Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung des Europäischen Parlaments vom 11. Oktober 2007 zu den Frauenmorden (Feminizide) in Mexiko und Mittelamerika und die Rolle der Europäischen Union bei der Bekämpfung dieses Phänomens (2007/2025(INI))

Zugeleitet mit Schreiben des Generalsekretärs des Europäischen Parlaments - 5888 - vom 25. Oktober 2007. Das Europäische Parlament hat die Entschließung in der Sitzung am 11. Oktober 2007 angenommen.

Das Europäische Parlament,

A. in der Erwägung, dass Mexiko sowie alle Länder Mittelamerikas die Allgemeine Menschenrechtserklärung unterzeichnet und ratifiziert haben,

B. in der Erwägung, dass Mexiko auch gewählt wurde, um den Vorsitz im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen zu übernehmen,

C. in der Erwägung, dass Mexiko seit 1999 einen Beobachterstatus beim Europarat hat und im Einklang mit diesem Status an den Sitzungen des Ministerkomitees und der diplomatischen Vertreter teilnimmt; in der Erwägung, dass Mexiko ebenfalls das Protokoll von Palermo ratifiziert hat,

D. in der Erwägung, dass Mexiko das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs ratifiziert hat,

E. in der Erwägung, dass der Begriff "Frauenmord (Feminizid)" auf folgende Definition der Gewalt gegen Frauen gemäß Artikel 1 der Konvention von Belem do Pará zurückgeht: jede gegen Frauen auf Grund ihrer Geschlechtszugehörigkeit gerichtete Gewalthandlung, durch die Frauen körperlicher, sexueller oder psychologischer Schaden oder Leid zugefügt bzw. ihr Tod herbeigeführt wird, gleichviel ob im öffentlichen oder im privaten Bereich; weiter in der Erwägung, dass die Bestrafung und Ausmerzung von Frauenmorden unbedingt notwendig ist und für jeden Rechtsstaat Vorrang genießen muss,

F. in der Erwägung, dass die vorliegende Entschließung eine Aufforderung darstellt, die wenig zufriedenstellende Situation in einigen Staaten nachhaltig zu verbessern, und dass die in dieser Entschließung enthaltenen Feststellungen und Vorschläge keinesfalls eine Anklage oder Anklageschrift gegenüber Regierungen von uneingeschränkt souveränen Staaten, die als gleichberechtigte Partner in der internationalen Politik anerkannt sind, darstellen,

G. in der Erwägung, dass Gewalt gegen Frauen kein örtlich begrenztes Phänomen, sondern weltweit verbreitet ist und alle Staaten angeht, auch die in Europa, und dass diese Entschließung als Teil einer allgemeinen Strategie aufgefasst werden sollte und ihr Ziel konkrete gemeinsame Anstrengungen und Aktionen der Europäischen Union und ihrer Partnerländer zur Ausmerzung und Verhinderung der Todesfälle bei Frauen als Folge von Gewalt sind, wo immer diese auftreten mögen, sowie in der Erwägung, dass der Dialog, die Zusammenarbeit und der gegenseitige Erfahrungsaustausch zwischen den lateinamerikanischen und den europäischen Ländern auf diesem Gebiet unbedingt gefördert werden sollten,

H. in der Erwägung, dass die meisten Frauenmorde in Ciudad Juárez und in Guatemala außerordentlich brutal waren und viele Opfer sexueller Gewalt ausgesetzt waren, was an sich schon eine grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung darstellt; in der Erwägung, dass im Fall von Ciudad Juárez Faktoren wie Bevölkerungswachstum, Migrationsströme und die Präsenz organisierter Kriminalität zusammentreffen und dass ein hoher Prozentsatz dieser Morde dort begangen wurde, wo mexikanische Unternehmen, die sogenannten Maquiladoras, tätig sind, denen es an den notwendigen Sicherheitsvorkehrungen zum Schutz der Frauen mangelt; in der Erwägung, dass es - wie dies in dem vorgenannten Mexiko-Bericht der Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen Yakýn Ertürk verlangt wird - notwendig ist, diese Gebiete mit den erforderlichen Infrastrukturen auszustatten, damit sich die Arbeitnehmerinnen dort sicherer bewegen können,

I. in der Erwägung, dass sich die Frauenmorde, die Gegenstand dieser Entschließung sind, nicht durch ein "allgemeines Klima der Gewalt" erklären lassen, sondern dass die Diskriminierung der Frau, die für sie ungünstigen sozioökonomischen Umstände vor Ort - zumal im Falle indigener Frauen -, die hohen Armutsraten, die wirtschaftliche Abhängigkeit der Frauen, das Bandenwesen sowie die nicht erfolgte Zerschlagung der illegalen Sicherheitstruppen und geheimen Sicherheitsapparate berücksichtigt werden müssen,

J. in der Erwägung, dass es in der Entschließung 1454 (2005) der Parlamentarischen Versammlung des Europarats heißt, dass von den mexikanischen Behörden mittlerweile beträchtliche Anstrengungen auf allen Ebenen unternommen werden, um das auseinander geratene soziale Gefüge in diesen Städten wieder in Ordnung zu bringen, Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen und die Ermordung und das Verschwinden von Frauen zu untersuchen und sowohl die Verantwortlichen für diese Verbrechen als auch jene, die zunächst die Untersuchungen behinderten und dem Lauf der Gerechtigkeit entgegenwirkten, vor Gericht zu bringen,

K. in der Erwägung, dass in dieser Angelegenheit in einigen Fällen Straffreiheit herrscht, dass also diejenigen, die solche Taten begangen haben, in der Praxis weder strafrechtlich noch administrativ, disziplinarrechtlich oder zivilrechtlich zur Verantwortung gezogen werden, dass wegen der Taten keine Ermittlungen angestellt bzw. Sanktionen verhängt werden, dass Haushaltsmittel knapp sind und dass die geschädigten Frauen und ihre Familienangehörigen häufig am Zugang zur Justiz gehindert werden,

