgestellten Ideen zur zukünftigen Ausgestaltung der ermäßigten Sätze bauen auf den Ergebnissen der Studie auf, berücksichtigen jedoch auch die komplexe derzeitige Situation und die politischen Empfindlichkeiten. Natürlich orientieren sich diese Überlegungen auch an dem Erfordernis einer Vereinfachung und Rationalisierung der Anwendungsbereiche und der Höhe der ermäßigten Steuersätze. Ziel der Kommission ist es, Chancengleichheit zwischen den Mitgliedstaaten sowie mehr Transparenz, mehr Kohärenz und vor allem das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts sicherzustellen, z.B. durch weniger Hemmnisse für grenzüberschreitende Aktivitäten und geringere durch die Mehrwertsteuer verursachte Befolgungskosten. Darüber hinaus spielen auch gemeinsam vereinbarte strategische Gemeinschaftspolitiken und Prioritäten wie diejenige im Zusammenhang mit der Lissabon-Strategie eine wichtige Rolle. Auch ist es zwingend geboten, in einer so sensiblen Frage, die die Finanzhoheit der Mitgliedstaaten berührt, das Subsidiaritätsprinzip vollumfänglich zu beachten.

2. Wichtigste Schlussfolgerungen der Untersuchung über die Auswirkungen ermässigter Steuersätze

Das Arbeitsdokument der Dienststellen der Kommission mit dem Titel "Wichtigste Schlussfolgerungen der Untersuchung über die Anwendung ermäßigter Mehrwertsteuersätze auf Gegenstände und Leistungen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union"3 enthält eine ausführliche Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse. Im Anhang zu diesem Dokument ist das vollständige Executive Summary der von Copenhagen Economics durchgeführten Untersuchung enthalten. Die folgenden Punkte stellen die insbesondere unter dem Gesichtspunkt ihrer möglichen politischen Auswirkungen wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung vor.

Die Kommission versteht diese Ergebnisse als Bestätigung, dass die Anwendung ermäßigter Steuersätze auf lokal erbrachte Dienstleistungen nützlich sein kann, jedoch nur unter der Voraussetzung, dass sie sehr gezielt erfolgt und dass bestimmte Marktbedingungen erfüllt sein müssen. Es ist jedoch zu betonen, dass sich der Beschäftigungseffekt in Grenzen hält. Bei den Leistungen des Gaststättengewerbes ruft die Untersuchung einerseits zur Vorsicht hinsichtlich der grenzüberschreitenden Wirkungen ermäßigter Sätze auf, da solche Leistungen in einigen Fällen Bestandteil eines umfassenderen Tourismussektors sein können, der für den Wettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten geöffnet ist; andererseits deutet sie jedoch darauf hin, dass es hier ziemlich gute Chancen für die Wirksamkeit ermäßigter Sätze gibt.

3. Überlegungen zum weiteren Vorgehen

Die Ergebnisse der wirtschaftlichen Untersuchung vermitteln eine sehr detaillierte und solide Grundlage, um den Nutzen der Anwendung ermäßigter Sätze in bestimmten Fällen zu bewerten. Auch wenn die Kommission davon überzeugt bleibt, dass die Anwendung eines einzigen Satzes auf alle Gegenstände und Dienstleistungen aus wirtschaftlicher Sicht eine ideale Lösung wäre, ist ihr doch klar, dass eine solche einfache Lösung aus politischen Gründen nicht möglich sein wird. Denn selbst Dänemark, das sich für die Anwendung eines einzigen Satzes entschieden hat, lässt Ausnahmen von diesem Grundsatz zu.

Deshalb erläutert die Kommission im Folgenden, wie die Ergebnisse der Untersuchung konkret angewendet und welche nützlichen praktischen politischen Schlussfolgerungen daraus gezogen werden können, um einen Beitrag für die kommende Diskussion zu liefern. Auf dieser Grundlage bittet sie um die Stellungnahme des Rates, des Europäischen Parlaments und anderer interessierter Kreise zu einem möglichen zukünftigen Rechtsakt in diesem Bereich. Zwischen allen Betroffenen soll eine grundsätzliche Debatte zu diesem Thema in Gang gebracht werden, um in dieser Frage einen nachhaltigen und für alle Mitgliedstaaten akzeptablen Weg zu finden, der den Binnenmarkt einen weiteren Schritt voranbringt.

