Gesetzentwurf des Bundesrates
Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes

A. Problem

B. Zielsetzung

C. Lösung

D. Alternativen

E. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte

Gesetzentwurf des Bundesrates
Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes

Der Bundesrat hat in seiner 796. Sitzung am 13. Februar 2004 beschlossen, den beigefügten Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Abs. 1 des Grundgesetzes beim Deutschen Bundestag einzubringen.

Anlage
Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Änderung des Strafvollzugsgesetzes

Das Strafvollzugsgesetz vom 16. März 1976 (BGBl. I S. 581, 2088; 1977 I S. 436), zuletzt geändert durch ..., wird wie folgt geändert:

Artikel 2
Einschränkung von Grundrechten

Das Grundrecht der persönlichen Freiheit nach Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes wird nach Maßgabe dieses Gesetzes eingeschränkt.

Artikel 3
Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tag nach seiner Verkündung in Kraft.

Begründung

A. Allgemeines

§ 18 Abs. 1 Satz 1 StVollzG legt fest, dass Gefangene während der Ruhezeit allein in ihren Hafträumen untergebracht werden müssen. Eine gemeinsame Unterbringung ist nach Satz 2 nur zulässig, sofern ein Gefangener hilfsbedürftig ist oder eine Gefahr für Leben oder Gesundheit eines Gefangenen besteht. Außer in den vorgenannten Fällen ist ausweislich § 18 Abs. 2 Satz 2 StVollzG im geschlossenen Vollzug eine gemeinschaftliche Unterbringung zur Ruhezeit nur vorübergehend und aus zwingenden Gründen zulässig. Im offenen Vollzug dürfen Gefangene dagegen mit ihrer Zustimmung gemeinsam untergebracht werden, wenn eine schädliche Beeinflussung nicht zu befürchten ist (§ 18 Abs. 2 Satz 1 StVollzG).

§ 18 StVollzG gewährt mithin einen einfachgesetzlichen Anspruch des Gefangenen auf Einzelunterbringung. Im geschlossenen Vollzug bleibt es selbst dann bei der entsprechenden Verpflichtung des Staates, wenn der Gefangene eine gemeinschaftliche Unterbringung wünscht und keine Nachteile zu befürchten sind. Ausnahmen, die eine gemeinschaftliche Unterbringung zulassen, sind eng begrenzt (§ 18 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 StVollzG).

Dennoch stellt die gemeinschaftliche Unterbringung keine Seltenheit dar. Ermöglicht wird dies durch die Übergangsbestimmung des § 201 Nr. 3 Satz 1 StVollzG.

Danach können abweichend von § 18 StVollzG Gefangene während der Ruhezeit auch gemeinschaftlich untergebracht werden, solange die räumlichen Verhältnisse der - zum Inkrafttreten des Gesetzes am 1. Januar 1977 noch nicht fertig gestellten -Anstalt dies erfordern. Demgegenüber stellt die "allgemeine chronische Überbelegung" keinen Grund zur Einschränkung des § 18 Abs. 1 Satz 1 StVollzG dar. Der gesetzliche Anspruch kann auch heute, 27 Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes, noch nicht erfüllt werden. Nach der letzten zur Verfügung stehenden bundesweiten Erhebung (vgl. Bundesministerium der Justiz, Bestand der Gefangenen und Sicherungsverwahrten in den Vollzugsanstalten am 30. November 2002) waren bei 48 521 bestehenden Haftplätzen für Einzelunterbringung (62 %) und 28 819 für Gemeinschaftsunterbringung (38 %) tatsächlich 38 910 einzeln (51 %) und 36 307 gemeinschaftlich (49 %) belegt. Ein Großteil der Gefangenen wird auch zur Ruhezeit gemeinschaftlich untergebracht (vgl. Schwind/Böhm, Strafvollzugsgesetz, 3. Aufl. 1999, § 18 Rnr. 2).

