Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung des Europäischen Parlaments vom 8. Juli 2008 zur Stabilisierung Afghanistans: Herausforderungen für die Europäische Union und die internationale Gemeinschaft (2007/2208(INI))

Zugeleitet mit Schreiben des Generalsekretärs des Europäischen Parlaments - 115580 - vom 5. August 2008.

Das Europäische Parlament hat die Entschließung in der Sitzung am 8. Juli 2008 angenommen.

Das Europäische Parlament,

A. in der Erwägung, dass sich Afghanistan an einem Scheideweg befindet, wie die Zunahme von Terroranschlägen und gewalttätigen Unruhen, die sich erheblich zuspitzende Sicherheitslage, der Anstieg der Opiumproduktion und die wachsende Entrüstung der Bevölkerung über Korruption und das Versagen der Regierung belegen; in der Erwägung, dass sich die Lebensbedingungen eines beträchtlichen Teils der afghanischen Bevölkerung trotz der Bemühungen der internationalen Gemeinschaft und des Teilerfolgs beim zivilen Wiederaufbau nicht verbessert haben; in der Erwägung, dass die Bedrohung, mit der sich Afghanistan derzeit konfrontiert sieht, kurzfristiges Handeln erfordert, langfristige Lösungen aber nur durch umfassende Verbesserungen in der Staatsführung und die Herausbildung eines stärkeren Staates möglich sein werden,

B. in der Erwägung, dass die Vereinigten Staaten - mit Unterstützung des Vereinigten Königreichs - am 7. Oktober 2001 mit der Operation "Enduring Freedom" begannen; in der Erwägung, dass vier weitere Mitgliedstaaten der Europäischen Union - die Tschechische Republik, Frankreich, Polen und Rumänien - den an der Operation beteiligten Koalitionsstreitkräften angehören; in der Erwägung, dass mit Ausnahme Zyperns und Maltas sämtliche EU-Mitgliedstaaten Truppen für die ISAF-Mission unter Nato-Führung und damit 21 500 Soldaten stellen; in der Erwägung, dass die ersten Teams für den Wiederaufbau der Provinzen (Provincial Reconstruction Teams, PRT) Ende 2001 ihre Arbeit aufnahmen und dass gegenwärtig ungefähr 25 PRT im gesamten Land tätig sind,

C. in der Erwägung, dass ein deutliches Missverhältnis zwischen den von der internationalen Gemeinschaft aufgebrachten Mitteln für Militäroperationen einerseits und den zur Verfügung gestellten Geldern für den zivilen Wiederaufbau und die humanitäre Hilfe andererseits besteht;

D. in der Erwägung, dass mehr als die Hälfte der Einwohner Afghanistans unter der Armutsgrenze lebt, dass die Wirtschaft des Landes zu den am wenigsten entwickelten der Welt gehört und die Arbeitslosenquote bei fast 40 % liegt,

E. in der Erwägung, dass das afghanische Gesundheitswesen erste Erfolge wie einen Rückgang der Kindersterblichkeit von 24 % seit dem Ende der Taliban-Herrschaft, eine höhere Zahl von Kleinkindern, die ihren ersten Geburtstag erleben, und einen größeren Prozentsatz von Afghanen mit direktem Zugang zur medizinischen Grundversorgung verbuchen kann,

F. in der Erwägung, dass sich im afghanischen Bildungswesen erste positive Entwicklungen wie eine steigende Zahl von Kindern und insbesondere Mädchen, Schülern und Lehrern, die wieder in den Schulbetrieb integriert sind, die laufende Sanierung von Grundschulen und die Lehrerausbildung abzeichnen,

G. in der Erwägung, dass zwar keine offiziellen Zahlen über zivile Tote in Afghanistan vorliegen, dass in dem Bericht des UN-Generalsekretärs über die Lage in Afghanistan vom 6. März 2008 jedoch darauf hingewiesen wird, dass die Aktivitäten von Rebellen und Terroristen 2007 gegenüber dem Vorjahr erheblich zugenommen haben, dass 2007 pro Monat durchschnittlich 566 Unfälle verzeichnet wurden , verglichen mit 425 pro Monat im Jahr davor, und dass von den über 8 000 konfliktbedingten Todesfällen im Jahr 2007 1 500 zivile Opfer waren - die höchste Todesrate seit dem Sturz der Taliban im Jahr 2001,

H. in der Erwägung, dass die Glaubensfreiheit in der neuen Verfassung Afghanistans nicht uneingeschränkt gewährleistet ist und die Möglichkeit besteht, den Abfall vom Islam zu bestrafen,

I. in der Erwägung, dass das Gemeinsame Koordinierungs- und Kontrollgremium für Afghanistan am 5./6. Februar 2008 in Tokio mit der Vorbereitung einer internationalen Konferenz zur Überprüfung der Fortschritte bei der Umsetzung des auf der Londoner Konferenz von 2006 angenommenen Plans (Afghanistan Compact) begonnen hat,

J. in der Erwägung, dass in dem "Afghanistan Opium Winter Rapid Assessment Survey 2008" (erstellt durch das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung) der in dem Bericht 2007 festgestellte Trend bestätigt wird, nach dem die Zahl der opiumfreien Provinzen im Norden und im Zentrum möglicherweise steigt, der Opiumanbau im Süden und Westen jedoch wahrscheinlich zunehmen wird; in der Erwägung, dass in dem Bericht 2007 einerseits weiter der Irrtum verbreitet wird, Provinzen, in denen nur wenig oder kein Mohn angebaut wird, seien opiumfrei, andererseits jedoch auf den Zusammenhang zwischen Unsicherheit und Drogenproduktion hingewiesen wird; in der Erwägung, dass die wichtigsten Instrumente einer Politik zur Drogenbekämpfung die Vernichtung der Ernte, das Verbot (was weitaus mehr umfasst als nur die Festnahme von Drogenhändlern) und die Entwicklung (Einkommensalternativen) sind, die gleichzeitig angewandt werden müssen,

K. in der Erwägung, dass Hunderte von afghanischen Gefangenen im Rahmen des US-Programms geheimer Inhaftierungen nach wie vor in verschiedenen Haftanstalten festgehalten werden, beispielsweise dem Militärstützpunkt Bagram und in Guantánamo, was gegen internationales humanitäres Recht und gegen die Menschenrechte verstößt; in der Erwägung, dass die Gefangenen in afghanischem Gewahrsam nach wie vor einem Strafverfolgungssystem ausgesetzt sind, in dem rechtsstaatliche Mindeststandards und Achtung der grundlegenden Menschenrechte nicht gegeben sind,