Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung des Europäischen Parlaments mit Empfehlungen an die Kommission zum Erb- und Testamentrecht (2005/2148(INI))

Zugeleitet mit Schreiben des Generalsekretärs des Europäischen Parlaments - 6410 - vom 14. Dezember 2006.

Das Europäische Parlament hat die Entschließung in der Sitzung am 16. November 2006 angenommen.

Das Europäische Parlament,

A. in der Erwägung, dass im Hoheitsgebiet der Europäischen Union nach einer 2002 im Auftrag der Europäischen Kommission vom Deutschen Notarinstitut erstellten Studie in jedem Jahr zwischen 50 000 und 100 000 Erbschaften mit Auslandsbezug anfallen,

B. in der Erwägung, dass sich diese statistischen Zahlen nach der jüngsten Erweiterung der Europäischen Union um zehn neue Mitgliedstaaten und angesichts künftiger Erweiterungen weiter erhöhen werden,

C. in der Erwägung, dass zurzeit enorme Unterschiede zwischen den Systemen des internationalen Privatrechts in den Mitgliedstaaten und des jeweiligen materiellen Erb- und Testamentrechts der Mitgliedstaaten bestehen,

D. in der Erwägung, dass den Erbberechtigten aufgrund dieser Unterschiede Schwierigkeiten und Kosten entstehen könnten, bis sie ihre Erbschaft antreten können, wodurch die Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit und auf freie Niederlassung gemäß den Artikeln 39 und 43 des EG-Vertrags sowie das Recht auf Eigentum als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts behindert werden kann2,

E. in der Erwägung, dass ein Instrument des Gemeinschaftsrechts für den Bereich des internationalen Privatrechts in Fragen des Erb- und Testamentrechts erarbeitet werden sollte worauf bereits in dem 1998 in Wien angenommenen Aktionsplan3, im Maßnahmenprogramm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, das vom Rat und von der Europäischen Kommission im Jahr 2000 verabschiedet wurde4, im Haager Programm zur Stärkung von Freiheit, Sicherheit und Recht in der Europäischen Union vom 4. November 2004 und im Aktionsplan von Rat und Kommission zur Umsetzung des Haager Programms mit dem Ziel, Freiheit, Sicherheit und Recht in der Europäischen Union zu stärken5, hingewiesen worden ist,

F. in der Erwägung, dass die Annahme von Gesetzgebungsinitiativen zum Erb- und Testamentrecht mit den Zielen des Gemeinschaftsrechts in Einklang stehen, das die Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verbietet und unabhängig von der jeweiligen Staatsangehörigkeit zur sozialen Eingliederung all derjenigen beitragen soll deren wesentlicher Lebens- und Interessenmittelpunkt sich in einem Mitgliedstaat befindet G. in der Erwägung, dass die Europäische Gemeinschaft keine Befugnis zur Angleichung des materiellen Erb- und Testamentrechts der Mitgliedstaaten hat, sie jedoch gemäß Artikel 65 Buchstabe b des Vertrags für Maßnahmen zur "Förderung der Vereinbarkeit der in den Mitgliedstaaten geltenden Kollisionsnormen und Vorschriften zur Vermeidung von Kompetenzkonflikten" zuständig ist,

H. in der Erwägung, dass nach Artikel 67 Absatz 5 zweiter Spiegelstrich des Vertrags ein Rechtsakt zum Erb- und Testamentrecht gemäß dem Verfahren des Artikels 251 des Vertrags erlassen werden muss,

I. in der Erwägung, dass beim Erb- und Testamentrecht einige Grundsätze der öffentlichen Ordnung zu beachten sind, die die Testierfreiheit zugunsten der Familie des Erblassers oder der anderen unterhaltsberechtigten Personen beschränken,

Anhang
Detaillierte Empfehlungen zu dem Inhalt des Vorschlags

Empfehlung 1 (zu der Form und zum Mindestinhalt des zu erlassenden Instruments)

Das Europäische Parlament ist der Auffassung, dass der zu erlassende Rechtsakt die Fragen des Erbrechts im internationalen Privatrecht möglichst erschöpfend regeln und gleichzeitig zu Folgendem führen muss:

Empfehlung 2 (zur gerichtlichen Zuständigkeit und zu dem objektiven Anknüpfungspunkt)

Das Europäische Parlament ist der Auffassung, dass der zu erlassende Rechtsakt grundsätzlich gewährleisten sollte, dass Gerichtsstand und Rechtsordnung (forum und ius) nicht unterschiedlich sind, und dadurch die Schwierigkeiten bei der Anwendung ausländischen Rechts verringert werden.

