Unterrichtung durch die Bundesregierung
Grünbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Zukunft der Beziehungen zwischen der EU und den überseeischen Ländern und Gebieten KOM (2008) 383 endg.; Ratsdok. 11238/08

Übermittelt vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie am 09. Juli 2008 gemäß § 2 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union vom 12. März 1993 (BGBl. I S. 313), zuletzt geändert durch das Föderalismusreform-Begleitgesetz vom 5. September 2006 (BGBl. I S. 2098).

Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat die Vorlage am 27. Juni 2008 dem Bundesrat zugeleitet.

Die Vorlage ist von der Kommission am 27. Juni 2008 dem Generalsekretär/Hohen Vertreter des Rates der Europäischen Union übermittelt worden.

Hinweis: vgl. AE-Nr. 010205

Grünbuch
Zukunft der Beziehungen zwischen der EU und den überseeischen Ländern und Gebieten

1. Einleitung

Gemäß dem vierten Teil des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG-Vertrag) sind die überseeischen Länder und Gebiete (ÜLG) eng mit der Gemeinschaft assoziiert. Historisch zählten zu den ÜLG hauptsächlich Länder und Gebiete, die inzwischen unabhängige souveräne Staaten geworden sind und heute größtenteils der Gruppe der AKP-Staaten angehören. Dies ist auch der Grund, weshalb die Regelungen für die Zusammenarbeit zwischen der EU und den ÜLG mit denen für die Kooperation zwischen der EU und den AKP-Staaten weitgehend identisch sind, obwohl die Beziehungen zu den ÜLG auf einer eigens dafür vorgesehenen Rechtsgrundlage im EG-Vertrag beruhen.

Diese Parallelität wird jedoch weder der Wirklichkeit vor Ort, den spezifischen sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Problemlagen der ÜLG noch deren engen historischen, institutionellen und politischen Verbindungen mit der EU gerecht. Auch das Potenzial der ÜLG als strategisch wichtige, über die ganze Welt verteilte Vorposten der Wertvorstellungen Europas wird dabei außer Acht gelassen. Hinzu kommt, dass sich der allgemeine internationale Kontext infolge der Globalisierung, der weiteren Liberalisierung des Welthandels und der verstärkten regionalen Integration der AKP-Länder weiterentwickelt hat.

Aufgrund all dieser Faktoren ist eine Erneuerung der Partnerschaft zwischen den ÜLG und der EU erforderlich.

Vor diesem Hintergrund fordern die ÜLG und die vier Mitgliedstaaten, zu denen sie gehören (Dänemark, Frankreich, die Niederlande und das Vereinigte Königreich), seit 2003 eine verstärkte Anerkennung der besonderen Lage der ÜLG. Gleichzeitig haben die Kommission und eine zunehmende Zahl von Mitgliedstaaten Bedenken zum Ausdruck gebracht im Hinblick auf die Verbindung der Assoziation ÜLG-EG mit der gemeinschaftlichen Entwicklungspolitik, bei der die Armutsbekämpfung und die Verwirklichung der Millenniumsentwicklungsziele im Vordergrund stehen. Ihrerseits schlägt die Kommission bereits seit 2005 den Aufbau eines neuen Verhältnisses vor, das auf der Zugehörigkeit der ÜLG und der EU zur selben Staatenfamilie und nicht auf den Entwicklungsbedürfnissen der ÜLG an sich beruht.

Folglich will die Kommission eine ganzheitliche Überprüfung der Beziehungen zwischen der EU und den ÜLG vornehmen und eine gründliche Überarbeitung der Assoziation der ÜLG mit der EG in Erwägung ziehen. Dabei soll geprüft werden, wie einerseits vom herkömmlichen Ansatz der Entwicklungszusammenarbeit Abstand genommen werden und andererseits die Wettbewerbsfähigkeit der ÜLG und ihre Integration in die jeweilige regionale und in die Weltwirtschaft gestärkt werden können, wobei es gilt, nicht nur die Problemlagen der ÜLG, sondern auch deren Potenzial zu berücksichtigen. Als ersten Schritt hin zu einer derartigen Modernisierung der Beziehungen ÜLG-EG hat die Kommission dieses Grünbuch erstellt das dazu dienen soll, eine umfassende und transparente Diskussion über die künftigen Beziehungen zwischen der EU und den ÜLG und insbesondere über das Gesamtkonzept zu ermöglichen das diesen Beziehungen langfristig zugrunde liegen soll.

Der Zweck des vorliegenden Grünbuchs besteht also nicht darin, eine neue Politik darzulegen oder neue Finanzierungsinstrumente oder Verfahren zu schaffen, sondern darin, eine Reihe von Herausforderungen und Chancen zu prüfen und die Stellungnahmen interessierter Akteure zu erhalten, um dann vor allem im Hinblick auf das Auslaufen des derzeit geltenden

Übersee-Assoziationsbeschlusses Ende 2013 eine neue Partnerschaft zwischen der EU und den ÜLG definieren zu können.

2. Hintergrundinformationen über die ÜLG

2.1. Die 21 ÜLG: Assoziation mit der Gemeinschaft, Vielfalt und gemeinsame Merkmale

Nach dem EG-Vertrag handelt es sich bei den ÜLG um außereuropäische Länder und Hoheitsgebiete, die mit Dänemark, Frankreich, den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich besondere Beziehungen unterhalten. Ziel ihrer Assoziation mit der Europäischen Gemeinschaft ist die Förderung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der Länder und Hoheitsgebiete und die Herstellung enger Wirtschaftsbeziehungen zwischen ihnen und der gesamten Gemeinschaft. Nach dem EG-Vertrag "soll die Assoziation in erster Linie den Interessen der Einwohner dieser Länder und Hoheitsgebiete dienen und ihren Wohlstand fördern um sie der von ihnen erstrebten wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung entgegenzuführen."

Die insgesamt 21 ÜLG sind in Anhang II zum EG-Vertrag aufgeführt: Grönland, Neukaledonien und Nebengebiete, Französisch-Polynesien, Französische Süd- und Antarktisgebiete, Wallis und Futuna, Mayotte, St. Pierre und Miquelon, Aruba, Niederländische Antillen (d.h. Bonaire, Curaçao, Saba, St. Eustacius, St. Maarten), Anguilla, Kaimaninseln, Falklandinseln, Südgeorgien und Südliche Sandwichinseln, Montserrat, Pitcairninseln, St. Helena und Nebengebiete, Britisches Territorium in der Antarktis, Britisches Territorium im Indischen Ozean, Turks- und Caicosinseln, Britische Jungferninseln und Bermuda. Auf Wunsch der Regierung von Bermuda wurde die Assoziationsregelung allerdings bisher nie auf Bermuda angewandt.