Indessen machen Gefangene zunehmend ihren Anspruch auf Einzelunterbringung gerichtlich geltend. Insoweit hat das Oberlandesgericht Celle ausgeführt, die §§ 145 und 146 StVollzG schränkten das Recht auf Einzelunterbringung nicht ein, sondern setzten dessen Beachtung voraus (vgl. OLG Celle, NStZ 1999, 216):

Ferner sprechen Gerichte Gefangenen Schmerzensgeld wegen Verletzung des Einzelunterbringungsgebots zu (vgl. LG Hannover, StV 2003, 568 f.). Die öffentlichen Haushalte werden dadurch zusätzlich belastet, ohne dass diese Aufwendungen zur Erreichung des Vollzugsziels beitragen.

Aus den genannten Erwägungen ist es erforderlich, das Strafvollzugsgesetz hinsichtlich der Gewährung des Anspruchs auf Einzelunterbringung zu ändern und die Regelung im Rahmen des verfassungsrechtlich unbedingt Gebotenen dem im Rahmen der Leistungsfähigkeit des Staates tatsächlich Möglichen anzupassen.

Der Grundsatz der Einzelunterbringung soll nicht beseitigt, aber in dem gebotenen Umfang eingeschränkt werden. Dabei wird dem Recht des Strafgefangenen auf Achtung seiner Menschenwürde (Artikel 1 Abs. 1 Satz 1 GG), das die Grenzen möglicher Gesetzesänderungen setzt, Rechnung getragen. Das Gebot zur unbedingten Achtung der Menschenwürde durch jedes staatliche Handeln verlangt zum einen den Strafvollzug auf das Ziel der Resozialisierung der Gefangenen hin auszurichten.

Der einzelne Gefangene hat aus Artikel 2 Abs. 1 i.V.m. Artikel 1 Abs. 1 GG einen grundrechtlichen Anspruch darauf, dass dieser Zielsetzung bei ihn belastenden Maßnahmen genügt wird (vgl. BVerfGE 98, 169 <200>). Ferner verlangt das Gebot zur Achtung der Menschenwürde, dass der Vollzug der Freiheitsstrafe die grundlegenden Voraussetzungen individueller Existenz wahren muss (vgl. Herdegen, in: Maunz/Dürig/Herzog, Komm. z. GG, Artikel 1 Rnr. 91). Daraus ist abzuleiten, dass dem einzelnen Individuum auch unter den Voraussetzungen der Strafhaft insbesondere in räumlicher Hinsicht ein Mindestmaß an Privat- und Intimsphäre verbleiben muss. Allerdings ist die Frage der Unterbringung eines Gefangenen in einem Haftraum, der hinsichtlich seiner Größe und Ausstattung den Anforderungen der Menschenwürde entsprechen muss, nicht Regelungsgegenstand von § 18 StVollzG, sondern fällt unter die Regelung des § 144 StVollzG (vgl. BVerfG, NJW 2002, 2699 f.).

Ein um Resozialisierung bemühter Vollzug (vgl. § 2 StVollzG) verlangt zwar grundsätzlich aber keineswegs in allen Fällen eine getrennte Unterbringung der Gefangenen bei Nacht. Dies kann notwendig sein, um die Lebensweise des Gefangenen in der Anstalt den sonstigen Lebensverhältnissen anzunähern (in diesem Sinne auch die Einzelbegründung zu § 18 StVollzG-E des Regierungsentwurfs vom 23. Juli 1973, BT-Drs. 7/918, S. 55). Indessen ist nicht zu verkennen, dass dem Menschen als sozial interaktives Wesen auch die dauerhafte Gemeinschaft nutzen kann zumindest aber dem langfristigen Ziel der Resozialisierung nicht zwingend entgegensteht. Dies gilt jedenfalls für Fälle, in denen Gefangene ihre Zustimmung zur gemeinsamen Unterbringung erklären oder hilfsbedürftig sind oder eine Gefahr für Leben oder Gesundheit eines Gefangenen besteht.