3.1. Allgemeines

Obwohl ermäßigte Steuersätze, weil sie von den Normalsätzen abweichen, Marktverzerrungen hervorrufen und die Steuerneutralität beeinträchtigten können, werden sie in allen Mitgliedstaaten außer einem angewendet.. Auch scheint es viele Gründe dafür zu geben, weshalb Mitgliedstaaten sich für eine Differenzierung der Sätze entschieden haben. Es ist zu berücksichtigen, dass die heute gültigen Gemeinschaftsvorschriften nicht auf einem logischen oder strukturierten Konzept beruhen, sondern vielmehr die damalige Situation in den einzelnen Mitgliedstaaten am Anfang der 90er Jahre widerspiegeln. Es erscheint daher logisch, dass jeder Mitgliedstaat die Möglichkeit haben sollte, die Stichhaltigkeit seiner Argumentation unter Berücksichtigung seiner eigenen Zielsetzung und der Zielsetzungen der Gemeinschaft, z.B. der Lissabon-Strategie, mit den Ergebnissen der Untersuchung zu vergleichen, bevor er in die Diskussion über die Neuregelung der ermäßigten Sätze eintritt. Aus Sicht der Kommission sind die folgenden Parameter für die weiteren politischen Überlegungen und Debatten wesentlich:

3.2. Subsidiarität

Die Mehrwertsteuer ist eine harmonisierte Steuer auf Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, deren freier Verkehr innerhalb der Gemeinschaft einen der Wesenszüge eines echten Binnenmarkts ausmacht.

Die Mehrwertsteuer war jedoch nie eine voll harmonisierte Steuer, sondern ermöglicht den Mitgliedstaaten in einigen Bereichen Wahlmöglichkeiten und Ausnahmeregelungen, so auch bei den Mehrwertsteuersätzen. Der 1992 erfolgten Einigung auf den derzeitigen Stand der Harmonisierung lagen zwei wesentliche Überlegungen zugrunde:

Dieses Ziel hätte eine weit größere Harmonisierung der Mehrwertsteuersätze erfordert, als damals noch zu einem späteren Zeitpunkt durchsetzbar war. Dementsprechend wurde bisher kein nennenswerter Fortschritt hin zu einem "endgültigen" Mehrwertsteuersystem erzielt, obwohl die Kommission entsprechende Vorschläge gemacht hat, und es besteht wenig Hoffnung, dass dieses Ziel kurz- oder mittelfristig erreicht werden kann.

Die Kommission hat daher zwischenzeitlich eine andere Mehrwertsteuer-Strategie entwickelt, die andere Prioritäten setzt. Eine davon ist der Ansatz, potenzielle wirtschaftliche Auswirkungen unterschiedlicher Mehrwertsteuersätze in den Mitgliedstaaten dadurch auszugleichen, dass die Regel der Besteuerung am Ort der Erbringung der Leistung geändert wurde, so dass bei Dienstleistungen, bei denen dies erforderlich ist, die Besteuerung nunmehr in dem Mitgliedstaat sichergestellt wird, in dem der Verbrauch stattfindet.

Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht länger zwingend, genau denselben Stand der Harmonisierung aufrecht zu erhalten, der 1992 erforderlich war. Dieser Flexibilität, die den Mitgliedstaaten unter Subsidiaritätsgesichtspunkten eingeräumt werden kann, sind jedoch Grenzen gesetzt, da nach wie vor die Gefahr von Marktverzerrungen oder unverhältnismäßigen Befolgungskosten bei grenzüberschreitend gehandelten Gegenständen und Dienstleistungen besteht.

Die Untersuchung bestätigt die von der Kommission in vergangenen Debatten des Rats zu dieser Frage vertretenen Auffassung4, wonach den Mitgliedstaaten bei der Festsetzung ermäßigter Mehrwertsteuersätze insbesondere für lokal erbrachte Dienstleistungen, die nicht von einem anderen Ort aus erbracht werden können, mehr Autonomie eingeräumt werden kann. Andererseits besteht bei Leistungen, die von einem anderen Ort aus erbracht werden können, wenig Spielraum für mehr Autonomie, da das Risiko, durch verschiedene Steuersätze Unterschiede bei den Wettbewerbsbedingungen zu schaffen, nicht zu vernachlässigen ist.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass den Mitgliedstaaten mehr Flexibilität eingeräumt werden kann, dass diese Flexibilität jedoch gegen das Erfordernis des Sicherstellens eines reibungslos funktionierenden Binnenmarkts und der Vermeidung unverhältnismäßiger Kosten für den innergemeinschaftlichen Handel abzuwägen ist.