Die ÜLG gehören zwar verfassungsrechtlich zu einem Mitgliedstaat, sind jedoch nicht Teil der Gemeinschaft an sich. Nach Artikel 299 Absatz 3 EG-Vertrag findet der Vertrag mit Ausnahme seines vierten Teils, der ausschließlich die Assoziation der ÜLG mit der EG regelt, grundsätzlich keine Anwendung auf die ÜLG. Somit besteht ein grundlegender Unterschied zwischen den ÜLG und den in Artikel 299 Absatz 2 genannten Regionen in äußerster Randlage. Im Gegensatz zu den ÜLG gehören die Regionen in äußerster Randlage nicht nur verfassungsrechtlich zu einem Mitgliedstaat, sondern sind auch integraler Teil der Gemeinschaft und unterliegen damit im Prinzip sämtlichen Bestimmungen des Besitzstands.

Es ist daher wenig sinnvoll, einen quantitativen oder qualitativen Vergleich zwischen den ÜLG und den Regionen in äußerster Randlage hinsichtlich der ihnen von der EU gewährten Vorteile oder auferlegten Pflichten anzustellen.

Auch unter den ÜLG selber bestehen große Unterschiede - nicht nur in Bezug auf das Maß an Autonomie gegenüber den Mitgliedstaaten, zu denen sie gehören, sondern auch im wirtschaftlichen und sozialen Bereich und im Hinblick auf ihre geografischen und klimatischen Merkmale. Trotz dieser großen Vielfalt haben die ÜLG auch einige Merkmale gemeinsam: Sie sind alle keine souveränen Länder, sie sind alle parlamentarische Demokratien und sie sind alle Inseln mit einer kleiner Bevölkerung und einer im Vergleich zu Kontinentaleuropa außerordentlichen biologischen Vielfalt. Sie sind alle relativ anfällig für externe Schocks und weisen im Allgemeinen eine schmale, zumeist an Dienstleistungen orientierte Wirtschaftsbasis auf. Sie sind zudem in großem Maße von Waren- und Energieimporten abhängig. Die Ausfuhr von Waren aus den ÜLG in die EU bzw. in Länder der jeweiligen Region hat in der Regel nur begrenzte Bedeutung.

Ein genauerer Überblick über die Vielfalt und die gemeinsamen Merkmale der ÜLG findet sich in dem Arbeitspapier der Kommissionsdienststellen, das diesem Grünbuch als Anhang I beigefügt ist. Zudem enthält das als Anhang II beigefügte Arbeitspapier der Kommissionsdienststellen Kurzbeschreibungen der einzelnen ÜLG mit statistischen Daten.

2.2. Die bestehende Assoziation der ÜLG mit der EU: der Übersee-Assoziationsbeschluss vom 27. November 2001

Während der vierte Teil des EG-Vertrags (Artikel 182 bis 188) die grundlegenden Bestimmungen über die Assoziation der ÜLG mit der EU enthält, werden die genauen Regeln und Verfahren der Assoziation in den seit 1964 aufeinander folgenden und vom Rat nach Artikel 187 EG-Vertrag gefassten "Übersee-Assoziationsbeschlüssen" festgelegt.1 Diese Detailvorschriften, wie sie in dem derzeit geltenden Übersee-Assoziationsbeschluss vom 27. November 20012 festgelegt sind, lassen sich in zwei Hauptkategorien unterteilen: Bestimmungen über die Zusammenarbeit bei der Entwicklungsfinanzierung und Bestimmungen über die wirtschaftliche und handelspolitische Zusammenarbeit. Eine Zusammenfassung dieser Bestimmungen findet sich in dem diesem Grünbuch als Anhang III beigefügten Arbeitspapier der Kommissionsdienststellen.

Die im Übersee-Assoziationsbeschluss enthaltenen Bestimmungen über die Zusammenarbeit bei der Entwicklungsfinanzierung zielen auf die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung in den ÜLG, wobei der Schwerpunkt auf der Verringerung und - letztendlich - Beseitigung der Armut liegt. Dementsprechend wurde diese Zusammenarbeit bisher aus dem Europäischen Entwicklungsfonds (EEF) finanziert, der auch als Instrument zur Finanzierung der Entwicklungszusammenarbeit mit den AKP-Staaten dient.

Ursprünglich sollte der derzeitige Übersee-Assoziationsbeschluss bis 31. Dezember 2011 gelten doch nach einigen technischen Änderungen 2007 wurde seine Geltungsdauer bis 31. Dezember 2013 verlängert und damit der des 10. EEF (2008-2013) und des Mehrjahresfinanzrahmens (2007-2013) angepasst. Diese technischen Änderungen stehen allerdings einer späteren Überarbeitung des Beschlusses vor seinem Auslaufen 2013, insbesondere zwecks Anwendung der im vierten Teil des EG-Vertrags festgelegten Grundsätze der Assoziation der ÜLG mit der EU, nicht entgegen3.

3. Aussichten für die Beziehungen der ÜLG zur EU

Da die ÜLG über die Mitgliedstaaten, zu denen sie gehören, eng mit der Gemeinschaft verbunden sind, gilt für sie eine der günstigsten jemals von der Gemeinschaft geschaffenen Handelsregelungen (siehe Anhang III). Diese engen Beziehungen sind auch der Grund, weshalb die EG-Finanzhilfe für die ÜLG pro Kopf gerechnet weit über dem AKP-Durchschnitt liegt.4 Auch die im Vergleich zu den Bestimmungen über die Zusammenarbeit mit den AKP-Staaten in mancher Hinsicht sehr spezifischen Verfahren für die Zusammenarbeit bei der Entwicklungsfinanzierung und die Tatsache, dass den ÜLG die Teilnahme an Gemeinschaftsprogrammen offen steht5, erklären sich unmittelbar aus diesen Sonderverhältnis, das auf der Solidarität zwischen Europa und den ÜLG gründet, auf die in der Präambel des EG-Vertrags verwiesen wird.

In der Präambel des EG-Vertrags, auf die in Artikel 182 EG-Vertrag (Assoziierung der ÜLG mit der(EG) Bezug genommen wird, bringen die Hohen Vertragsparteien, die die Gründung der Europäischen Gemeinschaft beschlossen haben, ihre Absicht zum Ausdruck, "die Verbundenheit Europas mit den überseeischen Ländern zu bekräftigen", und äußern den Wunsch, "entsprechend den Grundsätzen der Satzung der Vereinten Nationen den Wohlstand der überseeischen Länder zu fördern."

