Beschluss des Bundesrates
Entschließung des Bundesrates für eine Modernisierung und Erweiterung der EU-Regelungen für Notbremsassistenten und Abstandswarner in schweren Nutzfahrzeugen sowie eine Reform der Regelungen für die Sanktionierung fahrfremder Tätigkeiten

Der Bundesrat hat in seiner 951. Sitzung am 25. November 2016 beschlossen, die aus der Anlage ersichtliche Entschließung zu fassen

Anlage
Entschließung des Bundesrates für eine Modernisierung und Erweiterung der EU-Regelungen für Notbremsassistenten und Abstandswarner in schweren Nutzfahrzeugen sowie eine Reform der Regelungen für die Sanktionierung fahrfremder Tätigkeiten

Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf,

Begründung:

Auch wenn Autobahnen statistisch gesehen, insbesondere gemessen am Verkehrsaufkommen, die sichersten Straßen Deutschlands sind, sind gerade auf hochbelasteten Autobahnen eine Vielzahl von Unfällen zu beklagen. Oftmals sind Lastkraftwagen (Lkw) die Verursacher.

Lkw-Unfälle zeichnen sich dadurch aus, dass sie schwerste Schäden verursachen und häufig auch Menschenleben fordern, weil die Lkw - zum Teil ungebremst - auf Stauenden auffahren. Die Ursachen dieser Unfälle liegen meist in menschlichem Fehlverhalten in Form von zu geringen Abständen sowie Ablenkung und Unachtsamkeit. Um diese Unfälle zu vermeiden, müssen alle vorhandenen technischen Möglichkeiten eingesetzt werden. Es fehlt aktuell weniger an der verfügbaren Technik als mehr an den verbindlichen und verpflichtenden rechtlichen Vorgaben, diese Technik möglichst optimal einzusetzen. Daher müssen die rechtlichen Vorgaben der EU entsprechend angepasst werden. Darüber hinaus muss auch an dem Fehlverhalten selbst angesetzt werden.

Der Rechtsrahmen ist so zu gestalten, dass ablenkende Tätigkeiten während der Fahrt deutlich sanktioniert werden.

Dem liegen folgende Erwägungen zu Grunde:

I. EU-Regelungen für Notbremsassistenten und Abstandswarner

Seit November 2015 müssen europaweit nahezu alle neu zugelassenen Omnibusse und Güterkraftfahrzeuge ab 8 t zulässigem Gesamtgewicht mit einem Notbremssystem ausgestattet sein.

In den Verordnungen (EG) Nr. 661/2009 und (EU) Nr. 347/2012 sind fortschrittliche AEBS definiert. Sie sollen der Fahrerin bzw. dem Fahrer helfen, kritische Auffahrsituationen rechtzeitig zu erkennen, sie bzw. ihn bei konkreten Kollisionsrisiken eindringlich zu warnen und schließlich eine autonome Notbremsung einleiten, um die Kollision zu verhindern oder mindestens die Kollisionsenergie zu mindern. Zum Zeitpunkt der Formulierung dieser Verordnungen gab es allerdings nur wenige Notbremsassistenten auf dem Markt. Dementsprechend bleiben die geltenden EU-Regelungen aus heutiger Sicht deutlich hinter dem zurück, was aktuell technisch möglich wäre.

Gegenwärtig wird nur dann die Vermeidung einer Auffahrkollision gefordert, wenn sich ein Vorausfahrzeug bei Erkennung durch das AEBS (noch) bewegt. Wenn hingegen das als kollisionskritisch erkannte Vorausfahrzeug bereits steht (zum Beispiel stationäres Stauende, "Liegenbleiber" oder Baustellensicherungsfahrzeug), braucht das Notbremssystem eine potenzielle Kollision nicht zu vermeiden, sondern nur die Kollisionsgeschwindigkeit zu reduzieren und zwar von gefahrenen 80 km/h um mindestens 10 km/h (Fahrzeuge, die bis 2015 zugelassen wurden) bzw. um 20 km/h (Fahrzeuge, die ab 2016 zugelassen wurden).

Technisch können bereits mehrere der aktuell eingesetzten Systeme (Marktanteil circa 50 Prozent) vor stehenden Fahrzeugen die Kollisionsgeschwindigkeit deutlich stärker (um mehr als 40 km/h) reduzieren oder sogar rechtzeitig kollisionsfrei anhalten.

Mit zunehmender AEBS-Ausstattung schwerer Güterkraftfahrzeuge wachsen auch die Felderfahrungen mit solchen Systemen. Kontrollorgane und andere stellen fest, dass Fahrzeugführende den Notbremsassistenten dauerhaft abschalten, um beispielsweise nicht durch die Kollisionswarnungen vermeintlich "gestört" zu werden. Andererseits scheinen Kriterien zur Übersteuerung der AEBS-Bremsfunktionen teilweise so "sensibel" zu sein, dass in kritischen Verkehrssituationen gegebenenfalls aufgeschreckte Fahrzeugführende ungewollt AEBS-Abbrüche auslösen können. Ein inaktives System kann aber keine Kollision verhindern. Es muss also sichergestellt werden, dass die vorhandenen Systeme auch genutzt werden, denn nur so können Unfälle auch tatsächlich verhindert werden.

