Stellungnahme des Bundesrates
Entwurf eines Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens

Der Bundesrat hat in seiner 953. Sitzung am 10. Februar 2017 beschlossen, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:

1. Zu Artikel 1 Nummer 4 Buchstabe b ( § 81e Absatz 2 StPO)

Der Bundesrat bittet, im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, ob § 81e Absatz 2 StPO - molekulargenetische Untersuchungen an aufgefundenem, sichergestelltem oder beschlagnahmten Spurenmaterial - um die Zulässigkeit der Feststellung äußerlich erkennbarer Merkmale erweitert werden sollte.

Begründung:

Der Bundesrat begrüßt ausdrücklich die beabsichtigte Regelung des DNABeinahetreffers. Die Regelung gibt jedoch Anlass, eine Erweiterung des § 81e StPO auch in anderer Hinsicht zu prüfen.

In den letzten Jahren hat die Forensik auf dem Gebiet der DNA-Analyse wesentliche Fortschritte erzielt. Inzwischen lassen sich die Augen-, Haar- und Hautfarbe einer Person mit hoher Wahrscheinlichkeit aus dem DNA-Material bestimmen. Auch Aussagen über das Alter eines Spurenlegers lassen sich regelmäßig mit einer Abweichung von vier bis fünf Jahren treffen.

Diese Merkmale können bei der Fahndung nach unbekannten Tätern und Zeugen eine wesentliche Rolle spielen und zu gezielteren Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden führen. Dies verdeutlichen auch aktuell in der Presseberichterstattung befindliche Ermittlungsverfahren.

Mit stärkeren Grundrechtseingriffen verbundene Ermittlungsmaßnahmen - unter Umständen auch eine genetische Reihenuntersuchung - können im Einzelfall vermieden oder jedenfalls auf einen wesentlich kleineren Personenkreis beschränkt werden, wenn das Täterprofil durch die Bestimmung solcher Merkmale enger begrenzt werden kann.

Für aufgefundenes Spurenmaterial sollte daher über eine Erweiterung der Feststellungmöglichkeiten auf äußerlich erkennbare Merkmale nachgedacht werden, soweit eine DNA-Spur keinen Personentreffer in der DNAAnalysedatei des BKA ergibt.

Als im Rahmen des Gesetzes zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und zur Änderung anderer Vorschriften aus dem Jahr 2003 die Bestimmung des Geschlechts zugelassen wurde, wurde in der Begründung des Gesetzentwurfs ausgeführt, dass es nicht Sinn und Zweck der Regelungen über die Beschränkung der Untersuchungsweite bei der DNA-Analyse sei, die Feststellung des auch äußerlich erkennbaren Merkmals des Geschlechts des Beschuldigten oder des Opfers durch genetische Untersuchungen zu verbieten. Gerade die Kenntnis des Geschlechts sei für gezieltere Ermittlungs- und Fahndungsansätze der Strafverfolgungsbehörden nicht nur äußerst hilfreich, sondern im Einzelfall auch der einzig erfolgversprechende Ermittlungsansatz.

In gleicher Weise wie für das Merkmal des Geschlechts beansprucht diese Argumentation auch für die weiteren - nunmehr wissenschaftlich bestimmbaren - äußerlichen Merkmale Geltung.

Zur Nichtaufnahme dieser Merkmale in § 81e StPO wurde in der Begründung des Gesetzentwurfs ausgeführt, dass der Stand der rechtsmedizinischen Forschung zur DNA-Analyse insoweit noch keine verlässlichen Aussagen ermögliche. Es sei die Entwicklung des wissenschaftlichen Erkenntnisstandes weiter zu beobachten und erst zu gegebener Zeit über eine etwaige (weitere) Ergänzung der gesetzlichen Regelung nachzudenken.

Dieser Zeitpunkt ist nunmehr, aufgrund der bereits dargestellten wissenschaftlichen Fortschritte in der DNA-Analyse, gekommen. Eine entsprechende Anpassung der gesetzlichen Möglichkeiten der molekulargenetischen Untersuchung in § 81e Absatz 2 StPO sollte daher geprüft werden.

2. Zu Artikel 1 Nummer 8 Buchstabe b (§ 136 Absatz 4 Satz 2 StPO)

In Artikel 1 Nummer 8 Buchstabe b ist § 136 Absatz 4 Satz 2 StPO wie folgt zu fassen:

"Sie ist aufzuzeichnen, wenn die Aufzeichnung geboten erscheint, weil

und der Aufzeichnung weder die äußeren Umstände noch die besondere Dringlichkeit der Vernehmung entgegenstehen."