Allerdings wurden die Solidarität, die der Assoziation der ÜLG mit der EG zugrunde liegt, und vor allem die Bereitschaft der Gemeinschaft, durch umfangreiche Finanzhilfe die nachhaltige Entwicklung der ÜLG zu fördern, immer wieder in Frage gestellt. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass sich die Situation inzwischen grundlegend verändert hat, da das Konzept der Solidarität zwischen der Gemeinschaft und den ÜLG sich zu der Zeit, als es eingeführt wurde, auf die zumeist afrikanischen Kolonien der Mitgliedstaaten und auf die europäische Zollunion bezog, die die bilateralen Handelsbeziehungen mit diesen ehemaligen Kolonien ersetzte.

Im Zusammenhang mit der Unterzeichnung der Vertrags von Amsterdam am 2. Oktober 1997 erkannten die Vertreter der Regierungen der damals 15 Mitgliedstaaten an, dass die ursprüngliche Regelung für die Assoziation der ÜLG mit der Gemeinschaft nicht mehr ausreichte um die mit der Entwicklung der ÜLG verbundenen Herausforderungen wirksam zu bewältigen. Allerdings bekräftigten sie erneut, dass der Zweck der Assoziation darin besteht die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der ÜLG zu fördern und enge wirtschaftliche Beziehungen zwischen ihnen und der gesamten Gemeinschaft aufzubauen.6

Die Regelungen für die Assoziation der ÜLG mit der EG wurden zwar in der Folgezeit überprüft und mit dem Übersee-Assoziationsbeschluss von 2001 einige Neuerungen, vor allem in Bezug auf das Finanzierungsinstrument, eingeführt, doch insgesamt blieb das Konzept für die Beziehungen zu den ÜLG eng an den traditionellen entwicklungspolitischen Ansatz des Partnerschaftsabkommens AKP-EG mit seiner Betonung der Armutsbekämpfung angelehnt trotz der Widersprüche zwischen einem solchen Ansatz und der eigentlichen Lage in den ÜLG.

Aus diesem Grund stellen verschiedene Akteure - von der Kommission über die ÜLG und die Mitgliedstaaten, zu denen die ÜLG gehören, bis hin zu den Mitgliedstaaten ohne ÜLG - die gegenwärtige Regelung in Frage. Einerseits muss gründlich geprüft werden, wie die Assoziation der ÜLG mit der EG angepasst werden kann, um der spezifischen Lage der ÜLG, den Herausforderungen, vor denen sie stehen, ihrer tatsächlichen oder potenziellen Bedeutung für die EU insgesamt und der Wirklichkeit der globalisierten Welt von heute verstärkt Rechnung zu tragen. Andererseits wird - vor allem seit der Erweiterung der EU am 1. Mai 2004 - die Frage gestellt, ob die Gemeinschaft ein Interesse daran hat, die nachhaltige Entwicklung der ÜLG weiterhin zu fördern, vor allem dann, wenn das BIP eines ÜLG fast den Gemeinschaftsdurchschnitt erreicht oder ein Mitgliedstaat seine bilaterale Entwicklungshilfe für einige seiner eigenen ÜLG einstellt.

Daher will die Kommission mit dem vorliegenden Grünbuch eine umfassende und transparente Diskussion über die künftigen Beziehungen zwischen der EU und den ÜLG und insbesondere über das Gesamtkonzept, das diesen Beziehungen langfristig zugrunde liegen soll einleiten. Die Fragen, die hier gestellt werden, beziehen sich auf die Gründe für die Solidarität zwischen der EG und den ÜLG sowie auf deren Wesen und Ziele. Auf spezifische Fragen zur Handelsregelung gegenüber den ÜLG und zu den besonderen Merkmalen der ÜLG wird in den in den Anhängen IV und V zu diesem Grünbuch beigefügten Arbeitspapieren der Kommissionsdienststellen eingegangen.

Die nachstehend behandelten Themenkomplexe betreffen weder die Höhe noch die Quelle der künftigen Finanzhilfe der Gemeinschaft zugunsten der ÜLG und greifen damit den Ergebnissen der künftigen Verhandlungen über den Mehrjahresfinanzrahmen 2013-2020 und der Einbeziehung des EEF in den Gesamthaushalt nicht vor. Sie betreffen auch nicht die künftige Verwaltung der Gemeinschaftshilfe durch die Kommission, die eine Frage der internen Organisation der Kommission ist.

3.1. Partnerschaft zwischen der Gemeinschaft und den ÜLG Mitgliedstaaten, zu denen sie gehören

3.1.1. Die Auswirkungen der besonderen Beziehungen zwischen den ÜLG und den Mitgliedstaaten, zu denen sie gehören

Auch wenn die ÜLG nach Artikel 182 EG-Vertrag als "außereuropäisch" gelten und der gemeinschaftliche Besitzstand auf sie keine Anwendung findet, würde eine Behandlung der ÜLG als Drittländer der Wirklichkeit vor Ort nicht gerecht werden. Denn die ÜLG sind zwar nicht integraler Teil der EU, doch sind sie Teil eines Mitgliedstaates oder zumindest eng mit einem Mitgliedstaat verbunden, was bedeutet, dass sie von der EU nicht abzukoppeln sind und in gewissem Sinn "Teil ihrer äußersten Grenzen" sind.

Ein ganzer Teil des EG-Vertrags ist der Regelung der Assoziation der ÜLG mit der Gemeinschaft gewidmet und schafft damit die Grundlage dafür, dass die ÜLG nicht lediglich als Drittländer behandelt werden. Nach der Gliederung des EG-Vertrags fallen die Beziehungen zwischen den ÜLG und der EG weder unter die gemeinschaftliche Entwicklungszusammenarbeit noch unter das allgemeine auswärtige Handeln der Gemeinschaft.

Aufgrund ihrer Geschichte und ihrer besonderen Beziehungen zu Mitgliedstaaten der EU sind die ÜLG überdies integraler Teil einer Gesellschaft, die sowohl die Werte, auf denen die EU beruht als auch die Prinzipien, die sich aus den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten ergeben, achtet. Dazu zählen Werte wie Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Achtung der Grundrechte. Diese Werte und Prinzipien, die die EU auch gegenüber Drittländern fördert, werden in den ÜLG in die Praxis umgesetzt.