Aus diesen Gründen ist das Europäische Parlament geneigt, den Ort des gewöhnlichen Aufenthalts als Kriterium für die Festlegung sowohl der gerichtlichen Zuständigkeit als auch des Anknüpfungspunkts vorzuziehen, wobei "Ort des gewöhnlichen Aufenthalts" bedeutet:

Empfehlung 3 (zur Wahlfreiheit, die dem Einzelnen zuerkannt werden muss)

Das Europäische Parlament ist der Auffassung, dass der zu erlassende Rechtsakt ein gewisses Maß an Wahlfreiheit und insbesondere zulassen muss, dass

Empfehlung 4 (zum auf die Form der Testamente anwendbaren Recht)

Das Europäische Parlament ist der Auffassung, dass der zu erlassende Rechtsakt eine geeignete Regelung auf dem Gebiet des auf die Form der testamentarischen Verfügungen anwendbaren Rechts vorsehen muss - welche Verfügungen sind als gültig zu betrachten, wenn sie als solche vom Recht des Staates angesehen werden, in dem der Erblasser sie formuliert hat, oder vom Recht des Staates, in dem der Erblasser zu dem Zeitpunkt seiner Verfügung oder zum Zeitpunkt des Todes seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort hatte, oder auch vom Recht eines der Staaten, dessen Staatsangehörigkeit der Erblasser zu dem Zeitpunkt seiner Verfügung oder zum Zeitpunkt des Todes besaß.

Empfehlung 5 (zum auf Erbverträge anwendbaren Recht)

Das Europäische Parlament ist der Auffassung, dass der zu erlassende Rechtsakt eine geeignete Regelung auf dem Gebiet des auf Erbverträge anwendbaren Rechts vorsehen muss für die folgendes Recht gelten sollte:

Auch bei Erbverträgen muss der zu erlassende Rechtsakt einen bestimmten Raum für die Wahlfreiheit des Einzelnen vorsehen und es den Parteien ermöglichen, in einer ausdrücklichen Erklärung zu vereinbaren, dass für den Erbvertrag das Recht des Staates gilt in dem die Person oder eine der Personen, um deren Erbschaft es geht, ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrages hat oder dessen Staatsangehörigkeit sie zum gleichen Zeitpunkt besitzt.

Empfehlung 6 (zu allgemeinen Fragen im Zusammenhang mit dem anwendbaren Recht)

Das Europäische Parlament ist der Auffassung, dass in dem zu erlassenden Rechtsakt auch die allgemeinen Fragen im Zusammenhang mit dem anwendbaren Recht geregelt werden müssen.

Das Europäische Parlament ist insbesondere der Meinung:

Empfehlung 7 ("zum Europäischen Erbschein")

Das Europäische Parlament ist der Auffassung, dass es das Ziel des zu erlassenden Rechtsakts sein muss, die Verfahren, über die die Erben und Vermächtnisnehmer in den Besitz der zum Nachlass gehörenden Nachlassgegenstände gelangen, zu erleichtern, insbesondere indem

Dieser Erbschein, in dem das auf den Erbfall anwendbare Recht angegeben werden muss muss entsprechend einem in dem zu erlassenden Rechtsakt vorgesehenen Muster eines Standardformulars erteilt werden und den geeigneten Rechtstitel für die Eintragung des Erwerbs der vererbten Gegenstände in die behördlichen Erbschaftsregister des Mitgliedstaats der Belegenheit der Güter darstellen, vorbehaltlich der Einhaltung der Bestimmungen des Mitgliedstaates im Hinblick auf das Funktionieren dieser Register und die Wirkung der in ihnen enthaltenen Informationen.

Ferner muss der zu erlassende Rechtsakt den Schutz des gutgläubigen Dritten, der ein entgeltliches Rechtsgeschäft mit demjenigen abgeschlossen hat, der ihm aufgrund des Erbscheins als berechtigt erscheint, über die zum Nachlass gehörenden Nachlassgegenstände zu verfügen, und den Schutz seines Erwerbs vorsehen, außer wenn er weiß dass die Angaben im Erbschein unrichtig sind oder dass die zuständige Behörde die Einziehung oder die Änderung dieses Erbscheins betreibt.