3.3. Zwingende Anforderungen des Binnenmarkts

Der Binnenmarkt setzt voraus, dass Waren und Dienstleistungen innerhalb der EU gehandelt werden können, ohne dass Wettbewerbsverzerrungen oder Kosten entstehen, die zu Marktzugangsproblemen führen können (siehe nächster Abschnitt). Wettbewerbsverzerrungen können auf Ebene der Unternehmen und auf Ebene der Staaten entstehen. Unternehmen sind von einer Wettbewerbsverzerrung betroffen, wenn der geltende Steuersatz sich auf ihre Möglichkeiten auswirkt, ihre Produkte in anderen Mitgliedstaaten oder an Bürger anderer Mitgliedstaaten zu verkaufen. Solche Verzerrungen sind dann wahrscheinlich, wenn die Verbraucher die Möglichkeit haben, die Leistungen in anderen Mitgliedstaaten zu den vorherrschenden Steuerkonditionen oder durch Versandgeschäfte einzukaufen. Nur die sogenannten lokalen Dienstleistungen haben keine oder nur geringfügige grenzüberschreitenden Wirkungen. Nach der Untersuchung stellen Gaststätten- und Restaurantdienstleistungen, was ihre grenzüberschreitende Wirkung angeht, einen Grenzfall dar. Hinzu kommt, dass die Mehrwertsteuersätze auf Eingangskosten die Preise beeinflussen kann, zu denen Unternehmen ihre Produkte anbieten können, wenn sie nicht die Möglichkeit eines vollständigen Abzugs der Mehrwertsteuer auf die Eingangskosten haben, oder wenn sie außerhalb des Anwendungsbereichs der Mehrwertsteuer tätig sind. In ähnlicher Weise können auch die Mitgliedstaaten selbst durch die verschiedenen Mehrwertsteuersätze Nachteile durch sinkende Steuereinkünfte erleiden, weil ihre Bürger sich entscheiden, zu besseren Steuerkonditionen im Ausland einzukaufen. Ein gewisser Unterschied bei den Mehrwertsteuersätzen scheint jedoch tolerierbar und der Ministerrat hat bisher sowohl Unterschiede bei den Normalsätzen als auch bei den ermäßigten Mehrwertsteuersätzen akzeptiert, solange bestimmte Mindestsätze sowie eine Anzahl besonderer Steuerregelungen, wie die derzeit für Versandgeschäfte geltenden Bestimmungen, eingehalten werden.

Daraus folgt, dass das Gemeinschaftsrecht eine Rahmenregelung für die Anwendung ermäßigter Sätze vorhalten muss, damit die Mitgliedstaaten und/oder die Wirtschaft keinen Wettbewerbsverzerrungen ausgesetzt werden. Denn obwohl die Anwendung ermäßigter Steuersätze den Mitgliedstaaten freigestellt ist (was zu sehr großen Unterschieden bei den Sätzen und damit zu großen Wettbewerbsverzerrungen führen könnte), lässt sich in der Praxis feststellen, dass eine breite Mehrheit der Mitgliedstaaten auf diejenigen Kategorien von Leistungen, auf die ein ermäßigter Satz angewendet werden kann, auch einen niedrigen Mehrwertsteuersatz anwendet. Die Mitgliedstaaten und die Kommission werden deshalb die verschiedenen Bereiche, die für weitere ermäßigte Steuersätze in Frage kommen, untersuchen müssen, um das Maß der Wettbewerbsverzerrungen zu ermitteln, die durch die - fakultative - Anwendung ermäßigter Steuersätze auf diese Leistungen entstehen können, und sie werden entscheiden müssen, ob ein solches Maß an Wettbewerbsverzerrungen für die in diesen Wirtschaftszweigen tätigen Unternehmen akzeptabel ist. Diese Diskussion muss sich sowohl auf eine wirtschaftliche Einschätzung als auch auf eine politische Bewertung stützen, da mögliche Wettbewerbsverzerrungen auch auf ihre politische Akzeptanz zu überprüfen sind.