Im Gegensatz zu Drittländern sind alle Staatsanghörigen der ÜLG im Prinzip nach Artikel 17 EG-Vertrag auch Unionsbürger. Danach ist Unionsbürger, wer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt. So besitzen alle Staatsanghörigen Grönlands und der französischen und niederländischen ÜLG automatisch auch die Staatsangehörigkeit des entsprechenden Mitgliedstaats. Seit 21. Mai 2002 sind alle Bürger der britischen ÜLG gleichzeitig auch britische Staatsbürger. Sie können sich allerdings dafür entscheiden, lediglich Bürger eines britischen Überseegebiets zu bleiben, und sind nicht verpflichtet, einen Reisepass zu besitzen, der sie als britische Staatsbürger ausweist. Als Unionsbürger stehen den Staatsangehörigen der ÜLG im Prinzip die Rechte zu, die sich aus der Unionsbürgerschaft ergeben (Art. 18-22 EG-Vertrag). Dazu zählt z.B. das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (aber nicht das Recht, dort eine Arbeit aufzunehmen). Darüber hinaus kann Staatsangehörigen der ÜLG unter bestimmten Bedingungen, die der entsprechende Mitgliedstaat im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht festlegt, das aktive und passive Wahlrecht bei Wahlen zum Europäischen Parlament eingeräumt werden. Dies ist der Fall z.B. bei den Staatsangehörigen der französischen ÜLG.

Bei St. Pierre und Miquelon und Mayotte spiegelt sich die Besonderheit ihrer Beziehungen zur EU auch darin wider, dass dort der Euro als Währung verwendet wird, obwohl ihre Währungsregelung im EG-Vertrag nicht festgelegt ist, weil die beiden ÜLG ja nicht Teil der Gemeinschaft sind7. Bisher sind es die einzigen ÜLG, die den Euro als Währung verwenden, doch auch die französischen ÜLG im pazifischen Raum prüfen inzwischen die Möglichkeit, ihre eigenen Währungen durch den Euro zu ersetzen.8

Obwohl die allgemeinen Bestimmungen des EG-Vertrags aufgrund des Fehlens eines ausdrücklichen Bezugs nicht für die ÜLG gelten, sei darauf hingewiesen, dass sich die Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs auch auf Vorabentscheidungen, um die ein Gericht, in dessen Zuständigkeit ein ÜLG fällt, gemäß dem EG-Vertrag ersucht, sowie auf Verfahren erstreckt, die Beschwerdeführer aus den ÜLG gegen Rechtsakte der Gemeinschaft nach Maßgabe des EG-Vertrags einleiten.

Bei einigen ÜLG nimmt das Maß an Integration mit den entsprechenden Mitgliedstaaten zu, sodass letztere in Erwägung ziehen, den Rat um Änderung der Verträge zu bitten, damit diese Gebiete als Regionen in äußerster Randlage in die Gemeinschaft eingegliedert werden.

Sowohl in Bezug auf die möglichen Entwicklungen in den internen Beziehungen zwischen den ÜLG und den entsprechenden Mitgliedstaaten als auch im Hinblick auf die unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Beziehungen zwischen ihnen, vor allem die Tendenz in den meisten ÜLG zu größerer Autonomie und Unabhängigkeit, nimmt die Gemeinschaft jedoch weiterhin eine neutrale Haltung ein. Solche Fragen fallen ausschließlich in die Zuständigkeit der betreffenden Mitgliedstaaten und ihrer ÜLG. Nur bei voller Unabhängigkeit eines ÜLG wären seine Staatsangehörigen im Prinzip keine Unionsbürger mehr womit die enge Bindung an die EU über den entsprechenden Mitgliedstaat aufgehoben würde.

Unter Vorbehalt möglicher künftiger Entwicklungen machen die obigen Ausführungen deutlich dass sich der Status der ÜLG gegenüber der Gemeinschaft von dem von Drittstaaten unterscheidet auch von denjenigen, die im Rahmen besonderer Regelungen (AKP-Abkommen, Europäische Nachbarschaftspolitik) mit der Gemeinschaft assoziiert sind. Die ÜLG sind trotzdem nicht Teil der Gemeinschaft, unabhängig davon, ob oder inwieweit das Recht des entsprechenden Mitgliedstaats in einem bestimmten ÜLG gilt.

Es stellt sich damit die Frage nach der künftigen Gestaltung der Beziehungen zwischen den ÜLG und der Gemeinschaft, wobei es zu bedenken gilt, dass sich die Grundregeln der Beziehungen zwischen der Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten (einschließlich der Regionen in äußerster Randlage) nicht unverändert auf die ÜLG anwenden lassen und dass die Assoziation der ÜLG mit der Gemeinschaft die verfassungsrechtlichen Beziehungen zwischen den ÜLG und den entsprechenden Mitgliedstaaten nicht berühren darf.

3.1.2. Eine zeitgemäße Auslegung des Zwecks der Assoziation der ÜLG mit der EG

Nach Artikel 182 des EG-Vertrags besteht der Zweck der Assoziation der ÜLG mit der EG in der Förderung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der ÜLG und in der Herstellung enger Wirtschaftsbeziehungen zwischen ihnen und der gesamten Gemeinschaft.

In Artikel 1 des geltenden Übersee-Assoziationsbeschlusses wird klargestellt, dass bei der Verwirklichung der Ziele der Assoziation das Schwergewicht auf die Verringerung, die Verhütung und letztendlich die Beseitigung der Armut in den ÜLG, die nachhaltige Entwicklung (einschließlich der ökologischen Komponente), und die schrittweise Eingliederung der ÜLG in die Weltwirtschaft gelegt wird. Die Betonung der Armutsbekämpfung und die Anwendung entwicklungspolitischer Ansätze in der finanziellen Zusammenarbeit der Gemeinschaft mit den ÜLG führt häufig zu einer Gleichsetzung der ÜLG mit den AKP-Staaten, zumal in beiden Fällen dasselbe Finanzierungsinstrument - der EEF - zum Einsatz kommt.

Allerdings betrachten die ÜLG und die Mitgliedstaaten, zu denen sie gehören, diese Betonung der Armutsbekämpfung zunehmend als Hindernis für die möglichst effiziente Überwindung der besonderen wirtschaftlichen Anfälligkeit der ÜLG als kleiner Inselstaaten. Dies umso mehr als die gegenwärtige Zusammenarbeit zwischen der Gemeinschaft und den ÜLG bei der Entwicklungsfinanzierung auf Normen und Kriterien beruht, die denen, die auch in der Entwicklungszusammenarbeit mit den AKP-Staaten zur Anwendung kommen, ähnlich sind und damit den Besonderheiten der ÜLG im Hinblick auf ihre extrem kleine Größe, ihre institutionellen und verfassungsrechtlichen Verhältnisse, ihre geografische und klimatische Vielfalt, ihre Entwicklungsunterschiede und der Bedeutung, die Innovation, Unternehmergeist und Wettbewerbsfähigkeit beigemessen wird, nicht ausreichend Rechnung tragen.

