Antrag der Länder Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Saarland, Sachsen-Anhalt, Thüringen
Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 29. Oktober 2004 über eine Verfassung für Europa

Punkt 1 der 808. Sitzung des Bundesrates am 18. Februar 2005

Der Bundesrat möge beschließen, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Abs. 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:

I.

Der Bundesrat begrüßt, dass die Mitgliedstaaten der EU am 29. Oktober 2004 den Vertrag über eine Verfassung für Europa unterzeichnet haben. Die deutschen Länder haben maßgeblich dazu beigetragen, dass nach dem unzureichenden Ergebnis des Gipfels von Nizza eine grundlegendere Reform der europäischen Verträge eingeleitet wurde. Der Bundesrat dankt den Ländern Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen, die im Auftrag der Ländergesamtheit an den Verhandlungen beteiligt waren und wesentliche Länderanliegen durchsetzen konnten.

Der Bundesrat nimmt mit Befriedigung zur Kenntnis, dass in dem vorliegenden Verfassungsdokument die Voraussetzungen für ein vereintes Europa der Staaten und der Bürger geschaffen wurden, das die grundlegende politische und verfassungsrechtliche Struktur der Mitgliedstaaten einschließlich der regionalen und kommunalen Selbstverwaltung achtet. Gleichzeitig wurde die Handlungsfähigkeit einer EU mit 25 Mitgliedstaaten verbessert. Wesentliche Erfolge wurden mit den Festlegungen zur Verbesserung der Kompetenzordnung, dem Frühwarnsystem bei der Subsidiaritätskontrolle und den Klagerechten erzielt. Der Bundesrat sieht in dem Verfassungsvertrag einen wichtigen Schritt hin zu mehr Bürgernähe, Demokratie, Transparenz, Effizienz und Subsidiarität in der EU.

Dabei begrüßt der Bundesrat den Verfassungsvertrag als einen Meilenstein für die europäische Integration und als einen wesentlichen Fortschritt für eine bessere Wahrnehmung der berechtigten Interessen von Bund, Ländern und Gemeinden. Die auf 25 Mitgliedstaaten angewachsene EU hat in grundlegenden Fragen ihre Entscheidungsfähigkeit unter Beweis gestellt. Es sind nunmehr auch die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass das erweiterte Europa sein größeres Gewicht auf der weltpolitischen Bühne zur Geltung bringen kann.

Insbesondere begrüßt der Bundesrat, dass der Verfassungsvertrag die Bürger Europas stärker ins Blickfeld rückt. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Grundrechtecharta, die die Grundrechte der Bürger rechtsverbindlich festschreibt und auf europäischer Ebene sichtbar macht. Gleichzeitig wird damit die gemeinsame Werteordnung des geeinten Europas niedergelegt.

Der Bundesrat nimmt gleichzeitig zur Kenntnis, dass nicht alle Forderungen der Länder durchgesetzt werden konnten, insbesondere hinsichtlich des Gottesbezugs und bei einzelnen Fachpolitiken in Teil III der Verfassung (z.B. Schaffung neuer Kompetenzen in den Bereichen Tourismus und Gesundheitspolitik). Die Forderung nach einer weiteren Konzentration der EU auf Kernaufgaben bleibt deshalb auf der Agenda und muss bei künftigen Vertragsänderungen und bei der Ausgestaltung des Sekundärrechts weiterverfolgt werden.

II.

Der Bundesrat stellt fest, dass mit der Reform der Institutionen eine wichtige Voraussetzung für Verbesserungen der Handlungsfähigkeit der erweiterten EU geschaffen wurde.

III.

Der Bundesrat begrüßt, dass es gelungen ist, im Verfassungsvertrag wesentliche Länderanliegen zu verteidigen und darüber hinaus weitere Verbesserungen zu erzielen. Zu begrüßen ist, dass es in Einzelfällen gelungen ist, die Ausweitung von EU-Kompetenzen zu verhindern.

IV.

Um die im Verfassungsvertrag vorgesehenen neuen Rechte der Länder ausüben zu können hält der Bundesrat innerstaatliche Rechtsänderungen für erforderlich.

- Subsidiaritätsrüge:

Der Bundesrat erhält durch den Verfassungsvertrag das Recht, bei Rechtsetzungsvorhaben innerhalb von sechs Wochen eine Subsidiaritätsrüge, zu erheben. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, die Informationsrechte und Verfahren so anzupassen, dass der Bundesrat von seinem Recht, eine eigenständige Subsidiaritätsrüge zu erheben, umfassend Gebrauch machen kann.

- Klagerecht des Bundesrates:

Der Bundesrat erhält durch den Verfassungsvertrag das Recht, eine eigene Klage bei Verletzung des Subsidiaritätsprinzips vor dem Europäischen Gerichtshof zu führen. Der Bundesrat fordert daher, dass eine solche Klage von der Bundesregierung unverzüglich und ohne Änderung an den Europäischen Gerichtshof übermittelt wird und die Verantwortung für die Prozessführung einschließlich der Beteiligung von Prozessvertretern allein beim Bundesrat liegt. Dies ist im EUZBLGfestzulegen. Das Binnenverhältnis im Bundesrat regeln die Länder autonom.