Andererseits darf nicht übersehen werden, dass Wettbewerbsverzerrungen auch zwischen verschiedenen gleichartigen Produkten entstehen können. Es scheint daher wichtig, kohärente Kategorien für die Anwendung ermäßigter Sätze zu definieren, die klar definierte (Unter-) Sektoren von Aktivitäten umfassen (Beispiel Nahrungsmittelsektor: die Kategorien sollten so definiert werden, dass keine feinsinnigen Unterscheidungen zwischen den einzelnen Nahrungsmittelarten getroffen werden). Solche Kategorien müssen gut definiert werden, um Verzerrungen zwischen den verschiedenen Produkten und unterschiedliche Anwendungen auch auf nationaler Ebene zu vermeiden.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass jede Abweichung der Mehrwertsteuersätze zu wirtschaftlichen Verzerrungen führen kann, dass jedoch nicht alle Verzerrungen zwingend unvereinbar mit dem Binnenmarkt sind. Die Konsequenzen müssen im Einzelfall überprüft werden, wobei feststeht, dass lokal gehandelte Produkte weniger Probleme aufwerfen.

3.4. Befolgungskosten für die Unternehmen

Die Befolgungskosten, die den Unternehmen aufgrund unterschiedlicher Mehrwertsteuersätze entstehen, sind ein erhebliches Problem. Eine von der schwedischen nationalen Steuerbehörde durchgeführte Untersuchung5 zeigt, dass es einen eindeutigen Zusammenhang zwischen den Kosten, die in den Unternehmen für die Befolgung der Mehrwertsteuervorschriften anfallen, und der Anzahl der zu beachtenden Mehrwertsteuersätze gibt. Die Kosten pro Unternehmen erhöhen sich sowohl zwischen einem und zwei und zwischen zwei, drei oder mehr anwendbaren Mehrwertsteuersätzen6.

Die Befolgungskosten sind eine direkte Konsequenz der nicht harmonisierten Vorschriften: Je mehr innerhalb der EU verschiedene Mehrwertsteuersätze angewendet werden, desto mehr müssen Unternehmen für die Befolgung der Vorschriften in den verschiedenen Mitgliedstaaten ausgeben. Daher wird in der Lissabon-Strategie, die Wachstum, mehr Arbeitsplätze und eine höhere Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen zum Ziel hat, das Erfordernis eines echten Binnenmarkts und vereinfachter Regelungen betont. In verschiedenen Mitgliedstaaten unterschiedliche Mehrwertsteuersätze beachten zu müssen, verursacht eindeutig Kosten. Das ist insbesondere belastend, wenn die Abweichungen bei den anzuwendenden Sätzen nicht nur ein paar Gegenstände oder Dienstleistungen betreffen, sondern hunderte oder tausende, und es verschiedene Definitionen für den Anwendungsbereich jedes ermäßigten Satzes gibt. Mehr Transparenz würde in Übereinstimmung mit der Lissabon-Strategie und der Mitteilung der Kommission über das Aktionsprogramm zur Verringerung der Verwaltungslasten in der Europäischen Union7, die von den Mitgliedstaaten im vollen Umfang unterstützt wurde, die Befolgungskosten für die Wirtschaft senken.

Denn die Unternehmen müssen wissen, ob in einem bestimmten Fall ein ermäßigter Steuersatz anzuwenden ist, und wenn ja in welcher Höhe. Dies kann insbesondere dann sehr schwierig zu ermitteln sein, wenn die Mehrwertsteuer in einem Mitgliedstaat anfällt, in dem das Unternehmen nicht ansässig ist, und kann für das Unternehmen auch ein Hindernis bei der Aufnahme von Aktivitäten in anderen Mitgliedstaaten darstellen. Aus der Kommission zu diesem Problem zugeleiteten Schilderungen geht klar hervor, dass manche Unternehmen ihre Aktivitäten in anderen Mitgliedstaaten deshalb aufgeben, oder weil sie die teuren Konsequenzen fürchten, die eine - selbst gutgläubige - falsche Anwendung der Steuersätze hätte. Letztendlich könnte eine Verringerung der Befolgungskosten auch für die Verbraucher positive Effekte haben.