Die Einbeziehung der ÜLG in die EG-Entwicklungszusammenarbeit wird auch von Mitgliedstaaten ohne ÜLG und - wie bei den Verhandlungen über das Interne Abkommen des 10. EFF deutlich wurde - von AKP-Staaten zunehmen kritisiert. Hauptgrund dafür ist, dass die ÜLG aus dem EEF finanzierte Entwicklungshilfe erhalten, obwohl einige ÜLG kaum als "Entwicklungsländer" gelten können, kein ÜLG als Land/Gebiet mit niedrigem Einkommen9 eingestuft ist, die ÜLG nicht Vertragsparteien des Partnerschaftsabkommens AKP-EG sind und sich die Bestimmungen des EG-Vertrags über die Entwicklungszusammenarbeit nicht auf die ÜLG beziehen. Hinzu kommt, dass pro Kopf gerechnet die aus dem EEF finanzierte Entwicklungshilfe für die ÜLG weit über dem AKP-Durchschnitt liegt10, was nicht auf die eigentlichen Bedürfnisse der ÜLG, sondern auf deren im Vergleich zu den AKP-Staaten engeren Beziehungen zur EU zurückzuführen ist.

Einerseits erscheint es angebracht, dass die Entwicklungszusammenarbeit in erster Linie den Ländern zugute kommt, die sie am nötigsten haben. Andererseits ist es allerdings ungerecht, das Pro-Kopf-Einkommen als einzigen Indikator für die Bedürfnisse des ÜLG zu nehmen, weil damit weder ihre wirtschaftliche Anfälligkeit als kleine Inselstaaten noch die Tatsache berücksichtigt wird, dass sich ihre kleine Größe und ihre Abhängigkeit von einer sehr schmalen Wirtschaftsbasis in starkem Maße auf ihre institutionellen Kapazitäten und ihr Entwicklungspotenzial auswirken. Darüber hinaus gilt es zu bedenken, dass mehrere ÜLG in starkem Maße von Finanztransfers der Mitgliedstaaten, zu denen sie gehören, abhängig sind, was ein relativ hohes Niveau der sozialen und öffentlichen Dienstleistungen gewährleistet, jedoch z.B. auch zur Entstehung eines großen und dominanten öffentlichen Sektors einerseits und eines unterentwickelten Privatsektor andererseits führen kann.

Die Herausforderungen, die sich aus der Anfälligkeit der ÜLG als kleine Inselstaaten ergeben, erfordern jedoch nicht unbedingt einen klassischen entwicklungspolitischen Ansatz. Der wirksamste Weg zur Förderung der nachhaltigen Entwicklung der ÜLG scheint im Gegenteil eher ein Ansatz zu sein, der einerseits ihre Wettbewerbsfähigkeit stärkt und ihre schrittweise Integration in die Weltwirtschaft unterstützt, andererseits aber nicht nur die Probleme, vor denen sie stehen (wie z.B. hohe Produktions- und Transportkosten, negative Skaleneffekte, relativer Mangel an institutionellen Kapazitäten), sondern auch ihre Potenziale berücksichtigt (wie z.B. ihr Sachverstand in bestimmten Bereichen, der hohe Bildungsstand ihrer Bevölkerung im Vergleich zu ihren Nachbarländern sowie die Verfügbarkeit bestimmter natürlicher Ressourcen). Angesicht der Anfälligkeit der ÜLG für die Folgen des Klimawandels und ihres auf ihre biologische Vielfalt gestützten Potenzials muss außerdem ein besonderes Augenmerk auf die Belange des Umweltschutzes gerichtet werden.

Um der Anfälligkeit der ÜLG dauerhaft Rechnung zu tragen, ist eine strategische Lösung erforderlich die über die einfache Gewährung von Ausnahmen von den bestehenden Regeln und Verfahren hinausgeht, denn solche Ausnahmen von der gemeinschaftlichen Entwicklungspolitik würden die Kohärenz dieser Politik, wie sie im Europäischen Entwicklungskonsens11 dargelegt wird, beeinträchtigen. Außerdem würde ein solcher Ansatz in direktem Widerspruch zu den Positionen einiger Mitgliedstaaten ohne ÜLG stehen. Es ist daher unerlässlich, dass zunächst die politischen Ansätze und nicht die Verfahren im Mittelpunkt der Diskussion stehen.

3.1.3. Gegenseitige Interessen

Die ÜLG befinden sich in mehr oder weniger abgelegenen Regionen in der gesamten Welt.

Obwohl die ÜLG sich außerhalb der Grenzen der EU befinden, weisen sie und die Mitgliedstaaten, zu denen sie gehören, häufig auf die strategische Bedeutung der ÜLG als "äußerste Grenze Europas" oder als "Vorposten der EU" hin - eben weil sie Teil eines EU-Mitgliedstaats oder zumindest eng mit einem Mitgliedstaat verbunden sind. Dies wirft eine doppelte Frage auf: Worin besteht die strategische Bedeutung der ÜLG für die EU insgesamt?

Und welche Pflichten sollten den ÜLG aus der Rolle erwachsen, die sie in ihren jeweiligen Regionen übernehmen könnten?

In der Karibik, im pazifischen Raum und im Indischen Ozean sind die ÜLG mit AKP-Staaten benachbart. Wie die französischen Regionen in äußerster Randlage in der Karibik und im Indischen Ozean verfügen einige ÜLG über Sachverstand, der nicht immer in ihren Nachbarländern vorhanden ist und diesen Ländern gewinnbringend zur Verfügung gestellt werden könnte. Die ÜLG könnten ebenfalls aktiv dazu beitragen, die von ihnen geteilten "europäischen Werte" auf möglichst breiter geografischer Basis in ihren jeweiligen Regionen zu fördern.

Es ist vorgeschlagen worden, "Zentren der Erfahrung und des Sachverstands" in den ÜLG einzurichten um die Rolle der ÜLG als "Brücken" zwischen der EU und ihren jeweiligen Regionen zu stärken. Dies könnte z.B. Folgendes betreffen: Anwendung und Förderung von hohen Standards in den Bereichen Umwelt, Rechtsstaatlichkeit, gute Regierungsführung, Achtung der Menschen- und Minderheitenrechte, Förderung gutnachbarlicher Beziehungen, marktwirtschaftliche Grundsätze, Innovation und nachhaltige Entwicklung.