- Passerelle-Klausel:

Der Verfassungsvertrag räumt den nationalen Parlamenten in Artikel IV-444 ein Ablehnungsrecht gegen eine Initiative des Europäischen Rates zum Übergang von der Einstimmigkeit in die Mehrheitsentscheidung (Passerelle-Klausel) ein.

Der Bundesrat fordert, dieses Recht innerstaatlich so umzusetzen, dass die Zustimmung der Bundesregierung zum Übergang in die Mehrheitsentscheidung nur nach vorheriger Zustimmung des Bundesrates erfolgen kann.

V.

Darüber hinaus ist der Bundesrat der Auffassung, dass die bisherigen Verfahren der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern anlässlich der Ratifizierung des Vertrags über eine Verfassung für Europa zu überprüfen und anzupassen sind.

- Umfang des Begriffs "Angelegenheiten" bzw. "Vorhaben" in Artikel 23 GG/EUZBLG:

Der Bundesrat fordert im EUZBLG eine Klarstellung, dass der Begriff "Angelegenheiten" (Artikel 23 Abs. 2 GG) und "Vorhaben" (§§ 3, 4, 5, 6, 10, 20 EUZBLG) nicht auf rechtsverbindliche Handlungsinstrumente der EU beschränkt ist sondern auch Maßnahmen im Vorfeld der Gesetzgebung (Grünbücher, Weißbücher, Aktionsprogramme) und die "Offene Methode der Koordinierung" umfasst.

- Konkretisierung des Begriffs "Schwerpunkt":

Um die Verbindlichkeit einer Stellungnahme des Bundesrats zu sichern, muss Klarheit darüber bestehen, ob "im Schwerpunkt" Zuständigkeiten der Länder betroffen sind. Der Bundesrat hält es für erforderlich, den "Schwerpunkt"-Begriff im EUZBLG (§ 5 Abs. 2 und § 6 Abs. 2 EUZBLG) näher zu konkretisieren.

- Artikel 308 EGV/Artikel I-18 Verfassungsvertrag:

Die Länder fordern eine Klarstellung im EUZBLG, dass sich die Bundesregierung bei auf Artikel 308 EGV gestützten Vorhaben nicht enthalten darf, wenn das erforderliche Einvernehmen mit dem Bundesrat nicht hergestellt wurde.

- Zustimmung zur Aufnahme von Verhandlungen über EU-Beitritte und Vertragsverhandlungen:

Die Zustimmung der Bundesregierung zur Aufnahme von Verhandlungen über EU-Beitritte und von Vertragsverhandlungen erfolgt im Einvernehmen mit dem Bundesrat.

- Vertretung der Länder in der Ständigen Vertretung:

Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, eine Vertretung der Länder in der Ständigen Vertretung in Bereichen, die Länderinteressen in besonderer Weise berühren zu ermöglichen.

- Einbindung der Länder in informelle Räte und informelle Sitzungen von Ratsarbeitsgruppen:

Der Bundesrat fordert, in der Bund-Länder-Vereinbarung festzulegen, dass die Ländervertreter grundsätzlich an informellen Räten teilnehmen können, wenn sie auch an formellen Sitzungen der Ratsformationen beteiligt sind oder wenn wesentliche Interessen der Länder berührt sind.

- Mitwirkung der Länder bei Ernennungen von EuGH-Richtern:

Die Länder sprechen sich dafür aus, dass die bislang unzureichend festgelegten Benennungsmodalitäten in der Bundesrepublik Deutschland auf eine gesetzliche Grundlage gestellt werden. Derzeit erfolgt die Auswahl der Richter nach einem informellen exekutivischen und wenig transparenten Verfahren. Es sollte ein Verfahren analog der Benennung von Bundesrichtern vorgesehen werden.

- Erfolgskontrolle:

Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, unverzüglich nach Beschlussfassung im Rat der EU über die Durchsetzung seiner Stellungnahmen zu berichten.

VI.

Der Bundesrat stellt die Ratifizierung des Verfassungsvertrags über eine Verfassung in Aussicht. Er geht davon aus, dass zu den genannten Punkten im Zuge der Verhandlungen über das Ratifizierungsgesetz ein befriedigendes Gesamtergebnis gefunden wird. Die zwischen den Regierungschefs der Länder und der Bundesregierung vereinbarten Gespräche über die Umsetzung der genannten Rechte im innerstaatlichen Bund-Länder-Verhältnis sollten möglichst rasch aufgenommen werden. Der Bundesrat beauftragt die Länder Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Berlin und Bayern, diese Gespräche vorzubereiten und zu führen. Dabei wird zu prüfen sein, ob zur Umsetzung der genannten Anliegen grundgesetzliche oder gesetzliche Änderungen erforderlich sind oder Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern ausreichen.

Der Bundesrat unterstreicht seine Bereitschaft, die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern in Europaangelegenheiten zu verbessern und damit die deutsche Verhandlungsposition in Brüssel weiter zu stärken.