Eine Gesellschaft, die die gleichen Waren in den 27 Mitgliedstaaten verkauft, wird zusätzlich zu den Verwaltungskosten für die Erfüllung der jeweiligen Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Mehrwertsteuer in den verschiedenen Mitgliedstaaten, wie der Registrierung und der Abgabe von Steuererklärungen, in eine genaue Prüfung der einzelnen Steuersätze investieren müssen. Das von der Kommission vorgeschlagene One-Stop-Shop-Konzept zur Lösung dieses Problems wurde im Rahmen der Lissabon-Strategie begrüßt, vom Rat jedoch noch nicht beschlossen. Darüber hinaus bestehen selbst auf nationaler Ebene durch Grenzfälle eine Vielzahl von Auslegungsschwierigkeiten bei der Frage, welche Sätze auf welche Produkte anzuwenden sind. Dies verursacht Befolgungskosten und Haftungsrisiken für die Wirtschaft und Kosten für die Steuerverwaltungen, die die Anwendung der ermäßigten Steuersätze verwalten und kontrollieren muss. Die Kommission ist der Auffassung, dass diese Aspekte bei der Diskussion über ermäßigte Steuersätze sorgfältig berücksichtigt werden sollte.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Flexibilität durch das Zulassen eines größeren Anwendungsbereichs für ermäßigte Sätze möglich ist, jedoch durch Maßnahmen ausgeglichen werden muss, die Transparenz und Vereinfachung sicherstellen, um die Befolgungskosten zu senken.

4. Einladung zu einer politischen Debatte

4.1. Gleichgewicht zwischen Flexibilität, zwingenden Anforderungen des Binnenmarkts und Vereinfachung

Es gibt starke wirtschaftliche Argumente für eine einheitliche Struktur der Steuersätze (ein einziger Satz pro Mitgliedstaat). Die Untersuchung legt jedoch auch dar, dass es echte und stichhaltige wirtschaftliche Argumente dafür gibt, in einigen ganz spezifischen Bereichen niedrigere Mehrwertsteuersätze anzuwenden. Angesichts der politischen Realität und der derzeitigen Situation in den Mitgliedstaaten scheint es nicht möglich, die ermäßigten Sätze abzuschaffen, auch wenn sie laut der Untersuchung nicht die beste Handlungsalternative darstellen, um der möglichen Regressivität der Mehrwertsteuer zu begegnen. Die Schwierigkeit besteht darin, ein Gleichgewicht zwischen den politischen und den wirtschaftlichen Sachzwängen zu finden.

4.2. Struktur der Steuersätze

Die derzeitige Struktur der Mehrwertsteuersätze, die keiner klaren Logik folgt, ist für den Binnenmarkt und die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Wirtschaft aufs Ganze gesehen eindeutig nicht effizient. Sie ist einfach nur das Ergebnis vergangener politischer Verhandlungen.

Angesichts der Untersuchungsergebnisse könnte eine Neugestaltung der ermäßigten Mehrwertsteuersätze nach Auffassung der Kommission einige Vorzüge bieten. Dabei müssten folgende Ziele berücksichtigt werden:

In einem ersten Schritt ersucht die Kommission das Europäische Parlament und den Rat um eine Aussage, inwieweit sie diese Zielsetzungen teilen.

Eine - aber sicher nicht die einzige - Möglichkeit oder praktischen Umsetzung dieser Ziele könnte sein:

Zu der Frage, welche Kategorien in eine solche Struktur einzubeziehen wären, wären weitere Überlegungen zum Anwendungsbereich und den zugrunde liegenden politischen Zielsetzungen erforderlich. Sollte die Anwendung des zweiten Satzes streng begrenzt werden oder nicht? Sollte sie z.B. ebenfalls auf den gesamten Wohnungssektor (z.B. als Strategie zur Betrugsbekämpfung), auf das Gaststättengewerbe, auf Kinderkleidung oder Babywindeln angewandt werden? Der erste Satz müsste recht niedrig sein und z.B. zwischen 0 und 5 % liegen. Der "mittlere" ermäßigte Satz könnte höher liegen, z.B. zwischen 10 und 12 %. Die Sätze könnten durch zwei Bandbreiten oder durch zwei Mindestsätze festgelegt werden.

Es ist hinzuzufügen, dass die unterschiedlichen Sätze innerhalb bestimmter Kategorien von Gegenständen und Dienstleistungen, wie z.B. bei Büchern, sehr direkte Auswirkungen auf den Binnenmarkt zu haben scheinen. Gaststätten und Hotels stellen ein Zwischending dar, da solche Auswirkungen im Zusammenhang mit dem Tourismus oder in Grenzregionen auftreten. Die Frage ist, ob ein fakultatives System in solchen Fällen akzeptabel erscheint, oder ob die Regelung verbindlich sein sollte, um Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden.