Auch von Relevanz sind der ökologische Reichtum und die unterschiedlichen klimatischen Bedingungen in den ÜLG, die möglicherweise ein großes Forschungspotenzial bieten. Dies ist in einigen ÜLG wie z.B. Französisch-Polynesien der Fall - dort werden Forschungsprojekte im Bereich biologische Vielfalt durchgeführt, an denen sich Forschungsinstitute aus Frankreich und den Vereinigten Staaten beteiligen. Was Grönland betrifft so könnten die Förderung von Öl und Gas und weiteren Mineralien sowie die Schaffung neuer Seewege über den Nordpol neue Chancen eröffnen.

Von der gegenwärtigen Partnerschaft zwischen der EU und den ÜLG lässt sich jedoch kaum behaupten dass sie auf gegenseitigen Interessen beruhen würde. Die tatsächlichen Pflichten, die den ÜLG obliegen, beschränken sich auf die eines Hilfepartners bzw. eines durch eine nicht auf Gegenseitigkeit beruhenden präferenziellen Handelsregelung begünstigten Lands.

Die Partnerschaft zwischen der Europäischen Gemeinschaft und Grönland12 kann in gewisser Hinsicht als Ausnahme betrachtet werden, auch wenn die tatsächlichen Pflichten Grönlands in anderen Bereichen als der Fischerei relativ gering sind (mit Ausnahme des politischen Dialogs im Hinblick auf das Programm zur Förderung der nachhaltigen Entwicklung Grönlands).

Die tatsächlichen Pflichten der ÜLG im Rahmen der gegenwärtigen Partnerschaft sind nach wie vor ziemlich begrenzt. So ist im Übersee-Assoziationsbeschluss z.B. festgelegt, dass die Ziele der Assoziation durch Konzentration u.a. auf die schrittweise Integration der ÜLG in die jeweilige regionale Wirtschaft und die Weltwirtschaft verfolgt werden. Zu diesem Zweck fördert der Beschluss einerseits die regionale Zusammenarbeit, Solidarität und Integration zwischen den ÜLG und den AKP-Staaten bzw. zwischen den ÜLG untereinander und andererseits die Herstellung ausgewogenerer wirtschaftlicher und sozialer Beziehungen zwischen den ÜLG, den AKP-Staaten, den EU-Mitgliedstaaten und Ländern in anderen Teilen der Welt. Gleichzeitig haben die ÜLG mehrfach auf die Rolle hingewiesen, die sie als Brücke zwischen der EU und ihren jeweiligen Regionen spielen könnten, was von der Kommission begrüßt wurde. Dies würde allerdings neben einer verstärkten Zusammenarbeit sowohl innerhalb der jeweiligen Region als auch mit der EU einen wirksamen Transfer von Knowhow und die Umsetzung hoher Standards voraussetzen. Während der Beschluss also die regionale Zusammenarbeit der ÜLG mit ihren Nachbarn (ob EU-Regionen in äußerster Randlage, AKP-Staaten oder sonstigen Drittstaaten) ausdrücklich vorsieht und sogar fordert, enthält er keine entsprechenden Anreize oder Pflichten, sodass trotz der den verschiedenen Partnern bereitgestellten Ressourcen die Ergebnisse bisher relativ begrenzt waren.

Ein weiteres Beispiel für die begrenzten Pflichten der ÜLG im Rahmen der gegenwärtigen Assoziation mit der EU ist der Schutz ihres ökologischen Erbes. Über die Bedeutung der ökologischen Nachhaltigkeit für das eigene Wohlergehen der ÜLG hinaus kommt dem Schutz der biologischen Vielfalt angesichts dessen internationaler Dimension im Hinblick auf Forschung, die ökologisch tragfähige Nutzung natürlicher Ressourcen und die Bekämpfung des Klimawandels auch für die Gemeinschaft und die ganze Welt zentrale Bedeutung zu.

Allerdings legt der derzeitige Übersee-Assoziationsbeschluss den ÜLG keine Pflicht auf, sich an Umweltschutzmaßnahmen im Einklang mit den Standards der Gemeinschaft, an Maßnahmen zur Verminderung der Verschmutzung oder zum Aufbau ausreichender Kapazitäten für die Bewältigung von Katastrophenfällen (vor allem dort, wo neue kommerzielle Möglichkeit ausgenutzt werden könnten) oder aber an der wissenschaftlichen Zusammenarbeit mit europäischen Forschungsinstituten und -teams (aus anderen EUMitgliedstaaten als denen, zu denen die ÜLG gehören) wirksam zu beteiligen. Mehrere ÜLG wenden zwar beispielhafte ökologische Standards an, die denen der Gemeinschaft gleichwertig sind, doch entspricht dies nicht der gängigen Praxis in allen ÜLG, die häufig eine nicht nachhaltige Nutzung von Ökosystemen aufweisen.

Alle ÜLG sind durch eine viel größere biologische Vielfalt gekennzeichnet als Kontinentaleuropa. Diese abgelegenen Länder und Gebiete - allesamt Inseln - bietet günstige Lebensräume für viele Tier- und Pflanzarten, ob auf Land oder im Meer. So zählt z.B. Neukaledonien mehr als 2 000 endemisch vorkommende Pflanzenarten und mehr als 1 600 Fischarten. In Mayotte wurden bisher 200 Korallenarten gezählt. Die ÜLG sind auch wichtige Standorte für Zugvögel: So hat ein Großteil der Schwarzbrauenalbatrosse seine Brutstätten auf den Falklandinseln, auf Südgeorgien und auf den Archipelen Crozet and Kerguelen (die zu den Französischen Süd- und Antarktisgebieten gehören). Grönland zählt 25 Meeressäugetierarten, und Pottwale ziehen jedes Jahr in ihre Paarungsgründe in Französisch-Polynesien. Die ÜLG sind daher von großer Bedeutung für die weltweite biologische Vielfalt.

Eine genauere wissenschaftliche Dokumentation und ein verbesserter Zugang zu Forschungsergebnissen würden der nachhaltigen Nutzung und dem Schutz dieser biologischen Vielfalt zugute kommen. Nach Auffassung der Kommission könnten die biologische Vielfalt und die sonstigen natürlichen Ressourcen der ÜLG die Grundlage für eine verstärkte Zusammenarbeit in Bereich Forschung und Innovation bilden.

