Antrag des Landes Nordrhein-Westfalen
Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes

Punkt 22 der 977. Sitzung des Bundesrates am 17. Mai 2019

Zu Artikel 1 Nummer 01 - neu - (§ 10 Absatz 1 Satz 1 Nummer 8 - neu - StAG)

In Artikel 1 ist Nummer 1 folgende Nummer voranzustellen:

"01. In § 10 Absatz 1 Satz 1 wird in Nummer 6 das Wort "und" durch ein Komma und in Nummer 7 der abschließende Punkt durch das Wort "und" ersetzt und folgende Nummer angefügt:

"8. gewährleistet, sich in die deutschen Lebensverhältnisse einzuordnen, insbesondere darf ein Ausländer nicht gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet sein." "

Begründung:

Der Änderungsantrag verfolgt vorrangig das Ziel, eine Unvereinbarkeit von Mehr- oder Vielehen mit dem Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch ausländische Staatsangehörige zu postulieren.

In der öffentlichen Diskussion hat das Thema in jüngerer Vergangenheit eine zunehmende Rolle gespielt, zumal es durch Migrationsbewegungen insbesondere seit dem Jahr 2015 zu einer Erhöhung der Zahl ausländischer Zuwanderer in der Bundesrepublik Deutschland gekommen ist, die teils aus Staaten stammen, in denen die Viel- oder Mehrehe rechtlich zulässig ist. In der Bundesrepublik Deutschland ist der Abschluss einer Mehrehe bereits gegenwärtig strafbar ( § 172 StGB) und zivilrechtlich nicht eingehungsfähig (§ 1306 BGB, Artikel 13 Absatz 4 Satz 1 EGBGB). Ob bei Migranten aus solchen Staaten, in denen die Mehrehe rechtlich zugelassen ist, solche Eheformen bestehen, wird statistisch nicht erhoben. Ebenfalls nicht erhoben wird insofern die Zahl rein religiös vorgenommener Eheschließungen innerhalb der Bundesrepublik Deutschland, etwa vor Imamen. Mehrehen werden jedoch in erster Linie im Zuständigkeitsbereich der Verwaltungsgerichte staatlichen Institutionen bekannt. Ein Beispiel hierfür bietet die in der Vergangenheit erörterte Frage des Familiennachzugs zu in Deutschland gewöhnlich aufhältigen Migranten. In diesem Zusammenhang dürfte jährlich bundesweit etwa eine dreistellige Anzahl an Vielehen bekannt werden. Zur Größe des etwaigen Dunkelfeldes sind valide Aussagen kaum zu treffen. Auch die geschätzte Zahl jährlich bekannt werdender Mehrehen indiziert jedoch, dass gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht. Auch aus Sicht der Gleichberechtigung der Geschlechter besteht Handlungsbedarf, denn in einer Vielzahl von Herkunftsstaaten derjenigen Personen, bei denen das Bestehen von Mehrehen festgestellt werden konnte, ist die Eingehung der Mehrehe nur Männern, nicht aber Frauen oder gar Trans- und Intermenschen gestattet. Eine Zweit- oder Mehrfachehe ist namentlich dann, wenn sie nur dem Mann erlaubt ist, Ausdruck eines vormodernen, die Gleichberechtigung der Geschlechter missachtenden Ehemodells. Damit liegt in der Mehrehe regelmäßig auch eine gleichstellungspolitisch unerträgliche und drastische Zementierung bestehender Ungleichgewichtige zwischen Mann und Frau, deren Beseitigung ausdrücklicher Verfassungsauftrag ist (Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 GG) .

In der bundesdeutschen Gesellschaft wird die Ehe auch weiterhin prägend als Einehe verstanden. Entsprechend wird in § 1353 Absatz 1 Satz 1 BGB die Ehe als auf Lebenszeit geschlossene Lebensgemeinschaft von zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts definiert. Eine weitere Ehe darf nach § 1306 BGB nicht geschlossen werden, wenn zwischen einer der Personen, die die Ehe miteinander eingehen wollen, und einer dritten Person bereits eine Ehe oder eine Lebenspartnerschaft besteht. Ungeachtet aller Wandlungen, die der Ehebegriff in den letzten Jahrzehnten genommen hat, und den verschiedenen Formen des Zusammenlebens von Partnern mit oder ohne Kinder ist der Grundsatz unangefochten, dass eine Ehe - so sie denn geschlossen werden soll - jeweils nur mit einer Person geschlossen werden kann und soll. Selbst außereheliche Beziehungen neben einer bestehenden Ehe stellen diesen Grundsatz nicht infrage; sie setzen den Grundsatz der Einehe vielmehr voraus und werden als - individuell lebbare und möglicherweise rechtfertigungsfähige - Abweichungen von einer fortbestehenden gesellschaftlichen Norm gewertet. Die Abschaffung des Straftatbestandes des Ehebruchs ( § 172 StGB a. F.) im Jahre 1969 hat ebenfalls nichts daran geändert, dass die Achtung und Beachtung des Grundsatzes der Einehe sozial als wichtige Voraussetzung des gesellschaftlichen Zusammenlebens gewertet wird.

Diese gesellschaftliche Perspektive findet zudem im Recht eine klare, hochrangige Verankerung.

