902. Sitzung des Bundesrates am 2. November 2012
A
Der federführende Rechtsausschuss (R) und der Gesundheitsausschuss (G) empfehlen dem Bundesrat, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt, dass mit der beabsichtigten gesetzlichen Regelung Rechtssicherheit für alle Betroffenen geschaffen werden soll. Er bittet allerdings, im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens zu prüfen, ob das Ziel der Rechtssicherheit mit dem vorliegenden Gesetzentwurf tatsächlich erreicht werden kann. Daran bestehen Zweifel.
Nach § 1631d Absatz 2 BGB-E dürfen auch Personen Beschneidungen durchführen, wenn sie dafür besonders ausgebildet und, ohne Arzt zu sein, für die Durchführung der Beschneidung vergleichbar befähigt sind. Auch für die in Absatz 2 genannten Personen gilt, dass die Beschneidung nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt werden muss. Dies hält der Bundesrat für unabdingbar. Es stellen sich vor diesem Hintergrund allerdings mehrere Fragen:
- - Können außerhalb einer Klinik oder einer ärztlichen Praxis überhaupt Beschneidungen nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt werden, oder können dort die notwendigen Anforderungen an Hygiene und Sterilität nicht gewährleistet werden, die für eine Behandlung nach den Regeln der ärztlichen Kunst erforderlich sind? Hierbei handelt es sich um eine tatsächliche Frage, die im Gesetzgebungsverfahren geprüft werden muss. Wäre eine Beschneidung außerhalb einer Klinik oder ärztlichen Praxis nicht nach den Regeln der ärztlichen Kunst möglich, besteht die Gefahr, dass für § 1631d Absatz 2 BGB-E kein oder nur ein sehr eingeschränkter Anwendungsbereich bleibt. Eine weitere Folge könnte sein, dass Beschneidungen von den Gerichten bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der "Regeln der ärztlichen Kunst" als rechtswidrig angesehen werden, wenn sie nicht in einer Klinik oder Arztpraxis durchgeführt werden.
- - Was ist unter einer "im Einzelfall gebotenen und wirkungsvollen Schmerzbehandlung" zu verstehen? Ist entsprechend der Auffassung pädiatrischer Schmerzspezialisten eine Vollnarkose bei der Beschneidung unverzichtbar? Wäre die letztgenannte Frage zu bejahen, bliebe für § 1631d Absatz 2 BGB-E ebenfalls kein oder nur ein sehr eingeschränkter Anwendungsbereich, weil Vollnarkosen nur von Ärzten gegeben werden dürfen und eine Beschneidung ohne Vollnarkose nicht den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechen würde.
- 2. [Oder gibt es Schmerzbehandlungen für Beschneidungen nach den Regeln der ärztlichen Kunst, die außerhalb einer Klinik oder Arztpraxis angewandt werden können?]
Der Bundesrat hält die Klärung der vorstehend aufgeworfenen Fragen für notwendig, um späteren Anwendungsproblemen des Gesetzes vorzubeugen.
- 3. Dem Bundesrat ist es ein Anliegen zu betonen, dass mit dieser Prüfbitte das dem Elternrecht immanente Recht zur religiösen Kindererziehung nicht infrage gestellt werden soll. Das Gegenteil ist der Fall. Der Bundesrat hält es für seine Pflicht darauf hinzuweisen, dass der vorliegende Gesetzentwurf die Gefahr birgt, dass infolge der Notwendigkeit der Auslegung der im Gesetzentwurf vorgesehenen unbestimmten Rechtsbegriffe entgegen der Intention des Entwurfs gerade Rechtsunsicherheit geschaffen werden könnte. Eine gesetzliche Regelung, die die Beschneidung auch aus religiösen Gründen ermöglichen soll, muss so konstruiert sein, dass dieses Ziel zweifelsfrei erreicht wird.
- 4. Dem Bundesrat ist es ein Anliegen zu betonen, dass mit dieser Prüfbitte das dem Elternrecht immanente Recht zur religiösen Kindererziehung nicht infrage gestellt werden soll. Der Bundesrat weist darauf hin, dass der vorliegende Gesetzentwurf die Gefahr birgt, dass infolge der Notwendigkeit der Auslegung der im Gesetzentwurf vorgesehenen unbestimmten Rechtsbegriffe entgegen der Intention des Entwurfs Rechtsunsicherheit geschaffen werden könnte. Eine gesetzliche Regelung, die die Beschneidung auch aus religiösen Gründen ermöglichen soll, muss so konstruiert sein, dass dieses Ziel zweifelsfrei erreicht wird.
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- 5. Der Ausschuss für Frauen und Jugend und der Ausschuss für Familie und Senioren empfehlen dem Bundesrat, gegen den Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes keine Einwendungen zu erheben.