Begründung:

Das im Referentenentwurf noch enthaltene Kriterium der Gebotenheit wird wieder aufgegriffen, um Beurteilungsspielräume für eine erforderliche Abwägung im Einzelfall zu eröffnen. Dies ist zum einen erforderlich für Konstellationen, in denen die Vornahme der Aufzeichnung aus besonderen Gründen nicht geeignet ist, der Wahrheitsfindung zu dienen - etwa weil sich der Betroffene erkennbar gegen die Aufzeichnung sträubt, durch diese offenkundig gehemmt ist oder sie für sachfremde (z.B. selbstdarstellerische) Zwecke missbraucht. Dies kommt in allen Alternativen der Norm in Betracht. Der Gesetzentwurf würde demgegenüber die bedenkliche Folge haben, dass der eines vorsätzlichen Tötungsdelikts verdächtige Beschuldigte, der zwar aussagebereit ist, jedoch die Aufzeichnung seiner Vernehmung ablehnt, seine Aussage verweigern müsste und ihm nicht ermöglicht werden könnte, ihn stattdessen konventionell dokumentiert zu vernehmen. Zum anderen bedarf es des Kriteriums der Gebotenheit, um übermäßige Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht des Vernommenen sowie unverhältnismäßigen Aufwand zu vermeiden. Dass künftig beispielsweise jeder siebzehnjährige Beschuldigte, der verdächtig ist, einen Apfel entwendet zu haben, audiovisuell zu vernehmen ist, dürfte deutlich über das angestrebte Ziel hinausschießen.

Im Gegenzug wird in § 136 Absatz 4 Satz 2 Nummer 2 StPO-E vorgesehene Voraussetzung, dass die schutzwürdigen Interessen der genannten Personengruppen "durch die Aufzeichnung besser gewahrt werden können", verzichtbar, denn entsprechende Erwägungen lassen sich im Rahmen der Gebotenheitsprüfung anstellen.

Die Pflicht zur Aufzeichnung sollte nicht nur in der Alternative der § 136 Absatz 4 Satz 2 Nummer 1 StPO-E entfallen, wenn die Aufzeichnung aufgrund der äußeren Umstände nicht möglich ist oder sich die Vernehmung als besonders dringlich erweist und die technischen Möglichkeiten der Aufzeichnung infolge der Eilsituation nicht gegeben sind, sondern auch in der Alternative des § 136 Absatz 4 Satz 2 Nummer 2 StPO-E. In den darin genannten Konstellationen ist es gleichermaßen sinnvoller, auf die audiovisuelle Dokumentation zu verzichten anstatt auf die Vernehmung.

Es sollte eine "erhebliche" Einschränkung der geistigen Fähigkeiten verlangt werden, um dahingehende Missverständnisse zu vermeiden, dass die Vernehmung jedes Beschuldigten mit gegenüber dem Bevölkerungsdurchschnitt auch nur unwesentlich geminderten geistigen Fähigkeiten audiovisuell zu dokumentieren wäre.

Der Gesetzentwurf konzipiert § 136 Absatz 4 Satz 2 Nummer 2 StPO-E als nicht abschließende Aufzählung ("insbesondere") mit zwei Beispielen in den Buchstaben a und b. In der Begründung des Gesetzentwurfs heißt es dazu, im Einzelfall könne es daran fehlen, dass die Interessen des Beschuldigten durch die Aufzeichnung besser gewahrt werden können. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass durch das Wort "insbesondere" die audiovisuelle Dokumentation von Beschuldigtenvernehmungen künftig ohne weitere Voraussetzungen zum Regelfall erhoben würde. Die bewusst eng gefasste Fallgruppe in § 136 Absatz 4 Satz 2 Nummer 1 StPO-E würde gleichermaßen zur Makulatur wie die Ausführungen in der Begründung des Gesetzentwurfs, es fände lediglich eine "behutsame Anpassung der Dokumentationsmöglichkeiten" statt. Das ist mit Nachdruck abzulehnen.

3. Zu Artikel 1 Nummer 13 Buchstabe b (§ 213 Absatz 2 StPO)

In Artikel 1 Nummer 13 Buchstabe b ist in § 213 Absatz 2 das Wort "abstimmen* durch das Wort "erörtern* zu ersetzen.

Begründung:

Während im Referentenentwurf der äußere Ablauf der Verhandlung noch zu erörtern war, verlangt der Gesetzentwurf der Bundesregierung, dass er abzustimmen ist. Eine Begründung hierfür lässt der Gesetzentwurf der Bundesregierung vermissen.

Der neue Wortlaut könnte nahe legen, dass der Vorsitzende ein Einvernehmen zwischen Verteidiger, Staatsanwaltschaft, Nebenklägervertreter und Gericht über den äußeren Ablauf der Verhandlung herzustellen hat. Dass dem nicht so ist, sollte zur Meidung zeitraubender Auseinandersetzungen durch die Formulierung "erörtern* klargestellt werden, was im Übrigen auch dem Wortlaut der entsprechenden Empfehlung der Expertenkommission zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des allgemeinen Strafverfahrens und des jugendgerichtlichen Verfahrens entspricht.

Ein Einvernehmen wird sich in zahlreichen Fällen nämlich selbst unter größter Mühewaltung des Vorsitzenden infolge gegenläufiger Interessen der Beteiligten schlichtweg nicht herstellen lassen.

Daher ist herauszustellen, dass der Vorsitzende der Soll-Vorgabe als solcher durch die Erörterung (im Sinne eines ernsthaften Bemühens um Abstimmung) genügt, die eigentliche Terminsanberaumung - auch im Fall eines verbleibenden Dissenses nach erfolgter Erörterung - jedoch unverändert seiner Ermessensentscheidung unterliegt.