Das Potenzial der ÜLG im Hinblick auf ihre biologische Vielfalt ist bereits auf internationaler Ebene anerkannt. So werden Forschungsprojekte durchgeführt, um das Wissen über die dortigen Ökosysteme, ihre Wechselwirkungen und ihre Bedeutung für das weltweite ökologische Gleichgewicht zu verbessern. Diese Forschungsprojekte sollen auch Wege zum Schutz dieses Potenzials aufzeigen, das u.a. durch die Einführung nichtendemischer Arten, die bestehende Lebensräume zerstören oder endemisch vorkommende Pflanzenarten verdrängen (wie z.B. Ziegen in Bonaire und Curacao oder Miconia in Französisch-Polynesien und Neukaledonien usw.), oder durch die Auswirkungen des Klimawandels z.B. auf die Korallen stark gefährdet ist. Die internationale Gemeinschaft ist zunehmend besorgt über diesen Verlust an biologischer Vielfalt. In ihrer Mitteilung "Eindämmung des Verlusts der biologischen Vielfalt bis zum Jahr 2010 und darüber hinaus: Erhalt der Ökosystemleistungen zum Wohl der Menschen" vom 22. Mai 2006 betont die Europäische Kommission ihrerseits, dass wirksames Handeln in den durch große biologische Vielfalt gekennzeichneten überseeischen Ländern und Gebieten für die Glaubwürdigkeit der EU in dieser internationalen Arena von entscheidender Bedeutung ist.

Auch in Bezug auf die Zusammenarbeit in anderen Bereichen will die Kommission eine aktivere Partnerschaft mit den ÜLG entwickeln. Dazu gehören u.a. Wirtschafts-, Unternehmens-, Beschäftigungs- und Sozialpolitik, Handel und Investitionen. Infrastruktur (einschließlich des Systems Galileo, da die ÜLG potenzielle bzw. tatsächliche Kandidaten für den Aufbau von Bodeninfrastrukturen sind), Forschung, maritime Angelegenheiten und Meerespolitik, Energieversorgung, Energieeffizienz und erneuerbare Energieträger, gute Regierungsführung (u.a. in den Bereich Steuern, Finanzen und Justiz), Entwicklung der Zivilgesellschaft, Kulturaustausch, Medien, allgemeine und berufliche Bildung, Migration, Bekämpfung von organisierter Kriminalität, Menschenhandel, Terrorismus, Geldwäsche, Steuerbetrug, Steuerhinterziehung und Drogenhandel, illegale, nicht gemeldete und unregulierte Fischerei sowie Zusammenarbeit der Verwaltungs-, Polizei- und Justizbehörden.

Außerdem kann die Zusammenarbeit im See- und im Luftverkehr - hier auch im Hinblick auf den Gemeinsamen Luftverkehrsraum - einen wichtigen Beitrag zur Integration der ÜLG in ihre Region und zu einer Vertiefung der Beziehungen zwischen den ÜLG und der Gemeinschaft leisten.

Für ein Handeln im gegenseitigen Interesse der ÜLG und der EU (sowie benachbarter Entwicklungsländer) gelten folgende Voraussetzungen:

Eine weitere wichtige Herausforderung ergibt sich im Zusammenhang mit der Rolle und dem Einfluss bestimmter Länder in den verschiedenen Regionen, in denen sich die ÜLG befinden. Dazu zählen u.a. die Vereinigten Staaten, Brasilien und Venezuela im karibischen Raum oder die Vereinigten Staaten, Japan, China, Australien und Neuseeland im pazifischen Raum.

2003 gaben die ÜLG und die Mitgliedstaaten, zu denen sie gehören, zu verstehen, dass der Aufbau einer echten Partnerschaft mit dem Abschluss eines Abkommens (das ggf. durch spezifische Protokolle ergänzt werden könnte) und nicht mit einem erneuten Beschluss des Rates einhergehen sollte. In diesem Grünbuch wird allerdings nicht auf solche Überlegungen eingegangen da in Artikel 187 des EG-Vertrags ausdrücklich vorgesehen ist, dass der Rat die Einzelheiten und das Verfahren für die Assoziierung der ÜLG mit der Gemeinschaft festlegt.

3.2. Die Handelsregelungen zwischen der Gemeinschaft und den ÜLG

Keine Überprüfung der gegenwärtigen Handelsregelungen zwischen der Gemeinschaft und den ÜLG kann vorgenommen werden, ohne dabei die Veränderungen auf globaler Ebene zu berücksichtigen die sich auf die Gemeinschaft, die ÜLG, die wichtigsten Handelspartner der ÜLG und ihre AKP-Nachbarstaaten auswirken. In ihrer Zusammenarbeit mit den AKP-Staaten räumt die Gemeinschaft seit Jahren der Förderung der regionalen Wirtschaftsintegration konsequent Vorrang ein, weil die Integration innerhalb von Regionen und multilateralen Handelssystemen neue Handelsmöglichkeiten eröffnet, die das Wirtschaftswachstum ankurbeln und diese Länder damit bei der Überwindung der Armut unterstützen können. Dies ist auch der Grundansatz der Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit den AKP-Staaten.

Die theoretischen Vorteile, die den ÜLG aus dem im Rahmen der gegenwärtigen Handelsregelung gewährten präferenziellen Zugang zum Gemeinschaftsmarkt erwachsen, werden durch die zunehmende Handelsliberalisierung auf regionaler und globaler Ebene ausgehöhlt. Die ÜLG müssen sich auf diese zwangsläufige Entwicklung einstellen, zumal sie bereits von der günstigsten je von der Gemeinschaft gewährten Zollregelung profitieren, die keinen Spielraum für eine Verbesserung ihres präferenziellen Zugangs zum EU-Markt mehr bietet.

Vor diesem Hintergrund fordert die Kommission seit 2003 die ÜLG, die sich in einer AKP-Region befinden und die Mitgliedstaaten, zu denen sie gehören, dazu auf, ihren Standpunkt zur regionalen Wirtschaftsintegration dieser ÜLG mit ihren AKP-Nachbarstaaten zu definieren und dabei zu prüfen, welche Vor- und Nachteile sich aus der Teilnahme an einer solchen Integration für die ÜLG ergeben könnten. Dabei geht es vor allem um die Frage der Ursprungsregeln und der Ursprungskumulierung zwischen den ÜLG und den AKP-Staaten.

Eine auf die besondere Lage der ÜLG zugeschnittene Modernisierung der Ursprungsregeln (in erster Linie für Fischereierzeugnisse) oder die Verbesserung der Fähigkeit der ÜLG zur Erfüllung der Anforderungen an Warenimporte in die Gemeinschaft (z.B. im Bereich der Tier- und Pflanzengesundheit, die auch eine wichtige Komponente der Wirtschaftspartnerschaftsabkommen darstellt) könnte dazu beitragen, die Vorteile, die den ÜLG aus ihrer Handelsregelung mit der EG erwachsen, trotz des sinkenden theoretischen Werts ihrer Zollpräferenzen zu maximieren. Auch das gegenwärtige Umladeverfahren muss einer kritischen Bewertung unterzogen werden.