L. in der Erwägung, dass ein Rechtsstaat die Pflicht hat, geeignete Politiken zu fördern, damit Frauen insgesamt und insbesondere stark benachteiligte Frauen angemessen vor Diskriminierung, Gewalt und letzten Endes vor Frauenmorden geschützt werden, und dass in erster Linie das Verständnis der Behörden auf allen Ebenen und der gesamten Gesellschaft für die Schwere des Problems geweckt werden muss,

M. in der Erwägung, dass der Kampf gegen Frauenmorde und gegen die Straflosigkeit die Verstärkung der Präventivmaßnahmen, die Beseitigung jeglicher rechtlicher Diskriminierung, die Ermöglichung von Strafanzeigen und Schutzmaßnahmen für die Klägerinnen sowie die Stärkung des Gerichtswesens und der Strafverfahren (insbesondere im Kampf gegen das organisierte Verbrechen) von der gerichtlichen Ermittlung bis zur Vollstreckung der Urteile berücksichtigen muss,

N. in der Erwägung, dass der Wiederaufbau oder die Stärkung der Institutionen von wesentlicher Bedeutung ist, um die geschlechtsspezifische Gewalt wirksam zu bekämpfen, und angemessene personelle und finanzielle Mittel erfordert,

O. in der Erwägung, dass in Punkt 9 der Aktionsplattform der Vierten Weltfrauenkonferenz der Vereinten Nationen, die im Jahr 1995 in Peking stattfand, ein auf allen internationalen Konferenzen des vorhergehenden Jahrzehnts bekräftigtes grundlegendes Prinzip wie folgt niedergelegt ist: "Die Umsetzung dieser Plattform, namentlich durch den Erlass einzelstaatlicher Rechtsvorschriften, die Ausarbeitung von Strategien, Politiken und Programmen und die Festlegung von Entwicklungsprioritäten, liegt in der souveränen Verantwortung eines jeden Staates, im Einklang mit allen Menschenrechten und Grundfreiheiten. Die Bedeutung der verschiedenen religiösen und ethischen Wertvorstellungen, Kulturtraditionen und philosophischen Überzeugungen der einzelnen Menschen und ihrer Gemeinwesen sowie deren volle Achtung sollten dazu beitragen, dass die Frauen ihre Menschenrechte im Hinblick auf die Herbeiführung von Gleichberechtigung, Entwicklung und Frieden uneingeschränkt wahrnehmen können",

P. in der Erwägung, dass Folter als Mittel zur Erlangung von Geständnissen mutmaßlicher Frauenmörder nicht hinnehmbar ist,

Q. in der Erwägung, dass auch zwei niederländische Staatsangehörige Frauenmorden zum Opfer gefallen sind, Hester Van Nierop 1998 und Brenda Susana Margaret Searle 2001, und dass die beiden Schuldigen am 26. Februar 2007 zu 33 bzw. 39 Jahren Gefängnis verurteilt wurden3, dieses Urteil jedoch nicht rechtskräftig ist, weil hiergegen Rechtsmittel eingelegt wurde,

R. in der Erwägung, dass die Problematik der Frauenmorde und in einigen Fällen der Straffreiheit für diejenigen, die Verbrechen an Frauen verübt haben, weiterhin fortbesteht,

S. in der Erwägung, dass die Gewalt in Ländern, in denen gesellschaftliche Stereotype Frauen zu den ersten Opfern der verschiedensten Formen dieser Gewalt machen, ein stets wiederkehrendes Phänomen ist,

T. unter Zustimmung zu den gesetzgeberischen Maßnahmen, die in Mexiko ergriffen worden sind, allen voran das Allgemeine Gesetz über das Recht der Frauen auf ein gewaltfreies Leben vom Februar 2007, sowie zur Schaffung von Sondereinrichtungen auf Bundes- und lokaler Ebene, wie z.B. der 2006 eingesetzten Sonderstaatsanwaltschaft für Gewaltverbrechen an Frauen, der Kommission für Juárez und des Nationalen Fraueninstituts,

U. in Anerkennung der Bemühungen der mittelamerikanischen Länder im Zusammenhang mit gesetzgeberischen Maßnahmen zur Anerkennung der Rechte der Frau in ihren Rechtsordnungen, jedoch in fortgesetzter Besorgnis angesichts der Schwierigkeiten und Verzögerungen bei der Durchführung dieser Rechtsvorschriften,

V. in der Erwägung, dass die Interparlamentarische Allianz für Dialog und Zusammenarbeit zwischen Abgeordneten Spaniens, Mexikos und Guatemalas zur Förderung von Gesetzesinitiativen zur Ausmerzung der Gewalt gegen Frauen gegründet wurde,

W. in der Erwägung, dass die Entwicklung und Konsolidierung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten fester Bestandteil des auswärtigen Handelns der Europäischen Union sein müssen,

X. in der Erwägung, dass die Demokratie- und Menschenrechtsklausel im Abkommen EG-Mexiko über wirtschaftliche Partnerschaft, politische Koordinierung und Zusammenarbeit rechtsverbindliche und gegenseitig verpflichtende Bedeutung hat,

Y. in der Erwägung, dass die Europäische Union und ihre Partner bei der Unterzeichnung eines Abkommens mit einem Drittstaat, das eine Menschenrechtsklausel enthält, die Verantwortung dafür tragen, dass die internationalen Menschenrechtsübereinkünfte vom Unterzeichnungstag an eingehalten werden und dass diese Klausel auf Gegenseitigkeit beruht,