§ 172 StGB stellt unter Strafe, wenn verheiratete oder in Lebensgemeinschaft lebende Personen eine weitere Ehe oder Lebenspartnerschaft eingehen. Dass dieses strafrechtliche Verbot der Doppelehe bei einer nach anzuwendendem Sachrecht zulässigen, durch einen Ausländer in seinem Herkunftsstaat geschlossenen Doppelehe nicht greift und eine so geschlossene Ehe nach Internationalem Privatrecht im Rahmen des deutschen ordre public als rechtsgültig betrachtet werden kann, ändert nichts an dem normativen Schutz des Grundsatzes der monogamen Ehe als solchem. Es begrenzt lediglich die innerstaatliche straf- oder zivilrechtliche Sanktionierung einer im Ausland geschlossenen Doppelehe, stellt aber weder normativ noch gesellschaftlich das Konzept der Einehe infrage.

Der Grundsatz der Einehe prägt auch den Ehebegriff des Artikel 6 Absatz 1 GG. Das Monogamiegebot nimmt an dem Schutz der Ehe als Institution teil, den der Gesetzgeber zu achten und zu verwirklichen hat. Bei einer Doppel- oder Mehrehe, die nur einem Geschlecht eröffnet ist, wird deren auch gesellschaftliche Ächtung grundrechtlich zusätzlich durch den Grundsatz der Gleichberechtigung (Artikel 3 Absatz 2 GG) gestützt (vgl. für das Vorstehende BVerwG ZAR 2018, 313, 315).

Dieses Zusammenspiel von tiefgreifender gesellschaftlichkultureller Prägung durch den Grundsatz der Einehe und dessen hochrangiger verfassungs- und strafrechtlicher Verankerung lässt es sachgerecht erscheinen, die Beachtung des Grundsatzes der Einehe nicht nur für die Einbürgerung von Ehegatten oder Lebenspartnern deutscher Staatsangehöriger vorzusehen, sondern grundsätzlich auch von sämtlichen übrigen Einbürgerungsbewerbern zu verlangen.

Die Beachtung des Grundsatzes der Einehe als Einbürgerungsvoraussetzung ist dem Gesetz in Gestalt des unbestimmten Rechtsbegriffs der Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse in der Auslegung, die jener Begriff jüngst durch das BVerwG erfahren hat (BVerwG a.a. O.), bereits bekannt; diese Voraussetzung gilt jedoch nur für die Einbürgerung von Ehegatten oder Lebenspartnern deutscher Staatsangehöriger (§ 9 Absatz 1 Nummer 2 StAG), nicht jedoch als allgemeine Einbürgerungsvoraussetzung. Das BVerwG hat a.a.O., Seite 317, dargelegt, dass insbesondere das in § 10 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 StAG enthaltene Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes die Wahrung des Grundsatzes der Einehe nicht umfasse; beide Begriffe seien auch nicht gleichzusetzen. Der Rechtsbegriff des Bekenntnisses zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung sei vielmehr bereichsspezifisch auszulegen, habe aber als festen Begriffskern die Orientierung auf die staatliche Ordnung, so dass eine bestehende Zweitehe nicht in Widerspruch zu einem Bekenntnis zur freiheitlichdemokratischen Grundordnung stehe. Der Gesetzgeber sei aber nicht gehindert, die Anspruchseinbürgerung bei bestehender Mehrehe nicht zuzulassen. Mit der Orientierung der Anspruchseinbürgerung am Grundsatz der Einehe wird zudem ein Beschluss der Frühjahrsinnenministerkonferenz vom Juni 2018 umgesetzt, wonach die Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse, insbesondere die Beachtung des Verbots der Viel-und Mehrehe, notwendige und unverzichtbare Bestandteile für die Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit sind.

Als weitere Regelungsfolge der mit der Ergänzung in § 10 Absatz 1 Satz 1 Nummer 8 StAG übertragenen Vorschrift des § 9 Absatz 1 Nummer 2 StAG gelten neben dem Grundsatz der Einehe auch die übrigen Inhalte des Tatbestandsmerkmals der Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse für die Anspruchseinbürgerung. Dies erscheint im Sinne einer kohärenten Integrationsförderung sachgerecht. Es verbleibt jedoch nur geringfügiger Anwendungsspielraum, da hiermit namentlich das Vorhandensein deutscher Sprachkenntnisse angesprochen ist, diese in § 10 Absatz Satz 1 Nummer 6 StAG jedoch schon eine eigenständige Regelung bei der Anspruchseinbürgerung erfahren haben. Auch für die Anforderungen an die Voraufenthaltsdauer trifft § 10 Absatz 1 StAG eine selbständige Regelung. Insofern war es abweichend von § 9 Absatz 1 Nummer 2 StAG geboten, das im Wesentlichen verbleibende Element der Mehrehe im Gesetzestext noch einmal ausdrücklich beispielhaft hervorzuheben.

Der vorgeschlagene § 10 Absatz 1 Satz 1 Nummer 8 StAG übernimmt die bereits für die Einbürgerung von Ehegatten oder Lebenspartnern in § 9 Absatz 1 Nummer 2 StAG getroffene Regelung sinngemäß und angepasst an die Formulierungsweise bei der Anspruchseinbürgerung. Um das Regelungsziel hervorzuheben, wird der zentrale Anwendungsfall der Vielehe im Sinne eines Regelbeispiels anders als in § 9 StAG ausdrücklich hervorgehoben. Dabei wird eine Formulierung aus § 30 Absatz 4 AufenthG übernommen.