Ein anderes Problem betrifft die Effizienz des Einsatzes ermäßigter Mehrwertsteuersätze zur Förderung des Angebots bestimmter Gegenstände und Dienstleistungen. Typische derzeit diskutierte Beispiele, die Mehrwertsteuer als Anreiz für bestimmte Verhaltensweisen einzusetzen, betreffen: energiesparende Materialien, energieeffiziente Produkte, umweltfreundliche Produkte, Biomasse, gesunde Nahrungsmittel usw. So geht man z.B. in manchen Mitgliedstaaten davon aus, dass Babywindeln sozialen Zwecken dienen. Nach Auffassung der Kommission besteht Diskussionsbedarf zu der Frage, ob der Einsatz des Instruments der Mehrwertsteuer für solche Zwecke nützlich ist oder nicht, und sie ersucht den Rat ausdrücklich, die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung bei dieser Debatte mit zu berücksichtigen.

Vom rein technischen Standpunkt aus betrachtet ist zu beachten, dass sich die Höhe des Mehrwertsteuersatzes aufgrund der Wirkungsweise dieser Steuer nur auf die Käufe durch Endverbraucher auswirkt. Sie wird das Verhalten der Wirtschaft oder anderer Akteure, die zum Vorsteuerabzug berechtigt sind, daher nur indirekt über die Änderung des Verbraucherverhaltens beeinflussen. Weiterhin lässt die Mehrwertsteuer keine steuerliche Sonderbehandlung einzelner Gegenstände zu, die zur Erbringung einer Dienstleistung eingesetzt werden. So unterliegt z.B. ein energiesparendes Material, das im Rahmen einer Gebäuderenovierung eingesetzt wird (die eine Dienstleistung darstellt), nicht mehr einem besonderen Steuersatz. Hinzu kommt, dass durch das Erfordernis einer genauen Definition der zu fördernden Kategorie von Produkten offenbar Probleme entstehen. Auch hier müssen die Befolgungskosten einkalkuliert werden; sie können die Wahl des effizientesten Politikinstruments beeinflussen. Die Kommission möchte an dieser Stelle an die Ergebnisse der Untersuchung erinnern, wonach ermäßigte Steuersätze in diesem Zusammenhang in der Regel nicht das effizienteste Politikinstrument darstellen.

Vom politischen Standpunkt aus betrachtet stellt sich die Frage, ob solche Anreize -geht man von ihrer Effizienz aus - zwingend sein sollten. Hier sei daran erinnert, dass die Untersuchung das erhöhte Risiko von Verzerrungen durch fakultative ermäßigte Steuersätze bestätigt.

Auch ist die Frage der Steuerkohärenz zu diskutieren: Ist es sinnvoll, einen ermäßigten Satz für Elektrizität und Erdgas zuzulassen, wenn man davon ausgeht, dass dies zu einem höheren Verbrauch anreizt, obwohl dieser Verbrauch gerade durch die Förderung energiesparender Materialien und energieeffizienter Produkte reduziert werden soll, die derzeit mit dem Normalsatz besteuert werden? Diese Frage der Kohärenz ist auch für Steuern zu beantworten, die zusätzlich zur Mehrwertsteuer erhoben werden. Ist es sinnvoll, ermäßigte Mehrwertsteuersätze auf Produkte anzuwenden, auf die gleichzeitig spezifische Verbrauchsteuern erhoben werden?

4.3. Aufrechterhaltung des Status Quo, bis die politische Debatte zu einem Ergebnis geführt hat

Wie oben erläutert, möchte die Kommission eine Diskussion über die zukünftige Ausgestaltung der ermäßigten Sätze anstoßen. Diese Mitteilung sowie die Ergebnisse der Untersuchung sollen hierfür die Grundlage bilden. Die Kommission geht davon aus, dass sie bis Ende 2007 von den EU-Organen orientierende Angaben dazu erhält, welcher Weg eingeschlagen werden soll und welche Kernpunkte hierbei zu beachten sind. Darauf aufbauend wird sie dann auf die Vorlage eines Legislativvorschlags Ende 2008/Anfang 2009 hinarbeiten, der dann rechtzeitig verabschiedet werden könnte, bevor Ende 2010 die Ermächtigung der Mitgliedstaaten ausläuft, auf arbeitsintensive Dienstleistungen besondere Regelungen anzuwenden.