Im Jahr 2015 wurden, beispielsweise auf niedersächsischen Autobahnen und mehrspurigen Bundesstraßen, alle Unfälle mit Getöteten und Schwerverletzen untersucht, an denen Güterkraftfahrzeuge mit mehr als 3,5 t Gewicht beteiligt waren (insgesamt 151 Unfälle). Bei 85 dieser Unfälle konnte der Lkw als Hauptverursacher identifiziert werden. Von diesen 85 Unfällen waren 61 "AEBS-relevant", das heißt es handelte sich um ein Auffahren auf ein Hindernis, oftmals auf am Stauende stehende oder auf ruhende Fahrzeuge.

In genau diesen Situationen lassen technisch optimierte Systeme, die den nachfolgend formulierten Empfehlungen folgen, eine deutliche Verbesserung der Verkehrssicherheit erwarten. Die Untersuchung dieser notbremsrelevanten Unfälle in Niedersachsen hat ergeben, dass mit einem optimierten AEBS 86 Prozent der Unfälle und vermutlich fast alle Personenschäden hätten vermieden werden können. Dies deckt sich mit Daten, die der Deutsche

Verkehrssicherheitsrat e.V. erhoben hat. Demzufolge besteht bei "optimalen" AEBS-Varianten gegenüber solchen, die "nur" der EU-Vorschriftenstufe 2 entsprechen, eine mehr als dreimal höhere Wahrscheinlichkeit, diese Unfälle zu vermeiden. Bei den Getöteten besteht immerhin noch eine mehr als doppelt so hohe Wahrscheinlichkeit.

Schließlich sind die meisten aktuellen Notbremssysteme als reine "Notfallsysteme" ausgelegt und warnen nur bei konkreten Kollisionsrisiken. Im realen Fahrverkehr, wenn auf Autobahnen Lkw mit praktisch gleichen Geschwindigkeiten ("Kolonnenverkehr") fahren, warnen die Systeme im Regelfall erst so spät, dass eine Reaktion der Fahrerin oder des Fahrers nicht mehr möglich ist. Gerade in diesen Kolonnen sind aber häufig unzulässig geringe Abstände zum Vorausfahrenden festzustellen. Ein zu geringer Sicherheitsabstand ist häufig unfallursächlich, da sich dadurch die mögliche Zeit, in der eine Reaktion noch einen Unfall verhindern könnte, erheblich verkürzt. Nur bei rechtzeitiger Warnung können die Fahrzeugführenden noch selbsttätig eingreifen. Aus diesem Grund muss zusätzlich zu den Notbremsassistenten auch eine vorherige Warnfunktion vorgesehen sein, die bereits beim Unterschreiten des Sicherheitsabstandes optisch und akustisch warnt. Die bestehenden Systeme sind bereits in der Lage, dies technisch umzusetzen.

II. Regelungen zur Sanktionierung fahrfremder Tätigkeiten

Ablenkung während des Fahrens bedeutet eine erhöhte Gefährdung. Grundsätzlich enthält § 1 StVO die Verpflichtung, sich im Straßenverkehr so zu verhalten, dass niemand anderes gefährdet wird. Dies umfasst auch die Anforderung, sich im Verkehr stets mit der erforderlichen Aufmerksamkeit und Sorgfalt zu bewegen. Diese Sorgfaltspflichten sind eindeutig nicht erfüllt, wenn Fahrzeugführerinnen und -führer sich während der Fahrt anderen Tätigkeiten widmen, die nachhaltig vom Verkehrsgeschehen ablenken. Eine Verletzung dieser allgemeinen Sorgfaltspflichten ist allerdings bisher nicht bußgeldbewehrt.

Eine spezielle Regelung, die ein bestimmtes Verhalten während der Fahrt verbietet, findet sich lediglich in § 23 StVO. Dort ist das Verbot der Nutzung von Mobiltelefonen geregelt. Ein Verstoß gegen dieses Verbot wird mit Bußgeld und zusätzlich mit einem Punkt im Fahreignungsregister sanktioniert.

Im Rahmen von Kontrollen und der Erforschung von Unfallursachen wurde in den vergangenen Jahren eine Zunahme von ablenkenden Tätigkeiten während der Fahrt festgestellt. Da ein solches Verhalten aber keine Bußgelder nach sich zieht, scheint die Neigung, sich nur dem Verkehrsgeschehen zu widmen, immer mehr abzunehmen. Um auch hier Sanktionsmöglichkeiten und damit eine abschreckende Wirkung zu erhalten, sollte die StVO dahingehend überarbeitet werden, dass auch solche fahrfremden Tätigkeiten (zum Beispiel Video/TV-schauen, Kaffeekochen, Zeitungslesen) in angemessenem Rahmen mit Bußgeldern bewehrt werden können.