Unter Verweis auf das diesem Grünbuch in Anhang IV beigefügte Arbeitspapier der Kommissionsdienststellen möchte die Kommission Ihre Meinung zu den folgenden Fragen einholen:

3.3. Die besonderen Merkmale der ÜLG

Am 2. Oktober 1997 wurde auf der Konferenz der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten, auf der der Vertrag von Amsterdam verabschiedet wurde, auch eine Erklärung zu den ÜLG angenommen, die eine Überprüfung der Assoziation der ÜLG mit der EG vorsah, um die Vielfalt und die besonderen Merkmale der verschiedenen ÜLG stärker zu berücksichtigen13. Dementsprechend wurde mit dem Übersee-Assoziationsbeschluss von 2001 eine Reihe von Neuerungen eingeführt. Während bis zum 8. EEF die programmierbare Hilfe auf die französischen, britischen und niederländischen ÜLG gruppenweise aufteilt wurde und die entsprechenden Mitgliedstaaten dafür zuständig waren, den einzelnen ÜLG die Mittel zuzuweisen, führte der Übersee-Assoziationsbeschluss von 2001 eine Regelung ein, wonach den einzelnen ÜLG die Finanzhilfe der Gemeinschaft direkt zugewiesen wird. Dieser Beschluss sieht zudem ein größeres Maß an Subsidiarität bei der Verwaltung der Hilfe vor und enthält Bestimmungen über die Bedürfnisse der abgelegensten und am wenigsten entwickelten ÜLG. Aufgrund der Erfahrungen, die seit der Annahme dieses Beschlusses gesammelt wurden, sollte allerdings - unabhängig von den vorstehend gestellten Fragen - eine Reihe weiterer Herausforderungen, die sich aus der Anfälligkeit und Vielfalt der ÜLG ergeben einer kritischen Bewertung unterzogen werden.

Unter Verweis auf das diesem Grünbuch in Anhang V beigefügte Arbeitspapier der Kommissionsdienststellen möchte die Kommission daher Ihre Meinung zu den folgenden Fragen einholen:

4. Schlussfolgerungen

Nach dem EG-Vertrag besteht das Ziel der Assoziation der ÜLG mit der Europäischen Gemeinschaft in der Förderung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der ÜLG und der Herstellung enger Wirtschaftsbeziehungen zwischen ihnen und der gesamten Gemeinschaft. Darin sind auch die handelsbezogenen Ziele und die Leitprinzipien der Assoziation festgelegt. Innerhalb der vom EG-Vertrag gesetzten Grenzen besteht allerdings erheblicher Spielraum, um die Beziehungen zwischen der EU und den ÜLG zu modernisieren und damit der Wirklichkeit vor Ort, der besonderen Situation der ÜLG als über die ganze Welt verstreuter Kleinstinseln, dem Potenzial der ÜLG sowie den internationalen Rahmenbedingungen und regionalen Begebenheiten anzupassen, wobei es gilt, den einzigartigen Status der ÜLG gegenüber der Gemeinschaft zu berücksichtigen.

Mit Blick auf die künftige Gestaltung der Beziehungen zwischen den ÜLG und der EU dient das vorliegende Grünbuch dazu, eine breit angelegte öffentliche Diskussion zu einer Reihe grundlegender Fragen im Zusammenhang mit einer möglichen umfassenden Modernisierung der Assoziation in Gang zu setzen, damit die Kommission in die Lage versetzt wird, auf möglichst fundierter Grundlage eine neue langfristige Strategie für die Assoziation der ÜLG mit der Gemeinschaft auszuarbeiten, die bei Auslaufen des derzeitigen Übersee-Assoziationsbeschlusses am 31. Dezember 2013 die bestehende Regelung ganz oder teilweise ersetzt. Davon bleibt die Möglichkeit einer Überprüfung des Beschlusses noch vor Ende 2011, wie in Artikel 62 des Beschlusses vorgesehen, unberührt.

Die öffentliche Konsultation beginnt am 1. Juli 2008 und endet am 17. Oktober 2008.

Die Europäische Kommission bittet Sie, Ihre Beiträge über folgende Website elektronisch einzureichen:

http://ec.europa.eu/yourvoice/consultations/index_de.htm

Die Kommission wird die eingegangenen Beiträge sorgfältig prüfen, um die Grundlagen für die Definition einer neuen Politik gegenüber den ÜLG zu schaffen. Bei dieser Prüfung geht es in erster Linie darum, festzustellen, ob und inwieweit die in den Beiträgen zum Ausdruck gebrachten Meinungen bei der Ausarbeitung künftiger Vorschläge für die Politik gegenüber den ÜLG berücksichtigt werden können. Die eingegangenen Beiträge werden zusammen mit Angaben zum Autor im Internet veröffentlicht, sofern der Autor keine Einwände gegen die Veröffentlichung seiner personenbezogenen Daten erhebt und geltend macht, dass dies seinen berechtigten Interessen zuwiderlaufen würde. In diesem Fall wird der Beitrag gegebenenfalls in anonymisierter Form veröffentlicht. Ansonsten wird der Beitrag nicht veröffentlicht und im Prinzip auch inhaltlich nicht berücksichtigt. Organisationen werden gebeten, sich erkennen zu geben. Die Kommission wird den Eingang der Beiträge bestätigen, ohne sich in jedem Fall zum Inhalt zu äußern.

Um den Parteien, die geantwortet haben, und der Öffentlichkeit ein angemessenes Feedback zu geben, werden die Ergebnisse dieser Konsultation in die Begründungen zu Legislativvorschlägen oder eine Mitteilung über die Beziehungen zwischen der EU und den ÜLG aufgenommen, einschließlich einer Erläuterung, wie diesen Ergebnissen Rechnung getragen wurde.

Wir bitten Sie, das elektronische Antwortformular zu verwenden, was uns die Bearbeitung Ihres Beitrags im Rahmen dieser Konsultation erleichtert.

Sie können jedoch auch einen Beitrag auf Papier an folgende Adresse schicken:


Grünbuch "Zukunft der Beziehungen zwischen der EU und den überseeischen Ländern und Gebieten"
Europäische Kommission
Generaldirektion Entwicklung und Beziehungen zu den Staaten in Afrika, im karibischen Raum und im Pazifischen Ozean
DG DEV/D/1
SC-15 007/130
B-1049 Brüssel
Anfragen können auch per E-Mail an folgende Adresse gerichtet werden: DEV-DIRD@ ec.europa.eu