Im Übrigen ist die Einzelunterbringung kein unverzichtbarer Bestandteil der in Artikel 1 Abs. 1 GG festgeschriebenen Garantie der Menschenwürde. Den Anforderungen der Menschenwürde genügt grundsätzlich auch der Haftvollzug in einer Gemeinschaftszelle (vgl. Starck, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG-Komm., 4. Aufl. 1999, Artikel 1 Rnr. 60). Der verfassungsrechtlich gebotene Schutz der Privat- und Intimsphäre kann auch bei gemeinschaftlicher Unterbringung gewahrt werden. Die nötigen Vorkehrungen, die getroffen werden müssen, um zu bestimmten Ruhezeiten ein Mindestmaß an Rückzugsmöglichkeiten für die Gefangenen zu eröffnen, erfordern jedenfalls nicht die uneingeschränkte Einzelunterbringung. Ihnen ist vielmehr zum einen durch die Ausgestaltung des Vollzuges, zum anderen durch die Größe und Ausgestaltung der Hafträume Rechnung zu tragen. Eine ausreichende Größe des Haftraums, eine separate Nasszelle und die erforderlichen Abtrennungen können vom Bundesministerium der Justiz mit Zustimmung des Bundesrates in der Rechtsverordnung nach § 144 Abs. 2 StVollzG festgelegt werden.

Auch die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze, die zwar keine Rechtsnorm darstellen, aber einen international anerkannten Standard repräsentieren, verlangen eine Unterbringung von Gefangenen bei Nacht in Einzelhafträumen nur in der Regel und nur dann, wenn die gemeinschaftliche Unterbringung mit anderen Gefangenen nicht für sinnvoller gehalten wird (vgl. Nummer 14 Ziffer 1 der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze.

Überarbeitete europäische Fassung der Mindestgrundsätze für die Behandlung von Gefangenen, 1988).

B. Zu den einzelnen Vorschriften

Zu Artikel 1

Zu Nummer 1 ( § 18 StVollzG)

Die Neuregelung hebt die bisherige Unterscheidung zwischen geschlossenem und offenem Vollzug auf und trägt damit den räumlichen Verhältnissen in den bestehenden Justizvollzugsanstalten Rechnung.

In Absatz 1 wird der Grundsatz unterstrichen, dass Gefangene - im geschlossenen und im offenen Vollzug - während der Ruhezeit allein in ihren Hafträumen untergebracht werden sollen. Jedoch soll eine gemeinsame Unterbringung immer dann möglich sein, wenn dies die Gefangenen wünschen und eine schädliche Beeinflussung nicht zu befürchten ist. Informelle Befragungen lassen den Schluss zu, dass bis zu 20 % der Gefangenen einer gemeinschaftlichen Unterbringung den Vorzug geben (vgl. Ullenbruch, Anmerkung zu OLG Celle, Beschluss vom 5. November 1998, NStZ 1999 S. 429 <431>).

In Absatz 2 wird die bisherige Regelung bestätigt, wonach ohne Zustimmung der Gefangenen eine gemeinsame Unterbringung zulässig ist, sofern ein Gefangener hilfsbedürftig ist oder eine Gefahr für Leben oder Gesundheit eines Gefangenen besteht. Darüber hinaus wird eine gemeinschaftliche Unterbringung für zulässig erklärt, soweit die räumlichen Verhältnisse der Anstalt dies erfordern.

Zu Nummer 2 (§ 201 Nr. 3 Satz 1 StVollzG)

§ 18 in der Fassung dieses Gesetzentwurfs regelt die gemeinsame Unterbringung der Gefangenen während der Ruhezeit grundsätzlich neu, so dass § 201 Nr. 3 Satz 1 StVollzG als Folge der Änderung des § 18 StVollzG zu streichen ist.

Zu Artikel 2 (Einschränkung von Grundrechten)

Mit der Vorschrift wird dem in Artikel 19 Abs. 1 Satz 2 GG enthaltenen Zitiergebot Rechnung getragen.

Zu Artikel 3 (Inkrafttreten)

Das Gesetz kann unmittelbar nach seiner Verkündung in Kraft treten. Ein besonderer Vorlauf für die Praxis oder bestimmte Übergangsregelungen sind nicht erforderlich.