Empfehlung 8 (zu der belegenen Sache und zum Pflichtteil)

Das Europäische Parlament ist der Auffassung, dass der künftige Rechtsakt

Empfehlung 9 (zu Trusts)

Das Europäische Parlament erinnert daran, dass die Eigentumsordnung gemäß Artikel 295 des Vertrags in den Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten fällt, und fordert daher, Trusts von dem zu erlassenden Rechtsakt auszunehmen. Deshalb muss der Rechtsakt vorsehen dass, wenn ein Trust aufgrund einer Verfügung von Todes wegen errichtet wird, die Anwendung des durch den zu erlassenden Rechtsakt bestimmten Rechts auf die Nachfolge nicht der Anwendung eines anderen Gesetzes für die Verwaltung des Trusts entgegensteht und dass umgekehrt die Anwendung des Rechts für die Verwaltung des Trusts auf den Trust nicht der Anwendung des Rechts, nach dem sich aufgrund des zu erlassenden Rechtsakts die Nachfolge richtet, auf die Nachfolge entgegensteht.

Empfehlung 10 (zum Exequaturverfahren)

Das Europäische Parlament schlägt vor, dass der zu erlassende Rechtsakt im Hinblick auf die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen das System der Verordnung (EG) Nr. 044/2001 übernehmen sollte, die das Exequaturverfahren nur in den Fällen vorsieht, in denen die Gerichtsentscheidung eines Mitgliedstaates auf der Grundlage eines Vollstreckungsverfahrens in einem anderen Mitgliedstaat vollstreckt werden muss.

Wenn jedoch eine Entscheidung in öffentliche Register eingetragen werden soll, muss unter Berücksichtigung der äußerst unterschiedlichen Regeln in den verschiedenen Mitgliedstaaten vorgesehen werden, dass der Entscheidung eine "Konformitätsbescheinigung" mit der öffentlichen Ordnung und den zwingenden Vorschriften des Vollstreckungsmitgliedstaats beigefügt ist, die - gemäß einem Standardformular - von einer lokalen Justizbehörde ausgestellt wird.

Empfehlung 11 (zu den öffentlichen Urkunden)

Das Europäische Parlament hält es für notwendig, dafür zu sorgen, dass öffentliche Urkunden in Erbsachen gleiche Wirkungen haben und insbesondere in allen Mitgliedstaaten anerkannt werden, was die Beweiskraft von Bescheinigungen über Sachverhalte und Erklärungen anbelangt, die vor der ausstellenden Behörde nachgewiesen bzw. abgegeben wurden, wenn solche Beweise nach dem Recht des Herkunftsmitgliedstaats zulässig sind.

Gemäß Artikel 57 der Verordnung (EG) 044/2001 des Rates muss die öffentliche Urkunde alle Voraussetzungen für ihre Beweiskraft erfüllen, die in dem Herkunftsmitgliedstaat erforderlich sind, und sie wird nicht anerkannt, wenn ihre Anerkennung eine offensichtlich mit der öffentlichen Ordnung des Vollstreckungsmitgliedstaats unvereinbare Wirkung hätte.

Wenn im Übrigen eine öffentliche Urkunde dazu bestimmt ist, in öffentliche Register eingetragen zu werden, muss entsprechend den Ausführungen über die gerichtlichen Entscheidungen vorgesehen werden, dass der Urkunde selbst, eine "Konformitätsbescheinigung" hinsichtlich der öffentlichen Ordnung und den zwingenden Vorschriften des Vollstreckungsmitgliedstaats beigefügt ist, die - gemäß einem Standardformular - von der Behörde ausgestellt wird, die für die Erstellung dieser Urkunde in diesem Staat zuständig ist.

Empfehlung 12 (zum europäischen Netz der Testamentsregister)

Das Europäische Parlament hofft, dass durch die Einführung eines europäischen Netzes der nationalen Testamentregister durch Vernetzung der einzelstaatlichen Register die Ermittlung und Feststellung des letzten Willens eines Verstorbenen erleichtert wird.


1 ABl. C 28 vom 3.2.2006, S. 1.
2 Siehe Urteil des Gerichtshofs vom 3. Dezember 1989, Rechtssache C-368/96, Generics (UK) u.a., Slg. 1998, S. I-7967, Nummer 79 und die in diesem Urteil zitierte Rechtsprechung.
3 ABl. C 19 vom 23.1.1999, S. 1.
4 ABl. C 12 vom 15.1.2001, S. 1.
5 ABl. C 198 vom 12.8.2005, S. 1.
6 ABl. L 12 vom 16.1.2001, S. 1.