In diesem Zusammenhang möchte die Kommission noch einmal daran erinnern, dass die grundlegende Struktur der Steuersätze, die auf alle Mitgliedstaaten Anwendung findet, durch verschiedene zeitlich befristete Ausnahmeregelungen für einzelne Mitgliedstaaten verkompliziert wird. Diese Ausnahmen betreffen entweder die Höhe des vorgeschriebenen Steuersatzes (Nullsätze, stark ermäßigte Sätze von weniger als 5%) oder aber Leistungen, die eigentlich mit dem Normalsatz zu besteuern wären (wie die sog. "Zwischensätze", vorläufige Sätze von mindestens 12 %). Während die im Rahmen der letzten Erweiterung eingeräumten Ausnahmeregelungen eine feste Laufzeit haben, gelten die vorher eingeräumten Ausnahmeregelungen9 bis zur Einführung einer "endgültigen Mehrwertsteuerregelung" für innergemeinschaftliche Umsätze. Da es unwahrscheinlich ist, dass eine endgültige Mehrwertsteuerregelung in absehbarer Zeit beschlossen wird, bleiben diese Übergangsregelungen bis zu einem neuen einstimmigen Beschluss des Rates in Kraft. Im Falle der Mitgliedstaaten, die der EU nach dem 1. Januar 1995 beigetreten sind, sind die im Rahmen der Beitrittsverhandlungen eingeräumten Ausnahmeregelungen für einen eingeschränkteren Zeitraum gültig, in vielen Fällen gelten sie nur bis Ende 2007.

Die Kommission ist der Auffassung, dass diejenigen Ausnahmeregelungen, die demnächst auslaufen, bis auf ein oder zwei Ausnahmen befristet bis Ende 2010, d.h. bis zum Ende der versuchsweisen Anwendung ermäßigter Mehrwertsteuersätze auf arbeitsintensive Dienstleistungen und dem wahrscheinlichsten Datum des Inkrafttretens der neuen Regelungen für die ermäßigten Steuersätze, verlängert werden sollten. Nicht verlängert werden können diejenigen Ausnahmeregelungen, die dem reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts zuwider laufen und/oder in Widerspruch zu anderen Politiken der Gemeinschaft stehen (z.B. Ausnahmen für Eingangsleistungen in der Landwirtschaft, oder für Kohle, Koks, Brennstoffe und Öl, die im Widerspruch zu energie- und umweltpolitischen Zielen stehen), oder die bereits von den allgemeinen Vorschriften über die Steuersätze erfasst werden (z.B. bei der Fernwärme). Hingegen könnten die Ausnahmeregelungen für das Gaststättengewerbe, den Nahrungsmittel-, Arzneimittel-, Buch- und Wohnungssektor verlängert werden, weil eine Ungleichbehandlung ohne sachlichen Grund zu einer Ungleichheit der Chancen zwischen den Mitgliedstaaten führen und unannehmbare Spannungen hervorrufen würde.

Die Kommission schlägt daher vor, die meisten Ausnahmeregelungen für diejenigen Mitgliedstaaten zu verlängern, die der EU nach dem 1. Januar 1995 beigetreten sind.

5. Schlussfolgerung

Die Kommission ist der Auffassung, dass eine neue Rahmenregelung für die ermäßigten Mehrwertsteuersätze deren Anwendung vereinfachen, mehr Transparenz schaffen und den Mitgliedstaaten eine größere Flexibilität bieten sollte, bei gleichzeitiger Beachtung des in Artikel 93 EG-Vertrag festgeschriebenen Grundsatzes. Sie hat einige Überlegungen vorgestellt, wie dieses Ziel erreicht werden könnte, ist sich aber darüber im Klaren, dass eine politische Debatte stattfinden muss, um die Grundrichtung vorzugeben, bevor ein detaillierter Vorschlag ausgearbeitet werden kann.

Die Kommission weist nochmals darauf hin, dass im Rahmen dieser Diskussion berücksichtigt werden muss, dass jede Änderung der auf bestimmte Gegenstände oder Dienstleistungen anwendbaren Mehrwertsteuersätze, sei es eine Erhöhung oder eine Ermäßigung, nicht nur Auswirkungen auf den betreffenden Bereich, sondern auch auf andere Teile der Wirtschaft sowie auf die Staatshaushalte haben wird.